TE Vfgh Erkenntnis 1989/10/6 B1071/87

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Veröffentlicht am 06.10.1989
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Index

L3 Finanzrecht
L3700 Benützungsabgabe, Gebrauchsabgabe

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art10 Abs1 Z6
B-VG Art11 Abs1 Z4
B-VG Art15 Abs1
Wr GebrauchsabgabeG 1966 §1 Abs1
Wr GebrauchsabgabeG 1966 §2 Abs2
Wr GebrauchsabgabeG 1966 §16 Abs2
StVO 1960 §2 Abs1 Z8
StVO 1960 §82
StVO 1960 §83

Leitsatz

Abstellen eines Kraftfahrzeuges ohne polizeiliches Kennzeichen auf einer Gemeindestraße; keine Bedenken aus kompetenzrechtlicher Sicht gegen die Regelung einer Gebrauchserlaubnis für eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Benützung von Verkehrsflächen der Gemeinde durch den Landesgesetzgeber; akzessorische Natur der Verwaltungsstrafbestimmungen; keine Verletzung durch Anwendung einer verfassungswidrigen Norm infolge Bestrafung nach §16 Abs2 Wr. GebrauchsabgabeG 1966; keine Bedenken - insbesondere nicht im Hinblick auf das Gleichheitsgebot - gegen die Bedrohung eines Verhaltens als strafbar durch mehrere Rechtsvorschriften

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Die Beschwerdeführerin wurde mit rechtskräftiger Strafverfügung des Magistratischen Bezirksamtes für den 9. Wiener Gemeindebezirk vom 24. November 1986 schuldig erkannt, am 10. November 1986 in Wien 9, Wasserburgergasse 4, ein näher bezeichnetes Kraftfahrzeug ohne polizeiliches Kennzeichen abgestellt zu haben, ohne im Besitz der hiefür erforderlichen Bewilligung gewesen zu sein und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §82 Abs1 Straßenverkehrsordnung 1960 - StVO 1960, BGBl. 159, iVm §99 Abs3 litd StVO 1960 begangen zu haben. Unter Berufung auf §99 Abs3 litd StVO 1960 wurde über die Beschwerdeführerin eine Geldstrafe von S 300,--, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Arreststrafe von 6 Stunden verhängt.

b) Außerdem wurde die Beschwerdeführerin mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 12. August 1987 einer Verwaltungsübertretung nach §1 Abs1 iVm §16 Abs2 des (Wiener) Gebrauchsabgabegesetzes 1966, LGBl. 20, idF des Gesetzes LGBl. 13/1982 (im folgenden: GAG), schuldig erkannt, wobei als erwiesen angenommen wurde, daß die Beschwerdeführerin vom 19. August 1986 bis 10. November 1986 durch einen näher bezeichneten Personenkraftwagen ohne behördliches Kennzeichen öffentlichen Gemeindegrund, der als Verkehrsfläche dem öffentlichen Verkehr dient, an einer näher bezeichneten Stelle in Wien 9, Wasserburgergasse, ohne vorherige Gebrauchserlaubnis benützt habe, obwohl ihr eine Gebrauchserlaubnis nicht hätte erteilt werden können. Unter Berufung auf §16 Abs2 GAG wurde über die Beschwerdeführerin eine Geldstrafe von S 3.000,--, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzarreststrafe von 4 Tagen verhängt.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, mit der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich der von der Beschwerdeführerin als verfassungswidrig erachteten Bestimmungen des §1 Abs1 und des §16 Abs2 GAG geltend gemacht, die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof begehrt und die Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmungen angeregt wird.

3. Die Wiener Landesregierung als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die im vorliegenden Fall bedeutsamen Bestimmungen des GAG in der hier maßgeblichen Fassung der Novelle LGBl. 13/1982 haben folgenden Wortlaut:

" §1

Gebrauchserlaubnis

(1) Für den Gebrauch von öffentlichem Gemeindegrund, der als Verkehrsfläche dem öffentlichen Verkehr dient, samt den dazugehörigen Anlagen und Grünstreifen einschließlich seines Untergrundes und des darüber befindlichen Luftraumes ist vorher eine Gebrauchserlaubnis zu erwirken, wenn der Gebrauch über die widmungsmäßigen Zwecke dieser Fläche hinausgehen soll.

(2) Die im angeschlossenen Tarif angegebenen Arten des Gebrauches von öffentlichem Gemeindegrund (Abs1) gehen über die widmungsmäßigen Zwecke hinaus.

