TE Vfgh Erkenntnis 1989/3/4 G232/88, G233/88

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.03.1989
beobachten
merken

Index

63 Allgemeines Dienst- und Besoldungsrecht
63/02 Gehaltsgesetz 1956

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Verletzung
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs3 dritter Satz
B-VG Art140 Abs3 erster Satz
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
GehG 1956 §26 Abs3 Z3 idF BGBl 656/1983

Leitsatz

Feststellung der Gleichheitswidrigkeit der Abfertigungsregelung für weibliche Beamte nach §26 Abs3 Z3 GehaltsG 1956 idF BGBl. 656/1983 soweit durch den Begriff "Annahme eines Kindes" ein Zeitpunkt festgelegt wird sowie aus den in VfSlg. 11155/1986 genannten Gründen; Abgrenzung des Umfanges der Feststellung der Verfassungswidrigkeit mit Rücksicht auf die Auswirkung in den Anlaßfällen

Spruch

In der Z3 im §26 Abs3 des Gehaltsgesetzes 1956, BGBl. Nr. 54, in der Fassung der 41. Gehaltsgesetz-Novelle, BGBl. Nr. 656/1983, waren die erste der beiden Wortfolgen "innerhalb von sechs Monaten", die Wortfolge "das das erste Lebensjahr noch nicht vollendet hat und" sowie das Wort "solchen" verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Im übrigen wird das Verfahren eingestellt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. §26 des Gehaltsgesetzes 1956, BGBl. 54 (im folgenden: GG 1956), in der hier maßgeblichen Fassung der 41. Gehaltsgesetz-Novelle, BGBl. 656/1983 (im folgenden: 41. GG-Novelle), die mit 1. Jänner 1984 in Kraft getreten ist, hat folgenden Wortlaut:

"§26. (1) Dem Beamten, der ohne Anspruch auf einen laufenden Ruhegenuß aus dem Dienststand ausscheidet, gebührt eine Abfertigung.

(2) Eine Abfertigung gebührt nicht

a) wenn das Dienstverhältnis des Beamten während der Probezeit gelöst wird;

b) wenn der Beamte freiwillig aus dem Dienstverhältnis austritt, sofern nicht die Bestimmungen des Abs3 anzuwenden sind;

c) wenn der Beamte durch ein Disziplinarerkenntnis entlassen wird;

d) wenn der Beamte kraft Gesetzes oder durch Tod aus dem Dienstverhältnis ausscheidet.

(3) Eine Abfertigung gebührt außerdem

1. einer verheirateten Beamtin, wenn sie innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Eheschließung,

(2. einer Beamtin, wenn sie innerhalb von 18 Jahren nach der Geburt eines eigenen Kindes, das im Zeitpunkt des Ausscheidens noch lebt,)

3. einer Beamtin, wenn sie innerhalb von sechs Monaten nach der Annahme eines Kindes, das das erste Lebensjahr noch nicht vollendet hat und das im Zeitpunkt des Ausscheidens noch lebt, an Kindes Statt (§15 Abs5 Z1 des Mutterschutzgesetzes 1979) oder innerhalb von sechs Monaten nach der Übernahme eines solchen Kindes in unentgeltliche Pflege (§15 Abs5 Z2 des Mutterschutzgesetzes 1979),

freiwillig aus dem Dienstverhältnis austritt."

(Die Z2 wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 20. Juni 1987, G21/87, als verfassungswidrig aufgehoben; die Aufhebung ist mit Ablauf des 31. Mai 1988 in Kraft getreten; vgl. dazu die Kundmachung des Bundeskanzlers BGBl. 395/1987).

2. Nach §106 Abs1 Z1 iVm §106 Abs2 Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz - LDG 1984, BGBl. 302, ist für Landeslehrer unter anderem das GG 1956 in seiner jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Diese Bestimmungen des LDG 1984 bewirken, daß (unter anderem) §26 Abs3 Z3 GG 1956 in der hier maßgeblichen Fassung der 41. GG-Novelle auf Landeslehrer Anwendung findet.

