TE Vwgh Erkenntnis 1992/5/25 91/19/0259

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Veröffentlicht am 25.05.1992
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

ASchG 1972 §31 Abs2 litp;
ASchG 1972 §33 Abs1 lita Z12;
ASchG 1972 §33 Abs7;
BArbSchV §43 Abs1;
BArbSchV §44 Abs1;
BArbSchV §44 Abs2;
BArbSchV §44 Abs4;
VStG §44a Z1;
VStG §44a Z2;
VStG §9 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des RE in L, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 15. Juli 1991, Zl. Ge-47.498/6-1991/Pan/Neu, betreffend Bestrafung wegen Übertretung der Bauarbeiterschutzverordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach vom 2. August 1990 war der Beschwerdeführer einer Übertretung des § 43 Abs. 1 Bauarbeiterschutzverordnung, BGBl. Nr. 267/154, schuldig erkannt und hiefür gemäß § 31 Abs. 2 lit. p iVm § 33 Abs. 7 Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl. Nr. 234/1972, mit einer Geldstrafe in der Höhe von S 20.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 40 Tagen) bestraft worden, weil er "als handelsrechtlicher Geschäftsführer und verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlicher der "E Ges.m.b.H."

mit dem Sitz in L am 16.5.1989 auf der Baustelle C vier Arbeitnehmer (H F, geb. 13.5.1960, D P, geb. 13.5.1967, R R, geb. 13.3.1968 und K F, geb. 19.12.1967) mit Dachdeckerarbeiten beschäftigt (hat), ohne daß Sicherheitsmaßnahmen, die ein Abstürzen von Menschen und Geräten hintanzuhalten geeignet sind (z.B. Schutzblenden, -Scheuchen, Schutzgerüst, Sicherheitsgürtel, Sicherheitsgeschirre), durchgeführt wurden. Die Dachneigung der betreffenden Dachfläche betrug ca. 42 Grad und die Traufenhöhe ca. 7 m."

2. Mit Bescheid (Spruchpunkt II) vom 15. Juli 1991 wies der Landeshauptmann von Oberösterreich (die belangte Behörde) die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 iVm § 24 und § 19 VStG 1950 sowie § 31 Abs. 2 lit. p Arbeitnehmerschutzgesetz als unbegründet ab und bestätigte das Straferkenntnis mit der Änderung, daß nach den Worten "Geschäftsführer und" die Worte "damit gemäß § 9 Abs. 1 VStG 1950" einzufügen seien; weiters sei die gesetzliche Grundlage durch § 33 Abs. 1 lit. a Z. 12 Arbeitnehmerschutzgesetz zu vervollständigen.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, mit dem Begehren aus diesen Gründen den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.

4. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Unter dem Titel inhaltlicher Rechtswidrigkeit wirft die Beschwerde der belangten Behörde vor, der von ihr im wesentlichen bestätigte Schuldspruch des Straferkenntnisses sei zu unbestimmt gefaßt. Es würden lediglich Dacharbeiten erwähnt, die von Arbeitnehmern des Beschwerdeführers ausgeführt worden seien, ohne näher zu konkretisieren, mit welchen Arbeiten (Neu- oder Umdeckungen, umfangreiche Reparaturarbeiten) diese beschäftigt gewesen seien. Der Behörde sei es deshalb auch nicht möglich gewesen, dem Beschwerdeführer vorzuwerfen, welche Sicherheitsmaßnahmen gemäß § 44 Bauarbeiterschutzverordnung er im einzelnen zu treffen gehabt hätte. Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

2.1. § 43 Abs. 1 Bauarbeiterschutzverordnung (in der Folge: BArbSchV) - jene Verwaltungsvorschrift, die explizit durch die als erwiesen angenommene Tat des Beschwerdeführers von der belangten Behörde als verletzt erachtet worden ist (§ 44a lit. b VStG 1950) - lautet:

"Arbeiten auf Dächern, wie Dachdecker-, Spengler-, Bauglaser- oder Anstreicherarbeiten sowie Arbeiten an Blitzschutzanlagen dürfen erst nach Durchführung von Sicherheitsmaßnahmen, die ein Abstürzen von Menschen, Materialien und Geräten hintanzuhalten geeignet sind, begonnen werden."

Bei dieser Vorschrift handelt es sich - wie die Überschrift hiezu deutlich macht - um "Allgemeine Bestimmungen" für "Arbeiten auf Dächern". Welche konkreten Sicherheitsmaßnahmen bei "Dachdeckerarbeiten" zu treffen sind, ergibt sich aus § 44 BArbSchV.

2.2. Die im Beschwerdefall bedeutsamen Abs. 1, 2 und 4 des § 44 BArbSchV, welche bei "Dachdeckerarbeiten" konkret zu ergreifende Schutzmaßnahmen anordnen, lauten:

"(1) Sind bei Dachdeckerarbeiten Gerüste nach § 43 Abs. 4 nicht vorhanden, sind Schutzmaßnahmen nach den Bestimmungen der folgenden Absätze zu treffen.

