TE Vfgh Erkenntnis 1989/6/12 B1199/87

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Veröffentlicht am 12.06.1989
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Vollstreckungshandlung
StGG Art8 / Verletzung keine
VStG 1950 §53 Abs4
VStG 1950 §54

Leitsatz

Zwangsweise Vorführung zum Strafantritt und folgende Anhaltung; Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch Vollstreckung von Ersatzarreststrafen; keine Anzeichen von Geisteskrankheit bei der Beschwerdeführerin

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist dadurch, daß sie in der Zeit vom 13. Oktober 1987 bis zum 20. Oktober 1987 im Polizeigefangenenhaus der Bundespolizeidirektion Wien durch Organe dieser Behörde zur Vollstreckung rechtskräftig verhängter Ersatzfreiheitsstrafen angehalten wurde, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch durch Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin ist schuldig, dem Bund zu Handen der Finanzprokuratur die mit S 10.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Bundespolizeidirektion Wien verhängte über die Beschwerdeführerin mit der in Rechtskraft erwachsenen Strafverfügung vom 30. Oktober 1984, Pst 7771-P/84/OR, wegen Übertretungen nach ArtIX Abs1 Z1, ArtVIII und ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950 unter Berufung auf ArtIX bzw. ArtVIII EGVG 1950 Geldstrafen von insgesamt S 1.500,--, für den Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzarreststrafen von insgesamt 90 Stunden, und mit der in Rechtskraft erwachsenen Strafverfügung vom 15. Mai 1987, Pst 5069/0/87, wegen einer Übertretung nach ArtIX Abs1 Z5 EGVG 1950 unter Berufung auf ArtIX Abs1 EGVG 1950 eine Geldstrafe von S 2.000,--, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzarreststrafe von drei Tagen.

2.a) Die Beschwerdeführerin begehrt mit ihrer auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, sie sei durch ihre in der Zeit vom 13. Oktober 1987 bis 20. Oktober 1987 zur Vollstreckung der unter I. 1. bezeichneten Ersatzarreststrafen erfolgte Anhaltung im Polizeigefangenenhaus der Bundespolizeidirektion Wien, demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867) verletzt worden.

b) In der Beschwerde wird dazu im wesentlichen folgendes vorgebracht:

Die Beschwerdeführerin sei am 13. Oktober 1987 von Organen der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen, zur Verbüßung über sie verhängter Ersatzarreststrafen in das Polizeigefangenenhaus dieser Behörde eingeliefert und dort bis zum 20. Oktober 1987 angehalten worden, obwohl gemäß §54 VStG 1950 die Freiheitsstrafen wegen einer Geisteskrankheit der Beschwerdeführerin nicht hätten vollstreckt werden dürfen. Die Beschwerdeführerin habe sogleich bei ihrer Einlieferung in das Polizeigefangenenhaus den sie untersuchenden Amtsarzt erfolglos auf ihre durch eine von Amtsärzten mehrfach diagnostizierte Geisteskrankheit bedingte Haftunfähigkeit hingewiesen. Die Anhaltung der Beschwerdeführerin sei daher rechtswidrig gewesen.

3. Die Bundespolizeidirektion Wien als belangte Behörde, vertreten durch die Finanzprokuratur, erstattete unter Vorlage der Verwaltungsakten eine Gegenschrift, in der sie die Gesetzmäßigkeit (der Festnahme und) der Anhaltung der Beschwerdeführerin verteidigt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

In der Gegenschrift wird im wesentlichen ausgeführt:

Nach dem Eintritt der Rechtskraft der Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Wien vom 15. Mai 1987, Pst 5069/0/87, mit der über die Beschwerdeführerin eine Geldstrafe von S 2.000,--, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von drei Tagen verhängt worden war, sei versucht worden, die Geldstrafe einzubringen. Mehrere von Sicherheitswachebeamten hinterlegte Verständigungszettel über die Einhebungsversuche seien nicht beachtet worden. Eine an die Wiener Gebietskrankenkasse gerichtete Anfrage, durch die ein allfälliger Dienstgeber der Beschwerdeführerin habe ermittelt werden sollen, habe ergeben, daß die Beschwerdeführerin dort als Dienstnehmerin nicht aufscheine. Eine an die Beschwerdeführerin gerichtete Aufforderung zum Antritt der Ersatzarreststrafe sei an deren Wohnadresse hinterlegt worden. In der Folge sei auf Grund eines Befehls zur Vorführung der Beschwerdeführerin zum Antritt der von der Bundespolizeidirektion Wien mit Strafverfügung vom 30. Oktober 1984, Pst 7771-P/84/OR, über sie verhängten Ersatzarreststrafen von 90 Stunden die Beschwerdeführerin von Organen der Bundespolizeidirektion Wien am 13. Oktober 1987 um 18 Uhr 40 festgenommen, zunächst in das Bezirkspolizeikommissariat Ottakring überstellt und sodann in das Polizeigefangenenhaus der Bundespolizeidirektion Wien zur Vollstreckung der Ersatzarreststrafen eingeliefert worden. Die mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Wien vom 15. Mai 1987, Pst 5069/0/87, verhängte Ersatzarreststrafe sei "mitvollzogen" und die Beschwerdeführerin nach Vollstreckung der Ersatzarreststrafen am 20. Oktober 1987 um 12 Uhr 40 entlassen worden. Die Beschwerdeführerin sei nach ihrer Einlieferung in das Polizeigefangenenhaus vom Amtssachverständigen der Bundespolizeidirektion Wien auf ihre Haftfähigkeit untersucht worden. Der Amtssachverständige sei auf Grund des von ihm erhobenen Befundes in seinem Gutachten zum Ergebnis gekommen, daß die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt ihrer Anhaltung haftfähig gewesen sei.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1.a) Auf Grund des insoweit übereinstimmenden Vorbringens in der Beschwerde und in der Gegenschrift der belangten Behörde sowie auf Grund des Inhaltes der vorgelegten Verwaltungsakten steht fest, daß die Beschwerdeführerin von Organen der Bundespolizeidirektion Wien zur Vollstreckung rechtskräftig verhängter Ersatzarreststrafen - nach vorangegangener Aufforderung zum Strafantritt - am 13. Oktober 1987 festgenommen und in der Zeit vom 13. Oktober 1987 bis zum 20. Oktober 1987 im Polizeigefangenenhaus dieser Behörde angehalten wurde.

