TE Vwgh Erkenntnis 1992/2/20 91/19/0320

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Veröffentlicht am 20.02.1992
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §18 Abs4;
AVG §38;
AVG §69 Abs1 litc;
VwGG §28 Abs1 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der S-Gesm.b.H. in I, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 18.9.1991, Zl. IV-8017/1989/Geb, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens nach § 39 Mietrechtsgesetz (mitbeteiligte Partei: X-Gesm.b.H., R, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in I), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid vom 26. Februar 1990 wies die belangte Behörde gemäß § 39 Mietrechtsgesetz-MRG, BGBl. Nr. 520/1981, den Antrag der am verwaltungsgerichtlichen Verfahren mitbeteiligten Partei (mP) vom 23. Oktober 1989 auf Feststellung der Höhe des angemessenen Hauptmietzinses für das von der nunmehrigen Beschwerdeführerin gemietete Lagerhaus I, N-Straße, samt Lagerfläche aufgrund einer Unternehmensveräußerung nach § 12 Abs. 3 MRG ab.

In sachverhaltsmäßiger Hinsicht führte die belangte Behörde aus, daß die Y-registrierte Genossenschaft m.b.H. die im Eigentum der mP befindliche Liegenschaft, bestehend aus einem ca. 500 m2 großen Lagerhaus sowie einer ca. 2.200 m2 großen Lagerfläche, mit Mietvertrag vom 28. Dezember 1973 vom Rechtsvorgänger der mP gemietet habe. Mit Schreiben vom 26. September 1989 habe die Beschwerdeführerin der mP mitgeteilt, mit Wirkung von Oktober 1989 das Unternehmen Y-registrierte Genossenschaft m.b.H. übernommen zu haben und dieses im Mietgegenstand N-Straße weiterbetreiben zu wollen. Die mP begehre daher von der belangten Behörde die Feststellung der Höhe des angemessenen Hauptmietzinses zufolge Unternehmensveräußerung nach § 12 Abs. 3 MRG.

Nach Lehre und Rechtsprechung sei als Veräußerung des Unternehmens im Sinne dieser Vorschrift die Eigentumsübertragung durch Einzelrechtsnachfolge zu verstehen; nicht darunter falle u.a. jede Form der Gesamtrechtsnachfolge. Die im Gegenstand vorliegenden schriftlichen Beweisunterlagen zeigten, daß es sich einerseits um die Fortführung der Genossenschaft in einer anderen Rechtsform, anderseits um eine Gesamtrechtsnachfolge durch die Beschwerdeführerin handle. Die Anwendung des § 12 Abs. 3 MRG sei somit ausgeschlossen.

Dieser Bescheid ist nach der Aktenlage in Rechtskraft erwachsen.

2. Mit an die belangte Behörde gerichteter Eingabe vom 17. Juli 1991 stellte die mP den Antrag, es wolle das durch die Entscheidung vom 26. Februar 1990 (oben I.1.) geschlossene Verfahren wieder aufgenommen und ein angemessener Mietzins im Sinne des § 12 Abs. 3 MRG festgestellt werden.

Zur Begründung ihres Antrages führte die mP aus, daß sie im Hinblick auf die unangefochten gebliebene Entscheidung vom 26. Februar 1990 in einem Kündigungsverfahren (wegen unerlaubter Weitergabe des Mietobjektes) gegen die Beschwerdeführerin (richtig: die Y-registrierte Genossenschaft m.b.H.) beim Bezirksgericht Innsbruck vorgegangen sei. Im Zuge dieses Verfahrens habe sich herausgestellt, daß die belangte Behörde die Vorfrage, ob eine Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge bei der Beschwerdeführerin vorliege, offensichtlich falsch gelöst habe. Die mP habe den gerichtlichen Instanzenzug ausgeschöpft; in diesem habe sich ergeben, daß entgegen der Ansicht der belangten Behörde sehr wohl ein Unternehmensübergang gemäß § 12 Abs. 3 MRG stattgefunden habe. Die belangte Behörde hätte daher richtigerweise auch die Angemessenheit des Mietzinses feststellen müssen. Es würden der Behörde das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 10. Juli 1990, das Berufungsurteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 5. Dezember 1990, die außerordentliche Revision vom 25. April 1991 sowie die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes über die Unzulässigkeit der außerordentlichen Revision vom 6. Juni 1991 zur Kenntnisnahme beigelegt. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens werde mithin innerhalb offener Frist gestellt.

3. Über diesen Antrag entschied die belangte Behörde mit Bescheid vom 18. September 1991 dahin, daß gemäß § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG das Verfahren betreffend die Feststellung des angemessenen Hauptmietzinses für das von der Beschwerdeführerin gemietete Lagerhaus I, N-Straße, samt Lagerfläche aufgrund Unternehmensveräußerung nach § 12 Abs. 3 MRG wiederaufgenommen werde.

Begründend führte die belangte Behörde aus, daß nach ihrer Entscheidung vom 26. Februar 1990 das Bezirksgericht Innsbruck die von der mP als Klägerin eingebrachte Kündigung bzw. das Räumungsbegehren gegen die Beschwerdeführerin (richtig: die Y-registrierte Genossenschaft m.b.H.) als Beklagte abgewiesen habe. Das Landesgericht Innsbruck habe der dagegen eingebrachten Berufung nicht Folge gegeben. Die dagegen erhobene außerordentliche Revision sei vom Obersten Gerichtshof zurückgewiesen worden. Sowohl das Bezirks- als auch das Landesgericht hätten in ihren Entscheidungsgründen dargetan, daß die auf § 30 Abs. 2 Z. 4 MRG (Weitergabe des Mietgegenstandes) gestützte Kündigung u.a. deshalb nicht gerechtfertigt sei, weil sehr wohl ein Unternehmensübergang nach § 12 Abs. 3 MRG stattgefunden habe. Der von der belangten Behörde vertretenen Rechtsmeinung, daß beim Unternehmensübergang eine Gesamtrechtsnachfolge stattgefunden habe, könne nicht gefolgt werden.

Auf den vorliegenden Fall treffe der Wiederaufnahme-Tatbestand des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG zu. Die Entscheidung der belangten Behörde vom 26. Februar 1990 sei im wesentlichen davon ausgegangen, daß eine Gesamtrechtsnachfolge und nicht ein Unternehmensübergang nach § 12 Abs. 3 MRG stattgefunden habe. Da das Gericht über diese Vorfrage gegenteilig entschieden habe, sei dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stattzugeben gewesen.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend machende Beschwerde, mit dem Begehren, aus diesem Grund den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.

5. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt. Auch die mP hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Antrag stellt, die Beschwerde "wegen Verspätung als unzulässig zurückzuweisen", in eventu, der Beschwerde keine Folge zu geben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Im Hinblick auf einen diesbezüglichen Einwand der mP ist zunächst zu prüfen, ob die Beschwerde unzulässig oder verspätet ist. Die Beschwerde richte sich gegen den Stadtmagistrat Innsbruck als Behörde. In der gegenständlichen Rechtssache stelle der Stadtmagistrat lediglich einen dem Bürgermeister als Behörde zur Verfügung stehenden "Beamtenapparat" dar. Die Beschwerde richte sich daher gegen eine "falsche belangte Behörde". Eine diesbezügliche Richtigstellung sei nicht möglich. Die Beschwerdeführerin habe somit die Frist zur Einbringung der Beschwerde gegen die "zuständige Behörde" versäumt.

1.2. Dieser Argumentation vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht beizupflichten. Unbestritten ist, daß der dem Wiederaufnahmeantrag der mP stattgebende Bescheid vom 18. September 1991 vom Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck (näherhin: in seinem Auftrag vom zuständigen Abteilungsleiter) erlassen worden ist. Indem die Beschwerdeführerin ihrer Beschwerde den von ihr bekämpften Bescheid vom 18. September 1991, der die Fertigungsklausel:

"Für den Bürgermeister: Der Abteilungsleiter: Im Auftrag:

Geiger eh. Oberamtsrat" sowie das Amtssiegel "Landeshauptstadt Innsbruck" trägt, anschloß, hat sie in einer für den Verwaltungsgerichtshof zu keinen Zweifeln Anlaß bietenden Weise zu erkennen gegeben, wogegen sich ihre Beschwerde richtet, mithin auch, welche Behörde von ihr als belangte Behörde angesehen wird. Von daher gesehen, kommt der mißverständlichen Bezeichnung im Beschwerdeschriftsatz ("Stadtmagistrat Innsbruck") keine entscheidende Bedeutung zu. Die vorliegende Beschwerde erweist sich demnach weder als unzulässig noch als verspätet.

Es ist somit in die meritorische Behandlung der Beschwerde einzutreten.

2.1. Die Beschwerde vertritt die Ansicht, die belangte Behörde hätte den Wiederaufnahmeantrag zurückweisen müssen, weil er keine entsprechenden Angaben über die Rechtzeitigkeit der Antragstellung enthalte.

2.2. Dieses Vorbringen ist nicht zielführend. Aus der dem Wiederaufnahmeantrag vom 17. Juli 1991 beigegebenen Begründung (siehe oben I.2.), insbesondere der Bezugnahme auf die dem Antrag angeschlossenen gerichtlichen Entscheidungen, deren jüngste, nämlich die des Obersten Gerichtshofes vom 6. Juni 1991, laut Eingangsstampiglie am 16. Juli 1991 beim Rechtsvertreter der mP eingelangt war, sowie der daran anschließenden Wendung, daß "daher" der Antrag "innerhalb offener Frist" gestellt werde, ergibt sich, daß im Antrag ausreichende Angaben über die Rechtzeitigkeit des Begehrens, welches ausdrücklich auf den "Vorfragentatbestand" gestützt ist, gemacht wurden.

3.1. Gemäß § 69 Abs. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und (Z. 3) der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.

3.2. Unter Berufung auf diesen Tatbestand hat die belangte Behörde, der Auffassung der mP folgend, dem Wiederaufnahmeantrag stattgegeben und das mit dem rechtskräftigen Bescheid vom 26. Februar 1990 abgeschlossene Verfahren wiederaufgenommen. Dies zu Unrecht. Entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde handelt es sich bei der von ihr als Vorfrage zu beurteilenden Frage, ob der Übergang des Unternehmens der Y-registrierte Genossenschaft m.b.H. auf die Beschwerdeführerin eine Gesamtrechtsnachfolge oder eine Unternehmensveräußerung im Sinne des § 12 Abs. 3 MRG darstelle, nicht um eine solche, die vom Gericht als Hauptfrage - in Form eines rechtsfeststellenden oder eines rechtsgestaltenden Abspruches - entschieden wurde. Gegenstand des rechtsverbindlichen Abspruches des Gerichtes und damit dessen Hauptfragen-Entscheidung war vielmehr erstens die Aufhebung einer gerichtlichen Aufkündigung und zweitens die Abweisung des Räumungsbegehrens der mP betreffend das Bestandobjekt N-Straße. Daß das Gericht für seine Entscheidung vorweg die Beantwortung der besagten Frage für wesentlich hielt und letztere in den Entscheidungsgründen rechtlich anders beurteilte als die belangte Behörde in ihrem Bescheid vom 26. Februar 1990, ließ diese Beurteilung nicht zur Entscheidung in der Hauptfrage (oder auch nur zu einem Bestandteil derselben) werden.

Da unter einer Vorfrage im Sinne der §§ 38 und 69 Abs. 1 Z. 3 AVG eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen ist, über die als HAUPTfrage - rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend - u.a. von einem Gericht zu entscheiden ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1981, Slg. Nr. 10.383/A), das Gericht aber, wie dargetan, über die von der belangten Behörde als Vorfrage zu beurteilende Frage nicht (spruchmäßig und damit für die belangte Behörde bindend) als Hauptfrage entschieden hat, ist im Beschwerdefall der Wiederaufnahmetatbestand des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG nicht verwirklicht.

4. Da nach dem Gesagten die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß Stempelgebühren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung lediglich in der Höhe von S 540,-- zu entrichten waren.

Schlagworte

Behördenbezeichnung AmtssiegelFertigungsklausel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991190320.X00

Im RIS seit

20.02.1992

Zuletzt aktualisiert am

11.08.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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