TE Vwgh Erkenntnis 1991/10/9 90/13/0208

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Veröffentlicht am 09.10.1991
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
20/08 Urheberrecht;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §236 Abs1;
UrhGNov 1980 Art4 §1;
UrhGNov 1986 Art1 Z5;
UrhGNov 1986 Art2 §3;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Schubert und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde der S-Gen.m.b.H., vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 10. Juli 1990, Zl. GA 7 - 984/6/90, betreffend Abgabennachsicht, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.050,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist eine Verwertungsgesellschaft, die ihre Tätigkeit auf Grund der ihr nach dem Verwertungsgesellschaftengesetz, BGBl. Nr. 112/1936, erteilten Genehmigung ausübt. Sie hatte am 17. März 1986 für alle vier Kalendervierteljahre 1985 die Zuerkennung von Investitionsprämien begehrt, welchem Antrag durch das Finanzamt für Körperschaften am 29. April 1986 durch Vornahme entsprechender Gutschriften auf dem Abgabenkonto der Steuerpflichtigen entsprochen wurde.

Mit Bundesgesetz vom 2. Juli 1986, BGBl. Nr. 375, wurde die Urheberrechtsgesetznovelle 1980, BGBl. Nr. 321/1980, dahin geändert, daß in einem neu eingefügten Artikel IV mit der Überschrift "Abgabenbefreiung" eine als § 1 bezeichnete Bestimmung geschaffen wurde, welche die Anordnung trifft, daß die Verwertungsgesellschaften, soweit sie im Rahmen des in ihrer Genehmigung umschriebenen Tätigkeitsbereiches handeln, von allen bundesgesetzlich geregelten Abgaben vom Einkommen, vom Ertrag und vom Vermögen befreit sind. Artikel II § 3 des Bundesgesetzes vom 2. Juli 1986, BGBl. Nr. 375, bestimmt die Anwendung dieser neu geschaffenen Abgabenbefreiung für alle die Fälle, in denen die Abgaben noch nicht rechtskräftig festgesetzt sind.

Nachdem die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes vom 2. Juli 1986, BGBl. Nr. 375, zur Körperschaftssteuer für das Jahr 1985 noch nicht rechtskräftig veranlagt worden war, setzte das Finanzamt für Körperschaften am 20. März 1987 die Höhe der zustehenden Investitionsprämien für alle Kalendervierteljahre 1985 mit Null fest, weil Körperschaften, die von der Körperschaftsteuer befreit sind, eine Investitionsprämie nicht zustehe. Die dagegen erhobene Berufung blieb erfolglos.

Am 17. November 1987 stellte die Beschwerdeführerin den Antrag auf Abgabennachsicht hinsichtlich der rückgeforderten Investitionsprämie 1985 ebenso wie hinsichtlich der rechtskräftig festgesetzten Säumniszuschläge und Stundungszinsen. Zur Begründung der Unbilligkeit der Einhebung des von ihr rückgeforderten Betrages führte sie folgendes aus:

Die Beschwerdeführerin habe gleichsam die Funktion eines Treuhänders, weil sie auf Grund vertraglicher Beziehungen zu den einzelnen Urhebern im wesentlichen die Tantiemen für diese einhebe und sie nach Abzug der Verwaltungskosten an die Urheber weiterleite. Zur Vermeidung einer steuerlichen Doppelbelastung bei der Verwertungsgesellschaft einerseits und beim Urheber andererseits seien die Verwertungsgesellschaften durch das Bundesgesetz vom 2. Juli 1986, BGBl. Nr. 375, von allen bundesgesetzlich geregelten Abgaben vom Einkommen, vom Ertrag und vom Vermögen befreit worden. Diese Steuerbefreiung habe nun für die Beschwerdeführerin eine Konsequenz, die nicht im Sinne eines Steuerbefreiungsgesetzes sein könne: Ohne die Steuerbefreiung hätten die Körperschaftsteuer und die Gewerbesteuer für 1985 tatsächlich keine Abgabenschuld ergeben, die Inanspruchnahme der Investitionsprämie wäre zulässig gewesen. Die Auswirkung des Bundesgesetzes vom 2. Juli 1986, BGBl. Nr. 375, bestünde für die Beschwerdeführerin nun lediglich im Wegfall ihrer Berechtigung zum Bezug der Investitionsprämie. Als die Beschwerdeführerin die für 1985 zugeflossenen Tantiemen an die etwa 401.000 Bezugsberechtigten nach Abzug der Verwaltungskosten verteilte, habe kein Zweifel an der Berechtigung zur Inanspruchnahme der Investitionsprämie bestehen können. Die gesetzlich angeordnete Rückwirkung des Bundesgesetzes vom 2. Juli 1986, BGBl. Nr. 375, begründe in der Zufälligkeit des Umstandes, daß die Körperschaftsteuer für 1985 zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes noch nicht rechtskräftig festgesetzt war, Unbilligkeit der Einhebung des geforderten Betrages, durfte die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Ausschüttung der Tantiemen für 1985 doch auf die zu diesem Zeitpunkt geltende Gesetzeslage vertrauen. Eine Rückforderung der Investitionsprämie entsprechend dem Verteilungsschlüssel für 1985 von den seinerzeitigen Bezugsberechtigten wäre praktisch fast undurchführbar, die Berücksichtigung der Abgabenschuld als laufender Aufwand mit der Konsequenz einer Verminderung des für 1987 an die Bezugsberechtigten auszuschüttenden Betrages erscheine diesen Bezugsberechtigten gegenüber nicht vertretbar. Schließlich liege Unbilligkeit der Einhebung auch in dem Ergebnis einer Benachteiligung jenes Urhebers, der sich einer Verwertungsgesellschaft bediene, gegenüber dem Urheber, der dies nicht tue. Die anzustellenden Ermessenserwägungen sprächen zu Gunsten des gestellten Nachsichtsantrags. Die Beschwerdeführerin ergänzte ihr Vorbringen im abgabenbehördlichen Verfahren in der Folge noch dahin, daß sie, abgesehen von der wegen des unvermeidlichen abrechnungsbedingten Intervalls zwischen Zufluß und Weiterleitung der Tantiemen kurzfristig vorzunehmenden Veranlagung der zufließenden Beträge, praktisch vermögenslos sei, wenn man das schwer und nur mit erheblichem Verlust verwertbare Anlagevermögen außer Betracht stelle.

Das Finanzamt für Körperschaften wies den Nachsichtsantrag ab. In der durch das Gesetz vom 2. Juli 1986, BGBl. Nr. 375, geschaffenen Rechtslage könne keine Unbilligkeit erblickt werden. Bewirke doch die Anwendung genereller Normen bei der Abgabenfestsetzung oftmals gewisse Härten, die vom Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen würden. Auch die Belastung von rund 400.000 Urhebern mit durchschnittlich S 2,70 sei mangels merkbaren Nachteils für den Einzelnen nicht geeignet, Unbilligkeit der Lage des Falles nach zu begründen.