    . . .

                                §2

                  Erteilung der Gebrauchserlaubnis

    . . .

(2) Die Gebrauchserlaubnis ist zu versagen, wenn dem Gebrauch öffentliche Rücksichten, wie Umstände sanitärer oder hygienischer Art, Gründe der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, der Parkraumbedarf, städtebauliche Interessen, Gesichtspunkte des Stadt- und Grünlandbildes oder Umstände des Natur-, Denkmal- oder Bodenschutzes, entgegenstehen; bei Erteilung der Gebrauchserlaubnis sind Bedingungen, Befristungen oder Auflagen vorzuschreiben, soweit dies zur Wahrung dieser Rücksichten erforderlich ist.

. . .

§16

Strafen

(1) Handlungen und Unterlassungen, durch welche die Abgabe verkürzt oder der Verkürzung ausgesetzt wird, sind als Verwaltungsübertretungen mit Geld vom Ein- bis zum Fünfzigfachen des verkürzten oder der Verkürzung ausgesetzten Abgabenbetrages, im Falle der Uneinbringlichkeit mit Arrest bis zu drei Monaten zu bestrafen.

(2) Übertretungen der Gebote und Verbote dieses Gesetzes, in denen keine Handlung oder Unterlassung liegt, durch welche die Abgabe verkürzt oder der Verkürzung ausgesetzt wird, sind als Verwaltungsübertretungen mit Geld bis zu 30.000 S, im Falle der Uneinbringlichkeit mit Arrest bis zu einem Monat, zu bestrafen. Als solche Übertretungen gelten insbesondere die Nichteinhaltung von gemäß §2 Abs2 auferlegten Verpflichtungen oder die Nichterfüllung einer Verpflichtung gemäß §5 oder §6.

. . ."

2.a) Der angefochtene Bescheid beruft sich ausdrücklich auf §1 Abs1 und §16 Abs2 GAG. Das der Beschwerdeführerin zur Last gelegte Verhalten bestand darin, entgegen der Vorschrift des §1 Abs1 GAG durch das Abstellen eines Personenkraftwagens ohne Kennzeichen auf einer Gemeindestraße öffentlichen Gemeindegrund, der als Verkehrsfläche dem öffentlichen Verkehr dient, in einer über die widmungsmäßigen Zwecke dieser Fläche hinausgehenden Weise gebraucht zu haben, ohne hiefür vorher eine Gebrauchserlaubnis erwirkt zu haben, wobei die belangte Behörde (gleich der Strafbehörde erster Instanz) davon ausging, daß der Beschwerdeführerin eine Gebrauchserlaubnis nicht hätte erteilt werden können. Die belangte Behörde erblickte in diesem Verhalten der Beschwerdeführerin iS des §16 Abs2 GAG die Übertretung eines Verbotes dieses Gesetzes, in der "keine Handlung oder Unterlassung liegt, durch welche die Abgabe verkürzt oder der Verkürzung ausgesetzt wird". Sie folgte damit der Deutung des §16 Abs2 GAG durch den Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 28. 2. 1986, 85/17/0073:

"Voraussetzung für das Entstehen eines Abgabenanspruches wäre daher die Erteilung einer Gebrauchserlaubnis gewesen. Kommt es zur Erteilung einer Gebrauchserlaubnis deshalb nicht, weil der Täter es unterläßt, um eine solche anzusuchen, so setzt er damit ein Verhalten im Sinne des §16 Abs1 GebrAbgG. Hätte es aber ungeachtet der Unterlassung einer Antragstellung gemäß §1 und §2 GebrAbgG zur Erteilung einer Gebrauchserlaubnis nicht kommen können, weil Versagungsgründe gemäß §2 Abs2 GebrAbgG vorlagen, so kann von einem Verhalten des Täters, durch welches die Abgabe verkürzt oder der Verkürzung ausgesetzt wurde, nicht die Rede sein, weil für das Nichtentstehen des Abgabenanspruches nicht das Verhalten des Täters, sondern das Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Gebrauchserlaubnis ursächlich sind. Es kommt dann allenfalls eine Übertretung gemäß §16 Abs2 GebrAbgG in Betracht, wenn der Gebrauch von öffentlichem Gemeindegrund vor Erwirkung der Gebrauchserlaubnis erfolgte."

b) Nach dem Beschwerdevorbringen sind §1 Abs1 und §16 Abs2 GAG mangels Kompetenz des Landesgesetzgebers zu ihrer Erlassung verfassungswidrig.

