TE Vwgh Erkenntnis 1992/5/19 91/08/0189

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Veröffentlicht am 19.05.1992
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §11;
AlVG 1977 §12 Abs3 litf;
AlVG 1977 §12 Abs4;
AlVG 1977 §12 Abs5;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs2;
AlVG 1977 §9 Abs3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §56;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des R in B, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landesarbeitsamtes Oberösterreich vom 7. November 1991, Zl. IVa-AlV-7022/O/B/4506 110467/Wels, betreffend Zuerkennung des Arbeitslosengeldes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stand zuletzt in der Zeit vom 4. Juli 1988 bis 26. August 1990 in einem

arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstverhältnis zur E GesmbH als Müller. Dieses Dienstverhältnis endete durch Kündigung seitens des Beschwerdeführers. Am 27. August 1990 beantragte der Beschwerdeführer beim Arbeitsamt Wels die Zuerkennung von Arbeitslosengeld. Vom 12. September 1990 bis 11. Juli 1991 besuchte er die Meisterschule für Müllerei in Wels.

Mit Bescheid des Arbeitsamtes Wels vom 3. Oktober 1990 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum vom 27. August 1990 bis 23. September 1990 (Nachsicht gemäß § 11 AlVG in Verbindung mit § 10 Abs. 2 AlVG) mit der Begründung abgewiesen, der Beschwerdeführer habe das Dienstverhältnis bei der Firma K (identisch mit der E GesmbH) selbst gelöst, ohne daß berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht vorgelegen hätten.

Mit Bescheid vom 8. Oktober 1990 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes (ab 24. September 1990) gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit § 12 AlVG mangels Arbeitslosigkeit mit der Begründung abgewiesen, der Beschwerdeführer besuche die Meisterschule für Müllerei, daher bestehe kein Anspruch auf Arbeitslosengeld ab 24. September 1990.

Gegen beide Bescheide erhob der Beschwerdeführer Berufung an das Landesarbeitsamt Oberösterreich und begründete sein Rechtsmittel damit, er habe drei Klassen der Getreidefachschule in Wels besucht, danach seinen ordentlichen Präsenzdienst abgeleistet und in Wien in der K-mühle (identisch mit der vorgenannten E GesmbH) Arbeit bekommen; dies sei Voraussetzung gewesen, um später die Meisterklasse der Fachschule besuchen und die berufliche Ausbildung abschließen zu können. Anfang dieses Jahres (1990) habe er erfahren, daß diese Meisterklasse nur mehr 1990/91, vielleicht noch 1991/92 angeboten werde (wegen Änderung des Schultypus auf fünf Jahre mit Maturaabschluß). Es sei für seine berufliche Zukunft eigentlich selbstverständlich, daß er dies wahrnehmen habe müssen. In Wien habe er eine Einraumwohnung (kein Bad bzw. Dusche, das Gemeinschafts-WC am Gang) bewohnt. Da er im Mai 1990 geheiratet habe, habe er - jedoch vergeblich - eine größere Wohnung zu bekommen versucht, zumal auch ein Kind unterwegs gewesen sei (die Geburt der Tochter sei am 18. September 1990 erfolgt). Zwischenzeitlich habe sich die Möglichkeit ergeben, im Heimatort seiner Gattin (B) eine kleine Wohnung zu bekommen. Von hier aus könne er die Meisterklasse besuchen, ohne von seiner Familie getrennt leben zu müssen und im Vertrauen darauf, daß er - wenn er sich weiterbilde - die Arbeitslosenunterstützung bekommen könne, habe er sein Dienstverhältnis gekündigt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen die Bescheide des Arbeitsamtes Wels

a) vom 3. Oktober 1990 und b) vom 8. Oktober 1990 nicht stattgegeben und begründend ausgeführt, triftige Gründe im Sinne des § 10 Abs. 2 AlVG seien insbesondere jene wichtigen Gründen, die den Dienstnehmer auf Grund gesetzlicher Bestimmungen oder persönlicher oder wirtschaftlicher Verhältnisse zum vorzeitigen Austritt aus dem Dienstverhältnis berechtigen bzw. zwingen. Die Verwendung des Wortes "triftig" deute darauf hin, daß der Gesetzgeber nicht nur die gänzlich grundlose Herbeiführung des versicherten Risikos "Arbeitslosigkeit" als mangelnde und damit zumindest temporär anspruchshemmende Arbeitswilligkeit deute, sondern auch jene Fälle der Auflösung des Dienstverhältnisses als vermeidbare und daher der Versichertengemeinschaft nicht ohne weiteres zumutbare Leistungsfälle betrachte, in denen zwar ein Grund für die Auflösung ins Treffen geführt werden könne, es diesem aber - gemessen an den auf Grund der Gesetzeszwecke an den einzelnen Versicherten zu richtenden Verhaltensanforderungen - an zureichender Bedeutung mangele. Bei freier Würdigung der Beweis- und Sachlage könne ein triftiger Grund im Sinne der zitierten Bestimmung nicht erkannt werden. Auch die Ausnahmegenehmigung im Sinn des § 12 Abs. 4 AlVG könne nicht erteilt werden, da diese nur zulässig sei, wenn durch den Besuch eine Saisonarbeitslosigkeit überbrückt werde oder bei anderen schulischen Ausbildungen, wenn diese nebenberuflich besucht werden könnten. Die genannten Fällen lägen beim Beschwerdeführer aber nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit seines Inhaltes durch fehlerhafte Anwendung der einschlägigen Rechtsnormen bzw. des darin der belangten Behörde eingeräumten Ermessens geltend macht.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und legte

die Verwaltungsakten vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

I. Zu Punkt a) des angefochtenen Bescheides (Verweigerung der Nachsichterteilung von der Sperrfrist für die Zeit vom 27. August bis 23. September 1990):

§ 11 AlVG lautet:

"Arbeitslose, deren Dienstverhältnis infolge eigenen Verschuldens beendet worden ist oder die ihr Dienstverhältnis freiwillig ohne triftigen Grund gelöst haben, erhalten für die Dauer von vier Wochen, gerechnet vom Tag der Beendigung des Dienstverhältnisses an, kein Arbeitslosengeld. § 10 Abs. 2 gilt sinngemäß."

§ 10 Abs. 2 AlVG lautet:

"Der Ausschluß vom Bezug des Arbeitslosengeldes ist in berücksichtigungswürdigen Fällen wie z.B. Aufnahme einer anderen Beschäftigung ganz oder teilweise nachzusehen."

Nach § 11 in Verbindung mit § 10 Abs. 2 AlVG entfällt eine Sperrfrist, wenn entweder ein triftiger Grund vorliegt oder trotz Fehlens eines solchen berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht gegeben sind. Bei Beurteilung des hier vorliegenden Sachverhaltes ist aber zwischen den Zeiträumen vor Schulbeginn (27. August bis 11. September 1990) und nach Schulbeginn (12. September bis 23. September 1990) zu unterscheiden, da zunächst zu prüfen ist, ob die Lösung des Dienstverhältnisses durch den Beschwerdeführer zum Zwecke des Besuches der Meisterschule oder die von ihm geltend gemachten privaten Umstände "triftige Gründe" im Sinn des § 11 AlVG waren, ob also trotz Lösung des Dienstverhältnisses Arbeitswilligkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 AlVG anzunehmen ist, weil diese gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 AlVG erst Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld ist.

aa) Die mangelnde Arbeitswilligkeit wird in den §§ 9 ff AlVG näher geregelt; während § 9 jene Fälle regelt, in denen Arbeitslosigkeit bereits eingetreten ist, der Arbeitslose jedoch an der Beendigung dieses Zustandes nicht hinreichend mitwirkt, bestimmt § 11 in Ergänzung dazu, daß die im § 10 AlVG vorgesehenen Sanktionen auch denjenigen treffen, der den Zustand der Arbeitslosigkeit infolge Auflösung seines Dienstverhältnisses ohne triftigen Grund herbeiführt. Diese Bestimmungen sind Ausdruck der dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszwecke, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung einer ihm zumutbaren Beschäftigung in den Arbeitsmarkt einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Demnach unterscheidet § 10 AlVG die schuldhafte Herbeiführung des Zustandes der Arbeitslosigkeit einerseits und die schuldhafte Vereitelung der Beendigung der Arbeitslosigkeit andererseits.

Der Beschwerdeführer macht als triftige Gründe den aus beruflichen Erwägungen begonnenen Schulbesuch zum einen, seine familiären Umstände zum anderen geltend. Es trifft zwar zu, daß unter den in § 11 AlVG genannten "triftigen Gründen" nicht nur Austrittsgründe im Sinne des Arbeitsvertragsrechtes (etwa im Sinn des § 26 Angestelltengesetz) zu verstehen sind; die Verwendung des Wortes "triftig" deutet aber darauf hin, daß der Gesetzgeber nicht nur die gänzlich grundlose Herbeiführung des versicherten Risikos "Arbeitslosigkeit" als mangelnde und damit zumindest temporär anspruchshemmende Arbeitswilligkeit deutet, sondern auch jene Fälle der Auflösung von Dienstverhältnissen als vermeidbare Leistungsfälle betrachtet, in denen zwar ein Grund für die Auflösung des Dienstverhältnisses ins Treffen geführt werden kann, es diesem Grunde aber an zureichendem Gewicht mangelt. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes sind bei Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffs "triftige Gründe" vor allem Zumutbarkeitsgesichtspunkte maßgebend, wie sie § 9 Abs. 2 und 3 AlVG auch für den arbeitslos gewordenen Versicherten im Hinblick auf dessen Verpflichtung, eine vom Arbeitsamt vermittelte oder sich bietende Arbeitsgelegenheit zu ergreifen, vorsieht. Die bei Anwendung des § 11 AlVG vorzunehmende Zumutbarkeitsprüfung wird sich daher auch an Umständen zu orientieren haben, die einem zur Auflösung des Dienstverhältnisses berechtigenden wichtigen Grund (etwa im Sinn des § 26 Angestelltengesetz) zumindest nahe kommen. Daher können unter "triftigen Gründen" iSd § 11 AlVG auch jene verstanden werden, die zur Ablehnung einer unmittelbaren Beschäftigung nach § 9 Abs. 2 AlVG berechtigen würden.

In diesem Zusammenhang bringt der Beschwerdeführer vor, er habe drei Klassen der Getreidefachschule in Wels besucht, danach seinen ordentlichen Präsenzdienst abgeleistet und in W bei der K-mühle Arbeit gefunden, was Voraussetzung gewesen sei, UM später die Meisterklasse der Fachschule besuchen und DIE BERUFLICHE AUSBILDUNG ABSCHLIESZEN ZU KÖNNEN. Anfang des Jahres 1990 habe er erfahren, daß diese Meisterklasse nur mehr 1990/91, vielleicht noch 1991/92 angeboten werde, dies wegen Änderung des Schultypus auf fünf Jahre mit Maturaabschluß; es sei für ihn und seine berufliche Zukunft selbstverständlich gewesen, daß er dies wahrnehmen habe müssen. Er macht damit also geltend, daß der Besuch der Meisterschule für Müller als Fortsetzung im Rahmen einer Gesamtausbildung zur Erlangung einer höheren Qualifikation notwendig gewesen sei und darüber hinaus seine persönlichen Verhältnisse dergestalt gewesen seien, daß eine Übersiedlung von W nach Wels gerade aus Zumutbarkeitskriterien geboten schien. Gemäß § 9 Abs. 3 AlVG ist eine Beschäftigung außerhalb des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Arbeitslosen zumutbar, wenn hiedurch die Versorgung seiner Familienangehörigen, zu deren Unterhalt er verpflichtet ist, nicht gefährdet wird und am Ort der Beschäftigung, wenn eine tägliche Rückkehr an den Wohnort nicht möglich ist, entsprechende Unterkunftsmöglichkeiten bestehen. In seiner Berufung macht der Beschwerdeführer demnach Umstände geltend, die im Sinne der vorzitierten Gesetzesbestimmung die Zumutbarkeit ausschließen könnten. Diese wurden von der belangten Behörde aber weder erhoben noch festgestellt. Wäre nämlich ohne Fortsetzung der Berufsausbildung die künftige Verwendung im Beruf des Arbeitslosen wesentlich erschwert, wäre die Auflösung des Dienstverhältnisses zu dem Zweck des Abschlusses der beruflichen Gesamtausbildung als "aus triftigem Grund" erfolgt anzusehen. Die belangte Behörde hätte daher Feststellungen darüber zu treffen gehabt, ob die vom Beschwerdeführer angestrebte Ausbildung für die Verwendung in seinem Beruf und unter Berücksichtigung der Lage auf dem Arbeitsmarkt geboten schien. Sollten darüberhinaus die Behauptungen des Beschwerdeführers über seine familiäre Situation zutreffen, wäre die Triftigkeit im Sinne der vorgenannten Bestimmung wohl zu bejahen.

bb) Zeitraum vom 12. bis 23. September 1990 (Schulbesuch)

Für diesen Zeitraum war ferner zu prüfen, ob der Beschwerdeführer wegen des von ihm ins Treffen geführten Schulbesuches arbeitslos im Sinne des § 12 AlVG anzusehen ist, da die Prüfungskriterien nach §§ 10 und 12 AlVG nicht identisch sind. Es wäre daher denkbar, daß zwar Arbeitslosengeld trotz Selbstkündigung anfangs gebührt, durch die Aufnahme schulischer Ausbildung aber noch während der Sperrfrist mangels Arbeitslosigkeit im Sinn des § 12 AlVG endet. Wegen der miteinander verknüpften Thematik wird hiezu jedoch auf die folgenden Ausführungen zu Punkt b) des angefochtenen Bescheides verwiesen.

II. Zu Punkt b) des angefochtenen Bescheides (Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes für die Zeit ab 24. September 1990):

Gemäß § 12 Abs. 3 lit. f AlVG gilt insbesondere nicht als arbeitslos im Sinne der Abs. 1 und 2 leg. cit., wer in einer Schule oder einem geregelten Lehrgang - so als ordentlicher Hörer einer Hochschule, als Schüler einer Fachschule oder mittleren Lehranstalt - ausgebildet wird oder, ohne daß ein Dienstverhältnis vorliegt, sich einer praktischen Ausbildung unterzieht. Nach Abs. 4 des § 12 AlVG kann das Arbeitsamt von den Bestimmungen des Abs. 3 lit. f in berücksichtigungswürdigen Fällen Ausnahmen zulassen, insbesondere, wenn der Arbeitslose dem Studium oder der praktischen Ausbildung bereits während des Dienstverhältnisses, das der Arbeitslosigkeit unmittelbar vorangegangen ist, oblag.

Unstrittig ist, daß der Beschwerdeführer einen Ausbildungslehrgang besuchte bzw. besucht, der den Tatbestand des § 12 Abs. 3 lit. f AlVG erfüllt; er macht aber geltend, daß auf ihn die Ausnahmebestimmung des § 12 Abs. 4 AlVG Anwendung zu finden habe.

Voraussetzung für eine positive Ausübung des den Arbeitsämtern in § 12 Abs. 4 AlVG eingeräumten Ermessens ist das Vorliegen eines in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilenden "berücksichtigungswürdigen Falles" (vgl. zuletzt Erkenntnis vom 8. Mai 1990, Zl. 90/08/0066, und den darin enthaltenen Hinweis auf die Vorjudikatur). Unstrittig ist ferner, daß der im Gesetz demonstrativ genannte berücksichtigungswürdige Fall eines Schul- und Lehrgangsbesuches schon WÄHREND des vorangegangenen Dienstverhältnisses hier nicht vorlag. Im Hinblick darauf, daß nach § 12 Abs. 5 AlVG Nach- und Umschulung und der Besuch einzelner Lehrkurse zur Erweiterung der fachlichen oder Allgemeinbildung nicht als Beschäftigung iSd Abs. 1 und 2 leg. cit. gelten (und daher auch nicht als "Ausbildung" iSd Abs. 3 lit. f leg. cit.) erscheint dem Verwaltungsgerichtshof die Auslegung zulässig, wonach auch der Gesichtspunkt der eigenen beruflichen (Höher-)Qualifikation in Verbindung mit Erfordernissen des Arbeitsmarktes einen "berücksichtigungswürdigen Fall" iSd § 12 Abs. 4 AlVG darstellen kann.