Die Abs1 und 2 des §106 LDG 1984 haben, soweit sie hier von Bedeutung sind, folgenden Wortlaut:

"(1) Für das Besoldungs- und Pensionsrecht gelten unter Bedachtnahme auf Abs2 folgende Vorschriften, soweit nicht in den nachstehenden Bestimmungen anderes bestimmt wird:

    1. Das Gehaltsgesetz 1956, BGBl. Nr. 54,

    . . .

    (2) Die nach Abs1 für Landeslehrer und ihre Hinterbliebenen

für anwendbar erklärten Vorschriften sind in ihrer jeweils

geltenden Fassung . . . anzuwenden . . . ".

II. 1. Die Beschwerdeführerin im Anlaßfall B1452/87 erklärte schriftlich ihren Austritt aus dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund und ersuchte mit der Begründung, daß sie ein Kind adoptiert habe, um Gewährung einer Abfertigung. Das Präsidium des Bundeskanzleramtes teilte daraufhin der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 29. Oktober 1987 unter anderem mit, daß eine Abfertigung "gemäß §26 Abs2 des Gehaltsgesetzes 1956" nicht in Betracht komme, da das adoptierte Kind nicht als eigenes Kind angesehen werden könne.

Diese von der Beschwerdeführerin als Bescheid gewertete Erledigung ist Gegenstand der zu B1452/87 protokollierten, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, mit der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht wird.

2. Die Beschwerdeführerin im Anlaßfall B1098/88 erklärte schriftlich ihren Austritt aus dem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Wien. Der Stadtschulrat für Wien teilte der Beschwerdeführerin, die zwei Kinder in der Absicht in unentgeltliche Pflege genommen hatte, sie an Kindes Statt anzunehmen, mit Schreiben vom 4. November 1987 unter anderem mit, daß ihr kein Anspruch auf Abfertigung zustehe. Mit Bescheid vom 10. Dezember 1987 stellte der Stadtschulrat für Wien fest, daß der Beschwerdeführerin eine Abfertigung nicht gebühre.

Die Wiener Landesregierung gab mit Bescheid vom 12. April 1988 den Berufungen der Beschwerdeführerin gegen die - von ihr als Bescheid gewertete - Erledigung des Stadtschulrates für Wien vom 4. November 1987 und gegen den Bescheid dieser Behörde vom 10. Dezember 1987 keine Folge.

Dieser Bescheid ist Gegenstand der zu B1098/88 protokollierten, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, mit der die Verletzung von Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des von der Beschwerdeführerin als verfassungswidrig erachteten §26 Abs3 Z3 GG 1956, geltend gemacht wird.

III. Der Verfassungsgerichtshof hat in der vorläufigen Annahme, daß auch die zu B1452/87 protokollierte Beschwerde zulässig ist, aus Anlaß beider Beschwerden beschlossen, gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Z3 in §26 Abs3 GG 1956 einzuleiten und dies im wesentlichen folgendermaßen begründet:

"Der Verfassungsgerichtshof hat das Bedenken, daß die erste der beiden Wortfolgen 'innerhalb von sechs Monaten' sowie die Wortfolge 'das das erste Lebensjahr noch nicht vollendet hat und' im §26 Abs3 Z3 GG 1956 aus folgenden Gründen mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz in Widerspruch stehen:

Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, daß §26 Abs3 Z3 GG 1956 durch die Verwendung des Begriffes 'Annahme an Kindes Statt' einerseits jenen Zeitpunkt festlegt, ab dem die sechsmonatige Frist zu laufen beginnt, innerhalb der die Beamtin, die Anspruch auf Abfertigung erhebt, aus dem Dienstverhältnis ausgetreten sein muß. Andererseits scheint es nach dieser Bestimmung eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Abfertigung zu sein, daß das Wahlkind zum Zeitpunkt der Annahme an Kindes Statt das erste Lebensjahr noch nicht vollendet haben darf.

Nach §179a Abs1 AGBG kommt die Annahme an Kindes Statt durch schriftlichen Vertrag zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind und durch gerichtliche Bewilligung auf Antrag eines Vertragsteiles zustande. Sie wird im Fall ihrer Bewilligung mit dem Zeitpunkt der vertraglichen Willenseinigung wirksam.