(2) Bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung von mehr als 20 Grad und auf einer Traufenhöhe von mehr als 5 m über dem Gelände müssen bei Neu- und Umdeckungen und bei umfangreichen Reparaturarbeiten geeignete Schutzblenden (Scheuchen) vorhanden sein, die den Absturz von Menschen, Materialien und Geräten in sicherer Weise verhindern. Sind sicher befestigte, ausreichend dimensionierte Schneerechen vorhanden, gelten an diesen sicher befestigte, der Höhe der Schneerechen entsprechende Blenden als ausreichender Schutz. Bei einer Dachneigung von mehr als 40 Grad müssen die auf dem Dach Arbeitenden außerdem stets angeseilt sein.

(4) Bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung von mehr als 20 Grad, bei denen nach den Bestimmungen des Abs. 2 Schutzblenden nicht vorhanden sein müssen, haben sich die Dienstnehmer in sicherer Weise anzuseilen."

Diese Normen wurden zwar von der belangten Behörde nicht ausdrücklich - durch das Zitieren im Schuldspruch -, wohl aber - wie sich aus der in Klammern stehenden Wortfolge "z.B. Schutzblenden, Scheuchen, Schutzgerüst, Sicherheitsgürtel, Sicherheitsgeschirre" sowie dem daran anschließenden Satz "Die Dachneigung der betreffenden Dachfläche betrug 42 Grad und die Traufenhöhe ca. 7 m" ergibt - der Sache nach als verletzte Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 44a lit. b VStG 1950 angesehen. Dies zugrunde gelegt, steht der Schuldspruch mit dem Gesetz nicht in Einklang, und zwar weder in Ansehung des § 44a lit. b VStG 1950 (nunmehr § 44a Z. 2 VStG) - denn nach dieser Norm ist die als verletzt erachtete Verwaltungsvorschrift ausdrücklich anzuführen - noch im Grunde des § 44a lit. a VStG 1950 (nunmehr § 44a Z. 1 VStG).

3.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 44a lit. a VStG 1950 (§ 44a Z. 1 VStG) ist die Tat im Straferkenntnis hinsichtlich des Täters und der Tatumstände so genau zu umschreiben, daß die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht wird (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 13. Juni 1984, Slg. Nr. 11466/A).

3.2. Diesem Konkretisierungsgebot wird die bloß beispielsweise "(z.B. Schutzblenden ...)" Bezeichnung jener Schutzmaßnahmen, welche der Beschwerdeführer nach der spruchmäßigen Tatumschreibung zu ergreifen unterlassen hat, nicht gerecht. Dieser Mangel, der es letztlich dem Beschwerdeführer überläßt zu entscheiden, gegen welches Gebot er verstoßen, somit welche konkrete Sicherungsmaßnahme er zu setzen hat, macht es unmöglich zu erkennen, welches im Hinblick auf § 44 (jeweils in Verbindung mit § 43 Abs. 1) BArbSchV relevante Tatverhalten des Beschwerdeführers die belangte Behörde tatsächlich als erwiesen angenommen hat. Von daher gesehen war es nur folgerichtig, daß es die belangte Behörde verabsäumt hat, wesentliche Tatbestandsmerkmale in die Tatumschreibung mitaufzunehmen. So hätte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer in rechtlich einwandfreier Weise nur dann den Vorwurf machen dürfen, er habe die Anbringung von Schutzblenden (Scheuchen) unterlassen, wenn sie das zum objektiven Tatbestand des § 44 Abs. 2 BArbSchV gehörende Moment "bei Neu- und Umdeckungen" oder "bei umfangreichen Reparaturarbeiten" in die Tatumschreibung einbezogen hätte. Gleiches hätte geschehen müssen, wenn dem Beschwerdeführer außerdem angelastet werden sollte, nicht für das Angeseiltsein der auf dem Dach Arbeitenden gesorgt zu haben (§ 44 Abs. 2 letzter Satz BArbSchV). Nur dann, wenn die Behörde dem Beschwerdeführer ausschließlich das zuletzt genannte Versäumnis - als Verstoß gegen § 44 Abs. 4 BArbSchV - hätte anlasten wollen, hätte sie von einer Anführung des vorgenannten Tatbestandsmerkmales absehen dürfen.

4. Der Vollständigkeit wegen sei - unter Bezugnahme auf eine von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift geäußerte verfehlte Rechtsansicht - festgehalten, daß der Beschwerdeführer das erstinstanzliche Straferkenntnis "zur Gänze", somit auch hinsichtlich des (einheitlichen) Schuldspruches bekämpft hat. Die belangte Behörde war demnach - mangels Rechtskraft des erstinstanzlichen Schuldspruches - keineswegs gehindert, im Rahmen der Sache (§ 66 Abs. 4 AVG) ihr allenfalls erforderlich erscheinende Änderungen in der Tatumschreibung vorzunehmen. Im Hinblick auf die Anfechtung des Schuldspruches im Verwaltungsstrafverfahren stand einer Überprüfung desselben im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nichts im Wege.

5. Nach dem Gesagten erweist sich der angefochtene Bescheid als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) Mängel im Spruch Nichtangabe der verletzten Verwaltungsvorschrift

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991190259.X00

Im RIS seit

01.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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