TE Vfgh Erkenntnis 1989/11/28 B1078/86

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Veröffentlicht am 28.11.1989
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art144 Abs3
StGG Art8 / Verletzung keine
EGVG 1950 ArtIX Abs1 Z2
VStG 1950 §35 litc
VfGG §15 Abs2

Leitsatz

Vertretbare Annahme ungestümen Benehmens im Sinne des ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950; Festnahme in §35 litc VStG 1950 gedeckt; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit

Spruch

Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß er am 24. Oktober 1986 von einem Organ der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen wurde, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.

Der Beschwerdeführer ist schuldig, dem Bund zuhanden der Finanzprokuratur die mit 10.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird im wesentlichen vorgebracht, daß am 24. Oktober 1986 der seinen Pkw lenkende Beschwerdeführer anläßlich des Anhaltens an der Kreuzung (Wien 7) Schottenfeldgasse-Neustiftgasse von einem Sicherheitswachebeamten (nämlich Insp. C M) angewiesen worden sei, mit dem Pkw zum linken Straßenrand zuzufahren und stehenzubleiben. Diese Weisung habe er kritisiert und im normalen Ton seinen Rechtsstandpunkt (am betreffenden Ort nicht stehenbleiben zu dürfen) dargelegt. Der Beschwerdeführer habe aus dem Pkw aussteigen wollen, was ihm vom Polizeibeamten jedoch untersagt worden sei. Da er dennoch ausgestiegen sei, sei er festgenommen, - unter Assistenz eines anderen Sicherheitswachebeamten - mit einem Funkstreifenwagen in das Wachzimmer Kandlgasse gebracht und sodann nach einer dort durchgeführten Amtshandlung entlassen worden. Der Beschwerdeführer begehrt die Feststellung, daß er durch die vorgenommene Festnahme in dem durch Art8 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde, und stellt - hilfsweise - den Antrag auf Beschwerdeabtretung an den Verwaltungsgerichtshof.

2. Die Finanzprokuratur erstattete namens der belangten Bundespolizeidirektion Wien - unter Vorlage einer Durchschrift der gegen den Beschwerdeführer erstatteten Verwaltungsstrafanzeige - eine Gegenschrift, in welcher die Abweisung der Beschwerde begehrt wird. Sie hält die Festnahme im Hinblick darauf für gerechtfertigt, daß gegen den Beschwerdeführer der Verdacht mehrerer Verwaltungsübertretungen, darunter der Verwaltungsübertretung nach ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950, bestanden habe und (insbesondere) der Festnehmungsgrund des §35 litc VStG 1950 gegeben gewesen sei.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Zunächst bemerkt der Gerichtshof (insbesondere um ein der belangten Behörde anscheinend unterlaufenes Mißverständnis aufzuklären), daß der auf die Festnahme des Beschwerdeführers folgende Eingriff in seine persönliche Freiheit, nämlich die Überstellung in das Wachzimmer sowie die (kurzfristige) Anhaltung dort, nicht Gegenstand der Entscheidung über die vorliegende Beschwerde ist. Denn diese schildert zwar die auf die Festnahme folgende Freiheitsbeschränkung aus der Sicht des Beschwerdeführers, enthält aber als (den Entscheidungsumfang abgrenzendes) "bestimmtes Begehren" im Sinne des §15 Abs2 VerfGG bloß das Begehren auf Feststellung, daß der Beschwerdeführer durch die Festnahme in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde.

2. Was diese Festnahme des Beschwerdeführers anlangt, geht der Verfassungsgerichtshof gemäß seiner ständigen Rechtsprechung (zB VfSlg. 10658/1985) von §4 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit aus, demzufolge die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen. Hiezu zählt auch §35 VStG 1950, dessen - hier im Hinblick auf den Inhalt der Anzeige ausschließlich in Betracht kommende - litc den Festnehmungsgrund dahin umschreibt, daß der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht. Alle im §35 VStG 1950 angeführten Fälle, mithin auch die eben bezogene litc, setzen voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird: Sie muß also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat begehen und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei die erste dieser beiden Bedingungen schon dann vorliegt, wenn das Organ die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund - also in vertretbarer Weise - annehmen kann.