In ihrer Berufung wiederholte die Beschwerdeführerin die Darstellung ihres Rechtsstandpunkts und bekämpfte die Auffassung der Erstbehörde, daß es bei einer Durchschnittsbelastung der Urheber von S 2,70 zu keinem merkbaren Nachteil für den Einzelnen komme, mit dem Vorbringen, die Belastung des Empfängers sei im nachhinein praktisch nicht mehr festzustellen und könne erfahrungsgemäß bis zu S 100.000,-- übersteigenden Beträgen reichen. Die Verweigerung der Abgabennachsicht würde im Ergebnis auf jeden Fall zu einer Belastung der "falschen" Urheber und damit höchstwahrscheinlich zu Beanstandungen des über die Einhaltung der Bestimmungen des Verwertungsgesellschaftengesetzes wachenden Staatskommissärs führen. In einer Vorhaltsbeantwortung im Rahmen des Berufungsverfahrens erklärte die Beschwerdeführerin, der Rückforderung der Investitionsprämie durch Bildung einer Rückstellung im Jahre 1986 Rechnung getragen zu haben, die Nachzahlung an die derzeit belasteten Urheber im Falle der Stattgebung des Nachsichtsansuchens wäre anders als die nachträgliche Belastung der Urheber 1985 durchaus administrabel. Die Zahl von 401.000 Bezugsberechtigten beziehe sich auf die ganze Welt, treffe aber für die Beschwerdeführerin im Umweg über ihre ausländischen Schwestergesellschaften zu. An einzelne ausländische Verwertungsgesellschaften habe die Beschwerdeführerin Beträge in Millionenhöhe zu überweisen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Habe die Beschwerdeführerin mit ihrem Vorbringen die grundsätzliche Überwälzbarkeit der Abgabenforderung auf einen anderen Personenkreis eingestanden, könne sie sich als Abgabepflichtige nicht belastet, geschweige denn atypisch belastet erachten, sei doch Unbilligkeit nicht einmal dann gegeben, wenn Abgaben entgegen der Erwartung des Abgabepflichtigen nicht überwälzt werden können. Bei einer Rückverrechnung an die Urheber ergebe sich eine Belastung des Einzelnen mit etwa 0,3 % eines Jahresbezuges, was eine merkliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage eines Urhebers nicht bewirken könne. Die mit der Rückverrechnung der Investitionsprämie an die Urheber verbundenen Probleme und der daraus erwachsende zusätzliche Aufwand hätten aber ihre Ursache nun einmal im rückwirkenden Gesetz. Nachdem dieses Gesetz ausschließlich Verwertungsgesellschaften betreffe, die typischerweise einen großen Personenkreis verrechnungstechnisch betreuen, müsse angenommen werden, daß der Gesetzgeber diese Besonderheit im Auge hatte und den mit einer solchen Verrechnung verbundenen Verwaltungsaufwand bewußt in Kauf nahm. Ein solcher Aufwand sei bislang noch gar nicht entstanden, er würde erst unter der Voraussetzung entstehen, daß die Beschwerdeführerin die Urheber 1985 heranziehen wollte, woran sie ihrem eigenen Vorbringen nach aber gar nicht ernstlich denke. Auch wenn man diese Möglichkeit offenlasse, sei eine annähernd quantifizierbare Größe eines solchen Aufwands nicht zu erkennen, die Beschwerdeführerin habe darüberhinaus im Nachsichtsverfahren die tatsächlichen Verhältnisse auch nicht glaubhaft offengelegt. Es habe die Beschwerdeführerin im übrigen ohnedies bereits eine von ihr selbst als falsch bezeichnete Entscheidung dahin getroffen, die Urheber 1986 mit der Rückforderung der Investitionsprämie zu belasten. Diese ihre falsche Entscheidung zu sanieren, sei nicht Aufgabe einer Abgabennachsicht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde aus dem Grunde der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und der Rechtswidrigkeit zufolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt. Die Beschwerdeführerin hat auf die Gegenschrift der belangten Behörde repliziert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist dabei tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 15. September 1982, Zl. 81/13/0197, 6. November 1984, Zl. 84/14/0098, 11. November 1987, Zl. 87/13/0014, 3. Oktober 1990, Zl. 90/13/0066).

Im angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde im Rahmen ihrer Rechtsentscheidung die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung im allgemeinen voraus, daß die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben (vgl. Stoll, Bundesabgabenordnung, Handbuch 583 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die jüngst ergangene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat dabei klargestellt, daß die in § 236 Abs. 1 BAO erforderte Unbilligkeit entweder persönlich oder sachlich bedingt sein kann (hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1990, Zl. 89/15/0088, AnwBl. 1991, 44 f). Eine persönlich bedingte Unbilligkeit liegt im besonderen dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtswerbers gefährdete, wozu es allerdings nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, besonderer finanzieller Schwierigkeiten oder Notlagen bedarf, sondern es genügt, wenn etwa die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme (hg. Erkenntnis vom 23. September 1988, Zl. 85/17/0121).

Sachlich bedingte Unbilligkeit hingegen ist dann anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodaß es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt (hg. Erkenntnisse vom 23. April 1980, Zl. 3114/79, Slg. Nr. 5478/F, 7. Februar 1989, Zl. 88/14/0040, 25. Juni 1990, Zl. 89/15/0088).

