TE Vwgh Erkenntnis 1992/6/2 89/07/0083

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Veröffentlicht am 02.06.1992
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §10 Abs2;
AVG §10 Abs4;
AVG §19 Abs1;
AVG §37;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und den Senatspräsidenten Dr. Salcher sowie die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Kremla und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Waldner, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 10. März 1989, Zl. 512.321/01-I5/88, betreffend wasserrechtliche Bewilligung (mitbeteiligte Partei: Gemeinde W, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 27. Juni 1988 erteilte der Landeshauptmann von Tirol der nun am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof mitbeteiligten Gemeinde auf deren Antrag unter einer Reihe von Vorschreibungen gemäß §§ 9, 11, 12, 13, 21, 22, 34, 99 Abs. 1 lit. c, 111 und 112 WRG 1959 die wasserrechtliche Bewilligung für die Errichtung und den Betrieb einer näher beschriebenen Wasserversorgungsanlage; gleichzeitig wurden gemäß § 111 Abs. 3 WRG 1959 mehrere im Zuge des wasserrechtlichen Verfahrens getroffene Übereinkommen verschiedener Parteien, darunter des Beschwerdeführers, vertreten durch seine Mutter, und der Mitbeteiligten beurkundet. Der Berufung des Beschwerdeführers, der die Vertretungsbefugnis seiner Mutter in Abrede stellte, gab der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft mit Bescheid vom 10. März 1989 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 nicht Folge. Begründend wurde ausgeführt:

Der Beschwerdeführer wende sich mit seiner Berufung einerseits gegen das rechtsgültige Zustandekommen zweier Übereinkommen mit der Mitbeteiligten, andererseits schienen ihm die Ablösesummen bzw. deren Festlegung nicht angemessen zu sein.

In der Frage des rechtsgültigen Zustandekommens sehe die Rechtsmittelbehörde ihre Entscheidungszuständigkeit als gegeben an, da die Übereinkommen die Einräumung entsprechender Zwangsrechte durch die Wasserrechtsbehörde entbehrlich machten. Wenn der Beschwerdeführer behaupte, daß er selbst nie bei einer Verhandlung gewesen sei und seine Mutter nur einmal, jedoch nie für ihn eine verbindliche Erklärung abgegeben habe, so lasse sich dies auf Grund des Akteninhaltes zweifelsfrei entkräften. Die Mutter des Beschwerdeführers sei bei den Verhandlungen am 10. Feber 1986 und am 17. März 1987, der Beschwerdeführer bei der Verhandlung am 20. November 1986 anwesend gewesen. Die Mutter des Beschwerdeführers sei zu den Verhandlungen gemäß § 10 Abs. 4 AVG 1950 zugelassen worden. Sie sei bei den beiden Verhandlungen vom 10. Feber 1986 und vom 17. März 1987 als die Vertreterin ihres Sohnes aufgetreten und habe die erwähnten beiden Übereinkommen unterfertigt, wie die Verhandlungsschrift vom 17. März 1987 zeige. Der Beschwerdeführer habe bei der Verhandlung am 20. November 1986, der schon eine Verhandlung mit seiner Mutter vorangegangen sei, keinerlei Erklärung abgegeben, die darauf schließen ließe, daß er sich von seiner Mutter nicht vertreten lassen wolle. Aus den von der erstinstanzlichen Behörde vorgelegten Akten sei nichts ersichtlich, was an der Vertretungsbefugnis der Mutter des Beschwerdeführers zweifeln ließe. Der Beschwerdeführer müsse demnach die Vertretung durch seine Mutter gegen sich gelten lassen. Die beiden Übereinkommen seien deshalb rechtswirksam zustande gekommen und die Berufung sei somit in dieser Hinsicht abzuweisen gewesen.

Was hingegen die vereinbarten Ablösesumme(n) selbst betreffe, liege eine Entscheidung darüber nicht mehr in der Zuständigkeit der Berufungsbehörde. Denn gemäß § 117 Abs. 7 WRG 1959 in der Fassung der mit 1. Jänner 1989 in Kraft getretenen Wasserrechtsgesetz-Novelle 1988 habe, soweit Angelegenheiten des § 117 Abs. 1 in Übereinkommen (§ 111 Abs. 3) geregelt würden, über die Auslegung und Rechtswirkungen eines solchen Übereinkommens das zuständige Bezirksgericht zu entscheiden. Bei im Zeitpunkt des Inkrafttretens anhängigen Berufungsverfahren gelte nach Art. II dieser Novelle die Tatsache der Anfechtung der Entscheidung der Wasserrechtsbehörde erster Instanz als Anrufung des Gerichtes im Sinne des § 117 Abs. 4, und die Berufungsbehörde habe die Angelegenheit dem zuständigen Bezirksgericht abzutreten. Im Anschluß an dieses Verfahren würden die Akten deshalb dem Bezirksgericht H übermittelt.

Dieser Bescheid wird mit der vorliegenden Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten, wobei sich der Beschwerdeführer nach seinem ganzen Vorbringen in dem Recht verletzt erachtet, ohne Vertretungsbefugnis in seinem Namen abgeschlossene, im Bewilligungsbescheid beurkundete Übereinkommen nicht gegen sich gelten lassen zu müssen.

Die belangte Behörde und die Mitbeteiligte erstatteten Gegenschriften mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im ersten der beiden in Rede stehenden, im erstinstanzlichen Bescheid beurkundeten Übereinkommen erklärten die Vertragspartner der Mitbeteiligten, gegen das Projekt keinen Einwand zu erheben, stimmten der Einräumung der erforderlichen Dienstbarkeit und Rechte für die Errichtung, Erhaltung sowie den Betrieb der Wasserversorgungsanlage zu, traten ihre vorhandenen Rechte an die Mitbeteiligte ab und verlangten hiefür die Befreiung von der Anschlußgebühr für ihre Anwesen. Im zweiten (auch) den Beschwerdeführer betreffenden Übereinkommen stimmten die Grundeigentümer der Grundinanspruchnahme durch die Fassung von Quellen zu, verlangten, daß dabei die Beeinträchtigung durch das - im Bescheid vorbehaltene - Schutzgebiet, dessen (künftiger) Einräumung sie zustimmten, möglichst gering ausfalle und verlangten, daß die dafür zu entrichtende Entschädigung durch eine Schätzung eines Sachverständigen der Bezirkslandwirtschaftskammer festgelegt werde, wobei sich die Parteien mit diesem Schätzgutachten (im voraus) einverstanden erklärten.

Vom Beschwerdeführer ist die § 117 Abs. 7 WRG 1959 in der Fassung der Wasserrechtsgesetz-Novelle 1988 betreffende Rechtsanschauung der belangten Behörde nicht bekämpft worden. Da nach der eben angeführten Gesetzesstelle (in Verbindung mit dem schon genannten Artikel II dieser Novelle) das Gericht über die Auslegung und Rechtswirkungen (die auch das gültige Zustandekommen umfassen) eines nach § 111 Abs. 3 WRG 1959 getroffenen Übereinkommens zu entscheiden hat, "soweit" in diesem Angelegenheiten des § 117 Abs. 1 ("über die Pflicht zur Leistung von Entschädigungen, Ersätzen, Beiträgen und Kosten" der dort näher bezeichneten Art) geregelt werden, pflichtet der Verwaltungsgerichtshof dem von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vertretenen Rechtsstandpunkt bei, daß (nur) in dem eben bezeichneten Umfang ausschließlich das zuständige Bezirksgericht zur Entscheidung berufen ist. Damit verbleibt die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde zur Beurteilung der Rechtsgültigkeit der getroffenen Übereinkommen in der von Fragen des § 117 Abs. 1 und 7 WRG 1959 nicht betroffenen Hinsicht. In diesem Rahmen erfolgt die folgende Beurteilung des Beschwerdevorbringens.

Unbestritten im Beschwerdefall ist, daß eine Vertretungsbefugnis der Mutter des Beschwerdeführers zum Abschluß der in Rede stehenden Übereinkommen nicht auf eine ausdrückliche Vollmacht des Beschwerdeführers zurückzuführen war, sondern aus § 10 Abs. 4 AVG abgeleitet wurde. Nach dieser Bestimmung kann die Behörde von einer ausdrücklichen Vollmacht absehen, wenn es sich um die Vertretung unter anderem durch amtsbekannte Familienmitglieder handelt und Zweifel über Bestand und Umfang der Vertretungsbefugnis nicht obwalten. Um eine solche Vertretung annehmen zu können, ist es jedoch erforderlich, daß der zu Vertretende nachgewiesenermaßen von der Verhandlung persönlich verständigt worden ist, weil nur damit die Prämisse für das "Absehen von einer ausdrücklichen Vollmacht" geschaffen worden wäre (siehe die Rechtsprechung bei Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 1987, S. 242 f.). Ist diese Voraussetzung erfüllt, genügt in bezug auf den in § 10 Abs. 4 AVG bezeichneten Personenkreis, also etwa für amtsbekannte Familienmitglieder - zu denen, wenn dies auch in der Beschwerde unverständlicherweise in Frage gestellt wird, die Mutter des Beschwerdeführers zählte -, das Fehlen von Zweifeln über Bestand und Umfang der Vertretungsbefugnis; die Behörde braucht daher zunächst in einem solchen Fall nicht Untersuchungen in der Richtung anzustellen, die auf einen Nachweis einer ausdrücklichen Vollmacht hinauslaufen würden, von der nach § 10 Abs. 4 AVG gerade abgesehen werden kann. Die Behörde hat allerdings im Streitfall die Vertretungsbefugnis klarzustellen, weil kein Beteiligter wider seinen Willen eine von ihm nicht bestellte Person als seinen Bevollmächtigten gelten lassen muß (siehe die Rechtsprechung bei Ringhofer, a. a.O.). In diesem Zusammenhang ist das Vorliegen einer persönlichen Verständigung auch aus den eben angeführten Gründen bedeutsam: wenn der Beschwerdeführer ordnungsgemäß geladen wurde, selbst bei der Verhandlung nicht erschienen ist, jedoch ein Familienmitglied an seiner Stelle auftrat, müßte der behauptetermaßen zu Unrecht Vertretene hinterher entsprechend gewichtige Gründe für seine Behauptung dartun, etwa, daß (und warum) er selbst nicht an der Verhandlung habe teilnehmen wollen und besagtem Familienmitglied seine Vertretung überhaupt oder in einer bestimmten Richtung untersagt habe. Derlei Umstände sind nach den Verwaltungsakten nicht geltend gemacht worden oder hervorgekommen; warum auf der anderen Seite die Wasserrechtsbehörde Bedenken gehabt haben sollte, ist ebenfalls nicht aufgezeigt worden, weil der Beschwerdeführer zu Unrecht grundsätzlich von der Notwendigkeit eines behördlichen Ermittlungsverfahrens in Richtung eines Bevollmächtigungsnachweises auszugehen scheint. Andererseits ist mangels Vorliegens einer ausdrücklichen Vollmacht die Voraussetzung der (ordnungsgemäßen) persönlichen Verständigung von der Verhandlung anlaßbezogen zu sehen. § 10 Abs. 4 AVG ist also nur anzuwenden, wenn jene Verständigung die Verhandlung betrifft, in der eine solche - später bestrittene - Vertretung stattfindet. Denn wenn sich ein möglicherweise Vertretener nicht zu einer ausdrücklichen Bevollmächtigung eines bestimmten Familienmitgliedes entschließt, kann aus der Tatsache, daß dieselbe Partei im Fall persönlicher Verständigung bei einer ersten Gelegenheit gemäß § 10 Abs. 4 AVG von jenem vertreten wurde, nicht darauf geschlossen werden, daß sie, auch wenn bei einer anderen Gelegenheit eine solche Verständigung fehlt, ebenfalls vertreten sein wollte (und nicht etwa selbst an der Verhandlung hätte teilnehmen wollen, wozu mangels persönlicher Verständigung die Dispositionsmöglichkeit fehlte).

Im Beschwerdefall geht es um die Vertretungsbefugnis der Mutter des Beschwerdeführers bei der Verhandlung am 17. März 1987, weil bei dieser Gelegenheit die vom Beschwerdeführer bekämpften Übereinkommen getroffen worden waren. Zu dieser Verhandlung erfolgte die Ladung mit einem Zustellbogen der Gemeinde W. Gemäß § 2 Zustellgesetz sind Schriftstücke durch Organe der Gemeinden nur zuzustellen, wenn dies im Interesse der Zweckmäßigkeit, Einfachheit und Raschheit gelegen ist (siehe dazu des näheren etwa Walter-Mayer, Das österreichische Zustellrecht, S. 27 f.), wobei im Beschwerdefall ungeprüft blieb, ob diese Voraussetzung vorlag. Falls eine Zustellung auf diesem Weg zulässig war, gilt gemäß § 26 Abs. 1 Zustellgesetz auch in einem solchen Fall unter anderem die Regelung des § 16 leg. cit. über die Ersatzzustellung. Im gegebenen Fall wurde die für den Beschwerdeführer bestimmte Sendung von "FM" übernommen; es ist nicht klargestellt, ob die Ersatzzustellung als solche zulässig war und bejahendenfalls, ob der genannte Übernehmer der Sendung dem Personenkreis des § 16 Abs. 2 Zustellgesetz angehörte. Im Fall eines bei jener Gelegenheit unterlaufenen Zustellmangels wäre schließlich zu prüfen, ob das betreffende Schriftstück dem Beschwerdeführer gemäß § 7 Zustellgesetz noch vor der Verhandlung tatsächlich zugekommen ist, womit die (im Hinblick auf § 10 Abs. 4 AVG rechtzeitige) Heilung des Zustellmangels erfolgt wäre.

Im Beschwerdefall ist der Sachverhalt somit zumindest in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG und der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere auch deren Art. III Abs. 2; die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft zuviel entrichtete Stempelgebühren, da jeder Schriftsatz nur (einfach) mit S 120,-- zu vergebühren ist, und den den gesetzlich pauschalierten Schriftsatzaufwand übersteigenden Betrag.

Schlagworte

Amtsbekannte FamilienmitgliederSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1989070083.X00

Im RIS seit

02.06.1992

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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