Das Verfahren betreffend die Bewilligung einer Adoption kann auf Grund der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung, ob sie dem Wohl des Kindes dient (§180a Abs1 zweiter Satz ABGB) und angesichts der bestehenden Zustimmungsrechte (§181 ABGB) und Anhörungsrechte (§181a ABGB) schon in erster Instanz sehr zeitaufwendig sein, wobei die Verfahrensdauer oft von Umständen abhängt, die dem Einfluß des Antragstellers entzogen sind. Zumal im Fall der Erhebung von Rechtsmitteln kann das Bewilligungsverfahren wohl kaum in kurzer Zeit abgeschlossen sein.

Geht man nun davon aus, daß der Gesetzgeber bei der Festlegung des Zeitpunktes, an dem die 'Annahme eines Kindes' erfolgt, auf den Tag der vertraglichen Willenseinigung abstellte, so hätte dies zur Folge, daß die sechsmonatige Frist für den Austritt aus dem Dienstverhältnis mit diesem Tag zu laufen beginnt; die Beamtin müßte demnach, falls das gerichtliche Bewilligungsverfahren länger als sechs Monate dauert, ihren Austritt bereits zu einem Zeitpunkt erklären, in dem sie noch gar nicht weiß, ob die Annahme an Kindes Statt vom Gericht überhaupt bewilligt werden und sie dementsprechend tatsächlich die Pflege und Erziehung des Kindes übernehmen wird. Gerade die Übernahme der Pflege und Erziehung des Wahlkindes ist aber der Grund für den freiwilligen Austritt aus dem Dienstverhältnis.

Geht man hingegen davon aus, daß der Gesetzgeber bei der Festlegung des Zeitpunktes, zu dem die 'Annahme eines Kindes' erfolgt, auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Bewilligung der Adoption abstellte, so bleibt zwar der Wahlmutter genügend Zeit zur Erklärung des Austrittes aus dem Dienstverhältnis, es hängt dann aber von der zufälligen Dauer des Bewilligungsverfahrens ab, ob das Wahlkind zu diesem Zeitpunkt das erste Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

Der Gerichtshof geht vorläufig davon aus, daß beide aufgezeigten Auslegungsmöglichkeiten jeweils zu unsachlichen Ergebnissen führen.

Die ein verfassungswidriges Ergebnis vermeidende Annahme, daß einerseits für die Vollendung des ersten Lebensjahres der Zeitpunkt der Willenseinigung, andererseits aber für den Beginn der sechsmonatigen Frist zur Erklärung des Austrittes aus dem Dienstverhältnis die Erteilung der gerichtlichen Bewilligung maßgebend ist, scheint der Wortlaut des Gesetzes nicht zuzulassen, weil nicht davon ausgegangen werden kann, daß dem Ausdruck 'Annahme eines Kindes' in ein und demselben Satz zwei unterschiedliche Bedeutungen zukommen.

Somit scheint die Regelung des §26 Abs3 Z3 GG 1956, soweit sie sich auf die Annahme an Kindes Statt bezieht und durch den Begriff 'Annahme eines Kindes' einen Zeitpunkt festlegt, dem aus dem Gleichheitsgrundsatz erfließenden Sachlichkeitsgebot zu widersprechen.

Es hat nun den Anschein, daß, wenn im Fall des Zutreffens dieser Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Wortfolgen 'innerhalb von sechs Monaten' und 'das das erste Lebensjahr noch nicht vollendet hat und' diese Wortfolgen aufgehoben würden, auch der verbleibende, die Adoption betreffende Teil der Z3 des §26 Abs3 GG 1956 einen verfassungswidrigen Inhalt hätte, und zwar aus denselben Gründen, aus denen der Verfassungsgerichtshof zunächst mit dem Erkenntnis G178/86 vom 3. Dezember 1986 die Z2 im §26 Abs3 GG 1956, soweit sie zufolge ArtII Z4 der 23. Ergänzung zum Landesbeamtengesetz und zur Landesbeamtengesetznovelle 1985, LGBl. 41, in Oberösterreich als landesgesetzliche Vorschrift in Geltung stand, und sodann mit dem Erkenntnis G21/87 vom 20. Juni 1987 die Z2 im §26 Abs3 GG 1956 selbst als verfassungswidrig aufhob.

