TE Vwgh Erkenntnis 1991/5/14 90/11/0220

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Veröffentlicht am 14.05.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §37;
AVG §52;
KDV 1967 §30 Abs1 idF 1988/455;
KDV 1967 §31a Abs2 idF 1988/455;
KDV 1967 §31a Abs2;
KFG 1967 §66 Abs1;
KFG 1967 §66 Abs2 lite;
KFG 1967 §67 Abs2;

Betreff

DerVerwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des P gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. Oktober 1990, Zl. MA 70-8/346/90, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.720,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Auf Grund eines rechtskräftigen Bescheides des Landeshauptmannes von Wien vom 27. September 1989 war dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 in Verbindung mit § 73 Abs. 2 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B wegen Verkehrsunzuverlässigkeit vom 20. Juli 1988 bis 20. Jänner 1990 (ohne Einrechnung der Haftzeiten) entzogen gewesen. Mit Antrag vom 21. Dezember 1989 begehrte er die Wiederausfolgung des Führerscheins. In der Folge wurden ein verkehrspsychologischer Befund und ein amtsärztliches Gutachten erstellt. Darin wurde als Ergebnis festgehalten, daß der Beschwerdeführer (derzeit) zum Lenken von Kraftfahrzeugen der genannten Gruppe geistig nicht geeignet ist.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, daß ihm auf die Dauer der geistigen Nichteignung keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Den Mangel der geistigen Eignung erblickte die belangte Behörde der Sache nach im Fehlen der Bereitschaft des Beschwerdeführers zur Verkehrsanpassung im Sinne der §§ 30 Abs. 1 letzter Satz und § 31 a Abs. 2 KDV 1967 (in der Fassung der 22. Novelle). Sie stützte sich dabei auf das von der Erstbehörde eingeholte amtsärztliche Gutachten vom 30. Juli 1990. Darin wurde als Grund für die Nichteignung "mangelhaftes Normbewußtsein, mangelnde Willenskontrolle" angeführt. Der ärztliche Sachverständige stützte sich dabei seinerseits auf den Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 13. März 1990. In diesem Befund waren die kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen - bis auf die Beurteilung der Konzentrationsfähigkeit mit "mäßig herabgesetztes Arbeitstempo mit unauffälliger Leistungsqualität" - als ausreichend qualifiziert worden. Unter der Rubrik "Fahrverhaltensrelevante Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale - Verfahren und Befunde" sind vier Tests (8 PF, F-R-F, ATV, V-I-P) aufgezählt; sodann lautet es:

"In einem objektiven Testverfahren zeigen sich Hinweise auf stark erhöhtes Dominanzstreben, deutliche Schwächen im Bereich der Willenskontrolle mit erhöhter Impulsivität und mangelhaftes Normenbewußtsein (8 PF). Im F-R-F Test fällt eine teilweise stark erhöhte Risikobereitschaft auf, im V-I-P Test finden sich Hinweise auf einen deutlich erhöhten emotionalen Bezug zum Autofahren. Sowohl durch Vorgeschichte als auch durch Verhaltensbeobachtung und Exploration werden diese Befunde im wesentlichen bestätigt. Auffällig ist auch das geringe Problembewußtsein des Probanden hinsichtlich seiner Vorgeschichte. Sowohl den Auffälligkeiten außerhalb des Straßenverkehrs als auch innerhalb des Straßenverkehrs (mehrere Unfälle und zahlreiche Strafen, ständige Verletzung des Fahrverbotes) steht der Proband weitgehend unreflektiert gegenüber."

In der "Zusammenfassung der Befunde/Gutachten" heißt es abschließend:

"Derzeit eignungsausschließenden Charakter hat .... die Befundlage zur Persönlichkeit: Sowohl in den objektiven Testverfahren als auch in Vorgeschichte, Verhaltensbeobachtung und Exploration finden sich Hinweise auf mangelhaftes Normenbewußtsein, deutliche Schwächen im Bereich der Willenskontrolle sowie stark erhöhtes Dominanzstreben. Das Problembewußtsein des Probanden hinsichtlich seiner zahlreichen Auffälligkeiten in der Vorgeschichte ist sehr gering. Insgesamt kann daher mit der nötigen Bereitschaft bzw. auch Fähigkeit zu Verkehrsanpassung derzeit nicht im ausreichendem Maße gerechnet werden."