Eine solche atypische Belastungswirkung hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zunächst mit der Begründung verneint, daß das von ihr gesehene Zugeständnis der grundsätzlichen Überwälzbarkeit der Abgabenschuld der Annahme einer atypischen Belastung der Abgabepflichtigen, ja einer Belastung überhaupt entgegenstehe. Werde doch Unbilligkeit der Einhebung nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht einmal dadurch begründet, daß Abgaben entgegen der Erwartung des Abgabepflichtigen nicht überwälzt werden können. Dieser von der belangten Behörde aus der zutreffend wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gezogene Schluß hält der rechtlichen Prüfung jedoch nicht stand. Partei des Nachsichtsverfahrens ist ausschließlich der Steuerpflichtige. Umstände, die als Folgewirkung der Gewährung oder Verweigerung der Abgabennachsicht bei Dritten eintreten, sind für die Beurteilung, ob nach Lage des Falles beim Steuerpflichtigen ein Unbilligkeitstatbestand vorliegt oder nicht, grundsätzlich bedeutungslos. So hat der Verwaltungsgerichtshof es abgelehnt, eine Abgabennachsicht auch dann in Erwägung zu ziehen, wenn die Einhebung der Abgabenschuldigkeiten für Dritte zu Härten führen würde, weil nur der Abgabepflichtige es sein kann, bei dem der Tatbestand des § 236 Abs. 1 BAO erfüllt sein muß (vgl. hg. Erkenntnis vom 19. April 1988, Zl. 88/14/0070). Nun wird zwar eine Überwälzbarkeit der Abgabenschuld die Annahme persönlich bedingter Unbilligkeit der Abgabeneinhebung für den betroffenen Steuerpflichtigen gewiß ausschließen. Nicht kann dies aber in der von der belangten Behörde vermeinten Weise für den Fall einer sachlich bedingten Unbilligkeit der Abgabeneinhebung gelten. Gründet doch eine solche Unbilligkeit eben nicht in den dem Steuerpflichtigen drohenden subjektiven Schwierigkeiten, sondern im objektiven Element einer anormalen Belastungswirkung, eines atypischen Vermögenseingriffs, der seine Ursache darin hat, daß die Anwendung des Gesetzes im konkreten Einzelfall zu einem Ergebnis führt, das vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigt war. Ein solcher objektiv unbilliger Vermögenseingriff aber wird nicht weniger unbillig, wenn dem betroffenen Steuerpflichtigen zivilrechtlich die Möglichkeit offensteht, die Abgaben anderen zu überwälzen.

Wenn auch der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, daß die Verpflichtung zur Entrichtung von Abgaben nicht schon deswegen zur Unbilligkeit ihrer Einhebung führen könne, weil sich herausstellte, daß Abgaben entgegen der Erwartung des Steuerpflichtigen nicht überwälzt werden können (vgl. hg. Erkenntnisse vom 5. November 1981, Zl. 16/3093/80, 25. Juni 1990, Zl. 89/15/0119), rechtfertigt dies also noch nicht den Schluß, eine sachlich bedingte Unbilligkeit der Abgabeneinhebung würde durch die Möglichkeit ihrer Überwälzung ausgeschlossen. Es erübrigt sich daher, auf jene Argumente der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens einzugehen, die sich mit der Möglichkeit, dem Aufwand und den präsumtiven Opfern einer Überwälzung des rückgeforderten Investitionsprämienbetrages befassen, wenn sich in der Einhebung der streitverfangenen Rückforderung eine sachlich bedingte Unbilligkeit erblicken läßt.

Wohl ist am Grundsatz festzuhalten, daß eine steuerliche Auswirkung, die ausschließlich Folge eines als generelle Norm mit umfassendem persönlichen Geltungsbereich erlassenen Gesetzes ist, durch Nachsicht nicht behoben werden kann (vgl. hg. Erkenntnisse vom 1. März 1983, Zl. 82/14/0197,

3. Oktober 1988, Zl. 87/15/0132, 3. Oktober 1990, Zl. 90/13/0066). Ebenso festzuhalten ist daran, daß die Lösung der Frage des Vorliegens eines Unbilligkeitstatbestandes auch nicht darauf abgestellt werden kann, ob der Teil der Rechtsunterworfenen, der von der gesetzgeberischen Maßnahme betroffen ist, größer oder kleiner ist, weil nahezu jede Maßnahme des Gesetzgebers konkret nur einen Teil der Rechtsunterworfenen berührt und jede Grenzziehung Willkür wäre (hg. Erkenntnis vom 1. März 1983, Zl. 82/14/0197). Daß steuerliche Auswirkungen in der vom Gesetzgeber angeordneten Rückwirkung einer Rechtsänderung wurzeln, kann für sich allein Unbilligkeit der Einhebung daraus resultierender Abgaben ebenso noch nicht begründen (hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 1985, Zl. 84/17/0007).