Wie aus der vorgelegten Durchschrift der Anzeige (in Übereinstimmung mit dem vom Verfassungsgerichtshof beigeschafften Verwaltungsstrafakt des Bezirkspolizeikommissariates Neubau) hervorgeht, erachtete der gegen den Beschwerdeführer einschreitende Sicherheitswachebeamte ihn mehrerer Verwaltungsübertretungen verdächtig, darunter der Verwaltungsübertretung nach ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950; diese begeht, wer "sich ungeachtet vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einer Militärwache, während sich diese Personen in rechtmäßiger Ausübung des Amtes oder Dienstes befinden, ungestüm benimmt". Der Verdacht der Verwaltungsübertretung nach ArtIX Abs1 Z2 leg.cit. war nach Ansicht des Gerichtshofs gerechtfertigt.

In ständiger Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof - in Übereinstimmung mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs - die Auffassung vertreten (zB VfSlg. 10957/1986 mit weiteren Zitaten, auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs), daß unter "ungestümem Benehmen" ein sowohl in der Sprache als auch in der Gestik der gebotenen Ruhe entbehrendes, mit ungewöhnlicher Heftigkeit verbundenes Verhalten anzusehen ist. Der Verfassungsgerichtshof hegt nun keine Bedenken, der in der Anzeige enthaltenen Beschreibung des vom Beschwerdeführer gesetzten Verhaltens zu folgen, daß er - nach dem Verlassen des Pkw - mit den Händen vor dem Gesicht des intervenierenden Insp. M "herumfuchtelte", mit diesem Beamten schrie und dieses Benehmen trotz Abmahnung fortsetzte. Während der - im Verwaltungsstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer zeugenschaftlich vernommene - Polizeibeamte die Richtigkeit der von ihm in der Anzeige gegebenen Darstellung bekundete, beschränkte sich der Beschwerdeführer darauf, der Darstellung in der Anzeige seine Schilderung der Geschehnisse ohne irgendein Beweisanbot entgegenzusetzen. Hiebei fällt bezüglich der Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers ins Gewicht, daß die in der Beschwerde gegebene Darstellung seines Verhaltens unmittelbar vor dem betreffenden Zeitpunkt von seinem eigenen Vorbringen in einem in den Verwaltungsakten erliegenden (nicht durch einen Rechtsvertreter eingebrachten) Schreiben (Einspruch vom 6. April 1987 gegen eine Strafverfügung) nicht unwesentlich abweicht:

Während in der Beschwerde behauptet wird, der Beschwerdeführer habe seinen Rechtsstandpunkt "im normalen Gesprächston" dargelegt, führt der Beschwerdeführer im erwähnten Schreiben aus, er habe dem Beamten "durch das geöffnete Fenster in wohl etwas verärgertem Tonfall zu verstehen (gegeben) ...".

Zusammenfassend ist sohin unter Bedachtnahme auf die bestehende Beweislage festzuhalten, daß gegen den Beschwerdeführer der zureichende Verdacht der Verwaltungsübertretung nach ArtIX Abs1 Z2 EGVG 1950 bestand und der Festnehmungsgrund des §35 litc VStG 1950 gegeben war. Die Beschwerde mußte sohin abgewiesen werden, weshalb es entbehrlich war, auf das weitere Parteienvorbringen einzugehen.

3. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Beschwerdeabtretung an den Verwaltungsgerichtshof war im Hinblick auf die in ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs (zB VfSlg. 11265/1987) angenommene ausschließliche Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Festnahme abzuweisen.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG.

III. Von einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG abgesehen.

Schlagworte

VfGH / Parteienvorbringen, VfGH / Formerfordernisse, Benehmen ungestümes, Festnehmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:B1078.1986

Dokumentnummer

JFT_10108872_86B01078_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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