TE Vfgh Erkenntnis 1988/9/26 B951/88

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Veröffentlicht am 26.09.1988
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs1
StGB §§577 ff
GO für den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Salzburg §4
MRK Art6 Abs1
DSt 1872 §2, §2a
VStG 1950 §31
DSt 1872 §49 Abs4

Leitsatz

DSt; Nichtöffentlichkeit der mündlichen Verhandlung vor der OBDK nach §49 Abs4 verstößt nicht gegen Art6 MRK; keine Bedenken gegen §2a wegen unterschiedlicher Regelung der Verjährungsfrist im Vergleich zu StGB und VStG im Hinblick auf das Gleichheitsgebot; keine willkürliche Verhängung einer Disziplinarstrafe wegen nicht unverzüglicher Ausfolgung erlegter Klientengelder

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Rechtsanwalt Dr. K F St führte als Rechtsvertreter der Firma I-Gellschaft m.b.H. gegen Dipl. Ing. H B zur Hereinbringung einer Forderung von S 164.620,-- s.A. Zwangsversteigerungen auf Liegenschaften. Die vollstreckbare Forderung der I-Gesellschaft m.b.H. wurde von Dkfm. E M als Gläubiger der I-Gesellschaft m.b.H. im Wege einer Exekution zur Sicherstellung gepfändet und gleichzeitig zugunsten des Dkfm. E M ein Pfandrecht an den in Zwangsversteigerung gezogenen Liegenschaften des Dipl.Ing. H B begründet. Im Hinblick auf die Pfandrechte des Dkfm. E M konnte Dipl.Ing. H B zwecks Abwendung der unmittelbar bevorstehenden Zwangsversteigerung seiner Liegenschaften nicht einfach Zahlung an die Firma I-Gesellschaft m.b.H. leisten; der im gegebenen Zusammenhang am 14. Juni 1982 vorgenommene Erlag von S 173.359,85 erfolgte vielmehr an Rechtsanwalt Dr. K F St gleichzeitiger Übergabe des Gerichtsbeschlusses über die zugunsten des Dkfm. E M bewilligte Exekution zur Sicherstellung.

In dem mit rechtskräftigem Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 7. Juli 1983 abgeschlossenen Rechtsstreit des Dkfm. E M gegen Dipl.Ing. H B obsiegte Dkfm. E M.

In der Folge forderte Dipl.Ing. H B Rechtsanwalt Dr. St - wie für diesen Fall eines Prozeßausganges anläßlich der Zahlung vom 14. Juni 1982 vorgesehen - auf, den erlegten Betrag an Dkfm. E M weiterzuleiten; dieser Aufforderung entsprach Rechtsanwalt Dr. St jedoch nicht. In einem nachfolgenden Rechtsstreit, in welchem Dipl.Ing. H B begehrte, Rechtsanwalt Dr. St urteilsmäßig zu verhalten, den bei ihm am 14. Juni 1982 erlegten Betrag an Dkfm. E M zu zahlen, trat Rechtsanwalt Dr. St dem Klagebegehren mit dem Einwand entgegen, seine frühere Mandantschaft, die Firma I-Gesellschaft m.b.H. habe mit ihm schon am 2. Dezember 1981 vereinbart, daß er für sie eingehende Zahlungen zu seinen Gunsten auf Kosten verrechnen könne; die Vereinbarung vom 2. Dezember 1981 sei als Abtretung zu betrachten. Des weiteren berief sich Rechtsanwalt Dr. St auf das gesetzliche Kostenpfandrecht nach §19a RAO. Mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 30. Juli 1985 wurden die Einreden des Rechtsanwaltes Dr. St im Hinblick auf ein von ihm übernommenes Treuhandmandat verworfen - auch ein Zurückbehaltungsrecht nach §19 RAO komme bei den vorliegenden Umständen nicht in Frage - und er wurde zur Zahlung an Dkfm. E M verhalten. Das Gericht erstattete des weiteren gegen Rechtsanwalt Dr. St Disziplinaranzeige und machte Mitteilung nach §153 StGB an die Staatsanwaltschaft Salzburg, die jedoch keine genügenden Gründe fand, gegen den Angezeigten ein Strafverfahren einzuleiten. Der von Rechtsanwalt Dr. St gegen die Entscheidung des Landesgerichtes Salzburg erhobenen Berufung wurde vom Oberlandesgericht Linz mit Urteil vom 12. Feber 1986 keine Folge gegeben.

Rechtsanwalt Dr. St folgte hierauf den Erlag vom 14. Juni 1982 an Dkfm. E M aus.

2.1. Mit Disziplinarerkenntnis der Salzburger Rechtsanwaltskammer vom 11. Dezember 1986 wurde Rechtsanwalt Dr. St sodann für schuldig erkannt, er habe den am 14. Juni 1982 von Dipl.Ing. H B bei ihm als dem Rechtsvertreter der Firma I-Gesellschaft m.b.H. unter gleichzeitiger Vorlage des Beschlusses des Landesgerichtes Salzburg vom 8. März 1982, Z9 Cg 154/80, erlegten Betrag von S 173.359,85 nach Rechtskraft des Verfahrens Z9 Cg 154/80 des Landesgerichtes Salzburg nicht unverzüglich der in diesem Verfahren obsiegenden Partei Dkfm. E M ausgefolgt.

Er habe hiedurch eine Berufspflichtenverletzung begangen und gegen Ehre und Ansehen des Standes verstoßen, wofür er zu einer Geldstrafe von S 50.000,-- verurteilt wurde.

2.2. Der gegen diesen Bescheid von Rechtsanwalt Dr. St erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungsund Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (künftig: OBDK) vom 21. September 1987, Z Bkd 64/87-12, keine Folge gegeben.

Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt:

"Der Beschuldigte hat, wie unbekämpft feststeht, anläßlich der Empfangnahme des von Dipl.Ing. H B geschuldeten Betrages von 173.369,85 S den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 8. März 1982, in welchem eben diese Forderung im Rahmen einer Exekution zur Sicherstellung gepfändet worden war, erhalten. Eine gleichzeitig getroffene Treuhandvereinbarung, wie sie das Gericht im Rechtsstreit des Dipl.Ing. H B gegen den Disziplinarbeschuldigten als erwiesen annahm, wurde vom Disziplinarrat (im Bescheid erster Instanz) ausdrücklich offen gelassen. Mangels einer solchen Feststellung kann daher in diesem Verfahren nicht davon ausgegangen werden, daß eine Treuhandvereinbarung stattgefunden hat. Auch nach Ansicht der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission kommt es aber darauf aus rechtlichen Gründen nicht an:

Nach seinem eigenen Vorbringen hat der Beschuldigte bei der Entgegennahme des von Dipl.Ing. H B an seinen Mandanten geschuldeten Betrages keinerlei Erklärung abgegeben, weil (zwischen ihm und seiner Klientin zur Abdeckung seiner Kosten) nur eine stille Zession vorlag, von der er den Schuldner (Dipl.Ing. B) wegen der Verschwiegenheitspflicht nicht verständigen durfte. Wenn der Beschuldigte demnach überhaupt Zessionar dieser Forderung war, so nahm er die Einziehung noch im Namen der Gläubigerin I-Gesellschaft m.b.H. vor. Dieser war aber mit dem dem Beschuldigten in diesem Zeitpunkt bekannten Pfändungsbeschluß die Einziehung der Forderung untersagt worden. Der Beschuldigte mußte als Vertreter der Gläubigerin dieses exekutionsrechtliche Einziehungsverbot beachten. Er hätte mindestens den Erleger (Dipl.Ing. B) darüber aufklären müssen, daß ein für diesen nachteiliger Vorgang stattfinde, und ihn davor warnen müssen, daß er einen Geldbetrag jemandem zahle, der zur Entgegennahme des Betrages auch als Bevollmächtigter nicht mehr berechtigt war. Nur die Unterlassung einer solchen Aufklärung anläßlich der Übernahme des Geldbetrages konnte dazu führen, daß vom Erleger (selbst ohne eine ausdrückliche, im Gerichtsverfahren angenommene Vereinbarung) eine bloß treuhändige Übernahme des Betrages angenommen wurde. Zum Ausgleich der entstandenen Nachteile wäre der Disziplinarbeschuldigte aber auch verpflichtet gewesen, wenigstens sofort nach dem Abschluß des Rechtsstreites zwischen Dkfm. E M und der I-Gesellschaft m.b.H. den erlegten Betrag, der nun gewiß nicht mehr der angeblich stillen Zedentin, nämlich seiner Mandantin I-Gesellschaft m.b.H. zustand, an den wahren Gläubiger (bzw. beim Fehlen des Treuhandauftrages allenfalls auch wieder an den Erleger Dipl.Ing. H B) sofort auszufolgen. In diesem Sinn ist der Schuldspruch durch den Disziplinarrat auch nach seinem Wortlaut berechtigt und entgegen der Ansicht des Berufungswerbers hinreichend begründet.

Am Fehlverhalten des Disziplinarbeschuldigten vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß in der Zahlung des Schuldners Dipl.Ing. H B auf Grund des zugunsten der I-Gesellschaft m.b.H ergangenen Exekutionstitels auch Kosten enthalten waren, für die der Beschuldigte das gesetzliche Pfandrecht nach §19 a RAO in Anspruch genommen haben will. Wohl wird die Kostenersatzforderung des Mandanten gegen den Prozeßgegner mit dem rechtskräftigen Zuspruch nur mit der Belastung durch das gesetzliche Pfandrecht des Rechtsanwaltes existent (SZ 53/133 mwN). Mit Rücksicht auf die erfolgte Forderungspfändung zugunsten des Gläubigers Dkfm. E M durfte aber der Beschuldigte auch den auf seine Kosten entfallenden Teil der gepfändeten Forderung nicht mehr im Namen seiner Mandantin I-Gesellschaft m.b.H. übernehmen. Er hätte sich insoweit mit dem Gläubiger seiner Mandantin auseinandersetzen müssen. Auch hier fällt dem Berufungswerber demnach zur Last, in einer für den Schuldner seiner Mandantin uneinsichtigen Situation nicht darauf hingewiesen zu haben, daß er den Erlag (angeblich) nicht treuhändig, sondern unter Mißachtung des erfolgten Einziehungsverbotes und zum Bruch des dem Erleger auferlegten Zahlungsverbotes, somit zum Nachteil des Schuldners, entgegennehme. Ein anwaltliches Zurückbehaltungsrecht nach §19 RAO kommt bei dieser Sachlage umsoweniger in Betracht, weil die Zahlung durch den Schuldner erkennbar nicht (vorbehaltslos und endgültig) an die von ihm vertretene Partei erfolgen sollte."

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde des Rechtsanwaltes Dr. K F St, in der dieser die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf ein Verfahren vor einer "als Tribunal gemäß Art6 MRK zu qualifizierenden Behörde" geltend macht, sowie des weiteren die Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die bel. Beh. hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

4. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

4.1.1. Der Bf. meint zunächst, "daß die OBDK den Erfordernissen des Art6 MRK nicht zur Gänze" genüge, da Art6 MRK bestimme, daß Urteile öffentlich zu verkünden seien. Für das Verfahren vor der OBDK gebe es keine gesetzliche Regelung, die dies gebiete. Demnach fehle ihr nach Meinung des Bf. die Qualifikation im Sinne des Art6 MRK.

4.1.2. Tatsächlich ordnet §49 Abs4 DSt an, daß die mündliche Verhandlung vor der OBDK nicht öffentlich ist. Der VfGH hegt gegen diese Bestimmung jedoch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wozu es genügt, auf die auch für den vorliegenden Fall maßgeblichen Ausführungen des Erkenntnisses VfSlg. 11569/1987 zu verweisen.

4.2.1. Der Bf. behauptet weiters die Verfassungswidrigkeit des §2 DSt, weil dieser im Widerspruch zu Art7 Abs1 MRK stehe und die Gleichheitswidrigkeit des §2a Abs1 Z2 DSt, wonach die disziplinarrechtliche Verjährung 5 Jahre beträgt, wohingegen die Verjährungsfristen nach §57 Abs3 StGB nur 1 Jahr und nach §31 Abs2 VStG sogar nur 6 Monate betragen.

4.2.2. Zu den aufgeworfenen Bedenken gegen §2 DSt genügt es, auf das Erkenntnis vom 30. Juni 1988 B1286/87 zu verweisen, in welchem sich der VfGH ausdrücklich mit der Verfassungskonformität dieser Bestimmung auch im Lichte des Art7 MRK befaßt hat.

Was die Behauptung der Verfassungswidrigkeit des §2a DSt betrifft, zielt der Bf. offenkundig darauf ab, daß ihm nach den allgemeinen Verjährungsfristen des StGB und des VStG die Rechtswohltat der Verjährung zugute käme. Der VfGH sieht sich jedoch zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §2a DSt nicht veranlaßt. Mit Erkenntnis VfSlg. 10367/1985 verwarf der VfGH geäußerte Bedenken, soweit sie eine differenzierende Regelung zwischen unterschiedlichen Verfahren überhaupt für unzulässig hielten. In Vergleich zueinander sind - wie der VfGH in VfSlg. 10084/1984 bereits ausgesagt hat - "Regelungen unter dem Aspekt des Art7 Abs1 B-VG bloß insoweit zu bringen, als dem Gesetzgeber - in bestimmten Fragen - aus ganz besonderen Gründen auszuschließende Abweichungen (exzeptionellen Gewichts) verwehrt bleiben" (vgl. hiezu auch VfSlg. 8017/1977). Der VfGH kann aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles nicht finden, daß Gründe exzeptionellen Gewichts dem Gesetzgeber verwehrt hätten, die in Rede stehende vom StGB bzw. dem VStG abweichende Verjährungsregelung des §2a DSt zu erlassen, zumal während eines strafgerichtlichen Verfahrens wegen derselben Handlung kein Disziplinarerkenntnis gefällt werden kann (§16 Abs2 DSt).

4.3.1. Der Bf. behauptet weiters, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt zu sein, weil den Vorsitz im Disziplinarverfahren erster Instanz der Präsident-Stellvertreter zu führen gehabt hätte; in der Disziplinarverhandlung sei keine Mitteilung darüber gemacht worden, daß der Präsident-Stellvertreter verhindert worden sei; die "lapidare" Behauptung einer solchen Verhinderung stehe im Widerspruch zu §4 der Geschäftsordnung für den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Salzburg.

4.3.2. Diesen Vorwurf hat bereits die OBDK im angefochtenen Bescheid geprüft und - nach Ansicht des VfGH begründet verworfen. Neues bringt der Bf. hiezu nicht vor.

Auch die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter trifft somit nicht zu.

4.4.1. Schließlich meint der Bf., der angefochtene Bescheid verletze ihn im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Weder im Einleitungsbeschluß noch im angefochtenen Bescheid werde dargelegt, wann er das ihm angelastete Delikt begangen habe. Der angefochtene Bescheid umschreibe den Zeitpunkt der Tatbegehung lediglich mit den Worten "nach Rechtskraft des Verfahrens 9 Cg 154/80 des LG Salzburg nicht unverzüglich ..."; wann dies der Fall gewesen sei, werde nicht festgestellt. Dieses Vorgehen der bel. Beh. bewirke Willkür, da hiedurch unmöglich gemacht werde, zu überprüfen, ob einer Verurteilung des Bf. der Eintritt der Verjährung entgegenstehe. Dazu komme, daß der Bf. am Verfahren Z9 Cg 154/80 des Landesgerichtes Salzburg nicht beteiligt gewesen sei, sodaß er gar nicht die Möglichkeit gehabt habe wahrzunehmen, wann die Rechtskraft dieses Verfahrens eingetreten sei. Die bel. Beh. sei mit seiner Verurteilung aber auch deshalb denkunmöglich vorgegangen, weil ihm in Wahrheit lediglich der Vorwurf gemacht werde, daß er bei der ursprünglichen Verweigerung der Auszahlung eine unrichtige Rechtsansicht vertreten habe. Der Bf. habe nie bestritten, den in Rede stehenden Betrag erhalten zu haben, noch habe er über diesen in einer Form verfügt, daß er ihn nicht jederzeit herausgeben hätte können. Subjektiv sei er nach wie vor von der Richtigkeit seiner im Herausgabeprozeß vertretenen Ansicht überzeugt. Nachdem seine Rechtsansicht mit Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 12. Dezember 1986 als unrichtig dargestellt wurde, habe er sofort die Konsequenzen daraus gezogen und die Forderung beglichen. Daß Rechtsanwälte des öfteren eine unrichtige Rechtsmeinung vertreten, sei aber nichts Ungewöhnliches; daraus jedem Anwalt den Vorwurf einer Verletzung der Ehre und des Ansehens des Standes zu machen, wäre denkunmöglich.

4.4.2. Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Bf. aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985).

All dies liegt jedoch offenkundig nicht vor.

Dazu zunächst zum Vorwurf der "nicht unverzüglichen Zahlung" und zur Verjährungsfrage:

Der Schuldspruch gegen den Bf. lautet nicht, wie der Bf. meint, er habe den bei ihm erlegten Betrag nach Rechtskraft des Verfahrens Z9 Cg 154/80 des Landesgerichtes Salzburg nicht sofort ausgefolgt, sondern, nicht unverzüglich, m.a.W. nicht ohne unnötigen Verzug, ausgefolgt. Damit wird im Schuldspruch erkennbar darauf Bedacht genommen, daß der Bf. am Verfahren Z9 Cg 154/80 des Landesgerichtes Salzburg nicht beteiligt und damit auf eine an ihn ergehende Mitteilung der Prozeßparteien des Verfahrens Z9 Cg 154/80 des Landesgerichtes Salzburg angewiesen war. Eine solche ist an ihn unbestrittenermaßen auch ergangen. Was dem Bf. im angefochtenen Bescheid vorgeworfen wird, ist, daß er nachfolgend nicht ohne Verzug, sondern erst nach einem Rechtsstreit, den Dipl.Ing. H B gegen ihn durch zwei gerichtliche Instanzen führen mußte, den bei ihm erlegten Betrag an die obsiegende Partei Dkfm. E M ausgefolgt habe.

Diese Zahlungsaufforderung erging an den Beschuldigten im August 1983, wie im Disziplinarerkenntnis erster Instanz auf S. 7 ausgeführt wird; mit dem gegen den Bf. ergangenen Urteil auf Zahlung an Dkfm. E M wird er - damit im Einklang - verhalten, den Betrag von S 173.349,85 samt 4 % Zinsen seit 22. August 1983 an Dkfm. E M zu leisten. Die Disziplinaranzeige gegen den Bf. wurde vom Landesgericht Salzburg am 14. August 1985 an den Disziplinarrat der Salzburger Rechtsanwaltskammer gerichtet, die am 2. September 1985 einen Untersuchungskommissär bestellte, wovon der Bf. gemäß §29 DSt in Kenntnis gesetzt wurde.

Bei dieser Sach- und Rechtslage - verfassungsrechtliche Bedenken gegen §2a DSt bestehen, wie oben dargelegt, nicht kann von Verjährung keine Rede sein, da die objektive Verjährungsfrist nach §2a Abs1 Z2 DSt 5 Jahre beträgt.

Die Tatsache, daß die Behörde den Zeitpunkt der Tatbegehung im Spruch ihres Erkenntnisses nicht datumsmäßig festgestellt, sondern nur in der Begründung nachprüfbar umschrieben hat, erlaubt unter diesen Umständen somit offenkundig nicht den Vorwurf der Willkür.

Die Behörde ist auch sowohl bei der Beurteilung der subjektiven Tatseite als auch bei der Subsumption unter den anzuwendenden objektiven Tatbestand nicht denkunmöglich vorgegangen:

Dem Bf. wird nicht zur Last gelegt - worauf die Beschwerde abzielt -, daß er eine unrichtige Rechtsansicht vertreten habe. Dem Schuldspruch liegt der Vorwurf zu Grunde, daß selbst dann, wenn dem Bf. nicht anzulasten sei, er habe eine ausdrücklich geschlossene Treuhandvereinbarung verletzt - dies wird von der bel. Beh. offengelassen -, der Bf. sich bei der Annahme des Erlages am 14. Juni 1982 in einer Weise verhalten habe, die redlicherweise ausschloß, die freiwillige Ausfolgung des Betrages an Dkfm. E M zu verweigern, nachdem dieser im Prozeß gegen Dipl.Ing. B obsiegt hatte.

Da das festgestellte Geschehen durchaus die Auffassung zuläßt, der Erkärungswille des Erlegers, die Zahlung sei unter Beachtung des Inhaltes des Pfändungsbeschlusses vom 8. März 1982 an Dkfm. E M weiterzuleiten, falls dieser im Prozeß obsiege, war dies für den Bf., der keinen Vorbehalt dagegen machte, verpflichtend. Bei dieser Sachlage lag der Weigerung des Bf., das übernommene Geld im Hinblick auf eine offene Kostenforderung nicht bestimmungsgemäß auszufolgen, nicht bloß eine unrichtige, sondern eine unvertretbare Rechtsmeinung zu Grunde. Darüber, daß ein Rechtsanwalt Gelder oder Vermögenswerte, die ihm zu einem bestimmten Zweck übergeben und von ihm ohne Vorbehalt angenommen werden, weder bestimmungswidrig verwenden noch unter Berufung auf Kostenansprüche zurückbehalten darf, widrigenfalls er gegen eine gefestigte Standesauffassung verstößt, kann kein Zweifel bestehen.

Von einer Willkür indizierenden gehäuften Verkennung der Rechtslage durch die bel. Beh. kann daher keine Rede sein.

Auch der behauptete Vorwurf, der angefochtene Bescheid verletze den Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, trifft somit nicht zu.

4.5. Da das Verfahren ebensowenig ergeben hat, daß der Bf. in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden wäre, war die Beschwerde abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Strafrecht, Strafprozeßrecht, Verjährung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B951.1988

Zuletzt aktualisiert am

22.08.2008
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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