TE Vwgh Erkenntnis 1992/3/31 91/04/0265

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.03.1992
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §66 Abs4;
GewO 1973 §79;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Mag. Kobzina und die Hofräte Dr. Griesmacher, Dr. Weiss, DDr. Jakusch und Dr. Gruber als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Paliege, über die Beschwerde der X-AG in Y, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 7. August 1991, Zl. 313.481/1-III-3/90, betreffend Vorschreibung einer Auflage gemäß § 79 GewO 1973, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Über die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den in Angelegenheit einer Auflagenvorschreibung gemäß § 79 GewO 1973 im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 22. Mai 1990 erkannte der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mit Bescheid vom 7. August 1991 wie folgt:

"Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, als die Berufung der X-AG vom 19.4.1990 als unbegründet abgewiesen wird und die ergänzenden Berufungsausführungen vom 23.5.1990 als verspätet zurückgewiesen werden."

Zur Begründung wurde ausgeführt, mit Bescheid des Magistratischen Bezirksamtes für den 13. und 14. Bezirk vom 10. Mai 1986 sei die Errichtung der gegenständlichen Betriebsanlage der Beschwerdeführerin rechtskräftig genehmigt worden. Die Betriebsbewilligung sei mit Bescheid des Magistratischen Bezirksamtes für den 13. und 14. Bezirk vom 21. Jänner 1988 rechtskräftig erteilt worden. Auf Grund einer Nachbarbeschwerde betreffend Lärmimmissionen durch Belieferung der Betriebsanlage zur Nachtzeit habe die Erstbehörde mit Bescheid vom 22. März 1990 gemäß § 79 GewO 1973 folgende zusätzliche Auflage vorgeschrieben: "Die Milchzulieferung während der Nachtstunden (zwischen 22.00 Uhr und 06.00 Uhr) ist untersagt." Dagegen habe die Beschwerdeführerin selbst mit Schriftsatz vom 19. April 1990 das Rechtsmittel der Berufung eingebracht. Diese Berufung sei mit Schriftsatz vom 23. Mai 1990, der vom nunmehrigen Beschwerdevertreter im Namen der Beschwerdeführerin erstattet worden sei, ergänzt worden. Der Landeshauptmann von Wien habe mit Bescheid vom 22. Mai 1990 die Berufung abgewiesen und den erstbehördlichen Bescheid bestätigt. Dagegen richte sich nunmehr die neuerliche Berufung der Beschwerdeführerin, zu der folgendes auszuführen sei. Wenn auch im Genehmigungsbescheid betreffend die gegenständliche Betriebsanlage vom 10. Oktober 1986 die Belieferung nicht ausdrücklich geregelt worden sei, so sei zumindest in der Beschreibung der Betriebsanlage enthalten, daß "die Anlieferung einschließlich Frischmilchlager sich an der rechten Grenze des Hauses nächst der Zufahrt zur P-Gasse 17 - 21 befindet". Eine zeitliche Beschränkung der Warenanlieferung sei nicht verfügt worden. Es sei daher davon auszugehen, daß die Belieferung der gegenständlichen Betriebsanlage, die schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung notwendige Voraussetzung für den Betrieb einer solchen Betriebsanlage sei, zeitlich unbeschränkt genehmigt sei. Die Belieferung der Betriebsanlage sei vor dem verfahrensgegenständlichen Bescheid der Behörde erster Instanz auch nicht weiter eingeschränkt worden. Die das gegenständliche Verfahren auslösenden Nachbarbeschwerden bezögen sich ausdrücklich auf Lärmbelästigungen durch Anlieferungen in der Nachtzeit. Die Erstbehörde habe daher nach Durchführung eines Verfahrens gemäß § 79 GewO 1973 mit Bescheid vom 22. März 1990 die Anlieferung der Betriebsanlage in der Zeit von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr untersagt und dies - fußend auf den Sachverständigengutachten - mit einer unzumutbaren Belästigung der Nachbarn durch eine nächtliche Anlieferung begründet. Mit dieser Begründung habe sich die Beschwerdeführerin weder in ihrer Berufung gegen den Bescheid der Erstbehörde noch in jener gegen den bestätigenden Bescheid der Zweitbehörde auseinandergesetzt. Ihr Vorbringen beschränke sich im wesentlichen darauf, daß die Einhaltung der Betriebszeitenbeschränkung, insbesondere durch die anliefernde Molkerei, nicht möglich sei. Dazu habe der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, daß es für die Frage der Rechtmäßigkeit einer im Betriebsanlagenbescheid dem Gewerbeinhaber auferlegten Verpflichtung unbeachtlich sei, ob der Erfüllung der Auflage privatrechtliche Hindernisse entgegenstünden. Dies bedeute im vorliegenden Fall, daß es unbeachtlich sei, wenn die NÖ Molkerei als Vertragspartner der