Der Beschwerdeführer sei daher aus verkehrspsychologischer Sicht zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B derzeit nicht geeignet. Unter der Voraussetzung, daß es zu keinen weiteren Auffälligkeiten inner- und außerhalb des Straßenverkehrs komme und auch das auferlegte Fahrverbot zukünftig strikt eingehalten werde, könnte in etwa einem Jahr eine verkehrspsychologische Kontrolluntersuchung erfolgen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 30. April 1991, Zl. 90/11/0153, unter Berufung auf frühere Rechtsprechung ausgeführt, daß bei der Beurteilung der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung das Hauptgewicht beim verkehrspsychologischen Befund liegt, wobei dieser festzuhalten hat, welche Untersuchungsverfahren tatsächlich angewendet wurden, welche Ergebnisse sie erbracht haben und welche Schlußfolgerungen daraus im einzelnen gezogen wurden. Wenn sich dem verkehrspsychologischen Befund nicht entnehmen läßt, welche Ergebnisse die einzelnen Untersuchungsverfahren erbracht haben und welchen Untersuchungsmethoden in Verbindung mit den jeweils ermittelten Ergebnissen welche Aussagekraft zukommt, sodaß nicht nachvollziehbar ist, wie die verkehrspsychologische Untersuchungsstelle zu dem von ihr angenommenen Ergebnis gelangt ist, so mangelt es an einer entsprechenden Entscheidungsgrundlage für die Annahme, der betreffenden Person fehle die nötige Bereitschaft zur Verkehrsanpassung. Daran vermag der Umstand der häufigen Begehung von strafbaren Handlungen nichts zu ändern. Bei der Beurteilung der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung geht es nämlich nicht um die Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit auf Grund von Straftaten und ihrer Wertung im Sinne des § 66 Abs. 3 KFG 1967, sondern um eine durch spezifische Methoden der Verkehrspsychologie zu ermittelnde Erteilungsvoraussetzung. Den von der betreffenden Person begangenen Straftaten kommt dabei lediglich Indizfunktion zu. In Anbetracht der vorrangigen Bedeutung des verkehrspsychologischen Befundes bei der Beurteilung der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung können Mängel des Befundes nicht dadurch saniert werden, daß aus den festgestellten Straftaten auf den Mangel der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung geschlossen werde. Darin liegt ein die Rechtswidrigkeit des Entziehungsbescheides begründender Verfahrensmangel.

Mit eben diesem Verfahrensmangel ist auch der angefochtene Bescheid belastet. Auch der ihm zugrundeliegende verkehrspsychologische Befund nennt zwar einige Bezeichnungen von Testverfahren und ordnet diesen gewisse Schlußfolgerungen hinsichtlich der Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers zu. Er läßt aber nicht erkennen, auf Grund welcher im Testverfahren erzielten Ergebnisse die den Befund erstellende Einrichtung zu den von ihr abschließend formulierten Schlußfolgerungen gekommen ist, denen sich der ärztliche Amtssachverständige in seinem Gutachten im wesentlichen angeschlossen hat, sowie welchen Untersuchungsmethoden in Verbindung mit den jeweils ermittelten Ergebnissen welche Aussagekraft zugebilligt worden ist. Es ist auch nicht erkennbar, welchen strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers die für die Verneinung der Bereitschaft des Beschwerdeführers zur Verkehrsanpassung maßgebliche Indizfunktion zuerkannt worden ist.

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben, da die belangte Behörde bei Heranziehung eines vollständigen und ausreichenden Befundes zu einer anderen Beurteilung des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens der geistigen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen hätte kommen können.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im Pauschalsatz für Schriftsatzaufwand nach der genannten Verordnung bereits enthalten ist.

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten Gutachten Auswertung fremder Befunde Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990110220.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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