Im Fall der Aufhebung der in Rede stehenden Wortfolgen bestünde das weitere Bedenken, daß auch die die Übernahme eines Kindes in unentgeltliche Pflege betreffende Wortfolge 'eines solchen Kindes' verfassungswidrig ist, weil sie sich dann nicht mehr nur auf ein Kind bezieht, das das erste Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sondern auf 'Kinder' ohne jegliche Altersgrenze. Bei diesem Inhalt aber dürfte auch diese Wortfolge aus den nämlichen Gründen verfassungswidrig sein, die den Verfassungsgerichtshof bewogen, mit den zitierten Erkenntnissen die eben erwähnten Bestimmungen als verfassungswidrig aufzuheben."

IV. Die Bundesregierung hat erklärt, im Gesetzesprüfungsverfahren von der Erstattung einer meritorischen Äußerung abzusehen.

V. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Frage der Zulässigkeit der Gesetzesprüfungsverfahren erwogen:

1. Was die zu B1452/87 protokollierte Beschwerde betrifft, bleibt der Verfassungsgerichtshof bei der Auffassung, daß der letzte Absatz des Schreibens des Präsidiums des Bundeskanzleramtes vom 29. Oktober 1987 der - für sich genommen - geeignet ist, Inhalt des Spruches eines Bescheides zu sein, als ein den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung einer Abfertigung abweisender Bescheid (siehe dazu etwa VwGH 30. Oktober 1969, 1444/69) anzusehen ist, wenngleich die Erledigung weder als Bescheid bezeichnet, noch in Spruch und Begründung gegliedert ist und auch keine Rechtsmittelbelehrung enthält (vgl. in diesem Zusammenhang etwa VwGH 14. Februar 1979, 2854/77). Dieser Bescheid beruft sich ausdrücklich (nur) auf §26 Abs2 GG 1956. Die von der belangten Behörde gegebene Begründung für ihre Auffassung, daß der Beschwerdeführerin eine Abfertigung nicht gebühre, läßt erkennen, daß die Behörde ihre abweisende Entscheidung auf §26 Abs2 litb iVm §26 Abs3 Z2 GG 1956 stützen zu können glaubte. Nach §26 Abs3 Z2 GG 1956 (diese Bestimmung wurde, wie erwähnt, mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 20. Juni 1987, G21/87, als verfassungswidrig aufgehoben) gebührte einer Beamtin eine Abfertigung, wenn sie innerhalb von 18 Jahren nach der Geburt eines Kindes, das im Zeitpunkt des Ausscheidens noch lebte, freiwillig aus dem Dienstverhältnis austrat. Der Antrag der Beschwerdeführerin, in dem ausdrücklich von einem Adoptivkind die Rede ist, ist jedoch nicht nach §26 Abs3 Z2, sondern nach §26 Abs3 Z3 GG 1956 zu beurteilen, weil nur diese Bestimmung den Anspruch auf Abfertigung im Fall der Adoption eines Kindes regelt. Die belangte Behörde hatte daher bei der Entscheidung über den darauf gerichteten Antrag der Beschwerdeführerin (unter anderem) die Vorschrift des §26 Abs3 Z3 GG 1956 anzuwenden, soweit sie sich auf die Annahme eines Kindes an Kindes Statt bezog.

2. In der Begründung des Bescheides, der mit der zu B1098/88 protokollierten Beschwerde angefochten wurde, beruft sich die belangte Behörde ausdrücklich (auch) auf §26 Abs3 Z3 GG 1956, soweit sich diese Vorschrift auf die Übernahme eines Kindes in unentgeltliche Pflege bezieht.

3. §26 Abs3 Z3 GG 1956 idF der 41. GG-Novelle wurde durch ArtI Z9 der 47. Gehaltsgesetz-Novelle, BGBl. 288/1988, der dem §26 Abs3 GG 1956 eine neue Fassung gab, außer Kraft gesetzt. Die Neufassung des §26 Abs3 GG 1956 ist zufolge des ArtXIII Abs1 Z2 der 47. Gehaltsgesetz-Novelle mit 1. Juni 1988 in Kraft getreten. Die Außerkraftsetzung des §26 Abs3 GG 1956 in der Fassung der 41. GG-Novelle wirkte auch insoweit, als diese Vorschrift für Landeslehrer galt, da §106 Abs2 LDG 1984 auf die "jeweils geltende Fassung" der durch §106 Abs1 LDG 1984 für Landeslehrer in Geltung gesetzten Vorschriften abstellt.