Ebenso aber wurde eingeräumt, daß unsachliche Differenzierungen in der schließlichen Steuerbelastung, die im Gefolge rückwirkender Gesetzesänderungen zu Unterschieden führen, die in nichts anderem als im zufälligen früheren oder späteren Eintritt der Rechtskraft ihre Ursache haben, Unbilligkeiten im Einzelfall herbeiführen können, denen durch Nachsicht abgeholfen werden kann (vgl. Stoll, Bundesabgabenordnung, Handbuch, 586 f). Als Grundlage dieser Einsicht ist der Gedanke zu erkennen, sachlich bedingte Unbilligkeit nach der Lage des Falles werde eben dadurch begründet, daß im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt (vgl. Stoll, a.a.O., hg. Erkenntnisse vom 23. April 1980, 3114/79, Slg. Nr. 5478/F, 13. Dezember 1985, Zl. 84/17/0007, 7. Februar 1989, Zl. 88/15/0040, 25. Juni 1990, Zl. 89/15/0088).

Die Beschwerde wirft nun der belangten Behörde vor, in der Prüfung der Unbilligkeit der Einhebung die Absicht des Gesetzgebers bei Änderung der Urheberrechtsgesetznovelle 1980 nicht bedacht zu haben. Habe doch die Rechtsanwendung im vorliegenden Fall zu einem Ergebnis geführt, welches der Absicht dieses Gesetzgebers diametral entgegenstehe und schon aus diesem Grund Unbilligkeit der Abgabeneinhebung bewirke. Wenn die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift dem mit der Behauptung entgegentritt, das Vorbringen über die Absicht des Gesetzgebers verstoße gegen das Neuerungsverbot, kann es dahingestellt bleiben, ob der von der belangten Behörde zur Begründung ihrer Auffassung herangezogene Gedanke des von ihr zitierten Erkenntnisses vom 14. März 1966, Slg Nr. 6883/A, im vorliegenden Fall anwendbar wäre, weil das dargestellte Beschwerdevorbringen entgegen der Behauptung der belangten Behörde nicht eine Neuerung, sondern vielmehr tragender Grund des Nachsichtsantrags von Anfang an gewesen ist. Den Widerspruch der Anwendung der geschaffenen Rechtslage zur evidenten Absicht des Gesetzgebers des Bundesgesetzes vom 2. Juli 1986, BGBl. Nr. 375, hat die Beschwerdeführerin an den Anfang nicht nur ihres Nachsichtsantrags vom 17. November 1987, sondern ebenso an den Anfang ihrer Berufungsausführungen gestellt.

Der von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift unternommene Versuch, die Erforschung der gesetzgeberischen Absicht im vorliegenden Fall aus interpretationstheoretischen Erwägungen als unzulässig zu erweisen, leidet an jenem methodischen Irrtum, den die Beschwerdeführerin in ihrer Replik zutreffend aufzeigt. Verwechselt die belangte Behörde doch mit ihren Ausführungen Ursache und Wirkung gesetzeskonformer Rechtsanwendung. Gerade die dem gesetzgeberischen Willen im Einzelfall widerstreitende Wirkung gesetzestreuer Rechtsanwendung ist es, die es im vorliegenden Fall zu untersuchen galt. Die Möglichkeit einer solchen Wirkung kann auch nicht tauglich mit dem Argument in Abrede gestellt werden, dem jeweiligen Gesetzgeber sei der Rechtsbestand in einer Weise als mitbedacht zuzusinnen, daß die Unterlassung einer unerwünschte Nebenwirkungen eines Gesetzes hintanhaltenden Regelung zur Annahme zwinge, die der evidenten gesetzgeberischen Absicht zuwiderlaufende Nebenwirkung sei vom Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen worden und widerstreite seiner Absicht daher nicht. Eine solche Argumentation unterstellt dem Gesetzgeber ein Maß an Vollkommenheit, welches schon § 7 ABGB von ihm nicht fordern wollte. Nichts anderes als Unvollkommenheit des Gesetzgebers ist es schließlich, was jene zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes unterstellten, die sachlich bedingte Unbilligkeit der Abgabeneinhebung in einem Fall für gegeben erachteten, in dem bei Anwendung des Gesetzes im Einzelfall ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt.

Es kann der belangten Behörde auch darin nicht gefolgt werden, wenn sie, das im angefochtenen Bescheid Versäumte nachholend, in der Gegenschrift den von der Beschwerdeführerin dargestellten Widerspruch der gesetzeskonformen Rechtsanwendung zur Absicht des Gesetzgebers bei Änderung der Urheberrechtsgesetznovelle 1980 mit den von ihr ins Treffen geführten Argumenten zu bestreiten versucht. Daß das Bundesgesetz vom 2. Juli 1986, BGBl. Nr. 375, eine Abgabenbefreiung der Verwertungsgesellschaften mit Rückwirkung auf alle noch nicht rechtskräftig festgesetzten Abgaben bezweckte, ergibt sich aus dem Text der Norm mit einer Eindeutigkeit, die für sich jegliche Interpretationsbemühungen entbehrlich macht. Streitentscheidend ist nun die Frage, ob die aus der rückwirkend angeordneten Steuerbefreiung resultierende Schuld der Beschwerdeführerin aus dem nachträglichen Wegfall der Berechtigung zum Bezug der Investitionsprämie ein Ergebnis der Rechtsanwendung bedeutet, welches der klaren Abgabenbefreiungsabsicht des Gesetzgebers bei Änderung der Urheberrechtsgesetznovelle 1980 widerstreitet.

Recht hat die belangte Behörde, wenn sie argumentiert, daß ein der Steuerbefreiungsabsicht des Gesetzgebers widerstreitendes Ergebnis nicht in dem Umstand erblickt werden könne, daß anläßlich einer Steuerbefreiung auch eine Steuerbegünstigung wegfällt.

Recht hat aber ebenso die Beschwerdeführerin, wenn sie die Auffassung vertritt, daß das von ihr dargestellte Ergebnis der Rechtsanwendung der Steuerbefreiungsvorschrift als vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigt zu erkennen sei. Führt die Anwendung einer rückwirkend normierten Abgabenbefreiungsvorschrift bei einem Steuerpflichtigen, auf dessen Entlastung sie abzielte, im Zusammenwirken des abgabenrechtlichen Normengefüges zu einer aus der Rückwirkung resultierenden Belastung, liegt darin ein vom Gesetzgeber offenkundig nicht gewolltes Ergebnis, welches nach der Lage eines solchen Falles ohne Hinzutreten persönlicher Umstände eine sachlich bedingte Unbilligkeit der Einhebung einer so entstandenen Abgabenschuld bewirkt.

Für die Prüfung, ob das Vorliegen dieser Voraussetzungen im Falle der Beschwerdeführerin bejaht werden kann, war das Nachsichtsverfahren indessen zur Spruchreife noch nicht gediehen. Wenn die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift einen Belastungseffekt für die Beschwerdeführerin auch damit verneint, daß die Gegenüberstellung der gewährten zur rückgeforderten Investitionsprämie nur einen wirtschaftlichen Ausgleich herstelle, übersieht sie, daß auf die Gewährung der Investitionsprämie zum Zeitpunkt ihrer Geltendmachung durch die Beschwerdeführerin für sie ein Rechtsanspruch bestanden hatte. Gegenüberzustellen ist dem Anspruch des Abgabengläubigers auf Rückforderung der Investitionsprämie vielmehr jene hypothetische Abgabenschuld der Beschwerdeführerin für das Jahr 1985, von der sie durch das Bundesgesetz vom 2. Juli 1986, BGBl. Nr. 375, rückwirkend befreit wurde. Die für die nachsichtsbegründenden Umstände behauptungspflichtige Beschwerdeführerin (vgl. hg. Erkenntnisse vom 5. November 1981, 16/3093/80, 3. Oktober 1988, Zl. 87/15/0005, 25. Juni 1990, Zl. 89/15/0088) hat ihrer Obliegenheit im Nachsichtsverfahren entsprochen, indem sie von Anfang an darauf hingewiesen hat, daß die Festsetzung der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer für 1985 auch ohne Steuerbefreiung eine Abgabenschuld nicht ergeben hätte. Sie hat dies auch in einer Beilage zur Berufungsschrift erneut dargetan. Das Finanzamt hat indessen dieses Sachvorbringen der Beschwerdeführerin nicht geprüft. Daß die belangte Behörde infolge ihrer vom Verwaltungsgerichtshof in den dargestellten Fragen nicht geteilten Rechtsansicht die Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhalts im aufgezeigten Umfang nicht erkannt hat, belastet ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, was seine Aufhebung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zur Folge haben mußte.

Von der Durchführung der beantragen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abzusehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990130208.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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