b) Die zwangsweise Vorführung zum Strafantritt in Handhabung der Zwangsbefugnis des §53 Abs4 VStG 1950 (in der hier maßgeblichen Fassung vor dem Inkrafttreten der Verwaltungsstrafgesetz-Novelle 1987, BGBl. 516; vgl. nunmehr §54b Abs2 VStG 1950) und die folgende Anhaltung sind in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person gerichtete Verwaltungsakte, die nach Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG beim Verfassungsgerichtshof bekämpft werden können (vgl. VfSlg. 8297/1978, 8679/1979, 8742/1980, 9623/1983).

Die - allein gegen die Anhaltung der Beschwerdeführerin im Polizeigefangenenhaus der Bundespolizeidirektion Wien gerichtete - Beschwerde ist zulässig.

Sie ist jedoch nicht begründet.

2.a) Nach §4 Abs1 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit, dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt eine Person "in den vom Gesetz bestimmten Fällen" in Verwahrung nehmen.

b) Nach §54 VStG 1950 (in der hier maßgeblichen Fassung vor dem Inkrafttreten der Verwaltungsstrafgesetz-Novelle 1987) darf - unter anderem - an Personen, die geisteskrank sind, eine Freiheitsstrafe, solange dieser Zustand dauert, nicht vollstreckt werden.

Wäre die Anhaltung der Beschwerdeführerin im Polizeigefangenenhaus der Bundespolizeidirektion Wien ungeachtet einer bei ihr vorliegenden Geisteskrankheit und somit entgegen der Vorschrift des §54 VStG 1950 erfolgt, so wäre die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden (vgl. zB VfSlg. 8642/1979, 8770/1980; siehe etwa auch VfSlg. 7015/1973, 7663/1975).

Die Beschwerdeführerin wurde dem Beschwerdevorbringen und dem damit übereinstimmenden Vorbringen in der Gegenschrift der belangten Behörde zufolge nach ihrer Einlieferung in das Polizeigefangenenhaus von einem Amtsarzt der belangten Behörde - mithin von einem Amtssachverständigen - untersucht. Im "Befund und Gutachten" vom 14. Oktober 1987 führt der Sachverständige im wesentlichen folgendes aus:

"Die U. zeitlich, örtlich, zur Person orientiert. Ruhig, wirkt ausgeglichen, situativ angepaßt. Kein Hinweis auf akut psychot. Zustandsbild u. Halluzinosen. Nach Angaben der U. keine laufenden Medikamente. Letzte FA-Konsult. nach eigenen Angaben ca 1 Jahr her. Name des Kollegen nicht erinnerlich."

In einem weiteren, vom Amtsarzt ausgestellten und mit gleichem Datum versehenen Schriftstück wird die Beschwerdeführerin als "haftfähig" beurteilt. Angesichts dieses Gutachtens konnte die belangte Behörde davon ausgehen, daß bei der Beschwerdeführerin keine Anzeichen einer Geisteskrankheit bestanden. Die Vollstreckung der über die Beschwerdeführerin rechtskräftig verhängten Ersatzarreststrafen verstieß daher nicht gegen §54 VStG 1950.

c) Das Beschwerdevorbringen, insbesondere die Sachverhaltsschilderung, auf die sich das Beschwerdebegehren gründet, läßt nicht erkennen, daß die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit aus einem anderen als dem in der Beschwerde allein geltend gemachten Grund - Vollstreckung der über die Beschwerdeführerin rechtskräftig verhängten Ersatzarreststrafen entgegen der Vorschrift des §54 VStG 1950 trotz Geisteskrankheit der Beschwerdeführerin - stattgefunden haben könnte.

d) Die Beschwerdeführerin ist mithin durch ihre Anhaltung im Polizeigefangenenhaus der Bundespolizeidirektion Wien im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt worden.

Die Beschwerde war daher, da die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes weder behauptet wurde noch im Verfahren hervorkam und verfassungsrechtliche Bedenken gegen die angewendeten Rechtsvorschriften nicht entstanden sind, als unbegründet abzuweisen.

3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Vorführung Strafantritt, Verwaltungsstrafrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:B1199.1987

Dokumentnummer

JFT_10109388_87B01199_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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