Beschwerdeführerin behaupte, auf eine Nachtanlieferung von Frischprodukten nicht verzichten zu können. Damit habe jedenfalls eine Rechtswidrigkeit der vorinstanzlichen Behörden nicht dargetan werden können. Was das in der Berufung gegen den Bescheid der Behörde zweiter Instanz erstattete Vorbringen hinsichtlich einer "zusätzlichen Umweltbelastung", größeren Lärmbelastung und auch Geruchsbelästigung untertags betreffe, so sei dazu festzuhalten, daß sich die verfahrensauslösenden Beschwerden ausschließlich auf Belästigungen in der Nachtzeit bezogen hätten und daher auch das vorliegende Verfahren ausschließlich den Schutz vor Belästigungen in der Nachtzeit zum Gegenstand habe. Das diesbezügliche Vorbringen gehe somit am Gegenstand des Verfahrens vorbei. Zu den "ergänzenden Ausführungen zur Berufung" vom 23. Mai 1990 sei festzuhalten, daß diese wohl - zumindest teilweise - die Begründung des Bescheides der Behörde erster Instanz beträfen, jedoch bereits weit außerhalb der Berufungszeit erstattet worden seien und daher als verspätet zurückzuweisen seien; es sei daher auch auf die darin vorgebrachten Argumente im einzelnen nicht einzugehen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, der Beschwerde keine Folge zu geben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ihrem gesamten Vorbringen zufolge erachtet sich die Beschwerdeführerin in dem Recht auf Unterbleiben einer zusätzlichen Auflagenvorschreibung nach § 79 GewO 1973 verletzt. Sie bringt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften u.a. vor, der angefochtene Bescheid sei zunächst in sich widersprüchlich, wenn er ausführe, daß er den von ihr angefochtenen zweitbehördlichen Bescheid abändere, andererseits aber erkläre, daß ihre Berufung als unbegründet abgewiesen werde. Zu Unrecht würden mit dem angefochtenen Bescheid auch die ergänzenden Berufungsausführungen vom 23. Mai 1990 als verspätet zurückgewiesen. Diese Zurückweisung hätte allenfalls der Landeshauptmann von Wien als Behörde zweiter Instanz auszusprechen gehabt, nicht aber die nunmehr belangte Behörde. Die belangte Behörde hätte sich im übrigen sehr wohl mit den Ausführungen im Schriftsatz vom 23. Mai 1990 inhaltlich auseinandersetzen müssen, ebenso wie mit den Ausführungen in der Berufung vom 19. Juli 1990 und dem Schriftsatz vom 9. November 1990. Mit Ausnahme der aktenwidrigen Behauptung im angefochtenen Bescheid, wonach sie sich in ihren Berufungen nicht damit auseinandergesetzt hätte, daß die Unterinstanzen die zusätzliche Auflage mit einer "auf den Sachverständigengutachten fußenden unzumutbaren Belästigung der Nachbarn durch eine nächtliche Anlieferung" begründet habe, setze sich die belangte Behörde ihrerseits mit den Ausführungen in der Berufung vom 19. Juli 1990 und im Schriftsatz vom 9. November 1990 in keiner Weise auseinander. Sie habe darauf hingewiesen, daß die Behörde nicht geprüft habe, ob Eva Meidl, welche als einzige beschwerdeführende Person in der ganzen Nachbarschaft Anlaß für das gegenständliche Verfahren nach § 79 GewO 1973 gewesen sei, im Sinne des § 79 Abs. 2 GewO 1973 erst nachträglich, also nach Genehmigung der gegenständlichen Betriebsanlage Nachbar im Sinne des § 75 Abs. 2 und 3 GewO 1973 geworden sei. Dies wäre aber wesentlich, weil gemäß § 79 Abs. 2 GewO 1973 zugunsten von Personen, die erst nach Genehmigung der Betriebsanlage Nachbarn geworden seien, Auflagen im Sinne des § 79 Abs. 1 GewO 1973 nur soweit vorgeschrieben werden dürften, als dies zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit dieser Personen notwendig sei. Um zu einer richtigen Beurteilungsgrundlage zu kommen, hätte sich die belangte Behörde mit den weiteren Ausführungen auseinandersetzen müssen. Auch aus den bisherigen Ermittlungsergebnissen folge, daß durch die Milchanlieferung während der Nachtstunden keine Gefährdung der Nachbarn, auch nicht der E, eintrete. Das Verfahren sei insbesondere auch deshalb mangelhaft geblieben, weil sich die belangte Behörde mit den Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten des amtsärztlichen Gutachtens vom 14. Juni 1989 nicht auseinandergesetzt habe. Die von der MA 22 durchgeführten Messungen hätten keinerlei eindeutige Hinweise darauf ergeben, daß die Störgeräusche oder Lärmsteigerungen durch eine von der gegenständlichen Betriebsanlage ausgehende Lärmquelle verursacht worden wären. Auch habe die Behörde es unterlassen, bei Prüfung der Vorschreibung einer nachträglichen Auflage nach § 79 GewO 1973 die Frage der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen.

