TE Vwgh Erkenntnis 1991/12/5 89/17/0256

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Veröffentlicht am 05.12.1991
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Index

L34009 Abgabenordnung Wien;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);

Norm

B-VG Art140 Abs7;
LAO Wr 1962 §12 Abs1 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Wetzel, Dr. Puck und Dr. Gruber als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kirchmayr, in der Beschwerdesache des A in O, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in R, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom 30. Oktober 1989, Zl. MDR-St 6/89 u. 7/89, betreffend Haftung für Vergnügungs- und Getränkesteuer gemäß § 12 Abs. 1 lit. a der Wiener Abgabenordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Mit Haftungsbescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 15. Dezember 1988 wurde der Beschwerdeführer auf Grund der §§ 2, 5 und 12 Abs. 1 der Wiener Abgabenordnung - WAO, LGBl. für Wien Nr. 21/1962, als Haftpflichtiger für die von Jänner 1986 bis März 1986 im Betrieb in W, X-Straße, entstandene Vergnügungssteuerschuld der Vorgängerin "S"-GmbH im Betrage von S 39.865,-- herangezogen. Nach der Begründung dieses Bescheides schulde die genannte Gesellschaft als frühere Unternehmerin des Betriebes die genannten Beträge, die bisher nicht einbringlich gemacht hätten werden können. Da der Betrieb im Jahr 1987 nach Nichteinhaltung der Zahlungsmodalitäten durch den Käufer G - Geschäftsführer der Gesellschaft mbH. - an den Beschwerdeführer zurückgefallen sei und somit eine Übereignung im ganzen vorliege, sei die gesetzliche Voraussetzung für die Haft- und Zahlungspflicht gegeben. Die Festsetzung der Abgabe sei im Wege der Selbstbemessung und durch bescheidmäßige Vorschreibung erfolgt.

1.2. Mit einem weiteren Haftungsbescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 23. Mai 1989 wurde der Beschwerdeführer auf Grund derselben Bestimmungen als Haftpflichtiger zur Zahlung der für die Zeit von Jänner bis Dezember 1987 im vorhin genannten Betrieb entstandenen Getränkesteuerschuld der Betriebsvorgängerin im Betrage von S 72.190,-- herangezogen. Die Bescheidbegründung entspricht jener des Haftungsbescheides für die Vergnügungssteuer. Die Festsetzung der Getränkesteuer sei im Wege bescheidmäßiger Vorschreibung erfolgt. Weiters sei zu bemerken, daß sich gemäß § 5 Abs. 2 WAO persönliche Haftungen auch auf Nebenansprüche erstreckten.

1.3. Mit Bescheid vom 30. Oktober 1989 wies die Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien die gegen die beiden Haftungsbescheide erhobenen Berufungen als unbegründet ab.

In der Begründung des Bescheides wird zunächst folgende Stelle aus einem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Oktober 1981, Zl. 81/13/0081, zu § 14 Abs. 1 lit. a BAO zitiert:

"Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt die Übereignung eines Unternehmens (Betriebes) im ganzen dann vor, wenn der Erwerber ein lebendes bzw. lebensfähiges Unternehmen übernimmt. Dabei müssen nicht alle zum Unternehmen gehörigen Wirtschaftsgüter übereignet werden, sondern nur jene, welche die wesentliche Grundlage des Unternehmens bilden und den Erwerber mit ihrem Erwerb in die Lage versetzen, das Unternehmen fortzuführen.

Für die nach § 14 Abs. 1 lit. a BAO aus dem Erwerb eines Betriebes im ganzen resultierende Haftung ist es aber nicht wesentlich, von wem dieser Betrieb erworben wird. Die Haftung nach dieser Gesetzesstelle erfaßt Abgaben, die objektiv auf den Betrieb zurückgehen, sie setzt aber nicht voraus, daß es sich dabei um Abgabenschuldigkeiten des Veräußerers handelt."

In der Begründung heißt es dann weiter, auf Grund des Kaufvertrages vom 29. Dezember 1982 sei der Gastgewerbebetrieb in W, X-Straße, vom Beschwerdeführer an G im ganzen übereignet worden. Im Punkt 2 dieses Vertrages sei ausdrücklich festgehalten, daß das "Gastwirtschaftsunternehmen" verkauft und an den Käufer "nunmehr" übergeben werde. Diese tatsächliche Übernahme werde in den Punkten 4 und 5 bestätigt. Daß die Vertragsparteien von einer Unternehmensübergabe ausgegangen seien, sei daraus zu ersehen, daß ausdrücklich festgehalten werde: "Die Vertragsparteien sind jedoch in Kenntnis der Bestimmungen des § 1409 des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, wonach der Übernehmer eines Vermögens bis zur Höhe des übernommenen Vermögens für alle Schulden haftet, die er bei der Übernahme kannte oder kennen mußte. Für Betriebssteuern des letzten Jahres und Krankenkassenschulden haftet der Käufer unbeschränkt. Die Verkäufer erklären jedoch, daß keine diesbezüglichen Schulden vorhanden sind und verpflichten sich, diesbezüglich den Käufer vollkommen klag- und schadlos zu halten".

