TE Vwgh Erkenntnis 1991/10/1 91/14/0133

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Veröffentlicht am 01.10.1991
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §115 Abs1;
BAO §138;
BAO §150;
BAO §161;
BAO §299 Abs1 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Schubert und die Hofräte Dr. Hnatek,

Dr. Pokorny, Dr. Karger und Dr. Baumann als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des NN in K, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol vom 8. Mai 1991, Zl. 30.325-3/91, betreffend aufsichtsbehördliche Behebung von Bescheiden des Finanzamtes über

Umsatzsteuer 1983 - 1984, sowie über Einkommen- und Gewerbesteuer 1984 - 1985, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen im Betrag von S 11.750,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Aufwandersatzmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer betreibt einen Obst- und Gemüsegroßhandel. Er ermittelt seinen Gewinn gemäß § 4 Abs. 1 EStG 1972. 1988 fand eine abgabenbehördliche Prüfung in diesem Betrieb über die Umsatzsteuer-, Einkommen- und Gewerbesteuer 1983 - 1985 statt. Der Prüfungsbericht wurde vom Finanzamt der amtswegigen Wiederaufnahme der Abgabenfestsetzungen und der Neufestsetzung der genannten Steuern zugrundegelegt. In diesem Bericht blieb die erklärungsgemäße Veranlagung hinsichtlich der Behandlung

a) von 43 % der Gesamtumbaukosten an Wohn- und Geschäftsgebäude als zum notwendigen Betriebsvermögen - zu den für das Unternehmen ausgeführten Lieferungen - gehörig (Bereitstellung von zwei Wohneinheiten für Arbeitnehmer), ebenso unbeanstandet wie

b) die Behandlung des Abfertigungsaufwandes auf Grund der Kündigung des Dienstverhältnisses der Ehegatttin des Beschwerdeführers durch diesen per 31. Oktober 1985 als Betriebsausgabe.

Der Beschwerdeführer erhob gegen die neuen Abgabenfestsetzungen Berufung. Die Abgabenbehörde zweiter Instanz machte dem Beschwerdeführer Vorhalte auch zu den beiden oben unter a) und b) genannten, vom Finanzamt unbeanstandet gelassenen Punkten und stellte dazu Ermittlungen an. Der Beschwerdeführer zog seine Berufung vor Beginn der mündlichen Verhandlung zurück, worauf das Verfahren für gegenstandslos erklärt wurde.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde die neuen Abgabenfestsetzungen des Finanzamtes betreffend Umsatzsteuer 1983 - 1984 sowie betreffend Einkommen- und Gewerbesteuer 1984 - 1985 gemäß § 299 Abs. 1 lit. c BAO, betreffend Einkommen- und Gewerbesteuer für 1985 überdies gemäß § 299 Abs. 1 lit. b BAO auf. Der angefochtene Bescheid ist im wesentlichen folgendermaßen begründet:

a) Aus Anlaß der abgabenbehördlichen Prüfung 1988 habe der Prüfer keine Feststellungen darüber getroffen, ob und wie die zweite Wohneinheit, die der Prüfer während der Prüfung selbst benützt habe, verwendet werde. Der Arbeitsbogen enthalte dazu nur eine Notiz in Frageform, ob die zweite Personalwohnung auch vermietet worden sei. Auch die Notwendigkeit derartiger Feststellungen habe sich "nicht zuletzt" aus den Ermittlungen im Berufungsverfahren ergeben. "Bei dieser Sachlage" wäre es am Finanzamt gelegen, konkrete Feststellungen über die tatsächliche Nutzung der zweiten Personalwohnung zu treffen.

b) Der Prüfer habe, wie sich durch die Ermittlungen im Berufungsverfahren herausgestellt habe, insofern eine unrichtige Feststellung getroffen, als er eine "Einlage" von

S 85.000,-- vermerkt habe, die am selben Tag verbucht worden sei, an dem der Ehegattin des Beschwerdeführers im November 1985 eine Abfertigung und Sonderzahlungen von

