TE Vwgh Erkenntnis 1992/3/24 87/08/0089

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.03.1992
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
82/04 Apotheken Arzneimittel;

Norm

ApG 1907 §10 Abs1 idF 1984/502;
ApG 1907 §10 Abs2 idF 1984/502;
ApG 1907 §10 Abs2 Z1 lita;
ApG 1907 §10 Abs3;
ApG 1907 §10;
ApG 1907 §29 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde 1. der Mag.pharm. E in W und 2. des Mag.pharm. R in S, beide vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in Z, gegen den Bescheid des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom 27. Februar 1987, Zl. IV-245.223/3-4/87, betreffend Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke durch den Mitbeteiligten in NN (mitbeteiligte Partei: Mag.pharm. G in I, vertreten durch Dr. XY, Rechtsanwalt in I), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund (Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz) Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom 10. Juni 1985 erteilte der Landeshauptmann von Tirol dem Mitbeteiligten gemäß den §§ 9 und 51 des Apothekengesetzes, RGBl. Nr. 5/1907 in der Fassung BGBl. Nr. 502/1984 (im folgenden: ApG), die Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke mit dem Standort in NN.

Die Beschwerdeführer erhoben Berufung wegen mangelnden Bedarfes und Existenzgefährdung. Im Zuge des vom Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz durchgeführten ergänzenden Ermittlungsverfahrens gab der Mitbeteiligte als künftige Betriebsstätte ein Grundstück in der Mitte der Dorfstraße in NN bekannt.

1.2. Mit Bescheid vom 27. Februar 1987 gab der Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz diesen Berufungen nicht Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, daß der Standort "Ortschaft NN" laute und die künftige Betriebsstätte auf einem Grundstück in der Mitte der Dorfstraße im Ortskern von NN in Aussicht genommen sei.

Wie sich aus der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides ergibt, beträgt die Entfernung zu den nächsten öffentlichen Apotheken 4 km (W) bzw. 8 km (S).

Nach der Begründung des Bescheides des Bundesministers betreffend die Bedarfsfrage wohnten zufolge des Erhebungsberichtes des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 5. Februar 1987 im Umkreis von vier Straßenkilometern, gemessen von der künftigen Betriebsstätte der beantragten öffentlichen Apotheke in NN: In der Gemeinde NN 1.313, in AA 341, in K 1178, in KB 511, in T 695 und in BB 181, zusammen also

4.219 Personen. In diesen Gemeinden befänden sich insgesamt 250 Zweitwohnungsbesitzer. Die Anzahl der Berufs-Auspendler betrage für die genannten Gemeinden 573 Pendler. Die Fremdennächtigungszahl in diesem Raum betrage im Durchschnitt der letzten Jahre 229.360 Nächtigungen pro Jahr.

In den genannten Einwohnerzahlen für T, AA und BB seien nur die innerhalb der "4-km-Zone" lebenden Personen angeführt worden. Die Gemeinde T weise aber insgesamt eine Einwohnerzahl von 1.692 Personen auf. Die nächsten öffentlichen Apotheken befänden sich jedoch in der von T 9,5 km entfernten Bezirksstadt S bzw. in der Marktgemeinde W in einer Entfernung von 6 km. Das bedeute, daß zu den im Umkreis von 4 km wohnenden Personen weitere Einwohner dieser Gemeinde als "zu versorgende Personen" im Sinne des § 10 Abs. 2 ApG hinzugerechnet werden müßten, da ihre medikamentöse Versorgung durch die neu zu errichtende öffentliche Apotheke in NN wesentlich günstiger erfolge als durch die Apotheken in W und S, da die Entfernung der Betriebsstätte in NN von der Gemeinde T nur 2,5 km betrage. Das gleiche gelte auch für die Gemeinde AA, die ebenfalls durch die 4-km-Messung halbiert werde. Diese Gemeinde habe

1.700 Einwohner. Die nächste öffentliche Apotheke befinde sich in der 9 km entfernten Bezirksstadt S bzw. in der 8,4 km entfernten Marktgemeinde W. Die Entfernung AA - NN betrage hingegen lediglich 3,4 km, wobei die Straße ganzjährig befahrbar sei. Auf der Fahrt von AA nach W kämen die Patienten durch die Gemeinde NN, den Standort der in Aussicht genommenen neuen Apotheke. Die außerhalb der 4-km-Zone zu versorgenden Personen von AA und T seien nach NN orientiert. Es wäre geradezu widersinnig, die Einwohner der Ortskerne von AA und T zum Einzugsgebiet der Apotheke in NN zu zählen, die weiter entfernten Bewohner dieser Gemeinde jedoch weiterhin zum Einzugsbereich der Apotheken von S und W. Lediglich bei der Gemeinde BB sei der Großteil der Bevölkerung bei einer Gesamteinwohnerzahl von 743 zur öffentlichen Apotheke in S orientiert und nur ein geringer Teil, nämlich die oben angeführten 181 Einwohner hätten näher nach NN.

Es ergebe sich daher folgende Aufstellung über die zu versorgenden Personen:

                           Gemeinde T  Gemeinde AA

Gesamteinwohnerzahl            1.692           1.700

Personen in der

4-Kilometer-Zone                 695             341

weitere zu versorgende

Personen                         997           1.359

Einwohner der 4-Kilometer-Zone

aller Orte                                              4.219

dazu aus T                                          997

dazu aus AA                                             1.359

INSGESAMT "ZU VERSORGENDE PERSONEN"                     6.575

Zu dieser Zahl seien jedoch noch die Zweitwohnungsbesitzer und anteilsmäßig die Fremdenverkehrsnächtigungen sowie die Pendler hinzuzurechnen.

In Ansehung des Wortlautes des § 10 Abs. 2 sei in jedem Fall davon auszugehen, daß sich die Anzahl der für die Bedarfsbeurteilung heranzuziehenden "zu versorgenden Personen" aus der Wohnbevölkerung, insbesondere den ständigen Einwohnern, und anderen Personengruppen (§ 10 Abs. 2 zweiter Satz ApG:

Berücksichtigung der Lebensverhältnisse, des Verkehrs, der Gewerbebetriebe etc.) zusammensetze. Der für die Bedarfsbeurteilung maßgebliche Begriff der zu versorgenden Personen liege auch dem § 10 Abs. 2 Z. 1 lit. a ApG zugrunde. Demgemäß sei auch hier zu unterscheiden zwischen der Wohnbevölkerung und anderen zu versorgenden Personengruppen. Grundstock der gemäß Z. 1 lit. a "innerhalb eines Umkreises von 4 Straßenkilometern" zu versorgenden Personen sei daher zweifellos die innerhalb dieses Umkreises lebende Wohnbevölkerung. Allerdings bestehe die Gruppe der zu versorgenden Personen nicht nur aus der Wohnbevölkerung.

Einerseits werde nun die im Umkreis von 4 Straßenkilometern wohnhafte Bevölkerung dann nicht als "zu versorgende Personen" qualifiziert werden können, als und insoweit sie von einer bereits bestehenden öffentlichen Apotheke besser und bequemer mit Arzneimitteln versorgt werden könne. Dieser Teil der Bevölkerung (innerhalb eines Umkreises von 4 km) dürfe auf die erforderlichen 5.500 Personen nicht angerechnet werden. Andererseits müßten unter Umständen auch andere Personengruppen außerhalb des 4-km-Umkreises, sofern sie zufolge der Lebensverhältnisse, der Verkehrssituation, der ärztlichen Versorgungslage usw. als von der neuen Apotheke "zu versorgende Personen" anzusehen seien, berücksichtigt werden. Dies gelte jedoch nur dann, wenn einwandfrei feststehe, daß deren Versorgung nicht zweckmäßigerweise anderweitig erfolge.

Es könne daher der gemäß § 10 Abs. 2 Z. 1 lit. a ApG genannte Personenkreis nicht derart eng ausgelegt werden, daß jene Personen der Gemeinden T und AA, die mangels sonstiger Arzneimittelverabreichungsstellen notwendigerweise die neu zu errichtende öffentliche Apotheke aufsuchen würden, nicht zu dem zu versorgenden Personenkreis zu zählen wären. Hingegen sei von der Gemeinde BB nur ein Teil der Wohnbevölkerung als zu versorgender Personenkreis anzusehen, da entfernungsmäßig durch die öffentliche Apotheke in S eine bessere Arzneimittelversorgung erfolge. Ebenso würden Einwohner von W nicht berücksichtigt, wenn auch der östliche Teil von W in den 4-km-Bereich falle, weil diese Marktgemeinde selbst über eine öffentliche Apotheke verfüge. Der Bedarf sei daher zu bejahen.

Das in der Frage der Existenzgefährdung der Apotheken der beschwerdeführenden Parteien eingeholte Gutachten der österreichischen Apothekerkammer vom 12. November 1986 gliedert sich in drei Teile (Allgemeines, Befund, Gutachten) und entspricht in der Darstellung der Rechtslage sowie in der Methode der Berechnungen vollkommen jenem Gutachten, welches Gegenstand der Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1987, Zl. 87/08/0053 = ZfVB 1987/4/1539, war. Der Apothekenumsatz der Erstbeschwerdeführerin wird für 1985 mit 14,284 Mio S, jener des Zweitbeschwerdeführers mit 20,988 Mio S angegeben. Im letztgenannten Apothekenumsatz ist ein Hausapothekenumsatz von 1,398 Mio S enthalten.

Der Bundesminister, so heißt es in der Begründung des Bescheides weiter, folge dem vollständigen und schlüssigen Gutachten der österreichischen Apothekerkammer und könne keine Existenzgefährdung erblicken. Einerseits habe die Rezeptzählung einen laut Gutachten zu vernachlässigenden Wert eines Umsatzrückganges von 4,6 % bzw. 5 % für W bzw. S ergeben, andererseits lägen die Umsätze der Apotheken so hoch, daß selbst ein sehr erheblich höherer prognostizierter Umsatzverlust die Existenzfähigkeit dieser Nachbarapotheken nicht tangiert hätte. Der 6 %ige Ausfall des Hausapothekenumsatzes des Zweitbeschwerdeführers infolge der zu gewärtigenden Zurücknahme der ärztlichen Hausapotheke in NN sei gleichfalls irrelevant; Personen, die bis dahin ihre Medikamente in der Hausapotheke in NN besorgt hätten, würden diese künftig in der öffentlichen Apotheke in NN beziehen.

1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit geltend gemacht wird. Die Beschwerdeführer erachten sich in ihrem Recht auf gesetzmäßige Prüfung des Bedarfes und der Existenzgefährdung ihrer Apotheken als verletzt.

1.4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. § 10 Abs. 1 und 2 ApG (in der Fassung vor der Apothekengesetznovelle 1990) lauteten:

"§ 10. (1) Die Konzession für eine neu zu errichtende Apotheke ist zu erteilen, wenn

1.

in der Gemeinde des Standortes der Apotheke ein Arzt seinen ständigen Berufssitz hat,

2.

ein Bedarf für eine Apotheke besteht und

3.

durch die Neuerrichtung die Existenzfähigkeit bestehender öffentlicher Apotheken nicht gefährdet wird.

(2) Bei der Prüfung des Bedarfes sind insbesondere die Anzahl der zu versorgenden Personen unter Berücksichtigung der ständigen Einwohner und die Entfernung zur nächstgelegenen Apotheke zu berücksichtigen. Ferner sind die Lebensverhältnisse der Bevölkerung sowie der Verkehr im Standort und in der Umgebung, die vorhandenen Krankenanstalten, Heime, Schulen und Erziehungsanstalten, größere gewerbliche und industrielle Betriebe, der Umfang des Geschäftsbetriebes der im Standort und in der Umgebung bestehenden öffentlichen Apotheken sowie deren Turnusdienst in Betracht zu ziehen. Ein Bedarf ist jedenfalls nicht anzunehmen, wenn

1. a) in Orten, in denen keine öffentliche Apotheke besteht, die Zahl der in einem Umkreis von vier Straßenkilometern von der künftigen Betriebsstätte der Apotheke zu versorgenden Personen weniger als 5.500 beträgt oder

..."

2.2.1. In der Beschwerde wird die Auffassung vertreten, daß von der Mindestanzahl von 5.500 Personen der Großteil in dem Ort, in dem die Apotheke errichtet werden soll, ansässig sein müsse; als Großteil seien zumindest 2.751 Personen zu verstehen. Diese Zahl werde von der Standortgemeinde NN nicht einmal zur Hälfte erreicht. Dieser Standort scheide mit seinen

1.313 Einwohnern von vornherein aus. Wenn die Behörde darauf Bezug nehme, daß die Gemeinden NN und K bereits zusammengewachsen seien, so sei darauf zu verweisen, daß das ApG von der Gemeinde im Singular spreche.

2.2.2. Bei der Auslegung des negativen Bedarfskriteriums nach § 10 Abs. 2 Z. 1 lit. a ApG ist zunächst das Verhältnis der Ortsgrenzen zu den Grenzen der 4-km-Zone zu klären. Da der 4-km-Umkreis im ländlichen Gebiet in aller Regel über den "Ort" hinausragen wird, kann nicht angenommen werden, es käme auf die 4-km-Zone nur innerhalb des Ortes an und die Ortsgrenzen bildeten die äußerste Grenzlinie. Auch scheidet eine Auslegung aus, die die Ortsgrenze für die überwiegende Zahl der Einwohner als maßgebend ansieht und eine Ergänzung auf 5.500 Personen nur aus der 4-km-Zone zuließe; diesfalls hätte es etwa heißen müssen: Erforderlich seien 5.500 Personen im Ort einschließlich der aus der 4-km-Zone zu versorgenden Personen. Eine solche, die Bedachtnahme auf ein Einfließen aus der Umgebung der 4-km-Zone ausschließende Regelung war aber weder intendiert noch wäre sie mit dem Wortlaut vereinbar. Entscheidend ist somit die 4-km-Grenze (vgl. dazu PUCK, Die Prüfung des Bedarfes bei öffentlichen Apotheken, Winkler-FS, 226). Das gilt auch für den Fall, daß die 4-km-Zone einen anderen Ort umschließt oder in einen solchen anderen Ort hineinragt.

Unter den "in einem Umkreis von vier Straßenkilometern von der künftigen Betriebsstätte der Apotheke zu versorgenden Personen" dürfen nicht schlechthin alle potentiellen Kunden der neuen Apotheke verstanden werden, sondern aus dieser Personengruppe nur jene, die eine besondere räumliche Nahebeziehung (im 4-km-Umkreis) zur neuen Apotheke haben. Dazu zählen primär die ständigen, im 4-km-Umkreis der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neuen Apotheke wohnenden Personen, sofern sie auch unter Bedachtnahme auf die im § 10 Abs. 2 zweiter Satz ApG genannten Umstände ihren Heilmittelbedarf voraussichtlich in der neuen Apotheke und nicht in den schon bestehenden Apotheken und weiter bestehenden Hausapotheken decken werden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 1990, Zl. 88/08/0257 = ZfVB 1990/5/2058).

Aus diesen Erwägungen erweist sich die Rechtsauffassung der beschwerdeführenden Parteien, daß der Großteil der erforderlichen 5.500 Personen, das seien 2.751 Personen, im Ort, in dem die künftige Betriebsstätte liegen soll, ansässig sein müsse, als unzutreffend. Maßgebend ist, daß die überwiegende Zahl der potentiellen Kunden im "4-km-Umkreis" von der künftigen Betriebsstätte wohnt.

Der Standort NN scheidet nicht deswegen als Apothekenstandort aus, weil er nur 1.313 ständige Einwohner aufweist.

2.3.1. In der Beschwerde heißt es hinsichtlich der Ortschaft BB, daß dessen Bevölkerung nicht nach NN, sondern in die entgegengesetzte Richtung nach S tendiere, dies einerseits im Hinblick auf die geringere Entfernung von BB nach S (als von BB nach NN) und andererseits im Hinblick auf die unvergleichliche Infrastruktur der Bezirkshauptstadt S.

2.3.2. Die Beschwerdeführer berücksichtigen bei ihrem Einwand nicht, daß die belangte Behörde aus BB nur jene 181 Einwohner als potentielle Kunden der neuen Apotheke in NN gewertet hat, die innerhalb der 4-km-Zone von der in Aussicht genommenen Betriebsstätte wohnhaft sind. Die belangte Behörde hat durchaus zutreffend gesehen, daß der Großteil der Bevölkerung von BB - bei einer Gesamteinwohnerzahl von 743 - zur öffentlichen Apotheke in S tendiert und nur ein geringer Teil näher nach NN hat, nämlich die angeführten 181 Einwohner. Es ist in einem solchen Fall hinsichtlich der 181 Personen durchaus zutreffend, auf die Entfernungen abzustellen und andere Gesichtspunkte, wie die "unvergleichliche Infrastruktur der Bezirkshauptstadt S" hintanzustellen.

2.4.1. In der Beschwerde heißt es weiters, die Einwohner von AA seien nicht nach NN orientiert. Die Hauptverkehrsstraße von der Gemeinde AA ins Tal führe nach BB. Dort verkehre viermal täglich ein Linienbus. Die vor einigen Jahren neu angelegte Verbindungsstraße zwischen NN und AA sei steil und gefährlich und im Winter zwar befahrbar, dies jedoch mit deutlich höherem Risiko und Aufwand. Daß diese neue Straßenverbindung nebensächlichen Charakter habe, beweise die Tatsache, daß dort kein öffentliches Verkehrsmittel fahre. Die Haupt-, Berufs- und AHS-Schüler führen mit dem Schulbus nach S. Für den Pkw-Fahrer sei die 3,4 km lange Straßenverbindung von AA nach NN lediglich in der schneefreien Zeit uneingeschränkt benützbar, im Winter häufig nur mit Schneeketten oder Spezialfahrzeugen. Die Bevölkerung von AA sei daher nach S orientiert, welches mit öffentlichen Verkehrsmitteln direkt erreichbar sei, während man zur Erreichung von NN in BB das öffentliche Verkehrsmittel wechseln müsse.

2.4.2. Zutreffend gehen auch die Beschwerdeführer davon aus, daß zusätzlich zu den ständigen Einwohnern der 4-km-Zone nach § 10 Abs. 2 erster Satz ApG noch andere potentielle, außerhalb des 4-km-Umkreises ständig wohnende Apothekenkunden berücksichtigt werden müssen; wegen der territorialen Beschränkung nach § 10 Abs. 2 Z. 1 lit. a ApG aber nicht schlechthin alle, sondern nur solche, die durch bestimmte, im § 10 Abs. 2 zweiter Satz ApG beispielsweise genannte Umstände und Einrichtungen veranlaßt werden, in den 4-km-Umkreis einzufluten und anläßlich dieses Einfließens voraussichtlich ihren Heilmittelbedarf in der neuen Apotheke decken werden (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 22. Mai 1990, Zl. 88/08/0257 = ZfVB 1990/5/2058).

Der Verwaltungsgerichtshof erachtet es nun im vorliegenden Fall nicht für rechtswidrig, wenn die belangte Behörde das Schwergewicht ihrer Überlegungen auf die Verkehrsverhältnisse im Standort und in der Umgebung, nämlich auf den Umstand einer wesentlich kürzeren und direkten Verbindung zwischen NN und AA gelegt hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in Auslegung des Begriffes "Straßenkilometer" im § 29 Abs. 1 ApG ausgeführt, zum Begriffsinhalt des Terminus "Straßen" im zusammengesetzten Wort "Straßenkilomter" gehöre die damit verbundene Vorstellung von einer typischen Benützbarkeit, die den Kraftfahrverkehr miteinschließt, wobei im Hinblick auf die dauerhafte Gewährleistung der Arzneimittelversorgung zu Recht auf die grundsätzliche Ganzjährigkeit der Befahrbarkeit abgestellt wird (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. März 1988, Zl. 87/08/0330 = ZfVB 1988/5/1739, und vom 10. November 1988, Zl. 87/08/0110 = ZfVB 1989/5/1398). Derselbe Begriffsinhalt liegt dem § 10 Abs. 2 Z. 1 lit. a ApG zugrunde.

Die belangte Behörde hat die ganzjährige Befahrbarkeit der direkten Verbindungsstraße von NN nach AA als erwiesen angenommen. Auch die Beschwerdeführer sprechen in ihrer Beschwerde davon, daß diese Straße "steil und gefährlich und im Winter zwar befahrbar ist, dies jedoch mit deutlich höherem Risiko und Aufwand"; zeitweise sei die Strecke nur mit Schneeketten oder Spezialfahrzeugen befahrbar. Wenn somit eine ganzjährige, direkte Straßenverbindung zwischen NN und AA von ca. 3,4 km Länge besteht und eben diese Straßenverbindung schon für die Einbeziehung von Teilen von AA in die 4-km-Zone, gemessen von der Betriebsstätte in NN, bestimmend war, dann muß dieselbe Erwägung auch für die weiter entfernt wohnenden Einwohner von AA gelten, ist doch typischerweise davon auszugehen, daß diese zunächst den praktischen Arzt, der innerhalb der besagten 4-km-Zone seine Ordination hat, konsultieren und von dort die öffentliche Apotheke aufsuchen werden. Während die geplante Apotheke des Mitbeteiligten in NN 3,4 Straßenkilometer (vom Ortszentrum) von AA entfernt liegt, betragen die Entfernungen von AA zu den Apotheken der Beschwerdeführer in W und in S 8,4 km bzw. 9 km. Bei dieser ganzjährig befahrbaren Straßenerschließung der Gemeinde AA von NN herauf fällt angesichts des bestehenden Motorisierungsgrades auch der ländlichen Bevölkerung die bequemere und durch öffentliche Verkehrsmittel befahrene Straßenverbindung über BB, die im Zusammenhalt mit anderen Einrichtungen von S eine Orientierung dorthin indizieren würde, nicht mehr entscheidend ins Gewicht.

2.5.1. In der Beschwerde wird ferner geltend gemacht, der Bescheid führe eine Zahl von 572 Einpendlern in die Gemeinden NN, T, BB, AA, KB und K an, berücksichtige aber nicht, daß aus diesen Gemeinden insgesamt 2.427 Auspendler gemeldet worden seien. Diese versorgten sich in der Regel in den in der Nähe ihrer Arbeitsplätze befindlichen Apotheken.

2.5.2. Die Beschwerdeführer übersehen, daß die belangte Behörde wohl die Zahl der Einpendler genannt und abstrakt die Rechtsmeinung vertreten hat, diese seien als zu versorgende Personen zu berücksichtigen, jedoch die konkrete Zahl der 572 Einpendler nicht in die Summe der zu versorgenden Personen eingerechnet hat. Es wurden somit weder die Ein- noch die Auspendler berücksichtigt. Entgegen der Meinung der Beschwerdeführer hält der Verwaltungsgerichtshof die gewiß große Zahl der Auspendler für den hier relevanten Sachverhalt, nämlich dafür, ob die Versorgung dieses Bevölkerungsanteiles mit Heilmitteln in den Einpendlergemeinden (insbesondere den Bezirkshauptstädten und anderen größeren Gemeinden) und nicht von den Auspendlergemeinden aus erfolgt, für nicht entscheidend. Es ist vielmehr bekannt, daß die hier in Rede stehenden Berufsauspendler aus dem Inntal- und Mittelgebirgsgemeinden Nordtirols zum weitaus überwiegenden Teil keine Wochen-, sondern Tagespendler sind, im konkreten Fall nach W und S auspendeln und sodann an ihren Wohnsitz in AA, KB etc. täglich zurückkehren (vgl. die Studie "Die Berufspendelwanderung in Tirol im Vergleich 1971 bis 1981", herausgegeben vom Amt der Tiroler Landesregierung,

Abt. Ic/Landesplanung, 1986, S. 18, wonach der Anteil der Nichttagespendler im Bezirk S von 22 % im Jahr 1971 auf 16 % im Jahr 1981 zurückgegangen ist). Dabei handelt es sich zu einem beträchtlichen Teil um Nebenerwerbsbauern, die zum Teil wiederum in Schichtbetrieben arbeiten, was eine Rückkehr auf den Hof noch während des Arbeitstages ermöglicht. Zu Recht verweist die belangte Behörde auch darauf, daß sich die Familie des Pendlers sowie dieser selbst im Falle der Erkrankung in den Wohnsitzgemeinden aufhalten, in aller Regel dort ihren Arzt aufsuchen und sich in möglichster Nähe mit den notwendigen Arzneimitteln versorgen werden.

Der Verwaltungsgerichtshof kann daher in der Nichtberücksichtigung der Auspendler keinen relevanten Feststellungsmangel des angefochtenen Bescheides erblicken.

2.6.1. Die Beschwerdeführer weisen weiters darauf hin, daß sich im östlichen Gemeindegebiet von T die Fraktion V mit 821 Einwohnern befinde. Die kürzeste Verbindung von der Fraktion V nach NN oder S führe über die Ortschaft BB auf der Bundesstraße. Vom V über BB zur nächsten Apotheke in S sei es 3,8 km, zur geplanten Apotheke in NN 4 km. Die Einwohner der Fraktion V seien daher nicht primär nach T, sondern nach S oder VV orientiert.

2.6.2. Dieser Beschwerdevorwurf geht davon aus, daß die Einwohner des Ortsteiles V von dort nach NN nicht über T, sondern über BB an der Bundesstraße fahren würden. Von der Straßeneinmündung in BB sei es aber bis zur nächsten Apotheke in S näher als zur geplanten Betriebsstätte in NN. Träfe dies zu, dann wäre der vorliegende Einwand durchaus von Gewicht. Der gerügte Feststellungsmangel ist allerdings nach dem Ergebnis der in den vorstehenden Punkten geprüften Einwendungen ohne Relevanz, da das Mindestversorgungspotential von 5.500 Personen auch ohne die Berücksichtigung der 821 Einwohner von V erreicht wird (nämlich - ausgehend von der dem Bescheid zugrunde gelegten Zahl von 6.575 Personen - 5.754 Personen).

2.7.1. In der Frage der Existenzgefährdung ihrer Apotheken machen die Beschwerdeführer geltend, daß zu dem im angefochtenen Bescheid angenommenen Umsatzrückgang von 4,6 % (W) bzw. 5 % (S) richtigerweise noch der "weitere Umsatzrückgang bezüglich der von diesen Apotheken versorgten Hausapotheken hinzuzurechnen" gewesen wäre. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde sei es nicht irrelevant, daß der vom Zweitbeschwerdeführer ins Treffen geführte Umsatzausfall von über 6 % durch die Schließung der ärztlichen Hausapotheke in NN nicht berücksichtigt worden sei. Der Inhaber dieser ärztlichen Hausapotheke von NN decke sich nämlich beim Zweitbeschwerdeführer ein. Die neu zu errichtende Apotheke werde aber ihren Bedarf nicht über die Apotheken der Beschwerdeführer decken.

2.7.2. § 10 Abs. 3 ApG (ebenfalls in der Fassung vor der ApGNov 1990) lautet:

"(3) Eine öffentliche Apotheke gilt in ihrer Existenzfähigkeit gefährdet, wenn der Fortbestand der bestehenden Apotheke durch die Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke bei pharmazeutisch ordnungsgemäßer und wirtschaftlich rationeller Betriebsführung nicht gewährleistet erscheint. Hierüber ist ein Gutachten der Österreichischen Apothekerkammer einzuholen. Das Gutachten hat unter Berücksichtigung der nach statistischen Grundsätzen durch die Österreichische Apothekerkammer ermittelten durchschnittlichen und objektiv angemessenen Kosten und Erträge vergleichbarer öffentlicher Apotheken die zu erwartende zukünftige betriebliche Lage und Entwicklung nach wirtschaftlichen Grundsätzen zu beurteilen."

Die Beschwerdeführer bekämpfen die Feststellungen der belangten Behörde insofern nicht, als sie einen Umsatzrückgang von 4,6 % (W) bzw. 5 % (S) prognostiziert und bei den gegebenen Umsätzen von ca. 14 Mio S (W) bzw. 21 Mio S (S) eine Existenzgefährdung verneinte. Es war daher die in der Ermittlung der Grundlagen und der Methode der Prüfung der Existenzgefährdung gelegene Rechtswidrigkeit (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1987, Zl. 87/08/0053 = ZfVB 1987/4/1539) bei der gegebenen Sachlage auch vom Verwaltungsgerichtshof nicht aus eigenem aufzugreifen.

Hinsichtlich des Umsatzrückganges, der durch die zu erwartende Zurücknahme von ärztlichen Hausapothekenbewilligungen bewirkt würde, ist zu unterscheiden:

Was die Erstbeschwerdeführerin (W) anlangt, läßt das Gutachten der Apothekerkammer erkennen, daß in die Umsatzaufstellungen für die Jahre 1983 bis 1985, die den Ausgangspunkt für die Prognose des künftigen sogenannten Erwartungsumsatzes bilden, allfällige Hausapothekenumsätze - zutreffend - gar nicht aufgenommen wurden.

Hausapothekenführende Ärzte sind nämlich nicht verpflichtet, ihren Arzneimittelbedarf in den jeweiligen Nachbarapotheken zu decken. Vielmehr sind sie gemäß § 31 Abs. 3 ApG lediglich verpflichtet, die zur Einrichtung und Ergänzung ihrer Hausapotheke erforderlichen Drogen, chemischen und pharmazeutischen Präparate sowie sonstige arzneiliche Zubereitungen nur aus einer inländischen öffentlichen Apotheke zu beziehen. Der allein von der freien vertraglichen Vereinbarung abhängige Hausapothekenumsatz einer öffentlichen Apotheke - der daher auch aus anderen Gründen als wegen der Zurücknahme der betreffenden ärztlichen Hausapotheke in Wegfall geraten kann - ist daher kein Umsatz, der auf die im Standort samt Einzugsgebiet bestehende Nachfrage zurückzuführen ist. Ein solcher nicht unmittelbar und zwingend auf den örtlichen Bedarf rückführbarer Umsatz ist daher von vornherein in der Existenzgefährdungsprognose nicht zu berücksichtigen, da Umsätze dieser Art in aller Regel den Bestand des Apothekenunternehmens als solches nicht auf Dauer zu sichern vermögen. Die Nichtbedachtnahme auf allfällige Hausapothekenumätze sowohl im festgestellten tatsächlichen Umsatz als auch im Erwartungsumsatz der Apotheke der Erstbeschwerdeführerin war daher nicht rechtswidrig.

Hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers (S) ergibt sich zwar aus dem Vorstehenden, daß der Hausapothekenumsatz von 1,398 Mio S für 1985 zu Unrecht in den festgestellten Umsatz aufgenommen wurde, bei einem Gesamtumsatz von nahezu 21 Mio S erweist sich dieser Mangel hingegen nicht für das Prüfungsergebnis, nämlich der weiterbestehenden Existenzfähigkeit dieses Apothekenunternehmens, als relevant.

2.8.1. Schließlich macht der Zweitbeschwerdeführer geltend, ihm sei entgegen §§ 37 und 45 Abs. 3 AVG keine Gelegenheit gegeben worden, sich zum abschließenden Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in der Bedarfsfrage zu äußern. Er sei nämlich von der belangten Behörde am 9. Februar 1987 aufgefordert worden, sich zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens betreffend die Errichtung einer öffentlichen Apotheke in "NA" zu äußern. Der Zweitbeschwerdeführer habe sich von dieser Aufforderung nicht betroffen gefühlt.

2.8.2. Der Beschwerdeführer läßt bei dieser Verfahrensrüge unerwähnt, daß in der Aufforderung zur Stellungnahme der mitbeteiligte Bewilligungwerber genannt und ihr nach der Aktenlage der Bericht des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 5. Februar 1987 über die Bedarfserhebungen in NN und Umgebung, zu welchem dem Zweitbeschwerdeführer die Äußerungsmöglichkeit eröffnet werden sollte, beigeschlossen war. Unter diesen Umständen mußte dem Zweitbeschwerdeführer (nach mehrjähriger Dauer des Verwaltungsverfahrens, an dem er stets Gelegenheit zur Teilnahme hatte) erkennbar sein, daß die Reinschrift der in Rede stehenden Aufforderung der belangten Behörde auf Grund eines Schreibfehlers den Standort mit "NA" statt mit "NN" bezeichnete. Im Hinblick auf diese Offenkundigkeit des Versehens begründete daher der unterlaufene Fehler keine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Verletzung von Verfahrensvorschriften.

2.9. Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich, daß die beschwerdeführenden Parteien durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten weder wegen der geltend gemachten noch wegen einer vom Verwaltungsgerichtshof aus eigenem aufzugreifenden Rechtswidrigkeit verletzt worden ist.

Die Beschwerde war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

2.10. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47, 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 sowie 48 Abs. 3 Z. 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 4, 5 und 7 sowie Art. III Abs. 2 der Verordnug des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

2.11. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Schlagworte

Existenzgefährdung Begriff Existenzgefährdung Verfahrensgesichtspunkte Verfahrensbestimmungen Befangenheit offenbare Unrichtigkeiten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1987080089.X00

Im RIS seit

25.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten