TE Vwgh Erkenntnis 1991/6/28 91/18/0102

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Veröffentlicht am 28.06.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §45 Abs2;
StVO 1960 §4 Abs5;
VStG §5 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Degischer und DDr. Jakusch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der Dr. E in W, vertreten durch Dr.B Rechtsanwalt in W gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 1. März 1991, Zl. MA 70-11/274/91/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 1. März 1991 wurde die Beschwerdeführerin wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 5 StVO 1960 bestraft, weil sie es am 28. August 1990 um 10.00 Uhr in Wien XVIII., "Währingerstr. unter der Trasse der S 45" als Lenkerin eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges, mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang stehend, unterlassen habe, diesen Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub bei der nächsten Polizeidienststelle zu melden.

Die Berufungsbehörde bezog sich in der Begründung ihres Bescheides auf die Anzeige des Siegfried P., derzufolge er zur Tatzeit mit seinem Fahrzeug in Wien XVIII. auf der Gersthofer Straße in Richtung Währinger Straße gefahren sei. Vor der Kreuzung mit der Währinger Straße habe er sein Fahrzeug auf Grund des Rotlichtes der automatischen Verkehrslichtsignalanlage anhalten müssen. Er sei hinter dem Fahrzeug des Dr. L. gestanden. Die Beschwerdeführerin sei mit ihrem Fahrzeug in der zweiten Spur gestanden, welche auch zum Linksabbiegen in die Währinger Straße zu benützen sei. Als die automatische Verkehrslichtsignalanlage Grünlicht gezeigt habe, seien alle Beteiligten losgefahren. Kurz vor der Unterführung (S 45-Trasse) sei die Beschwerdeführerin ohne erdenklichen Grund vom zweiten auf den ersten Fahrstreifen gefahren. Dr. L. habe sein Fahrzeug stark abbremsen müssen, um einen Zusammenstoß mit dem Fahrzeug der Beschwerdeführerin zu verhindern. Da Siegfried P. knapp hinter dem Fahrzeug des Dr. L. gefahren sei, habe er nicht mehr früh genug abbremsen können und sei auf das Fahrzeug des Genannten aufgefahren. Dadurch sei sein Fahrzeug beschädigt worden. Am Fahrzeug des Dr. L. sei kein Schaden sichtbar gewesen. Die Beschwerdeführerin sei ohne anzuhalten in Richtung Aumannplatz weitergefahren. Der Zeuge Dr. L. habe anläßlich seiner Einvernahme am 18. Dezember 1990 angegeben, daß sich der in Rede stehende Unfall so abgespielt habe, wie es der Zeuge P. dargestellt habe. Der Verkehrsunfall habe sich bei einer Geschwindigkeit von etwa 15 km/h abgespielt. Am Fahrzeug des Zeugen Dr. L. seien die Stoßstange hinten, das Schutzblech und der Auspuff beschädigt worden. Die Reparatur habe ca. S 7.000,-- gekostet. Die Zeugen hätten übereinstimmend ausgesagt, daß die Beschwerdeführerin einen plötzlichen Spurwechsel ("Hineinschneiden") vorgenommen und dadurch die Kollision zwischen den Fahrzeugen der Zeugen ausgelöst habe. Da es sich bei einen derartigen Spurwechsel um ein besonders riskantes Fahrmanöver handle, habe die Beschwerdeführerin nicht davon ausgehen können, "daß die hinter ihr befindlichen Fahrzeuge rechtzeitig bremsen konnten, sodaß es keinesfalls zu einem Auffahrunfall kommen hätte können." Die Beschwerdeführerin wäre verpflichtet gewesen, sich z.B. durch einen Blick in den Rückspiegel davon zu überzeugen, daß es zu keinem Verkehrsunfall gekommen sei. Ferner könne nicht davon ausgegangen werden, daß sie bei Anwendung der erforderlichen, bei einem solchen Fahrmanöver sicherlich höheren Sorgfalt das Bremsmanöver des Dr. L. nicht hätte bemerken müssen. Es sei der Beschwerdeführerin somit zumindest Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Wahrnehmbarkeit des Unfalles vorzuwerfen. Ihrem Argument, die Zeugenaussagen würden nicht übereinstimmen, könne insoferne nicht gefolgt werden, als beide Zeugen von einem Unfallsort unter der S 45-Überführung ausgehen, nachdem die Beschwerdeführerin bereits vor der Unterführung in die Fahrspur der Zeugen "hineingeschnitten" gehabt habe. Der Umstand, daß der Zeuge P. zuerst angegeben habe, am Fahrzeug des anderen Zeugen sei kein Schaden entstanden, lasse sich damit erklären, daß der entstandene, nicht sehr bedeutende Sachschaden an einem fremden Kraftfahrzeug dem Zeugen in der Unfallsituation nicht habe auffallen müssen. Es sei jedoch auch darauf hinzuweisen, daß die Höhe des eingetretenen Sachschadens kein relevantes Tatbestandselement des § 4 Abs. 5 StVO 1960 sei. Die Glaubwürdigkeit des Zeugen könne daher aus diesem Grunde nicht als beeinträchtigt angesehen werden. Die von der Beschwerdeführerin ausführlich behandelte Frage, ob sie an der Kollision ein Verschulden getroffen habe oder der Zeuge P. diese durch zu geringen Abstand verschuldet habe, sei in diesem Zusammenhang nicht zu prüfen gewesen, da § 4 Abs. 5 StVO 1960 bereits bei ursächlicher Beteiligung an einem Verkehrsunfall die Meldepflicht normiere, jedoch nicht auf das Verschulden abstelle. Es folgen noch Ausführungen über die für die Strafbemessung maßgebenden Erwägungen.

Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsstrafakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 4 Abs. 5 StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhange steht, wenn bei diesem nur Sachschaden entstanden ist, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.

Ist durch einen Verkehrsunfall eine Sachbeschädigung tatsächlich eingetreten, so ist der Tatbestand nach dieser Bestimmung im Sinne der ständigen hg. Judikatur schon dann gegeben, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewußtsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewußtsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte.

Der belangten Behörde kann zwar nicht entgegengetreten werden, wenn sie unter Hinweis auf die Verkehrsunfallmeldung sowie die Aussagen der Zeugen P und Dr. L. davon ausgegangen ist, daß bei dem in Rede stehenden Auffahrunfall die Fahrzeuge dieser Zeugen beschädigt worden sind, doch kann sich der Gerichtshof der schon in der Sachverhaltsdarstellung wiedergegebenen Schlußfolgerung der belangten Behörde nicht anschließen, wonach der Beschwerdeführerin "zumindest Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Wahrnehmbarkeit des Unfalles vorzuwerfen" sei.

Der Gerichtshof nimmt zwar nach seiner ständigen Rechtsprechung zu § 4 StVO 1960 an, daß den Lenker eines Fahrzeuges in bestimmten - etwa in riskanten - Verkehrssituationen die Verpflichtung trifft, erhöhtes Augenmerk darauf zu richten, ob sein Fahrmanöver zu einem Verkehrsunfall geführt hat oder ohne Folgen geblieben ist, weshalb er gegebenenfalls das Geschehen hinter ihm im Rückspiegel seines Kraftfahrzeuges zu beobachten und sich zu vergewissern hat, ob sein Fahrverhalten nicht für einen Verkehrsunfall ursächlich gewesen ist (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 17. April 1991, Zl. 90/02/0206, sowie vom 26. September 1990, Zl. 90/02/0112, und die jeweils darin zitierte Vorjudikatur), doch fehlen im Beschwerdefall jegliche Anhaltspunkte dafür, daß die Beschwerdeführerin selbst im Falle eines Blickes in den Rückspiegel ihres Fahrzeuges irgendwelche Wahrnehmungen hätte machen müssen, aus denen sie zu schließen gehabt hätte, daß das nach ihrem - von den erwähnten Zeugen übereinstimmend angegebenen - Fahrstreifenwechsel durchgeführte Bremsmanöver des unmittelbar hinter ihr fahrenden Lenkers zu einem Auffahrunfall zwischen dessen Fahrzeug und jenem eines weiteren Lenkers geführt hat, bei welchem ein Sachschaden eingetreten ist. Selbst wenn sie wahrgenommen hätte, daß ihr Fahrmanöver zu einem plötzlichen Abbremsen des hinter ihr fahrenden Fahrzeuges geführt hat, so hätte die Beschwerdeführerin daraus unter den gegebenen Umständen nicht zu schließen gehabt, daß ihr Fahrverhalten diesen Sachschaden verursacht hat, wenn man bedenkt, daß ihr Fahrzeug bei diesem Unfall von keinem anderen Fahrzeug kontaktiert worden ist und dem Verwaltungsstrafakt nicht entnommen werden kann, daß die Beschwerdeführerin etwa infolge eines Aufprall- oder Bremsgeräusches oder durch Hupsignale eines beteiligten oder anderen Fahrzeuglenkers hätte bemerken müssen, daß ihr Fahrverhalten die Ursache eines Zusammenstoßes zweier - nach den Angaben des Zeugen Dr. L. lediglich mit ca. 15 km/h fahrenden - Fahrzeuge gewesen sein konnte.

Die belangte Behörde durfte daher nach dem ihr vorgelegenen Ermittlungsergebnis der Beschwerdeführerin nicht vorwerfen, infolge Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt den in Rede stehenden Verkehrsunfall mit Sachschaden nicht wahrgenommen und demgemäß in der Folge die sich aus § 4 Abs. 5 StVO 1960 ergebende Verpflichtung nicht erfüllt zu haben, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit.b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Andere Einzelfragen in besonderen Rechtsgebieten Straßenpolizei Kraftfahrwesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991180102.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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