S 84.571,70 gewährt worden seien. Es sei aber keine Einlagenverbuchung erfolgt; die Eintragung laute nämlich auf "Leihgeld". Es sei deshalb vom Finanzamt in einem wesentlichen Punkt der Sachverhalt im Sinne des § 299 Abs. 1 lit. b BAO unrichtig festgestellt worden. In der Bilanz zum 31. Dezember 1985 und auch in den Bilanzen der Folgejahre scheine jeweils nur "Leihgeld" der Ehegattin des Beschwerdeführers auf. Es liege daher nahe, daß auch das "Leihgeld" von S 85.000,-- von der Ehegattin stamme und bislang nicht zurückgezahlt worden sei. Es hätte daher "die Herkunft der Geldmittel bzw. die Finanzierung der Abfertigung" einwandfrei geklärt werden müssen. Da die Ehegattin des Beschwerdeführers von diesem am 16. Dezember 1985 wieder eingestellt worden sei, hätte das Finanzamt im Hinblick auf die für Vereinbarungen zwischen nahen Angehörigen geltenden strengen steuerlichen Maßstäbe ausreichende Feststellungen treffen müssen, um einerseits einen Fremdvergleich ziehen und andererseits einen allfälligen Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes ausschließen zu können.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diesen Bescheid in seinem Recht auf Bestand der rechtskräftigen Abgabenfestsetzungen verletzt; er behauptet inhaltliche Rechtswidrigkeit und beantragt deshalb die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde hat die Bescheide des Finanzamtes nicht gemäß § 299 Abs. 2 BAO wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben. Auch die Aktenlage bietet keinen Anhaltspunkt dafür, daß dieser Aufhebungsgrund vorgelegen wäre. Es ist daher nur zu prüfen, ob die belangte Behörde den Aufhebungsgrund gemäß § 299 Abs. 1 lit. b und c BAO als verwirklicht ansehen durfte.

Daß der Beschwerdeführer von "Wiederaufnahmsgründen" spricht, schadet nicht, weil aus dem Zusammenhang klar ist, daß er nur die Aufhebungsgründe gemäß § 299 Abs. 1 lit. b und c BAO meinen kann.

Der Gesetzgeber hat die aufsichtsbehördliche Behebung von Bescheiden in § 299 ff BAO vorgesehen. Der Abgabepflichtige muß daher nach Maßgabe dieser Bestimmungen mit einem Eingriff in die Bestandskraft von Bescheiden rechnen. Folglich kann sein Vertrauen durch die gesetzmäßige Anwendung oberbehördlicher Aufsichtsmaßnahmen nicht enttäuscht werden. Der Beschwerdeführer bringt daher zu Unrecht den Vertrauensgrundsatz ins Spiel. Für den Beschwerdeerfolg ist ausschließlich entscheidend, ob sich die belangte Behörde im Rahmen ihrer Befugnisse auf Grund des § 299 BAO gehalten hat.

Dies ist allerdings nicht der Fall.

Gemäß § 299 Abs. 1 lit. b BAO berechtigt eine unrichtige Sachverhaltsfeststellung die Oberbehörde zur Aufhebung nur, wenn die in einem wesentlichen Punkt unrichtige Feststellung dem Bescheid zugrunde liegt. Die von der belangten Behörde nach dieser Vorschrift als unrichtig bezeichnete Feststellung besteht lediglich darin, daß der Prüfer von einer "Einlage" von S 85.000,-- gesprochen hat, während die Buchungen eine solche Einlage nicht zeigen, sondern lediglich "Leihgeld". Die belangte Behörde hat aber nicht nachgewiesen, daß der von ihr aufgehobene Bescheid des Finanzamtes von einer Einlage und nicht von einem Darlehen ausgegangen sei. Hiefür bieten sich auch nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte. Ist nämlich der Beschwerdeführer in seiner Erklärung den Buchungen entsprechend von einem Darlehen ausgegangen, so muß die insofern erklärungsgemäße Veranlagung ebenfalls ein Darlehen und keine Einlage als Grundlage aufweisen. Andernfalls hätte das Finanzamt mit Rücksicht auf § 4 Abs. 1 EStG 1972 den Gewinn um die vermeintliche Einlage vermindern müssen; daß dies geschehen sei, behauptet selbst die belangte Behörde nicht. Die als unrichtig bezeichnete Feststellung liegt daher dem aufgehobenen Bescheid des Finanzamtes nicht zugrunde. Im bezeichneten Punkt liegt schon deshalb der Aufhebungsgrund gemäß § 299 Abs. 1 lit. b BAO nicht vor.

Die Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung vom Finanzamt ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden können (§ 299 Abs. 1 lit. c BAO), erblickte die belangte Behörde in der Vernachlässigung der amtswegigen Ermittlungspflicht gemäß § 115 Abs. 1 BAO. Danach hat die Abgabenbehörde die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind. In welchen Fällen die Abgabenbehörde zur Erfüllung ihrer Aufgabe, die Abgabenerklärungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, von Amts wegen Ermittlungen durchzuführen hat, läßt sich den §§ 138, 161 BAO entnehmen. Es sind dies Fälle, in denen Bedenken gegen die Richtigkeit der Abgabenerklärung zu Zweifeln Anlaß geben. Wann dies anzunehmen ist, muß im Einzelfall nach der sich der Abgabenbehörde zur Zeit ihrer Prüfung erkennbaren Gesamtsituation beurteilt werden.

Für die Beantwortung der Frage, ob das Finanzamt bei Neufestsetzung der Abgaben seine Pflichten aus § 115 Abs. 1 BAO in den von der belangten Behörde aufgezeigten beiden Punkten verletzt hat, ist daher ausschließlich die bei Erlassung dieser Bescheide dem Finanzamt sich bietende Gesamtsituation ausschlaggebend. Unwesentlich sind Ermittlungsergebnisse, die erst später, insbsondere von der Berufungsbehörde zutage gefördert worden sind. Die belangte Behörde hat die Rechtslage also schon insofern verkannt, als sie die verfahrensrechtlichen Pflichten des Finanzamtes gemäß § 115 Abs. 1 BAO an dem Wissen gemessen hat, das sich erst auf Grund von Ermittlungen der Berufungsbehörde ergab. Diese sind folglich auch für die Prüfung der Beschwerde ohne Bedeutung, sodaß auf sie nicht weiter einzugehen ist.

Hinsichtlich des möglichen Wissensstandes des Finanzamtes zur Zeit seiner Bescheiderlassung hat die belangte Behörde aber Feststellungen nicht getroffen, die den Vorwurf berechtigt erscheinen ließen, die Abgabenbehörde erster Instanz habe ihre Pflicht zur amtswegigen Sachverhaltsermittlung und Sachverhaltsfeststellung verletzt, zumal die belangte Behörde auch gar nicht überprüft hat, welche Umstände das Finanzamt (den Prüfer) veranlaßt haben, den nun aufgeworfenen Fragen nicht noch weiter nachzugehen. Daß der Bericht des Prüfers hiezu keine Aussagen enthält, ist kein Nachweis dafür, eine Nachforschung mit einem den Prüfer (das Finanzamt) zu Recht beruhigenden Ergebnis sei nicht vorgelegen. Im Bericht werden nämlich in der Regel nur Beanstandungen festgehalten, nicht jedoch Ermittlungsergebnisse, die zur Beanstandung keinen Anlaß geben.

Der Umstand, daß eine Personalwohnung zur Zeit der Prüfung leer stand, bot keinen Anhaltspunkt dafür, daß diese Wohnung nicht für LKW-Lenker im Betrieb des Beschwerdeführers bereitgehalten werden müsse, sei es, um eine Dienstwohnung für den Fall der Suche nach einem entsprechenden Beschäftigten anbieten zu können, sei es auch nur, um bereits beschäftigten LKW-Lenkern, die über eine eigene Wohnung verfügen, fallweise nach Bedarf (lange Arbeitszeit) eine Nächtigungsmöglichkeit zu gewährleisten. Daran ändert die auch in Frageform gehaltene Notiz des Prüfers nichts, ob die zweite Personalwohnung auch vermietet worden sei, zielte diese Frage doch nur in die Richtung, ob die zweite Personalwohnung - ebenso wie andere Wohnungen des Hauses - etwa zur Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung benützt worden sei und deshalb nicht zum Betriebsvermögen gehöre. Daß eine solche Vermietung erfolgt sei, hat selbst die belangte Behörde nicht angenommen. Die Frage zeigt daher keine weitergehenden Zweifel an der Zugehörigkeit der Wohnung zum notwendigen Betriebsvermögen.

Die belangte Behörde hätte aber auch in der Frage der Abfertigung der Ehegattin des Beschwerdeführers den Schverhalt vorerst hinsichtlich der Gesamtsituation, die sich dem Prüfer nach dessen Ermittlungen bot, vollständig aufzuklären gehabt, ehe sie davon ausgehen durfte, das Finanzamt wäre auf Grund der bisher aktenkundigen Tatsachen (Kündigung des Dienstverhältnisses zum 31. Oktober, Wiedereinstellung zum 16. Dezember, Darlehen der Ehefrau an den Beschwerdeführer, wofür - wie dem durch die belangte Behörde unwidersprochen gelassenen Beschwerdevorbringen zu entnehmen ist - Zinsen bezahlt wurden, die von der Ehefrau jährlich versteuert wurden) von Amts wegen zu weiteren Ermittlungen und Feststellungen verpflichtet gewesen. Da - wie bereits erwähnt - in den Berichten in der Regel nur Beanstandungen festgehalten werden, nicht jedoch Ermittlungsergebnisse, die zur Beanstandung keinen Anlaß geben, ist nämlich, wie der Beschwerdeführer geltend macht, nicht auszuschließen, daß dem Prüfer auf Grund seiner Erhebungen ausreichend Anhaltspunkte zur Verfügung standen, die es - selbst unter dem Gesichtspunkt der strengen Maßstäbe, die im Steuerrecht an die Vereinbarungen zwischen nahen Angehörigen anzulegen sind - zu Recht nicht geboten erscheinen ließen, noch weitere, im übrigen von der belangten Behörde nicht näher beschriebene Ermittlungen darüber anzustellen, ob das Dienstverhältnis und seine Auflösung durch Kündigung einem Fremdvergleich standhielten oder ob allenfalls ein Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes vorliegen könnte. Da dem Beschwerdeführer der Inhalt von Ermittlungsergebnissen des Prüfers, die keinen Niederschlag im Bericht gefunden haben, nicht bekannt sein kann, traf ihn diesbezüglich keine Mitwirkungspflicht oder konkretisierende Behauptungslast. Die belangte Behörde hätte daher von Amts wegen aufzuklären gehabt, ob und allenfalls auf Grund welcher Erwägungen der Prüfer und das Finanzamt keine weiteren Ermittlungen angestellt haben bzw. welchen Inhalt allfällige Ermittlungsergebnisse hatten, die keinen Niederschlag in den Akten gefunden haben. Würde man in gleichgelagerten Fällen die Oberbehörde derartiger amtswegiger Ermittlungspflicht hinsichtlich der vom Prüfer festgestellten Gesamtsituation, die mangels Beanstandung keinen Niederschlag im Bericht gefunden hat, entbinden, könnte wohl kaum eine Veranlagung in ihren durch die Prüfung unbeanstandeten Teilen einer aufsichtsbehördlichen Aufhebung entgehen, da es wohl keine Teile einer Abgabenerklärung gibt, hinsichtlich der nicht Aufklärungen verlangt werden könnten, die keinen Niederschlag im Prüfungsbericht gefunden haben.

Die belangte Behörde hat - jedenfalls ausgehend von dem von ihr bisher festgestellten Sachverhalt - der Abgabenbehörde erster Instanz daher auch zu Unrecht eine Verletzung von Verfahrensvorschriften im Sinne des § 299 Abs. 1 lit. c BAO angelastet.

Deshalb mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufgehoben werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Gemäß § 28 Abs. 5 VwGG muß nur eine Ausfertigung oder Abschrift des angefochtenen Bescheides vorgelegt werden. Das Aufwandersatzbegehren für Beilagenstempel zu den beiden weiteren vorgelegten Abschriften des angefochtenen Bescheides war deshalb abzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991140133.X00

Im RIS seit

01.10.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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