In ihrer Gegenschrift führt die belangte Behörde u.a. aus, die Beschwerdebehauptung, der angefochtene Bescheid sei deswegen in sich widersprüchlich, weil er einerseits den zweitbehördlichen Bescheid abändere, andererseits aber erkläre, daß die Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen werde, sei aktenwidrig, da aus dem Spruch des angefochtenen Bescheides eindeutig ersichtlich sei, daß einerseits der Bescheid der Behörde zweiter Instanz abgeändert und andererseits die ergänzenden Berufungsausführungen vom 23. Mai 1990 als verspätet zurückgewiesen würden. Diese Abänderung sei durch § 66 Abs. 4 AVG 1950 gedeckt, zumal die Berufungsbehörde berechtigt sei, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauungen an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung hin abzuändern. Im übrigen seien im zweitinstanzlichen Bescheid auf Grund des Gutachtens der MA 15 vom 4. Juni 1989 die Störgeräusche als geeignet qualifiziert worden, zu einer Gefährdung der Gesundheit von Nachbarn zu führen. Damit komme aber der Frage der Zumutbarkeit bzw. Verhältnismäßigkeit der im Sinne des § 79 GewO 1973 vorgeschriebenen Auflage keine Entscheidungsrelevanz zu.

Die Beschwerde ist berechtigt:

Nach der Lage der Akten des Verwaltungsverfahrens wurde mit dem in der gegenständlichen Verwaltungsangelegenheit ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 22. Mai 1990 wie folgt über die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den erstbehördlichen Bescheid abgesprochen:

"Die dagegen von der Betriebsinhabung eingebrachte Berufung wird gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt."

Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin nach der Aktenlage am 6. Juli 1990 zugestellt. Ferner befindet sich im Verwaltungsakt ein mit 23. Mai 1990 datierter Schriftsatz betreffend "Ergänzende Ausführungen zur Berufung". In diesem Schriftsatz scheint als Eingangsdatum der 25. Mai 1990 auf.

Ausgehend von dieser Sachlage kann dem Beschwerdevorbringen Berechtigung nicht aberkannt werden, daß aus dem Spruch des angefochtenen Bescheides nicht zu entnehmen sei, inwiefern der erstbehördliche Bescheid in seinem Sachabspruch durch die belangte Behörde im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG eine Abänderung erfahren habe. Sollte aber die belangte Behörde - worauf die Ausführungen in der Gegenschrift hindeuten könnten - davon ausgegangen sein, eine Abänderung des Spruches des zweitbehördlichen Bescheides durch den Abspruch des angefochtenen Bescheides sei darin zu erblicken, daß "die ergänzenden Berufungsausführungen vom 23.5.1990 als verspätet zurückgewiesen" wurden, so kann - abgesehen davon, daß die zweitinstanzliche Behörde nach ihrem bescheidmäßigen Abspruch über die "Berufung" der Beschwerdeführerin gegen den erstbehördlichen Bescheid meritorisch abgesprochen hatte - im gegebenen Sachzusammenhang kein Anhaltspunkt für ein verfahrensmäßiges Erfordernis bzw. die im Rahmen einer Sachentscheidung nach § 66 Abs. 4 AVG gegebene Zulässigkeit eines im zweitbehördlichen Bescheid selbst nicht getroffenen Abspruches über die Zulässigkeit bzw. Rechtzeitigkeit "ergänzender Berufungsausführungen" gegen den erstbehördlichen Bescheid erkannt werden.

Sofern aber unabhängig von diesen Überlegungen im angefochtenen Bescheid in der Begründung ausgeführt wird, die "ergänzenden Ausführungen zur Berufung vom 23. Mai 1990, die wohl - zumindest teilweise - die Begründung des Bescheides der Behörde erster Instanz treffen", seien, da sie weit außerhalb der Berufungsfrist erstattet worden seien, als verspätet zurückzuweisen gewesen, wobei in diesem Zusammenhang auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Oktober 1990, Zl. 90/04/0232, Bezug genommen wird, so ist darauf hinzuweisen, daß dieses Erkenntnis den Fall betraf, daß zunächst innerhalb der Berufungsfrist nur eine "Berufungsanmeldung" erstattet wurde, die einen begründeten Berufungsantrag nicht enthielt und daher nicht dem Erfordernis einer gesetzlich ausgeführten Berufung entsprach und der "begründete Berufungsantrag" erst nach Ablauf der Berufungsfrist nachgetragen wurde; die Annahme eines derartigen Sachverhaltes durch die belangte Behörde ergibt sich aber im Rahmen der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof weder aus dem Spruchwortlaut des angefochtenen Bescheides noch auch aus dessen Begründung.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid schon in Hinsicht darauf mit einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Dieser war daher - ohne daß sich das Erfordernis einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens insbesondere zum Inhalt des Berufungsvorbringens gegen den zweitbehördlichen Bescheid ergab - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991040265.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten