TE Vwgh Erkenntnis 1992/6/2 87/14/0181

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Veröffentlicht am 02.06.1992
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Index

32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag;

Norm

EStG 1972 §10 Abs2 Z4;
EStG 1972 §10;
EStG 1972 §8;
EStG 1972 §9 Abs2;

Beachte

Besprechung in: ÖStZB 1992, 875;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schubert und die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Baumann, Mag. Heinzl und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kirchmayr, über die Beschwerde der E G.m.b.H. & Co. KG. in A, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Tirol (Berufungssenat) vom 2. Oktober 1987, Zl. 30.437-3/87, betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften aus Gewerbebetrieb für das Jahr 1983, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ermittelte den Gewinn gemäß § 5 EStG 1972. Anläßlich einer die Jahre 1983 bis 1985 umfassenden Betriebsprüfung stellte der Prüfer fest, daß das geprüfte Unternehmen in den Jahren 1979 und 1980 Investitionsrücklagen gemäß § 9 EStG 1972 gebildet habe, welche nach teilweiser Auflösung in den Vorjahren zum 1. Jänner 1983 noch mit S 1.813.160,49 in den Büchern gestanden hätten. Von den Anschaffungskosten der Anlagenzugänge 1983 seien gemäß § 9 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 jene Beträge, die als vorzeitige Abschreibung zulässig gewesen wären, für die bestimmungsgemäße Verwendung der Investitionsrücklagen 1979 und 1980 herangezogen worden. Daneben habe das Unternehmen von den verbleibenden Restbuchwerten einen Investitionsfreibetrag gebildet, der zu einem Teil gegen die Investitionsrücklagen aufgelöst worden sei. Der restliche Teil dieses Investitionsfreibetrages sei erfolgswirksam gebucht worden.

Der Prüfer und ihm im wiederaufgenommenen Verfahren folgend das Finanzamt vertraten die Ansicht, daß die bestimmungsgemäße Verwendung der Investitionsrücklage mit dem Betrag, der als vorzeitige Abschreibung von den Anschaffungskosten zulässig gewesen wäre, eine vorzeitige Abschreibung darstelle. Da für ein und dasselbe Wirtschaftsgut nur entweder eine vorzeitige Abschreibung oder ein Investitionsfreibetrag in Anspruch genommen werden könne, komme für den restlichen Teil der Anschaffungskosten ein Investitionsfreibetrag gemäß § 10 Abs. 2 Z. 4 EStG 1972 nicht in Betracht.

Gegen den entsprechend den Prüfungsfeststellungen ergangenen Bescheid über die Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für das Jahr 1983 brachte die Beschwerdeführerin Berufung ein und machte dabei geltend, daß der Gesetzgeber im § 10 Abs. 2 Z. 4 EStG 1972 zwei unterschiedliche Tatbestände geregelt habe, nämlich das Zusammentreffen eines Investitionsfreibetrages mit der bestimmungsgemäßen Auflösung einer Investitionsrücklage und ferner das Zusammentreffen eines Investitionsfreibetrages mit der Geltendmachung einer vorzeitigen Abschreibung. Der Gesetzgeber habe diese beiden Kumulierungsfälle unterschiedlich geregelt. Für das Zusammentreffen mit einer vorzeitigen Abschreibung sehe er vor, daß Wirtschaftsgüter, für die eine vorzeitige Abschreibung in Anspruch genommen worden sei, die Geltendmachung eines Investitionsfreibetrages nicht zulässig sei. Auf die Frage, in welchem Umfang eine vorzeitige Abschreibung bezüglich dieser Wirtschaftsgüter in Anspruch genommen worden sei, ob also die gesetzliche Höchstgrenze voll ausgenützt worden sei oder nicht, komme es dabei nicht an.

Anders verfahre der Gesetzgeber dagegen, wenn ein Investitionsfreibetrag mit der bestimmungsgemäßen Auflösung einer Investitionsrücklage zusammentreffe. Hier bestimme er in einer abweichenden Formulierung ausdrücklich, daß der Investitionsfreibetrag für einschlägige Wirtschaftsgüter nicht in Anspruch genommen werden dürfe, soweit für deren Anschaffung oder Herstellung eine Investitionsrücklage bestimmungsgemäß aufgelöst worden sei. Hier sei also nicht entscheidend, daß überhaupt ein Investitionsfreibetrag mit der Auflösung einer Investitionsrücklage zusammentreffe, wie das für die Kumulierung von Investitionsfreibetrag und vorzeitiger Abschreibung entscheidend sei. Investitionsfreibetrag und Auflösung einer Investitionsrücklage seien prinzipiell durchaus miteinander vereinbar. Sie sollen sich nach der Formulierung des Gesetzes nur insoweit ausschließen, als der ziffernmäßige Betrag der aufgelösten Investitionsrücklage reiche.

Hätte der Gesetzgeber die beiden unterschiedlich geregelten Kumulierungsfälle von Investitionsfreibetrag und vorzeitiger Abschreibung einerseits und Investitionsfreibetrag und Auflösung einer Investitionsrücklage andererseits gleich behandeln wollen, und zwar so, wie eine Regelung für die Kumulierung von Investitionsfreibetrag und vorzeitiger Abschreibung getroffen worden sei, so hätte die Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z. 4 EStG 1972 eine andere Formulierung erfahren müssen, als der geltende Gesetzestext sie enthalte.

Die belangte Behörde wies mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung als unbegründet ab. Bei der Auslegung des § 10 Abs. 2 Z. 4 EStG 1972 kam sie zu dem Ergebnis, daß im Ausmaß des § 10 Abs. 1 EStG 1972 neben der Verwendung der Rücklage nach § 9 Abs. 2 EStG 1972 noch der Investitionsfreibetrag gewinnmindernd geltend gemacht werden könne. Werde aber von einem Wirtschaftsgut die vorzeitige Abschreibung geltend gemacht (sei es gewinnmindernd, sei es nach § 9 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972), so stehe der Investitionsfreibetrag nicht zu. Zu dem Ergebnis gelange man durch eine Interpretation nach dem Zweck der Bestimmung. Der Gesetzgeber habe die Investitionsrücklage eingeführt, um die vorzeitige Abschreibung bereits in den vor der Anschaffung liegenden Wirtschaftsjahren ganz oder teilweise vornehmen zu können und so die vorzeitige Abschreibung praktisch auf mehrere Jahre zu verteilen, zumal bei größeren Anschaffungen die Vornahme der vorzeitigen Abschreibung in einem Wirtschaftsjahr zu Verlusten führen könne. Die Investitionsrücklage sei somit ein Vorgriff auf die vorzeitige Abschreibung bzw. den Investitionsfreibetrag. Wenn aber der Zweck der Investitionsrücklage im Vorwegnehmen des Aufwandes der Investitionsbegünstigungen nach § 8 und § 10 EStG 1972 liege, so könne daraus abgeleitet werden, daß bei Inanspruchnahme der Bestimmungen des § 9 EStG 1972 insgesamt nicht in einem höheren Ausmaß Investitionsbegünstigungen nach § 8 und § 10 EStG 1972 für ein einzelnes Wirtschaftsgut geltend gemacht werden können, als ohne diese Inanspruchnahme. Im Regelungskomplex der §§ 8 bis 10 EStG 1972 bewirke § 9 EStG 1972 eine Verlagerung des nach § 8 oder § 10 EStG 1972 anzusprechenden Aufwandes, nicht aber dessen Erhöhung. Nach Ansicht der belangten Behörde gelte somit die Verwendung einer Investitionsrücklage nach § 9 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 als Vornahme einer vorzeitigen Abschreibung im Sinn des § 10 Abs. 2 Z. 4 zweiter Halbsatz leg. cit. Die unterschiedliche Formulierung der beiden Tatbestände des § 10 Abs. 2 Z. 4 EStG 1972 bewirke, daß ein Investitionsfreibetrag insoweit im Jahr der Anschaffung oder Herstellung gewinnmindernd geltend gemacht werden könne, als 20 v.H. der Anschaffungs- oder Herstellungskosten den Betrag der nach § 9 Abs. 2 Z. 2 EStG 1972 aufzulösenden Rücklage überstiegen. Im vorliegenden Fall habe die Beschwerdeführerin für die Wirtschaftsgüter, für die der strittige Investitionsfreibetrag geltend gemacht worden sei, vorzeitige Abschreibung durch Verwendung der Investitionsrücklage nach § 9 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 geltend gemacht. Der Investitionsfreibetrag stehe daher gemäß § 10 Abs. 2 Z. 4 EStG 1972 nicht zu.

Mit der Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde machte die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist allein strittig, ob und inwieweit für ein und dasselbe Wirtschaftsgut neben einer bestimmungsgemäßen Verwendung der Investitionsrücklage in der Höhe der vorzeitigen Abschreibung für den restlichen Teil der Anschaffungskosten ein Investitionsfreibetrag im Hinblick auf § 10 Abs. 2 Z. 4 EStG 1972 in Betracht kommt.

Die Beschwerdeführerin bringt in ihrer Beschwerde vor, daß die Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z. 4 EStG 1972 zunächst nach ihrem Wortlaut auszulegen sei. Sie sei so anzuwenden, wie ihr Text nach allgemeinem Sprachgebrauch verstanden werde. Gehe man von dieser zwingenden Auslegungsregel aus, so ergebe sich folgender Inhalt: Werde für ein Wirtschaftsgut eine vorzeitige Abschreibung (§ 8 EStG 1972) in Anspruch genommen, so dürfe für dieses Wirtschaftsgut ein Investitionsfreibetrag nicht in Anspruch genommen werden, gleichgültig wie hoch die Abschreibung gewesen sei. Werde für ein Wirtschaftsgut eine Investitonsrücklage gemäß § 9 EStG 1972 bestimmungsgemäß verwendet, so dürfe ein Investitionsfreibetrag nicht in Anspruch genommen werden, soweit die Investitionsrücklage gemäß § 9 EStG 1972 bestimmungsgemäß verwendet wurde. Die bestimmungsgemäße Verwendung der Investitionsrücklage sei in § 9 Abs. 2 EStG 1972 geregelt. Sie umfasse gemäß Z. 1 leg. cit. die Auflösung gegen die Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Wirtschaftsgutes mit dem Betrag, der als vorzeitige Abschreibung zulässig wäre. Die Regelung in § 10 Abs. 2 Z. 4 erster Halbsatz EStG 1972 besage damit: Ein Investitionsfreibetrag dürfe nicht in Anspruch genommen werden für Wirtschaftsgüter, soweit gegen deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten eine Investitionsrücklage mit dem Betrag aufgelöst werde, der als vorzeitige Abschreibung zulässig wäre. Dies besage, daß bei einem Zusammentreffen von Investitionsfreibetrag und Investitionsrücklage sich beide nur insoweit ausschließen würden, wie der ziffernmäßige Betrag der aufgelösten Investitionsrücklage reiche.

Die angefochtene Entscheidung gebe der Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z. 4 EStG 1972 einen abweichenden Inhalt. Sie entferne sich damit vom Wortlaut des Gesetzes. Das sei aber nicht zulässig. Wenn der Gesetzgeber im vorliegenden Falle eine Regelung hätte treffen wollen, wie sie die angefochtene Entscheidung vertrete, hätte das im Gesetzestext seinen Ausdruck finden müssen. Das sei nicht geschehen. Auch in der Literatur werde die hier vertretene Auffassung geteilt, daß bei einem Zusammentreffen von Investitionsfreibetrag und Investitionsrücklage der Investitionsfreibetrag nur insoweit nicht in Anspruch genommen werden könne, wie der ziffernmäßige Betrag der aufgelösten Investitionsrücklage reiche.

Die angefochtene Entscheidung sei zu ihrem abweichenden Ergebnis auf Grund einer Interpretation des § 9 Abs. 2 EStG 1972 gelangt. Danach sollte die bestimmungsgemäße Verwendung der Investitionsrücklage rechtlich die Inanspruchnahme der entsprechenden Investitionsbegünstigung nach § 8 oder § 10 EStG 1972 darstellen. Im gegenständlichen Falle habe die Beschwerdeführerin mithin durch Verwendung der Investitionsrücklage nach § 9 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 eine vorzeitige Abschreibung nach § 8 EStG 1972 geltend gemacht. Deshalb stehe ihr nach § 10 Abs. 2 Z. 4 zweiter Halbsatz EStG 1972 der Investitionsfreibetrag nicht zu. Dieser Auslegung des Gesetzes könne nicht zugestimmt werden. Der Gesetzeswortlaut lasse dies nicht zu. Das Gesetz verwende im § 9 Abs. 2 Z. 1 und 2 EStG 1972 nicht den Indikativ, sondern den Konjunktiv, nämlich "zulässig wäre" und "geltend gemacht werden könnte". Sprachlich werde dadurch in Z. 1 zum Ausdruck gebracht, daß die Auflösung der Investitionsrücklage gegen die Anschaffungs- oder Herstellungskosten nicht die Geltendmachung einer vorzeitigen Abschreibung darstelle. Der Konjunktiv stelle klar, daß die Auflösung einer Investitionsrücklage gegen die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsgutes nicht die Geltendmachung einer vorzeitigen Abschreibung bedeuten solle. Die Auflösung gegen die Anschaffungs- oder Herstellungskosten stelle einen Vorgang eigener Art dar, für den lediglich bestimmte Regelungen gelten sollen, die das Gesetz für die vorzeitige Abschreibung festgelegt habe. Das Gesetz habe nicht bestimmt, daß die bestimmungsgemäße Verwendung einer Investitionsrücklage nach § 9 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 eine vorzeitige Abschreibung darstelle, die alle Rechtsfolgen nach sich ziehe, die das Gesetz mit dem Rechtsinstitut der vorzeitigen Abschreibung verknüpfe. Die Richtigkeit dieser Auffassung ergebe sich bei einem Zusammentreffen der Regelung im § 9 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 mit der in § 10 Abs. 2 Z. 4 EStG 1972. In der letztgenannten Vorschrift treffe das Gesetz unterschiedliche Regelungen für das Zusammentreffen von Investitionsfreibetrag mit der bestimmungsgemäßen Verwendung einer Investitionsrücklage einerseits und mit der Geltendmachung einer vorzeitigen Abschreibung andererseits. Hätte das Gesetz die Verwendung der Investitionsrücklage nach § 9 EStG 1972 als vorzeitige Abschreibung nach § 8 EStG 1972 angesehen, so wäre die unterschiedliche Behandlung beider Sachverhalte im § 10 Abs. 2 Z. 4 EStG 1972 nicht verständlich. Da das Gesetz aber an beide Sachverhalte unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfe, könne die bestimmungsgemäße Verwendung einer Investitionsrücklage nach § 9 EStG 1972 nicht mit der Geltendmachung einer vorzeitigen Abschreibung nach § 8 EStG 1972 rechtlich gleichgestellt werden.

Der Hinweis der angefochtenen Entscheidung, daß bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise die Wirkung der Verwendung einer Investitionsrücklage nach § 9 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 der Geltendmachung einer vorzeitigen Abschreibung gleichkomme, könne die Auffassung der angefochtenen Entscheidung nicht rechtfertigen. Es gehe hier um die Frage, ob der vom Gesetzgeber verlautbarte Text des Komplexes der Investitionsbegünstigungen durch die §§ 8 bis 10 EStG 1972 eine völlige rechtliche Gleichstellung des Tatbestandes des § 9 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 mit der Inanspruchnahme der vorzeitigen Abschreibung nach § 8 EStG 1972 beinhalte. Das sei zu verneinen. Ebensowenig greife die Erwägung der angefochtenen Entscheidung durch, es sei nicht Sinn der Regelungen im § 9 EStG 1972, den Umfang der in § 8 und § 10 EStG 1972 gewährten Begünstigungen weiter auszudehnen, als sie ohne die Bestimmung des § 9 EStG 1972 reichten. Für die Auslegung und Anwendung des Gesetzes sei der Text des Gesetzes maßgebend. Die Berücksichtigung des Gesetzeszweckes rechtfertige nicht ein Abweichen vom Text. Allein der Primat des Gesetzestextes könne die Rechtssicherheit wahren. Im gegenständlichen Falle stehe daher die Verwendung der Investitionsrücklage nach § 9 Abs. 2 Z. 1 EStG 1972 der Geltendmachung des von der Beschwerdeführerin in Anspruch genommenen Investitionsfreibetrages nicht entgegen.

Diese Beschwerdegründe sind nicht in der Lage, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.

Gemäß § 10 Abs. 2 Z. 4 EStG 1972 darf ein Investitionsfreibetrag für Wirtschaftsgüter nicht in Anspruch genommen werden, soweit für deren Anschaffung oder Herstellung eine Investitionsrücklage (steuerfreier Betrag) gemäß § 9 bestimmungsgemäß verwendet wird, sowie für Wirtschaftsgüter, für die eine vorzeitige Abschreibung (§ 8) in Anspruch genommen wird.

Gemäß § 9 Abs. 2 EStG 1972 ist die Investitionsrücklage entweder (Z. 1) gegen die Anschaffungs- oder Herstellungskosten abnutzbarer Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens mit dem Betrag aufzulösen, der als vorzeitige Abschreibung (§ 8) von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten dieser Wirtschaftsgüter zulässig wäre oder (Z. 2) gegen den Betrag aufzulösen, der als Investitionsfreibetrag (§ 10) geltend gemacht werden könnte.

Gemäß § 6 ABGB darf einem Gesetze in der Anwendung kein anderer Verstand beigelegt werden, als welcher aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhange und aus der klaren Absicht des Gesetzgebers hervorleuchtet.

Wenn die Beschwerdeführerin vorbringt, daß bei einem Zusammentreffen von Investitionsfreibetrag und Investitionsrücklage der Investitionsfreibetrag nur insoweit nicht in Anspruch genommen werden könne, wie der ziffernmäßige Betrag der aufgelösten Investitionsrücklage reicht, bleibt noch immer die Frage offen, wie der Begriff "soweit" zu interpretieren ist. Die Beschwerdeführerin hat § 10 Abs. 2 Z. 4 EStG 1972 so ausgelegt, daß die Investitionsrücklage im Höchstausmaß der vorzeitigen Abschreibung aufgelöst und anschließend von den danach verbleibenden Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten der Investitionsfreibetrag in Anspruch genommen wurde. Demgegenüber vertritt die belangte Behörde die Auffassung, daß im Ausmaß des § 10 Abs. 1 EStG 1972 neben der Verwendung der Rücklage nach § 9 Abs. 2 EStG 1972 noch - soweit nämlich eine Verwendung wegen bereits vollständiger Auflösung der Investitionsrücklage nicht mehr Platz greifen kann - der Investitionsfreibetrag gewinnmindernd geltend gemacht werden könne. Beide Rechtsansichten sind aus einer reinen Wortinterpretation gemessen an dem äußerst möglichen Wortsinn zu rechtfertigen. Die belangte Behörde ist daher in Anwendung der weiteren Auslegungsmethoden im Sinn des § 6 ABGB im Ergebnis, ohne den Wortlaut der Bestimmung zu verlassen, schlüssig zu der Auffassung gelangt, daß sich die Auflösung einer Investitionsrücklage und die Inanspruchnahme des Investitionsfreibetrages zwar nicht zur Gänze ausschließen (anders bei vorzeitiger Abschreibung), diese Begünstigungen aber auch nicht kumuliert werden können. Wenn die vorhandene Investitionsrücklage betragsmäßig geringer als das Maximalausmaß eines zulässigen Investitionsfreibetrages ist, dann kann insoweit ein Investitionsfreibetrag gewinnmindernd geltend gemacht werden, als dieser die Investitionsrücklage übersteigt. Die Inanspruchnahme eines Investitionsfreibetrages ist demnach auf Grund des unterschiedlichen Ausmaßes der Begünstigungen jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn für ein Wirtschaftsgut eine Investitionsrücklage im Ausmaß einer vorzeitigen Abschreibung aufgelöst wird (siehe auch Schubert-Pokorny-Schuch-Quantschnigg, Einkommensteuerhandbuch, zweite Auflage, Tz. 10 zu § 10; Schögl-Wiesner-Nolz-Kohler, EStG 1972, neunte Auflage, Anmerkung 8 zu § 10; Kohler, Zweifelsfragen zu den Investitionsbegünstigungen, ÖStZ 1983, 210; zum Teil anderer Ansicht Hofstätter-Reichel, Die Einkommensteuer, Kommentar, Tz. 5.1 zu § 10 EStG 1972).

Wollte man diese Auffassung nicht vertreten, dann würde aus der Sicht des Regelungsgehaltes des § 10 Abs. 2 Z. 4 EStG 1972 sachlich Gleiches ungleich behandelt: Die unmittelbare Inanspruchnahme der vorzeitigen Abschreibung stünde der Inanspruchnahme des Investitionsfreibetrages entgegen, die Auflösung einer Investitionsrücklage mit dem als vorzeitige Abschreibung zulässigen Betrag, welche Auflösung in ihrem wirtschaftlichen Gehalt der Inanspruchnahme der vorzeitigen Abschreibung gleichkommt, hingegen nicht. Folgende Überlegung verdeutlicht die sachliche Bedenklichkeit einer solchen Lösung:

Der Unternehmer, der in Vorjahren Gewinne erzielte, wäre bei Zutreffen der Auffassung der Beschwerdeführerin in der Lage, eine Gewinnkürzung unter Vorwegnahme der vorzeitigen Abschreibung vorzunehmen und im Jahr der Investition dennoch für die um die vorzeitige Abschreibung gekürzten Anschaffungs- oder Herstellungskosten den Investitionsfreibetrag in Anspruch zu nehmen, während bei einem Unternehmer mit Verlusten in den Vorjahren - welche die Bildung einer Investitionsrücklage ausschließen - nur unmittelbar die vorzeitige Abschreibung in Betracht käme, ohne daß für die um die vorzeitige Abschreibung gekürzten Anschaffungs- oder Herstellungskosten der Investitionsfreibetrag beansprucht werden könnte. Eine sachliche Rechtfertigung für eine solche Differenzierung ist nicht zu erkennen.

Der Rechtsauffassung der belangten Behörde haftet die behauptete Rechtswidrigkeit daher nicht an, sodaß die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1987140181.X00

Im RIS seit

02.06.1992
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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