Der Verfassungsgerichtshof hat, da gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, die angefochtenen Bescheide an den im Zeitpunkt ihrer Erlassung in Geltung gestandenen Rechtsvorschriften zu messen (vgl. etwa VfSlg. 7416/1974, 8804/1980). Er hat daher bei der Entscheidung über die vorliegenden Beschwerden den §26 Abs3 Z3 GG 1956 in dem Umfang, in dem ihn die belangten Behörden angewendet haben bzw. zu seiner Anwendung verpflichtet waren (vgl. dazu VfSlg. 5373/1966, 8647/1979, 10617/1985), ungeachtet dessen anzuwenden, daß diese Vorschrift seit dem 1. Juni 1988 nicht mehr dem Rechtsbestand angehört (siehe dazu VfSlg. 4920/1965, 8253/1978).

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind - Zweifel an der Zulässigkeit der Anlaßbeschwerden haben sich nicht ergeben - sind die Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

VI. 1. Im Verfahren ist nichts hervorgekommen, was die im Beschluß über die Einleitung der Gesetzesprüfungsverfahren dargelegten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der ersten der beiden Wortfolgen "innerhalb von sechs Monaten" sowie der Wortfolge "das das erste Lebensjahr noch nicht vollendet hat und" in §26 Abs3 Z3 GG 1956 zu zerstreuen vermöchte.

2. Es hat sich ferner die Annahme in dem erwähnten Beschluß als zutreffend erwiesen, daß im Fall der Aufhebung der eben erwähnten Wortfolgen auch der sodann verbleibende, die Annahme an Kindes Statt betreffende Teil der Z3 des §26 Abs3 GG 1956 sowie die in dieser Vorschrift enthaltene, die Übernahme eines Kindes in unentgeltliche Pflege betreffende Wortfolge "eines solchen Kindes" verfassungswidrig wären. Die diese Wortfolgen betreffenden verfassungsrechtlichen Bedenken sind dieselben, die den Verfassungsgerichtshof bewogen haben, zunächst mit dem Erkenntnis vom 3. Dezember 1986, G178/86, die Z2 in §26 Abs3 GG 1956, soweit sie zufolge ArtII Z4 der 23. Ergänzung zum Landesbeamtengesetz und zur Landesbeamtengesetz-Novelle 1985, LGBl. 41, in Oberösterreich als landesgesetzliche Vorschrift in Geltung stand, und sodann mit dem Erkenntnis vom 20. Juni 1987, G21/87, die Z2 in §26 Abs3 GG 1956 selbst (in der Fassung der Novelle BGBl. 656/1983) als verfassungswidrig aufzuheben.

Im Erkenntnis vom 3. Dezember 1986, G178/86, führte der Verfassungsgerichtshof ua. folgendes aus:

"Es ist eine allgemeine Erfahrungstatsache, auf die sich der Gerichtshof stützen kann, daß der zeitliche Aufwand für die Pflege und Erziehung eines Kindes - durchschnittlich gesehen - mit dessen steigendem Lebensalter wesentlich abnimmt. Dies wird besonders deutlich, wenn man - innerhalb des hier zu betrachtenden Zeitraumes von 18 Jahren - etwa den Zeitaufwand für ein einjähriges Kind mit dem für einen 17-jährigen Jugendlichen vergleicht. Diese Durchschnittsbetrachtung zeigt, daß der Grund für einen späteren Dienstaustritt im Regelfall wohl nicht in der Übernahme der Obsorge für das wesentlich früher geborene Kind, sondern in anderen Beweggründen zu finden ist. Der Gerichtshof bleibt daher bei den sein primäres Bedenken tragenden Annahmen des Prüfungsbeschlusses; es handelt sich um eine Regelung, die wesentlich nicht dem im Gesetzeswortlaut angedeutenden Zweck dient, sondern allgemeinen arbeitsmarktpolitischen Zielsetzungen. So gewertet ist aber in der Tat nicht einzusehen, weshalb die Vorschrift auf weibliche Beamte beschränkt ist; sie verstößt sohin gegen das auch den Gesetzgeber bindende, diesem sachlich nicht begründbare Differenzierungen verwehrende Gleichheitsgebot (s. zB VfGH 15. 10. 1985 G122/85)."

3. Das Verfahren hat nichts ergeben, was dafür spräche, daß die im Erkenntnis vom 3. Dezember 1986, G178/86, für zutreffend erkannten Bedenken nicht auch für die vorhin erwähnten Wortfolgen im §26 Abs3 Z3 GG 1956 zutreffen. Die im Beschluß über die Einleitung der Gesetzesprüfungsverfahren dargelegten Bedenken treffen somit zu.

4. Die Grenzen der Aufhebung einer in Prüfung stehenden Gesetzesbestimmung müssen nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (siehe etwa VfSlg. 8004/1977, 8701/1979 und 8719/1979) derart gezogen werden, daß einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlaßfall ist, daß aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele niemals vollständig erreicht werden können, hat der Verfassungsgerichtshof in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (vgl. VfSlg. 8461/1978 mwH). Das gilt grundsätzlich auch für den Fall der bloßen Feststellung, daß ein Gesetz verfassungswidrig war (VfSlg. 10834/1986).

Eine solche Feststellung wirkt sich, wenn nicht gleichzeitig im Sinne des Art140 Abs7 zweiter Satz zweiter Halbsatz B-VG ausgesprochen wird, daß die Gesetzesstelle auch auf die vor der Feststellung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden ist, nur auf die Anlaßfälle aus. Da der Verfassungsgerichtshof in den vorliegenden Verfahren keinen Anlaß für einen Ausspruch über eine allgemeine Nichtanwendung der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen sieht, die Entscheidung demnach nur auf die Anlaßfälle wirkt, muß, wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 10834/1986 dargelegt hat, anders als sonst auf die Auswirkung in den Anlaßfällen gesehen werden, weil jede andere Vorgangsweise den Sinn der Abwägung verfehlen würde. Nun würde eine Feststellung, daß die gesamte in Prüfung stehende Vorschrift verfassungswidrig war, die Beschwerden, die den Anlaß zur Einleitung der Gesetzesprüfungsverfahren gaben, um jeden Erfolg bringen, weil bei Fehlen einer dem §26 Abs3 Z3 GG 1956 (in der Fassung der 41. Gehaltsgesetz-Novelle) entsprechenden Vorschrift gemäß §26 Abs2 litb GG 1956 ein Anspruch der Beschwerdeführerinnen auf Gewährung einer Abfertigung im Fall des freiwilligen - wenngleich wegen der Annahme eines Kindes an Kindes Statt oder der Übernahme eines Kindes in unentgeltliche Pflege erfolgenden - Austrittes aus dem Dienstverhältnis nicht besteht. Hingegen hat die Feststellung der Verfassungswidrigkeit (bloß) der im Spruch genannten Wortfolgen und des dort genannten Wortes zur Folge, daß bloß diese Wortfolgen bzw. dieses Wort in den Anlaßfällen außer Betracht bleiben und in diesen Fällen daher der Anspruch auf Gewährung einer Abfertigung gegeben ist. Unter diesen besonderen Umständen kann entgegen der vorläufigen Annahme im Beschluß über die Einleitung der Gesetzesprüfungsverfahren die Feststellung der Verfassungswidrigkeit auf die im Spruch genannten Wortfolgen und das dort genannte Wort der in Prüfung gezogenen Z3 des §26 Abs3 GG 1956 beschränkt werden.

Über die im Spruch genannten Wortfolgen hinaus wurde die Prüfung nur in der vorläufigen Annahme erstreckt, daß die gesamte Z3 des §26 Abs3 GG 1956 wegen des engen sprachlichen Zusammenhanges der einzelnen Teile eine untrennbare Einheit bildet. Da dieser Zusammenhang nach dem Gesagten nicht untrennbar ist, kann das Verfahren im übrigen eingestellt werden.

5. Die Verpflichtung zur Kundmachung der Feststellung der Verfassungswidrigkeit ergibt sich aus Art140 Abs5 B-VG.

6. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG abgesehen werden.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsmaßstab, Dienstrecht, Abfertigung, VfGH / Prüfungsumfang Verwerfungsumfang, VfGH / Aufhebung Wirkung, Gleichheitsrecht Frau - Mann, Bescheidbegriff

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:G232.1988

Dokumentnummer

JFT_10109696_88G00232_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten