TE Vwgh Erkenntnis 1991/10/8 91/08/0036

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Veröffentlicht am 08.10.1991
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §24;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §56 Abs1;
AlVG 1977 §56 Abs3;
AVG §56;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §68 Abs2;
AVG §68 Abs7;
B-VG Art140 Abs7;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwGG §63 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des Manfred S in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 28. Juni 1990, Zl. IVa/7130 b, 920/3915 08 02 41, betreffend Abänderung eines rechtskräftigen Berufungsbescheides gemäß § 68 Abs. 2 AVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 14. Februar 1989 hat die belangte Behörde durch ihren gemäß § 56 Abs. 3 in Verbindung mit § 59 AlVG zuständigen Unterausschuß des Verwaltungsausschusses - eine Berufung des Beschwerdeführers abweisend - entschieden, daß der Antrag des Beschwerdeführers vom 9. SEPTEMBER 1988 auf Gewährung von Notstandshilfe abgewiesen werde. Mit dem ebenfalls im Zuge eines Berufungsverfahrens ergangenen Bescheid vom 2. Mai 1990 hat die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen einen erstinstanzlichen Bescheid des Arbeitsamtes Versicherungsdienste, mit welchem der Anspruch des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe aufgrund seines Antrages vom 24. FEBRUAR 1988 verneint worden war, insoweit teilweise Folge gegeben, als für April 1988 das Vorliegen von Notlage zwar weiterhin verneint wurde, hat im übrigen den Bescheid des Arbeitsamtes jedoch aufgehoben und dem Arbeitsamt eine neuerliche Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers vom 24. Februar 1988 aufgetragen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 28. Juni 1990 hat die belangte Behörde den Bescheid vom 14. Februar 1989 gemäß § 68 Abs. 2 AVG dahin abgeändert, daß in den Zeiträumen vom 9. September 1988 bis 31. Oktober 1988 sowie vom 1. Dezember bis 31. Dezember 1988 das Vorliegen von Notlage gemäß § 33 Abs. 2 lit. c AlVG bejaht, im Zeitraum vom 1. November 1988 bis 30. November 1988 sowie ab 1. Jänner 1989 hingegen - weiterhin - verneint wurde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Die Beschwerde ist zulässig:

2.1.1. § 56 Abs. 1 AlVG 1977 sieht gegen Bescheide des Arbeitsamtes in Angelegenheiten des Arbeitslosengeldes (bzw. in Verbindung mit § 59 AlVG 1977 auch der Notstandshilfe) die Berufung an das Landesarbeitsamt vor, gegen dessen Entscheidung ist jedoch eine weitere Berufung unzulässig. Der in der Hauptsache beim Landesarbeitsamt endende Instanzenzug gilt in gleicher Weise auch für Bescheide, mit denen in Rechtskraft erwachsene Berufungsbescheide gemäß § 68 Abs. 2 AVG abgeändert werden (vgl. die Erkenntnisse vom 1. April 1947, Slg. Nr. 73/A, vom 1. Oktober 1949, Slg. Nr. 1014/A, vom 18. Jänner 1950, Slg. Nr. 1188/A, und vom 13. Dezember 1950, Slg. Nr. 1820/A, sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 24. Juni 1971, B 167/70). Der Instanzenzug ist daher erschöpft.

2.1.2. Gemäß § 68 Abs. 2 AVG können von Amts wegen Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden.

Ungeachtet dessen, daß der angefochtene Bescheid intendiert, gestützt auf diese Gesetzesbestimmung die Rechtslage für den Beschwerdeführer günstiger zu gestalten (gegen einen solchen Bescheid wäre nach dem hg. Erkenntnis vom 21. November 1989, Zl. 89/11/0154, eine Beschwerde mangels Rechtsverletzungsmöglichkeit nicht zulässig), ist vorliegendenfalls - wie noch darzulegen sein wird - die Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde durch den Beschwerdeführer zu bejahen, weil einerseits ein Anwendungsfall des § 68 Abs. 2 AVG nicht vorliegt und andererseits in Rechte des Beschwerdeführers aus dem Bescheid vom 2. Mai 1990 eingegriffen wird.

2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 21. November 1989, Zl. 88/08/0287, ausgesprochen hat, handelt es sich bei der Zuerkennung von Arbeitslosengeld (bzw. Notstandshilfe) um einen zeitraumbezogenen Abspruch. Legt die Behörde in solchen Fällen den Endpunkt des Zeitraumes, über welchen sie abspricht, in ihrem Bescheid nicht fest, so ist von dem jeweiligen Bescheid im allgemeinen der gesamte Zeitraum bis zur Erlassung des Bescheides umfaßt (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 17. Mai 1984, Zl. 83/08/0022, und vom 27. Februar 1990, Zl. 89/08/0200). Dies trifft für alle drei eingangs erwähnten Bescheide der belangten Behörde vom 14. Februar 1989, 2. Mai 1990 und 28. Juni 1990 zu und bedeutet zunächst, daß mit dem Bescheid vom 14. Februar 1989 über den Antrag des Beschwerdeführers vom 9. September 1988 auf Gewährung der Notstandshilfe für den Zeitraum bis zur Erlassung dieses Bescheides negativ abgesprochen wurde. Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

Mit dem Bescheid vom 2. Mai 1990 wurde über einen Antrag des Beschwerdeführers vom 24. Februar 1988 dahin abgesprochen, daß Notlage für die Zeit vom 1. April bis 30. April 1988 verneint (hinsichtlich dieses Abspruches ist ein zu hg. Zl. 90/08/0109 protokolliertes Beschwerdeverfahren noch anhängig), im übrigen (d.h. für den Zeitraum vom 24. Februar 1988 bis 31. März 1988 und vom 1. Mai 1988 bis 2. Mai 1990) jedoch der bekämpfte Bescheid des Arbeitsamtes Versicherungsdienste aufgehoben und dem Arbeitsamt die neuerliche Prüfung des Anspruches des Beschwerdeführers auf Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung aufgetragen wurde. Dieser gleichfalls in Rechtskraft erwachsene Abspruch des Bescheides vom 2. Mai 1990 umfaßte daher u.a. auch den gesamten Zeitraum des Bescheides vom 14. Februar 1989 in der Weise, daß dessen (das Vorliegen von Notlage verneinender) Abspruch zwar (noch) nicht beseitigt, der Behörde erster Instanz jedoch (bindend) aufgetragen wurde, auch über diesen Zeitraum (neuerlich) zu entscheiden.

Zufolge der Bindung des Arbeitsamtes an diese, die Aufhebung tragende Rechtsauffassung der belangten Behörde, war es der Behörde erster Instanz verwehrt, bei der ihr aufgetragenen neuerlichen Prüfung der Sach- und Rechtslage auf die Rechtskraft des Bescheides vom 14. Februar 1989 Bedacht zu nehmen, der belangten Behörde hingegen war es verwehrt, trotz Erlassung des - in der Folge auch sie selbst bindenden - Aufhebungsbescheides vom 2. Mai 1990 über den Zeitraum vom 9. September 1988 bis 2. Mai 1990 zwischenzeitig neuerlich abzusprechen.

Diese Bindung hat die belangte Behörde dadurch, daß sie mit dem angefochtenen Bescheid ein weiteres Mal über den Zeitraum vom 9. September 1988 bis 2. Mai 1990 abgesprochen hat, mißachtet. Insoweit war der angefochtene Bescheid daher schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

2.3. Dies gilt aber auch für den verbleibenden Abspruch des angefochtenen Bescheides (3. Mai 1990 bis 28. Juni 1990), weil für diesen Zeitraum ein Abspruch, der einem Vorgehen gemäß § 68 Abs. 2 AVG zugänglich wäre, noch gar nicht vorlag: Die belangte Behörde hat vielmehr dadurch, daß sie über diesen Zeitraum (erstmals) abgesprochen hat, ebenfalls - wenn auch aus anderen Gründen - eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr nicht zukam, weshalb der angefochtene Bescheid im Ergebnis zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufgehoben werden mußte.

2.4. Gemäß § 68 Abs. 2 AVG ist (neben der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde) die "Behörde, die den Bescheid erlassen hat" zu dessen Abänderung berechtigt. Den Bescheid vom 14. Februar 1989 hat die belangte Behörde durch den gemäß § 56 Abs. 3 AlVG zuständigen Unterausschuß des zuständigen Verwaltungsausschusses erlassen. Dieses zur Entscheidung über Berufungen gesetzlich bestimmte Organ der belangten Behörde hätte daher auch über die Abänderung eines solchen Bescheides im Sinne des § 68 Abs. 2 AVG zu entscheiden gehabt. Da der angefochtene Bescheid vom Behördenleiter der belangten Behörde erlassen wurde, dieser dazu aber (zunächst) nicht berechtigt war, wäre der Bescheid so zu betrachten, als ob er von einer unzuständigen Behörde erlassen worden wäre (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 8. Oktober 1982, Zl. 82/08/0043 und die darin verwiesene Rechtsprechung und vom 25. September 1990, Zl. 89/08/0119).

Aus Anlaß (auch) des vorliegenden Beschwerdeverfahrens hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch mit Beschluß vom 18. Mai 1991 gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, § 56 Abs. 3 AlVG 1977, BGBl. Nr. 609 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 61/1983, als verfassungswidrig aufzuheben.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 28. Juni 1991, G 295/90 und Folgezahlen die genannte Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben. Die Zuständigkeit des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses der belangten Behörde zur Erlassung des angefochtenen Bescheides hätte auf dieser, vom Verfassungsgerichtshof nunmehr aufgehobenen Gesetzesbestimmung beruht. Diese ist jedoch gemäß Art. 140 Abs. 7 Satz 2 B-VG auf den Beschwerdefall als Anlaßfall nicht mehr anzuwenden.

Der Behördenleiter wird daher auch im fortgesetzten Verfahren die - unter Zugrundelegung der vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 63 Abs. 1 VwGG überbundenen Rechtsauffassung - erforderlichen weiteren Erledigungen (zuständigerweise) zu treffen haben. Um weitere Verwirrungen zu vermeiden, die sich aus zeitlich nicht eingegrenzten bescheidmäßigen Absprüchen über zeitraumbezogene Leistungsansprüche aus der Arbeitslosenversicherung ergeben können, wird die belangte Behörde zweckmäßigerweise darauf zu achten haben, daß die Behörde erster Instanz - soweit dies nicht zwischenzeitig schon geschehen ist - über den (durch den Aufhebungsbescheid vom 2. Mai 1990 zur Gänze eröffneten) Zeitraum vom 24. Februar 1988 bis 2. Mai 1990 mit Ausnahme des Monats April 1988 vollständig abspricht.

2.5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Zuständigkeit InstanzenzugEintritt und Umfang der Rechtswirkungen von Entscheidungen nach AVG §68Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltAnzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Verwaltungsgerichtsbarkeit Bescheidcharakter von Erledigungen nach AVG §68Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und BeweiseMangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Parteienrechte und Beschwerdelegitimation Verwaltungsverfahren Mangelnde Rechtsverletzung Beschwerdelegitimation verneint keineBESCHWERDELEGITIMATIONOrganisationsrecht Instanzenzug VwRallg5/3Zurückweisung wegen entschiedener SacheBesondere Voraussetzungen der Handhabung des AVG §68 Abs2Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens AllgemeinZulässigkeit und Voraussetzungen der Handhabung des AVG §68 Bindung an diese Voraussetzungen Umfang der Befugnisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991080036.X00

Im RIS seit

18.10.2001

Zuletzt aktualisiert am

27.07.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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