TE Vwgh Erkenntnis 1992/1/20 91/10/0154

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Veröffentlicht am 20.01.1992
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Index

70/05 Schulpflicht;

Norm

SchPflG 1985 §8 Abs1;
SchPflG 1985 §8a Abs1;
SchPflG 1985 §8a Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Waldner, Dr. Novak und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Mandl, über die Beschwerde des H in G, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Landesschulrates für Steiermark vom 28. Mai 1991, Zl. VIII Fa 1/2-1991, betreffend Entlassung aus der Sonderschule, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Unterricht und Kunst) Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 28. Mai 1991 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 14. September 1990 auf Entlassung seines Sohnes (in der Folge als Schüler bezeichnet) aus der Sonderschule abgelehnt.

In der Begründung dieses Bescheides nahm die belangte Behörde auf Grund der vom Bezirksschulrat als Behörde erster Instanz eingeholten Gutachten jener Allgemeinen Sonderschule, die der Schüler besuchte, eines schulpsychologischen Gutachtens, eines Gutachtens des Amtsarztes sowie der Berichte der Volksschule, in die der Schüler vom 27. November 1990 bis zum Ende des ersten Schulhalbjahres 1990/91 zur Beobachtung aufgenommen wurde, als erwiesen an, daß der Schüler in Deutsch vorbereitete Texte mit wenig Fehlern wiedergeben könne, beim Formulieren von Sätzen und kurzen Aufsätzen jedoch Schwierigkeiten habe. Er zeige gute Lesefertigkeiten; schwierige Texte könnten nicht sinnerfassend gelesen werden. In Mathematik sei er gut mechanisierbar (Einmaleins).

Schwierigkeiten träten beim Wegzählen und beim Rechnen im Zahlenraum über Hundert auf. Das Lösen von einfachen Textaufgaben gelinge nur mit Hilfe. In seinem Arbeitsverhalten übernehme der Schüler übertragene Aufgaben willig, zeige aber keine lange Belastbarkeit und verzage leicht, wenn für ihn Probleme auftreten. Er zeige nur geringes Durchhaltevermögen. Beim eingesetzten Intelligenztest (Hawik-Verbal) zeige der Schüler eine unterdurchschnittliche Gesamtleistung. Dieses Resultat entspreche auch den vorherigen schulpsychologischen Untersuchungen vom 31. Oktober 1986 und vom 2. Dezember 1987; es sei somit in diesem Zeitraum keine positive Veränderung festgestellt worden. Der Schüler zeige bei den Schulleistungen - besonders beim Rechnen - so große Lücken, daß er dem Unterricht in einer 4. Volksschulklasse mit großer Wahrscheinlichkeit nicht folgen werde können. Durch die Beobachtung in der Volksschule würden die Gutachten der Allgemeinen Sonderschule sowie des schulpsychologischen Dienstes bestätigt. Der Schüler entspreche nach

ca. zweimonatiger Beobachtung nicht den Anforderungen der

4. Klasse einer Volksschule. Das Verhalten des Schülers, das am Anfang absolut nicht dem eines 11-jährigen Buben entsprochen habe, habe sich zwar sehr gebessert, nicht aber seine schulischen Leistungen. Der Schüler habe nach wie vor große Schwierigkeiten im Rechnen, besonders bei Divisionen, Sachaufgaben und Umwandlungsaufgaben. Multiplikationen mit gemischten Zehnern schaffe er manchmal. Die Führung seiner Hefte sei ungenau, seine Mitarbeit sei durch Nichtverstehen der Fragen eingeschränkt. Das Lösen von Sachaufgaben falle ihm besonders schwer, da er zwar recht gut lese, das Gelesene aber oft nicht verstehe. Sein Wortschatz sei gering, viele Fremdwörter kenne er nicht. Das Formulieren von Aufsätzen gelinge ihm kaum. Er erfasse bei Bildgeschichten nicht den richtigen Sinn und könne Sätze zu keiner Geschichte verbinden. Auch das Schreiben von Erlebnissen und Berichten sei ihm fast unmöglich. Gut bekannte und geübte Wörter könne er zwar richtig schreiben, bei einem fremden Text schaffe er aber nur Bruchstücke davon. Im Gegenstand Sachunterricht beteilige sich der Schüler selten am Unterrichtsgeschehen. Weiters bewältige er auch die Arbeiten im "Textilen Werken" nicht.

Ärztlicherseits sei gegen den Schulwechsel (Entlassung aus der Sonderschule) zwar kein Einwand vorzubringen, doch sei hieraus für den Standpunkt des Beschwerdeführers nichts zu gewinnen, da die Sonderschulbedürftigkeit im vorliegenden Fall auf Defiziten im psychisch-intellektuellen Bereich beruhe und nicht auf einer körperlichen Behinderung. Zusammenfassend ergebe sich, daß der Schüler nach wie vor sonderschulbedürftig sei. Er weise eine unterdurchschnittliche kognitive Entwicklung auf; wie aus den eingeholten Gutachten und Berichten hervorgehe, könne er auf Grund seiner Rückstände im intellektuellen Bereich (Denken, optische und akustische Wahrnehmungsfähigkeit, Gedächtnis) dem Unterricht an einer Volksschule nicht folgen und sei daher an einer solchen im Sinn des § 8 des Schulpflichtgesetzes psychisch überfordert. Dies wirke sich vor allem im sinnerfassenden Lesen, bei Aufsätzen und vor allem in Mathematik aus.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt im wesentlichen vor, die Annahme einer unterdurchschnittlichen kognitiven Entwicklung des Schülers sei im Hinblick auf seine Leistungen nicht gerechtfertigt. Die schulpsychologische Untersuchung vom 28. September 1990 operiere nur mit Wahrscheinlichkeiten und schließe nicht dezidiert aus, daß der Schüler dem Unterricht in der 4. Volksschulklasse zu folgen vermöge. Mit der Aussage, daß seine Entlassung aus der Allgemeinen Sonderschule "nicht sinnvoll scheine", habe der Gutachter eine Zweifelsentscheidung zu Ungunsten des Schülers getroffen. Die Gutachten berücksichtigten nur Wissensfertigkeiten, nicht aber die Entwicklungsfähigkeiten und das Persönlichkeitsbild des Schülers. Dieser habe in der kurzen Zeit des Besuches der Volksschule enorme Fortschritte erzielt und es erreicht, an das allgemeine Niveau der Volksschule heranzukommen. Die belangte Behörde habe auch den Umstand nicht berücksichtigt, daß der Beschwerdeführer seinen Beruf gerade deshalb gewechselt habe, um mehr Zeit für die Betreuung seines Sohnes zu finden und bei der Hilfestellung bei den schulischen Aufgaben, aber auch bei der Unterstützung in pädagogischen Belangen hilfreich tätig zu werden. Nicht berücksichtigt worden sei auch der Umstand, daß für den Schüler durch die diversen Tests und Prüfungen ein für die Volksschule ungewöhnlicher Prüfungsstreß schon allein dadurch entstanden sei, daß die übrigen Schüler diesen Untersuchungen nicht ausgesetzt gewesen seien. Eine längere Beobachtung und Aufnahme in der Volksschule hätte die Fähigkeiten des Schülers überproportional gefördert, das im Bescheid ausgewiesene Wissensdefizit stark vermindert und den Schüler an das Niveau einer allgemeinen Schule herangeführt. Die von der belangten Behörde herangezogenen Gutachten bezögen sich - mit Ausnahme der Beobachtungsbeschreibung durch die Volksschule vom 17. Dezember 1990 und vom 2. Februar 1991 - alle auf den Zeitraum September und Oktober 1990. Erforderlich gewesen wäre aber eine Begutachtung kurz vor dem Ende des ersten Schulhalbjahres 1990/91. Die belangte Behörde habe auch nicht den vom Beschwerdeführer in seiner Berufung erhobenen Vorwurf entkräften können, wonach ihm zu Unrecht vorgehalten worden sei, seine Stellungnahme vor der Behörde erster Instanz hätte sich auf keinerlei einschlägige Gutachten gestützt. In dieser Aussage sehe der Beschwerdeführer eine unzulässige Abschiebung der behördlichen Aufgabe, Gutachten von Sachverständigen nach Notwendigkeit des Verfahrens einzuholen.

Der Beschwerde muß aus nachstehenden Gründen der Erfolg versagt bleiben:

Nach § 8a Abs. 1 des Schulpflichtgesetzes 1985 (SchPflG) sind Schüler von Sonderschulen, bei denen während der Dauer ihrer allgemeinen Schulpflicht die Voraussetzungen für den Sonderschulbesuch (§ 8 Abs. 1) wegfallen, auf Antrag der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Schülers oder auf Antrag des Leiters der Sonderschule, die das Kind besucht, oder sonst von Amts wegen aus der Sonderschule zu entlassen. Sie haben - abgesehen von dem Fall der Entlassung wegen Schulunfähigkeit - ihre allgemeine Schulpflicht in einer anderen gemäß § 5 in Betracht kommenden Schule zu erfüllen. Erfolgt die Entlassung aus der Sonderschule wegen Schulunfähigkeit, so ist gleichzeitig die Befreiung von der allgemeinen Schulpflicht (§ 15) auszusprechen.

Zuständig zur Entscheidung über die Entlassung aus der Sonderschule ist gemäß § 8a Abs. 2 leg. cit. der Bezirksschulrat, in dessen Bereich die Sonderschule, die das Kind besucht, gelegen ist. Sofern die Entlassung nicht deshalb erfolgt, weil die Zumutbarkeit des Schulweges oder die Möglichkeit der Unterbringung des Schülers in einem geeigneten Schülerheim nicht mehr gegeben ist, hat der Bezirksschulrat zur Feststellung, ob die Voraussetzungen für den Sonderschulbesuch (§ 8 Abs. 1) weggefallen sind, ein Gutachten des Leiters der Sonderschule (Lehrers der Sonderschulklasse), ein schul- oder amtsärztliches Gutachten und mit Zustimmung der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Schülers, jedenfalls aber, wenn vor der Aufnahme in die Sonderschule (§ 8 Abs. 2) ein solches Gutachten eingeholt worden ist, ein schulpsychologisches Gutachten einzuholen. Überdies kann auf Verlangen oder mit Zustimmung der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten das Kind für höchstens fünf Monate in die Volksschule oder die Hauptschule zur Beobachtung aufgenommen werden.

Voraussetzung für den Sonderschulbesuch ist nach § 8 Abs. 1 SchPflG, daß schulpflichtige Kinder infolge physischer oder psychischer Behinderung dem Unterricht in der Volks- oder Hauptschule nicht zu folgen vermögen.

Beweisthema des Verwaltungsverfahrens war somit, ob der Schüler infolge physischer oder psychischer Behinderung dem Unterricht in der Volks- oder Hauptschule nicht zu folgen vermag.

In Ansehung der Beweiswürdigung ist die verwaltungsgerichtliche Prüfungsbefugnis dahingehend beschränkt, ob die Behörde den Sachverhalt genügend erhoben hat und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053).

Im Verwaltungsverfahren wurden die im § 8a Abs. 2 SchPflG vorgesehenen Gutachten eingeholt und auch von der Möglichkeit einer Beobachtungsphase in der Volksschule Gebrauch gemacht. Die Gutachten einschließlich der Berichte über die Beobachtungsphase sind beweisthemabezogen und widersprechen nicht den Denkgesetzen. Das offenbar als Vorwurf einer unrichtigen Beweisthemenwahl zu verstehende Vorbringen des Beschwerdeführers bezüglich der mangelnden Berücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit des Schülers ist daher unberechtigt.

Wenn im schulpsychologischen Gutachten vom 28. September 1990 aus den durchgeführten Tests und den Schulleistungen der Schluß gezogen wird, der Schüler werde dem Unterricht in einer 4. Volksschulklasse mit großer Wahrscheinlichkeit nicht folgen können, so ist das Gutachten deswegen weder unschlüssig noch zu unbestimmt. Es liegt in der Natur eines Gutachtens, dessen Aufgabe eine Prognose über das zukünfte Verhalten und die Entwicklung eines Menschen auf Grund seines Ist-Zustandes ist, daß eine solche Prognose nicht mit absoluter Sicherheit erstellt werden kann, zumal schon die Ermittlung des Ist-Zustandes an Grenzen stößt. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Tatsache bereits dann als erwiesen anzusehen, wenn für sie eine größere Wahrscheinlichkeit spricht als für den Eintritt anderer Tatsachen (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. November 1986, Zl. 85/16/0109; vom 12. Februar 1987, Zl. 81/08/0035 u.a.); ähnlich auch Slg. 11935/A zum Schulrecht. Die Aussage des Gutachters, eine Entlassung aus der allgemeinen Sonderschule scheine zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sinnvoll, ist keine Entscheidung, die im Zweifel zu Ungunsten des Schülers gefällt wurde. Vielmehr hat sich der Gutachter durchaus im Rahmen seiner Aufgabe als Sachverständiger gehalten.

Für eine neuerliche Begutachtung des Schülers vor Ende seines Beobachtungszeitraumes in der Volksschule bestand kein Anlaß, da die Berichte der Volksschule die Prognose des schulpsychologischen Gutachtens und der Gutachten des Leiters der Allgemeinen Sonderschule voll bestätigten.

Unverständlich ist der Hinweis des Beschwerdeführers, der Schüler sei in der Volksschule durch diverse Tests und Prüfungen, die andere nicht zu absolvieren gehabt hätten, einer besonderen Belastung ausgesetzt gewesen. Aus dem gesamten Akteninhalt ist nicht ersichtlich, daß der Schüler während der Beobachtungsphase an der Volksschule anderen Formen der Leistungsfeststellung unterworfen worden wäre als die übrigen Schüler der Klasse.

Den Berichten der Volksschule ist zu entnehmen, daß sich nach zweimonatiger Beobachtungszeit zwar das Verhalten, nicht aber die Leistungen des Schülers gebessert haben. Für die Schulbehörde bestand angesichts dieses Sachverhaltes kein Anlaß, die Beobachtungsphase zu verlängern. Aus dem selben Grund war auch der Berufswechsel des Beschwerdeführers kein Anlaß für eine Entlassung des Schülers aus der Sonderschule.

Zutreffend hat die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides darauf hingewiesen, daß jene Passage im erstinstanzlichen Bescheid, wo davon die Rede ist, daß sich die Stellungnahme des Beschwerdeführers auf keinerlei einschlägige Gutachten stützt, nicht aussagt, es seien weitere Gutachten erforderlich gewesen, sondern daß es sich dabei lediglich um eine Aussage zur Beweiswürdigung handelte, um zu begründen, warum nach Auffassung der Behörde den Aussagen der Gutachten ein größeres Gewicht beizumessen sei als der vom Beschwerdeführer eingebrachten Stellungnahme.

Die Beschwerde erweist sich insgesamt als nicht begründet und ist daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991100154.X00

Im RIS seit

20.01.1992
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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