TE Vwgh Erkenntnis 1992/5/19 91/11/0161

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Veröffentlicht am 19.05.1992
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §38;
AVG §58 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §73 Abs2;
VwGG §27;
VwGG §36 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 4. Oktober 1991, Zl. IIb2-K-2123/4-1991, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in Ansehung seiner Aussprüche über die vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 4. Oktober 1991 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die ihm erteilte Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, E, F und G entzogen und zugleich gemäß § 73 Abs. 3 leg. cit. bestimmt, daß dem Beschwerdeführer auf die Dauer von vier Wochen, gerechnet ab der am 24. Oktober 1990 erfolgten Zustellung des Mandatsbescheides der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 18. Oktober 1990, "keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer macht geltend, daß er am 3. Oktober 1991 an die Tiroler Landesregierung den "Devolutionsantrag" gestellt habe, sie möge über die in der Berufung vom 6. Februar 1991 (gegen den Vorstellungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 21. Jänner 1991) gestellten Anträge "selbst entscheiden", und demnach die belangte Behörde zur Erlassung des angefochtenen Bescheides unzuständig gewesen sei. Dem Beschwerdeführer ist entgegenzuhalten, daß zwar gemäß § 73 Abs. 2 AVG dann, wenn der Partei innerhalb der hiefür nach Abs. 1 dieses Paragraphen maßgeblichen Frist der Bescheid nicht zugestellt wird, auf ihr schriftliches Verlangen die Zuständigkeit zur Entscheidung an die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde übergeht, die Tiroler Landesregierung aber im Verhältnis zur belangten Behörde nicht als eine derartige Behörde anzusehen ist, handelt es sich doch um eine Angelegenheit des Kraftfahrwesens, weshalb bei Säumigkeit der belangten Behörde der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr anzurufen gewesen wäre (vgl. unter anderem die Säumnisbeschwerden gemäß § 27 VwGG betreffenden Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. November 1987, Zl. 87/11/0243, und vom 26. Juni 1990, Zl. 90/11/0112). An der bestehenden Zuständigkeit der belangten Behörde zur Entscheidung über die Berufung des Beschwerdeführers hat sich daher durch diesen verfehlten "Devolutionsantrag" - ungeachtet dessen, daß über ihn bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides keine Entscheidung ergangen ist - nichts geändert.

Vorauszuschicken ist weiters, daß der Beschwerdeführer - mit seinem Antrag, "dieser Berufung aufschiebende Wirkung zuzuerkennen" - zwar auch den Ausspruch im erstinstanzlichen Bescheid vom 21. Jänner 1991 über den Ausschluß der aufschiebenden Wirkung einer allfälligen Berufung gemäß § 64 Abs. 2 AVG bekämpft und die belangte Behörde - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - im Hinblick darauf, daß der Spruch des angefochtenen Bescheides keinerlei Einschränkung enthält, darüber (wenn auch insoweit ohne jede Begründung) ebenso im abweislichen Sinne entschieden hat, sich aber der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde dagegen nicht wendet, sodaß dieser (vom übrigen Teil trennbare) Ausspruch jedenfalls aufrecht zu bleiben hat. Ob über den weiteren Antrag des Beschwerdeführers in seiner Berufung, "gemäß § 57 Abs. 3

2. Satz AVG das Außerkrafttreten des bekämpften Bescheides als

auch des Bescheides vom 18.10.1990 .... schriftlich zu

bestätigen", mit dem angefochtenen Bescheid (dies unzuständigerweise, weil damit die belangte Behörde die "Sache" gemäß § 66 Abs. 4 AVG überschritten hätte) eine Entscheidung getroffen worden ist, kann unerörtert bleiben, weil die Beschwerde auch nicht einen derartigen Ausspruch zum Gegenstand hat.

Die belangte Behörde ist bei ihrer Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 ausgegangen und hat dies damit begründet, daß der Beschwerdeführer mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 29. August 1991 im Zusammenhang mit einem näher genannten Vorfall vom 5. Oktober 1990 wegen einer Übertretung nach § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 bestraft worden sei. Sie stellt in ihrer Gegenschrift den vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Umstand, daß das Straferkenntnis noch nicht in Rechtskraft erwachsen sei, nicht in Abrede, meint aber, daß eine derartige Bestrafung nicht Voraussetzung für das Vorliegen einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 1 KFG 1967 sei, sie berechtigt gewesen sei, als Vorfrage gemäß § 38 AVG zu prüfen, ob "eine solche Übertretung als Voraussetzung für eine vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung verwirklicht wurde", und diese für sie "zweifelsfrei gegeben" gewesen sei. Hiebei geht die belangte Behörde darüber hinweg, daß sie nach der Begründung des angefochtenen Bescheides der Beurteilung der genannten Vorfrage lediglich das von ihr angeführte Straferkenntnis - so, als wäre es bereits rechtskräftig und daher für sie bindend - und nicht im Sinne des § 38 AVG ihre über die maßgebenden Verhältnisse gewonnene eigene Anschauung zugrundegelegt hat. Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren ausdrücklich bestritten, die ihm zur Last gelegte strafbare Handlung begangen zu haben, und es wäre Sache der belangten Behörde gewesen, sich mit seinem Vorbringen auseinanderzusetzen. Wenn sie dies erst in ihrer Gegenschrift nachzuholen versucht, so kann darauf nicht Bedacht genommen werden.

Da somit der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid in Ansehung der eingangs wiedergegebenen Aussprüche über die vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Anrufung der obersten BehördeRechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche EntscheidungenBegründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelSachverhalt VorfrageBesondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des BerufungsbescheidesIndividuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991110161.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

29.04.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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