Im Beschwerdefall hätte die belangte Behörde daher die individuelle Situation des Arbeitslosen einerseits und die Lage auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere die regionale Situation, andererseits zu würdigen und danach zu beurteilen gehabt, ob auf Grund dieser Prämissen ein "berücksichtigungswürdiger Fall" vorliegt. Derartige Erhebungen wurden aber weder vom Arbeitsamt noch von der belangten Behörde gepflogen; der Bescheid des Arbeitsamtes Wels enthält zur Frage der Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des § 12 Abs. 4 AlVG überhaupt keine Begründung, der angefochtene Bescheid stellt die Anwendbarkeit der im § 12 Abs. 4 AlVG genannten Ausnahme nur auf die Möglichkeit der Überbrückung von Saisonarbeitslosigkeit bzw. der Möglichkeit des nebenberuflichen Besuches der schulischen Ausbildung ab. Diese einschränkende Interpretation findet aber im Gesetzeswortlaut keine Deckung. Die nach dem Akteninhalt als Rechtsgrundlage der von der belangten Behörde vertretenen Rechtsansicht zitierte Erlaß des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 26. Juni 1990, Zl. 35.803/29-7/90, ist in einem gesetzlich hiefür vorgesehenen Medium nicht veröffentlicht worden und stellt damit keine gehörig kundgemachte Rechtsverordnung dar. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt ein Erlaß einer Verwaltungsbehörde, der nicht in einem gesetzlich vorgesehenen Veröffentlichungsorgan kundgemacht worden ist, keine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren maßgebende Rechtsquelle dar, die der Verwaltungsgerichtshof zu beachten hätte (vgl. insbesondere auch das Erkenntnis vom 7. Juli 1987, Zl. 87/12/0089).

Es bleibt daher im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die Sachverhaltsgrundlagen für die Ausübung des Ermessens von der Behörde amtswegig, das heißt ohne präzise diesbezügliche Behauptungen des Beschwerdeführers hätte erhoben werden müssen.

Auf das behördliche Verfahren vor den Arbeitsämtern bzw. den Landesarbeitsämtern findet das AVG insoweit Anwendung, als im AlVG keine abweichenden Regelungen getroffen wurden; angesichts der zitierten Rechtsquellen gelten daher im Leistungsverfahren unter anderem das Prinzip der Amtswegigkeit, der Grundsatz des Parteiengehörs sowie die Grundsätze der freien Beweiswürdigung und der Unbeschränktheit der Beweismittel. Das Offizialprinzip im Leistungsverfahren verpflichtet die Behörde, den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen festzustellen. Sie bestimmt daher den Gang des Verfahrens, das heißt: der Ablauf des Verwaltungsverfahrens nach Geltendmachung des Anspruches ist grundsätzlich der Disposition der Partei entzogen, sodaß es dem Arbeitsamt obliegt, Erhebungen, die zur Klärung des Sachverhalts benötigt werden, durchzuführen (vgl. Erkenntnis vom 12. Jänner 1961, Slg. Nr. 5466/A). Dabei erstreckt sich die Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes auf die Ermittlung aller unter dem Gesichtspunkt der anzuwendenden Rechtsvorschriften im konkreten Fall in Betracht kommenden Tatsachen und deren Erhärtung durch Beweise (vgl. Erkenntnis vom 28. September 1978, Zl. 1158/77). Insbesondere einer rechtsunkundigen und nicht rechtsfreundlich vertretenen Partei gegenüber ist die Verwaltungsbehörde zur Manuduktion verpflichtet (vgl. Erkenntnis vom 15. April 1977, Zl. 2698/78).

Der Beschwerdeführer macht nun in diesem Zusammenhang geltend, die belangte Behörde hätte sich mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers eingehender auseinanderzusetzen gehabt. Die nunmehr besuchte Fachschule sei auf Grund der Situation des Beschwerdeführers auf dem Arbeitsmarkt für Müller ein "berufliches Muß".

Die belangte Behörde hätte daher zu prüfen gehabt, ob die vom Beschwerdeführer besuchte Meisterschule für Müller nach den in der Judikatur entwickelten Kriterien Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 AlVG ausschließt oder nicht, ob der Besuch dieser Schule durch die Anforderung des Arbeitsmarktes gerechtfertigt erscheint oder nicht.

Da aber die belangte Behörde aus rechtlichen Erwägungen, die vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt werden, diese Prüfung nicht vorgenommen hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4 Beweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärter Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Sachverhaltsermittlung Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991080189.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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