Dieser Kaufvertrag sei durch den gerichtlichen Vergleich vom 23. Dezember 1987 einverständlich aufgelöst worden. Dieser Auflösung könne rechtlich nur die Bedeutung zugemessen werden, daß das vorher verkaufte und dem Käufer übergebene Gastwirtschaftsunternehmen an den Beschwerdeführer übergeben worden sei, was im Punkt 1 des Vergleiches auch festgelegt sei. Daß der Betrieb nicht von der S-GmbH erworben worden sei, sei im Hinblick auf das zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes ohne Bedeutung und habe seine Ursache darin, daß G den Betrieb im Wege einer GesmbH. geführt habe.

Der Umstand, daß die Übertragung der Mietrechte (ergänze: an G zufolge des Kaufvertrages vom 29. Dezember 1982) erst nach vollständiger Bezahlung des Kaufpreises erfolgen sollte, sei für die maßgebende wirtschaftliche Tatsache, daß zuerst eine Betriebsübereignung im ganzen durch den Beschwerdeführer und nach Beendigung des Betriebes eine Übereignung im ganzen an ihn erfolgt sei, ohne Belang, zumal der Käufer die sachenrechtliche Verfügungsgewalt erlangt gehabt habe.

Im Hinblick auf die Uneinbringlichkeit des Steuerrückstandes bei der Primärschuldnerin entspreche die Geltendmachung der Haftung den Ermessensrichtlinien der Zweckmäßigkeit und Billigkeit (§ 18 WAO).

1.4. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch unrichtige Anwendung des § 12 Abs. 1 lit. a WAO in seinem Recht, nicht zur Haftung für Abgabenschulden anderer Personen herangezogen zu werden, verletzt.

1.5. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.

1.6. In Entsprechung des im Beschwerdefall vom Verwaltungsgerichtshof gestellten Gesetzesprüfungsantrages hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 4. Oktober 1991, G 210/91, § 12 Abs. 1 lit. a der Wiener Abgabenordnung, LGBl. Nr. 21/1962, als verfassungswidrig auf; er sprach aus, daß die Aufhebung mit Ablauf des 30. September 1992 in Kraft tritt und frühere Vorschriften nicht wieder in Wirksamkeit treten.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Strittig ist im Beschwerdefall, ob im Jahr 1987 ein haftungsbegründender Erwerb des in Rede stehenden Gastwirtschaftsunternehmens durch den Beschwerdeführer stattgefunden hat. Die belangte Behörde bejaht dies. Sie geht dabei davon aus, daß der Beschwerdeführer seinerzeit den Gastgewerbebetrieb auf Grund des Kaufvertrages vom 29. Dezember 1982 an G im ganzen übereignet habe. Die tatsächliche Übernahme sei erfolgt. G habe den Betrieb "im Wege einer GesmbH.", deren Geschäftsführer er gewesen sei, geführt. Dieser Kaufvertrag sei durch gerichtlichen Vergleich vom 23. Dezember 1987 einverständlich aufgelöst worden. Damit sei wiederum eine Übereignung des Betriebes im ganzen an den Beschwerdeführer erfolgt.

Der Beschwerdeführer hingegen vertritt die Rechtsauffassung, Gegenstand des Kaufvertrages vom 29. Dezember 1982 seien nur die ihm allein zustehenden Mietrechte am Gastgewerbelokal gewesen. Dementsprechend habe er infolge des Vergleiches aus dem Jahr 1987 nur über einzelne Rechte wiederum frei verfügen können (die er, ohne auch nur einen Tag das Unternehmen geführt zu haben, an J abgetreten habe), aber keinen Betrieb erworben. Die wesentlichen Unternehmensgrundlagen, wie Einrichtungsgegenstände, Kundenkreis, Rechtsbeziehungen zu Angestellten und Lieferanten, seien unmittelbar von G bzw. von der GesmbH. auf J übergegangen.

Strittig ist ferner die Frage, ob die Erwerberhaftung nach § 12 Abs. 1 lit. a WAO - wonach der Erwerber für Abgaben haftet, bei denen die Abgabepflicht sich auf den Betrieb des Unternehmens gründet - nur solche Abgaben, bezüglich deren der Betriebsvorgänger durch die betriebliche Tätigkeit Abgabenschuldner geworden ist, oder auch Haftungsschulden erfaßt (wie hier die Haftung des G oder der GesmbH. für Vergnügungssteuer, deren Abgabenschuldner ein von ihnen verschiedener Unternehmer einer Veranstaltung in den Gasträumen war).

2.2. Art. 140 Abs. 7 erster und zweiter Satz B-VG lauten:

"Ist ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Abs. 4 ausgesprochen, daß ein Gesetz verfassungswidrig war, so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles ist jedoch das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht."

Der Beschwerdefall ist Anlaßfall für die verfassungsgerichtliche Aufhebung der angewendeten und vom Verwaltungsgerichtshof anzuwendenden Gesetzesstelle.

Dadurch, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid auf diese Rechtsnorm, die die gesetzliche Grundlage für die Haftungsinanspruchnahme bildete, gestützt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Der angefochtene Bescheid war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2.3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Ersatz von Umsatzsteuer war nicht zuzusprechen, weil dieser Aufwand bereits im Schriftsatzaufwandpauschale berücksichtigt ist.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1989170256.X00

Im RIS seit

05.12.1991

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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