TE Vwgh Erkenntnis 1991/4/30 91/08/0019

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Veröffentlicht am 30.04.1991
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Index

L92104 Behindertenhilfe Pflegegeld Rehabilitation Oberösterreich;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AVG §38;
BehindertenG OÖ 1965 §2 Abs1;
BehindertenG OÖ 1965 §29;
GSVG 1978 §74 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde der Maria S in R gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 6. Dezember 1990, Zl. SH-26.116/4-1990/Wig/Ga, betreffend Pflegegeld nach dem Oberösterreichischen Behindertengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am 29. Oktober 1990 die Gewährung von Pflegegeld gemäß § 27 des Oberösterreichischen Behindertengesetzes (BehG), LGBl. Nr. 11/1971. Sie begründete dies damit, daß sie auf Grund ihrer der Behörde bekannten gesundheitlichen Beeinträchtigung einzelne lebensnotwendige wiederkehrende Verrichtungen nicht allein besorgen könne und hiezu dauernd der Wartung und Hilfe durch eine andere Person bedürfe. Sie habe bis 28. Februar 1990 Pflegegeld nach den Bestimmungen des Oberösterreichischen Behindertengesetzes erhalten. Diese Leistung sei mit der Begründung eingestellt worden, daß sie ab 1. Februar 1990 Anspruch auf Witwenpension und Hilflosenzuschuß hätte. Ihr bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft gestellter Antrag auf Gewährung des Hilflosenzuschusses sei jedoch abgewiesen worden; gegen diesen ablehnenden Bescheid habe sie erfolglos Klage beim Kreisgericht R erhoben.

Zugleich mit ihrem Antrag legte die Beschwerdeführerin eine Ausfertigung des im Verfahren über die Klage der Beschwerdeführerin gegen die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft wegen Gewährung des Hilflosenzuschusses ergangenen Urteiles des Kreisgerichtes R als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. Oktober 1990, Zl. 4 Cgs 112/90, mit dem das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin (= Beschwerdeführerin) ab 6. Februar 1990 den Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, mit der Begründung abgewiesen wurde, die Klägerin sei nicht hilflos im Sinne des § 74 GSVG. Dieses Urteil ist - einem Aktenvermerk der belangten Behörde zufolge - am 26. November 1990 in Rechtskraft erwachsen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Antrag der Beschwerdeführerin keine Folge. Begründend führte die belangte Behörde nach Zitat des § 2 Abs. 1 lit. d OöBehG folgendes aus:

"Da die Behinderte Bezieherin einer Witwenpension von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft ist und somit die Möglichkeit besitzt, den Hilflosenzuschuß von der Sozialversicherungsanstalt zu erlangen, war der Antrag auf Gewährung von Pflegegeld nach dem OöBehG 1971 abzulehnen."

Die vorliegende Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend.

Die belangte Behörde hat die Gegenschrift erstattet und die Abweisung der Behörde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 27 Abs. 1 OöBehG ist einem Behinderten, der wegen eines anderen Leidens oder Gebrechens als dem der Funktionsstörung des Sehorgans pflegebedürftig ist und das 18. Lebensjahr vollendet hat, nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen ein Pflegegeld zu gewähren.

Pflegebedürftig ist nach Abs. 3 leg. cit ein Behinderter, der infolge seines Leidens oder Gebrechens

a) für einzelne lebensnotwendige wiederkehrende Verrichtungen dauernd der Wartung und Hilfe durch eine andere Person bedarf oder

b) der ständigen Anwesenheit einer anderen Person bedarf oder vorwiegend bettlägerig ist und zur Fortbewegung außerhalb seiner Wohnung auf die Hilfe einer anderen Person angewiesen ist.

Nach § 74 Abs. 1 GSVG gebührt Beziehern einer Person, die derart hilflos sind, daß sie ständig der Wartung und Hilfe bedürfen, zu der Pension ein Hilflosenzuschuß.

Nach § 2 Abs. 1 OöBehG ist Voraussetzung für die Hilfeleistung unter anderem, daß der Behinderte auf Grund anderer Rechtsvorschriften - ausgenommen das Öö Sozialhilfegesetz - keine Möglichkeit besitzt, den im § 3 genannten Leistungen vergleichbare Leistungen zu erlangen; bei der Beurteilung der Frage, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist es gleichgültig, ob dem Behinderten ein Rechtsanspruch auf die Gewährung einer Leistung zusteht oder ob die Gewährung der Leistung im Ermessen der für die Vollziehung der genannten Rechtsvorschriften zuständigen Behörde liegt (lit. d).

Die zuletzt zitierte Vorschrift normiert das Prinzip der Subsidiarität von Leistungen der Behindertenhilfe; dem Behinderten sollen somit Leistungen der Behindertenhilfe nur insoweit gewährt werden, als er nicht auf Grund anderer Rechtsvorschriften (ausgenommen jene der Sozialhilfe) vergleichbare Leistungen (vergleichbare Hilfe) erlangen kann.

§ 2 Abs. 1 lit. d OöBehG ist somit dahin auszulegen, daß kein Anspruch auf Hilfeleistungen nach diesem Gesetz besteht, wenn der Behinderte sämtliche Voraussetzungen eines Anspruches auf Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften (etwa des Sozialversicherungsrechtes) erfüllt, die den beanspruchten Leistungen der Behindertenhilfe vergleichbar sind.

Daß dem Behinderten solche Leistungen auf Grund anderer Rechtsvorschriften tatsächlich nicht gewährt werden, weil er eine entsprechende Antragstellung unterlassen hat, ist nicht entscheidend, weil das Gesetz auf die "Möglichkeit" der Erlangung der Leistungen abstellt. Voraussetzung des Eintrittes der Subsidiarität von Leistungen der Behindertenhilfe ist jedoch die konkrete Möglichkeit der Erlangung vergleichbarer Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften infolge der Erfüllung sämtlicher hiefür normierten Anspruchsvoraussetzungen.

Von der hier nicht näher zu erörternden Annahme der belangten Behörde ausgehend, daß es sich bei dem Pflegegeld nach § 27 OöBehG und dem Hilflosenzuschuß nach § 74 GSVG um vergleichbare Leistungen im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. d OöBehG handelt, hatte die belangte Behörde im vorliegenden Fall bei ihrer Entscheidung über die Gewährung des Pflegegeldes die Vorfrage zu lösen, ob in der Person der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Gewährung eines Hilflosenzuschusses nach § 74 GSVG vorliegen, und dabei ihre Bindung an die Entscheidung der hiefür zuständigen Behörde zu beachten. Schon aus dieser Entscheidung (dem oben zitierten Urteil des Kreisgerichtes R) folgt, daß die Beschwerdeführerin im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. d OöBehG keine Möglichkeit besitzt, eine dem Pflegegeld vergleichbare Leistung auf Grund anderer Rechtsvorschriften - nämlich insbesondere den Hilflosenzuschuß nach § 74 GSVG - zu erlangen.

Im Hinblick darauf, daß dem angefochtenen Bescheid offenbar die Auffassung zugrunde liegt, schon der Bezug einer Pension schließe - unabhängig von der Frage des Bestehens von Hilflosigkeit bzw. Pflegebedürftigkeit - den Behinderten von der Gewährung des Pflegegeldes aus, ist der Vollständigkeit halber darauf zu verweisen, daß bei einer - in Ermangelung einer bindenden Vorfragenentscheidung vorzunehmenden - selbständigen Vorfragenbeurteilung durch die belangte Behörde diese zu prüfen gehabt hätte, ob sämtliche Voraussetzungen des Hilflosenzuschusses nach § 74 GSVG (nämlich 1. der Bezug einer Pension nach dem GSVG und 2. daß der Bezieher der Pension derart hilflos ist, daß er ständig der Wartung und Hilfe bedarf) vorliegen.

Der angefochtene Bescheid beruft sich daher zu Unrecht auf § 2 Abs. 1 lit. b OöBehG; er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Für das fortgesetzte Verfahren ist zu bemerken, daß die belangte Behörde selbständig (ohne Bindung an die Entscheidung über den Hilflosenzuschuß nach § 74 GSVG) zu beurteilen haben wird, ob bei der Beschwerdeführerin Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 27 Abs. 3 OöBehG vorliegt.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991080019.X00

Im RIS seit

30.04.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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