Dies - kurz gefaßt - deshalb, weil die in §1 Abs1 GAG getroffene Regelung der Gebrauchserlaubnis unter den Kompetenztatbestand "Straßenpolizei" (Art11 Abs1 Z4 B-VG) und damit in die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes falle, was auch für die - lediglich die verwaltungsstrafrechtliche Sanktion enthaltende - Vorschrift des §16 Abs2 GAG gelte, weil die Zuständigkeit zur Erlassung von Normen des Verwaltungsstrafrechtes dem zur Regelung der betreffenden Verwaltungsmaterie zuständigen Gesetzgeber zukomme.

So enthalte denn auch die StVO 1960 in ihrem X. Abschnitt ("Benützung von Straßen zu verkehrsfremden Zwecken") unter anderem Vorschriften über die Benützung von Straßen (auch von Gemeindestraßen) einschließlich des darüber befindlichen, für die Sicherheit des Straßenverkehrs in Betracht kommenden Luftraumes zu anderen Zwecken als solchen des Straßenverkehrs. Insbesondere sei nach §82 Abs2 StVO 1960 für das Aufstellen von Kraftfahrzeugen oder Anhängern ohne Kennzeichentafeln eine Bewilligung nach §82 Abs1 StVO 1960 erforderlich, die nach §82 Abs5 StVO 1960 zu erteilen sei, wenn durch diese Straßenbenützung die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs nicht wesentlich beeinträchtigt wird oder eine über das gewöhnliche Maß hinausgehende Lärmentwicklung nicht zu erwarten ist. Zwar dienten nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (die Beschwerdeführerin verweist unter anderem auf die Erkenntnisse vom 20. 5. 1980, 207,247/80, und vom 12. 10. 1983, 83/03/0014) die Bestimmungen des §82 Abs1, 2 und 5 StVO 1960 nur dem Schutz des fließenden und nicht auch (durch Sicherung von Parkraum) des ruhenden Verkehrs, doch sei die Vorschrift des §1 Abs1 GAG, obgleich sie durch die Normierung einer Gebrauchserlaubnis (unter anderem) für das Abstellen von Kraftfahrzeugen ohne Kennzeichen auf öffentlichem, als Verkehrsfläche dem öffentlichen Verkehr dienenden Gemeindegrund lediglich die Sicherung der Leichtigkeit des ruhenden Verkehrs bezwecke, eine dem Kompetenztatbestand "Straßenpolizei" zuzuordnende und damit in die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes fallende Norm.

3. Die Beschwerdeführerin ist mit diesen Ausführungen im Ergebnis nicht im Recht.

a) Nach §1 Abs1 GAG bedarf der über die "widmungsmäßigen Zwecke" hinausgehende Gebrauch von öffentlichem, als Verkehrsfläche dem öffentlichen Verkehr dienenden Gemeindegrund einer Gebrauchserlaubnis.

Über einen Antrag auf Erteilung der Gebrauchserlaubnis ist mit Bescheid abzusprechen (siehe §2 Abs4 und §11 Abs1 GAG; vgl. auch VfSlg. 8034/1977; Lebitsch, Probleme des Gemeingebrauchs am Beispiel der Benützung von Straßen als Forum der öffentlichen Kommunikation, JBl. 1983, S 68 ff., FN 53). Die Erteilung der Gebrauchserlaubnis ist somit ein Akt der Hoheitsverwaltung (vgl. in diesem Zusammenhang auch das Erkenntnis VfSlg. 5101/1965, betreffend den - dem §1 Abs1 GAG in den hier wesentlichen Belangen gleichen - §1 Abs1 des Wiener Gebrauchsgebührengesetzes, LGBl. 4/1948; dazu etwa Krzizek, Das öffentliche Wegerecht, 1967, S 73 f.; Melichar, Die öffentlichen Sachen und der Gemeingebrauch, JBl. 1967, S 179 ff., hier S 184; siehe ferner etwa Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht2, S 626). Ein Bescheid, mit dem eine Gebrauchserlaubnis erteilt wird, verleiht demnach die Befugnis zu einer über den Gemeingebrauch hinausgehenden Benützung einer (öffentlichen) Verkehrsfläche einer Gemeinde.

b) Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 4605/1963 (S 840, 843) dargelegt hat, gehören Bestimmungen, die öffentlich-rechtliche Berechtigungen oder öffentlich-rechtliche Verpflichtungen schaffen und die Festsetzung und Feststellung des Inhaltes und des Umfanges bzw. die Sicherung des Gemeingebrauches an den Straßen sowie die Regelung der über den Gemeingebrauch hinausgehenden Benützung von Straßen zum Gegenstand haben, zu den "Straßenangelegenheiten (ohne Straßenpolizei)". Diese fallen, soweit es sich nicht um Bundesstraßen handelt (bezüglich derer nach Art10 Abs1 Z9 B-VG die Gesetzgebungs- und Vollziehungszuständigkeit des Bundes gegeben ist), gemäß Art15 Abs1 B-VG in die Gesetzgebungs- und Vollziehungszuständigkeit der Länder (vgl. dazu etwa Krzizek, Das öffentliche Wegerecht, 1967,

S 14 ff.; Öhlinger, Zur Kompetenzlage auf dem Gebiet des Straßenverkehrs II, ZVR 1979, S 257 ff.).

Die "Abstellung von Fahrzeugen ohne Kennzeichen" bildet gemäß §1 Abs2 GAG iVm der Tarifpost A7 erster Fall des dem GAG angeschlossenen Tarifes eine über die "widmungsmäßigen Zwecke" hinausgehende Art des Gebrauches von öffentlichem Gemeindegrund (vgl. dazu etwa VwGH 18. 9. 1987, 86/17/0121; siehe etwa auch VfSlg. 6366/1971). Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 11. 3. 1983, 82/17/0148, ausgeführt hat, können, da nur ordnungsgemäß mit Kennzeichen ausgestattete Fahrzeuge zum öffentlichen Verkehr zugelassen sind, Fahrzeuge ohne derartige Kennzeichen von vornherein Straßengrund nicht zu diesem widmungsmäßigen Zweck benützen. Es handelt sich mithin beim Abstellen von Fahrzeugen ohne Kennzeichen insbesondere nicht um ein Parken von Fahrzeugen iS des §2 Abs1 Z28 StVO 1960 (dessen Regelung, wie im Erkenntnis VfSlg. 3340/1958 ausgeführt, unter den Kompetenztatbestand "Straßenpolizei" fällt).

Die Vorschrift des §1 Abs1 GAG bezieht sich, wie erwähnt, nicht auf Bundesstraßen, sondern auf Verkehrsflächen der Gemeinde. Sie bindet - soweit sie im vorliegenden Fall relevant ist - die Abstellung von Fahrzeugen ohne Kennzeichen, demnach eine bestimmte Art des über den widmungsmäßigen Gemeingebrauch hinausgehenden Gebrauches solcher Verkehrsflächen, an eine behördliche Bewilligung ("Gebrauchserlaubnis"). Beim Abstellen von Fahrzeugen ohne Kennzeichen handelt es sich nicht um eine bestimmte Art der Teilnahme an dem der Widmung der Verkehrsfläche entsprechenden (fließenden oder) ruhenden Verkehr, sondern um eine davon qualitativ verschiedene Art ihrer Benützung, die insoweit nicht anders zu beurteilen ist als etwa das Aufstellen von Tischen und Stühlen (siehe dazu VfSlg. 8034/1977).

Gegenstand der Regelung des §1 Abs1 GAG ist somit eine den Gemeingebrauch in qualitativer Hinsicht dadurch überschreitende Benützung von Verkehrsflächen der Gemeinde, daß sie ihrer Art nach von dem durch die Widmung der Verkehrsflächen eröffneten Gemeingebrauch abweicht, mithin eine "über den Gemeingebrauch hinausgehende Benützung", deren gesetzliche Regelung iS des Erkenntnisses VfSlg. 4605/1963 in Art15 Abs1 B-VG ihre kompetenzrechtliche Grundlage hat. §1 Abs1 GAG ist somit keineswegs als eine dem Kompetenztatbestand "Straßenpolizei" (Art11 Abs1 Z4 B-VG) zuzuordnende und daher vom Landesgesetzgeber unzuständigerweise erlassene Regelung verfassungswidrig.

So hatte denn der Verfassungsgerichtshof bisher (auch) gegen §1 Abs1 GAG keine kompetenzrechtlichen (oder sonstigen verfassungsrechtlichen) Bedenken (vgl. etwa VfSlg. 6366/1971, 8034/1977; siehe auch die Erkenntnisse VfSlg. 10.305/1984, S 817, 10.463/1985, S 635, und 11.031/1986, S 263, in denen der Verfassungsgerichtshof die Gebrauchsabgabe als Gegenleistung für die mit der Gebrauchserlaubnis eingeräumte Berechtigung zum Gebrauch von öffentlichem Grund bezeichnete).

4.a) Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin ausschließlich einer Verwaltungsübertretung nach §1 Abs1 iVm §16 Abs2 GAG schuldig erkannt, nicht jedoch (auch) einer Verwaltungsübertretung nach §16 Abs1 GAG, also einer Handlung oder Unterlassung, durch welche die Gebrauchsabgabe verkürzt oder einer Verkürzung ausgesetzt wird. Eine solche Verwaltungsübertretung ist insbesondere dann gegeben, wenn eine Gebrauchserlaubnis - deren Erteilung antragsbedürftig ist (VwSlg. 9601 A/1978) - deshalb nicht vorlag, weil sie nicht beantragt worden war (vgl. VwGH 28. 2. 1986, 85/17/0073).

Der Tatbestand einer Verwaltungsübertretung nach §16 Abs2 GAG kann hingegen, wie aus den unter II. 2.a auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. 2. 1986, 85/17/0073, hervorgeht, durch das ohne vorherige Gebrauchserlaubnis erfolgende Abstellen eines Fahrzeuges ohne Kennzeichen auf öffentlichem, als Verkehrsfläche dem öffentlichen Verkehr dienenden Gemeindegrund allenfalls dann verwirklicht werden, wenn (ein Antrag auf Erteilung der Gebrauchserlaubnis nicht gestellt wurde und) die Erteilung einer Gebrauchserlaubnis wegen Vorliegens von Versagungsgründen nach §2 Abs2 GAG rechtlich nicht möglich gewesen wäre.

Es setzt also, soweit es sich um das ohne vorherige Einholung einer Gebrauchserlaubnis erfolgende Abstellen eines Fahrzeuges ohne Kennzeichen handelt, eine Subsumtion unter die Vorschrift des §16 Abs2 GAG die nach §2 Abs2 GAG vorzunehmende Prüfung der Frage voraus, ob in dem konkreten Fall die Gebrauchserlaubnis hätte erteilt werden können. Nach dieser Vorschrift ist die Gebrauchserlaubnis unter anderem dann zu versagen, wenn dem Gebrauch öffentliche Rücksichten, wie der Parkraumbedarf, entgegenstehen. Im gegebenen Fall ging die belangte Behörde der Sache nach davon aus, die Gebrauchserlaubnis hätte, weil durch das von der Beschwerdeführerin ohne Kennzeichen abgestellte Fahrzeug ein dringend benötigter Parkplatz verstellt wurde (so der Vermerk in der Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien vom 2. 9. 1986; im gleichen Sinn - "Parkraumbedarf" - die Stellungnahme der Magistratsabteilung 35 vom 21. 1. 1987 an die Magistratsabteilung 4 des Magistrats der Stadt Wien), wegen des ihrer Erteilung entgegenstehenden Parkraumbedarfes gemäß §2 Abs2 GAG versagt werden müssen.

Verkehrsflächen dienen dem fließenden und dem ruhenden Verkehr (VfSlg. 5619/1967, S 622). Eine gesetzliche Vorschrift, die - wie die hier maßgebliche Vorschrift des §2 Abs2 GAG - eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Art der Benützung von Verkehrsflächen zur Gewährleistung einer bestimmten Form des Gemeingebrauches an solchen Verkehrsflächen, nämlich des Parkens von Fahrzeugen als einer Form des ruhenden Verkehrs einschränkt, ist als eine Regelung anzusehen, die die über den Gemeingebrauch hinausgehende Benützung der Straßen und die Sicherung des Gemeingebrauches daran zum Gegenstand hat und die daher, soweit sie andere als Bundesstraßen betrifft, im Lichte des Erkenntnisses VfSlg. 4605/1963 gemäß Art15 Abs1 B-VG in die Gesetzgebungs- und Vollziehungszuständigkeit der Länder fällt. Sie dient der Ermöglichung einer bestimmten Art des Gemeingebrauches (nämlich des Parkens von Fahrzeugen) einer bestimmten Art von Verkehrsflächen durch Hintanhaltung einer entgegenstehenden Sondernutzung, nicht aber der Sicherheit und Leichtigkeit dieses Gemeingebrauches.

b) An dieser kompetenzrechtlichen Beurteilung der hier relevanten Vorschriften des GAG vermag der Umstand nichts zu ändern, daß das "Aufstellen von Kraftfahrzeugen oder Anhängern ohne Kennzeichentafeln" (§82 Abs2 und 5, §83 StVO 1960) auch Gegenstand einer bundesgesetzlichen, auf den Kompetenztatbestand "Straßenpolizei" (Art11 Abs1 Z4 B-VG) gestützten Regelung unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs sein kann (vgl. dazu insbesondere VfSlg. 5619/1967).

5. Wie der Verfassungsgerichtshof - seine Rechtsprechung zusammenfassend - im Erkenntnis VfSlg. 5910/1969 ausgeführt hat, ist aus Art10 Abs1 Z6 B-VG abzuleiten, daß sich die Zuständigkeit zur Erlassung und Vollziehung von Verwaltungsstrafbestimmungen nach der Zuständigkeit zur Regelung und Vollziehung der betreffenden Angelegenheit - des Verwaltungszweiges, auf den sich die Verwaltungsstrafbestimmungen beziehen - richtet, daß also die verwaltungsstrafrechtliche Kompetenz akzessorischer Natur ist (siehe dazu etwa auch VfSlg. 5951/1969, 8155/1977, 8343/1978, 8866/1980, 9337/1982, 10.678/1985).

Der Landesgesetzgeber ist mithin angesichts seiner Zuständigkeit zur Erlassung einer dem §1 Abs1 GAG entsprechenden Vorschrift auch zur Erlassung des §16 Abs2 GAG kompetent, der - soweit hier von Bedeutung - lediglich die verwaltungsstrafrechtliche Sanktion für die - unter bestimmten Voraussetzungen erfolgende - Übertretung des im §1 Abs1 GAG festgelegten Gebotes enthält.

Entgegen ihrer Ansicht ist demnach die Beschwerdeführerin auch insoweit, als der angefochtene Bescheid sich auf §16 Abs2 GAG stützt, nicht durch Anwendung einer verfassungswidrigen Vorschrift in ihren Rechten verletzt worden.

6.a) Im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz erachtet sich die Beschwerdeführerin dadurch verletzt, daß sie wegen ein und desselben Verhaltens zweimal, und zwar auf Grund verschiedener, demselben Zweck - nämlich der Sicherung des Parkraumbedarfes durch Unterbindung des Abstellens von Fahrzeugen ohne Kennzeichen - dienender Vorschriften bestraft worden sei.

b) Der Verfassungsgerichtshof vermag dem Standpunkt der Beschwerdeführerin auch in dieser Hinsicht nicht beizupflichten.

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.072/1986) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise eine gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei der Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, daß die Rechtsvorschriften, auf die sich der angefochtene Bescheid inhaltlich gründet - §1 Abs1 und §16 Abs2 GAG - gegen den (auch den Gesetzgeber bindenden, vgl. etwa VfSlg. 10.064/1984, 10.084/1984) Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Auch beim Verfassungsgerichtshof sind unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles solche Bedenken nicht entstanden.

Insbesondere ist es weder durch den Gleichheitsgrundsatz noch durch eine andere verfassungsrechtliche Norm grundsätzlich ausgeschlossen, durch Gesetz ein Verhalten als Verwaltungsübertretung mit Strafe zu bedrohen, das zugleich nach einer anderen Rechtsvorschrift den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung (oder einen gerichtlich strafbaren Tatbestand) bildet (vgl. in diesem Zusammenhang etwa VfSlg. 3915/1961, 8191/1977, 8295/1978, 10.137/1984).

Es kann schließlich keine Rede davon sein - und wird auch von der Beschwerdeführerin nicht behauptet - daß die Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides den von ihr angewendeten Rechtsvorschriften einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder Willkür geübt hätte.

Die Beschwerdeführerin ist mithin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nicht verletzt worden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß die Beschwerdeführerin in einem von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht gesetzmäßig ist, hat nicht der Verfassungsgerichtshof, sondern der Verwaltungsgerichtshof zu beurteilen.

Die Beschwerde war daher abzuweisen und gemäß Art144 Abs3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Gebrauchsabgaben, Privatwirtschaftsverwaltung, Hoheitsverwaltung, Kompetenz Bund - Länder / Straßenpolizei, Kompetenz Bund - Länder / Straßenverwaltung, Kompetenz Bund - Länder / Verwaltungsstrafrecht, Straßenverwaltung Widmung, Auslegung Kompetenzbestimmungen, Verwaltungsstrafrecht Verfassungsfragen, Gesichtspunktetheorie, Straßenpolizei Halten und Parken, Gemeingebrauch, Straftatbestand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:B1071.1987

Dokumentnummer

JFT_10108994_87B01071_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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