TE Vfgh Erkenntnis 1989/11/30 G245/89, G246/89, G247/89, G248/89, G249/89, G250/89, G268/89, G269/89

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Veröffentlicht am 30.11.1989
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Index

46 Statistik
46/01 Bundesstatistikgesetz 1965

Norm

B-VG Art140 Abs3 erster Satz
MRK Art8 Abs2
DSG 1978 §1 Abs2
BStatG 1965 Anhang Abschnitt I, Z3, Z4, Z9. Abschnitt II
BStatG 1965 §2 Abs4
BStatG 1965 §8 Abs1
BStatG 1965 §10 Abs2

Leitsatz

Zulässigkeit der Erhebung von Wirtschaftsdaten, soweit sie für das wirtschaftliche Wohl des Landes notwendig sind; keine im Hinblick auf das Grundrecht auf Datenschutz zu weitgehende gesetzliche Ermächtigung; umfassende Veröffentlichungspflicht in Zusammenhalt mit der Regelung der Auskunftspflicht und der Umschreibung der Erhebungsgegenstände genügt Anforderungen an Geheimhaltung nicht; Aufhebung der Worte " Natürliche und" in §8 Abs1 BundesstatistikG 1965 wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Datenschutz

Spruch

1. Die Worte "Natürliche und" in §8 Abs1 des Bundesgesetzes vom 1. April 1965, BGBl. Nr. 91/1965 über die Bundesstatistik (Bundesstatistikgesetz 1965) werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. November 1990 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

2. Die Ziffern 3, 4 und 9 des I. Abschnittes und die Punkte

Zu 3., Zu 4. und Zu 9. des II. Abschnittes des Anhangs zum Bundesstatistikgesetz 1965 werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof sind mehrere Verfahren über Beschwerden gegen Bescheide des Landeshauptmanns von Salzburg anhängig, mit denen über den Beschwerdeführer (als verantwortlichen Leiter eines Industriebetriebes) wegen Verletzung der ihm nach §8 Abs1 des Bundesstatistikgesetzes 1965, BGBl. 91/1965 (im folgenden: BStatG), in Verbindung mit Vorschriften der Industriestatistikverordnung obliegenden Auskunftspflichten bei den Meldungen für die Industriestatistik gem. §11 Z1 BStatG Verwaltungsstrafen verhängt wurden.

2. Bei der Prüfung der angefochtenen Bescheide entstanden beim Verfassungsgerichtshof unter anderem Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Worte "Natürliche und" in §8 Abs1 BStatG sowie der Ziffern 3, 4 und 9 des I. Abschnitts und der Punkte Zu 3., Zu 4. und Zu 9. des II. Abschnitts des Anhangs zum BStatG. Der Gerichtshof hat daher beschlossen, die genannten Bestimmungen von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. (Aus Anlaß der genannten Beschwerdeverfahren hat der Verfassungsgerichtshof überdies die Einleitung von Verordnungsprüfungsverfahren betreffend die §§4 und 5 der Verordnung des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie, BGBl. 406/1969, mit der statistische Erhebungen über den Stand und die Entwicklung der industriellen Gütererzeugung angeordnet werden, idF der Novelle zu dieser Verordnung BGBl. 58/1977 beschlossen; die Entscheidung in diesen Verfahren wird gesondert ergehen.)

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet und beantragt festzustellen, daß die in Prüfung stehenden Bestimmungen nicht verfassungswidrig sind, in eventu für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen, um die erforderlichen legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

II. Die in Prüfung genommenen Bestimmungen des BStatG stehen in folgendem normativen Zusammenhang:

Die Bundesstatistik umfaßt statistische Erhebungen und sonstige statistische Arbeiten, die über die Interessen eines einzelnen Landes hinausgehen und die für die Bundesverwaltung von Bedeutung sind (§1 BStatG). Sie obliegt (gem. §4 BStatG) dem Österreichischen Statistischen Zentralamt.

Statistische Erhebungen, die der Mitwirkung der Bevölkerung bedürfen, werden durch Bundesgesetz angeordnet (vgl. §2 Abs1 BStatG); die zuständigen Bundesminister sind jedoch ermächtigt, die in einem Anhang angeführten statistischen Erhebungen durch Verordnung anzuordnen. Dieser Anhang lautet auszugsweise (die in Prüfung gezogenen Teile sind hervorgehoben):

"I. Erhebungsgegenstände

A. In allen Wirtschaftsbereichen Erhebungen über

1. die Arbeitskräfte;

2. die Löhne, Gehälter, Verdienste, Arbeitsstunden;

3. die Preise;

4. weitere statistische Unterlagen für die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung;

5. das personelle Wehrpotential.

B. Ferner Erhebungen über

. . .

9. den Stand, die Entwicklung und die Grundlagen der industriellen und gewerblichen Gütererzeugung;

. . .

II. Erhebungsmerkmale

Die Erhebungen über die unter I. angeführten Erhebungsgegenstände können sich unter Beibehaltung der verwendeten Reihenfolge auf nachstehend angeführte Merkmale erstrecken.

. . .

Zu 3.:

Die Preise der Sachgüter und Dienstleistungen in den einzelnen Stadien des volkswirtschaftlichen Kreislaufes (Produktion, Handel und Verbrauch).

Zu 4.:

Personalaufwand, gesetzliche und freiwillige Sozialleistungen sowie sonstige Kostenfaktoren je Betrieb (Kostenstruktur); Wert und Gliederung der Investitionen nach Art der Investitionsgüter; Lagerbestand an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, an Halbfabrikaten und Fertigfabrikaten; Verbindlichkeiten, kurzfristige Forderungen und Finanzanlagen.

. . .

Zu 9.:

Art, Menge und Wert (Brutto- und Nettowert) der Erzeugung; Art, Menge und Wert (Brutto- und Nettowert) des Verbrauches an Roh-, Hilfsstoffen und Halbfabrikaten sowie an Brennstoffen, Verbrauch an Energie; Bestand an Maschinen oder sonstigen Betriebseinrichtungen;

Wert des Lagerbestandes an Fertigerzeugnissen; Auftragsbestände und Auftragseingänge; Ausnützung der Kapazität der Betriebe;

. . ."

§8 Abs1 BStatG lautet (die in Prüfung gezogenen Worte sind hervorgehoben):

"Natürliche und juristische Personen sowie die Personengesellschaften des Handelsrechtes sind verpflichtet, über die bei statistischen Erhebungen gestellten Fragen Auskünfte zu erteilen. Die Auskünfte müssen rechtzeitig, vollständig und wahrheitsgetreu erteilt werden."

Statistische Erhebungen können in Form einer Totalerhebung wie auch in Form von Stichprobenerhebungen durchgeführt werden (§8 Abs2 BStatG).

Die bei den statistischen Erhebungen in Erfüllung der Auskunftspflicht gemachten Angaben dürfen - sofern nicht in Bundesgesetzen oder die Erhebung regelnden Verordnungen anderes bestimmt ist - nur für statistische Zwecke verwendet werden (§10 Abs1 BStatG). Die bei einer statistischen Erhebung oder bei deren Auswertung mitwirkenden Organe sind verpflichtet, die Angaben der befragten Personen und die bei den Erhebungen gemachten Beobachtungen geheim zu halten (§10 Abs2 BStatG).

Gemäß §2 Abs4 BStatG sind die Ergebnisse der Erhebungen zu veröffentlichen. Davon kann die Bundesregierung Ausnahmen verfügen, sofern dies aus Gründen der Staatssicherheit notwendig ist.

Nach §11 BStatG begeht u.a. eine Verwaltungsübertretung, wer der Auskunftspflicht (§8) nicht nachkommt oder wissentlich unvollständige oder wahrheitswidrige Angaben macht und wer die Geheimhaltungspflicht (§10) verletzt.

III. Der Verfassungsgerichtshof nahm in den diese Gesetzesprüfungsverfahren einleitenden Beschlüssen an, daß der Behandlung der Beschwerden Prozeßhindernisse nicht entgegenstehen und daß die in Prüfung genommenen Bestimmungen des BStatG präjudiziell sind. Im Verfahren ist nichts hervorgekommen, was diesen Annahmen entgegenstünde. Die Gesetzesprüfungsverfahren sind daher zulässig.

IV. In der Sache hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:

1. In seinen Prüfungsbeschlüssen nahm der Verfassungsgerichtshof an, daß die in Prüfung genommenen Bestimmungen des BStatG und seines Anhangs mit dem als Verfassungsbestimmung erlassenen §1 des Datenschutzgesetzes (DSG), BGBl. 565/1978, in Widerspruch stehen:

Nach Abs1 des mit "Grundrecht auf Datenschutz" überschriebenen §1 DSG hat jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit er daran ein schutzwürdiges Interesse, insbesondere im Hinblick auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, hat. Beschränkungen dieses Rechts sind gemäß §1 Abs2 DSG nur zur Wahrung berechtigter Interessen eines anderen oder aufgrund von Gesetzen zulässig, die aus den in Art8 Abs2 MRK genannten Gründen notwendig sind; auch im Falle solcher Beschränkungen muß der vertraulichen Behandlung personenbezogener Daten Vorrang gegeben werden.

Gemäß Art8 Abs2 MRK sind Eingriffe in das in diesem Artikel verbürgte Grundrecht nur statthaft, insoweit sie eine Maßnahme darstellen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

2. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinen Einleitungsbeschlüssen davon aus, daß auch Wirtschaftsdaten personenbezogene Daten im Sinne des §1 DSG sein können und daß der Anspruch auf Geheimhaltung schutzwürdiger personenbezogener Daten es auch verbietet, daß der Betroffene zur Offenlegung geschützter Daten verpflichtet wird, das Grundrecht auf Datenschutz also auch einen Schutz vor Ermittlung personenbezogener Daten enthält. Dazu führte der Gerichtshof im einzelnen aus:

"Der Verfassungsgerichtshof geht insbesondere aus Gründen einer systematischen Interpretation (vgl. vor allem auch §3 Z1 DSG) vorläufig davon aus, daß auch Wirtschaftsdaten personenbezogene Daten iS der zitierten Verfassungsbestimmung des DSG sein können (vgl. etwa Duschanek, Geheimnisschutz und Datenschutzgesetz, in:

Ruppe (Hg), Geheimnisschutz im Wirtschaftsleben (1980), 298; Rill,

Das Grundrecht auf Datenschutz, in: Duschanek (Hg), Datenschutz in der Wirtschaft (1981), 21; Matzka-Kotschy, Datenschutzrecht für die Praxis, Kommentar zu §1, 2).

Weiters nimmt der Gerichtshof mit der herrschenden Lehre vorläufig an, daß der Anspruch auf Geheimhaltung schutzwürdiger personenbezogener Daten nicht nur auf die Nichtweitergabe erhobener Daten gerichtet ist, sondern es auch verbietet, daß der Betroffene zur Offenlegung geschützter Daten verpflichtet wird (Rill, aaO, 26; so auch - auch unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung der DSK - Matzka-Kotschy, aaO, Kommentar zu §1, 3f). Daß das Grundrecht auf Datenschutz insofern auch einen Schutz vor Ermittlung personenbezogener Daten enthält, dürfte sich insbesondere aus einer den Zweck des Gesetzes beachtenden (vgl. Rill, aaO, 26) und die geringe Effektivität vertraulicher Behandlung erhobener Daten bedenkenden Auslegung, aber auch aus einer systematischen Interpretation ergeben, die insbesondere die Bestimmung der das Ermitteln von Daten betreffenden Z6 des §3 DSG (vgl. auch die Erl. zu §2 Z4 der RV 1975 zu einem DSG, 72 BlgNR, 14. GP.) in die Betrachtung mit einbezieht."

Diese den Prüfungsbeschlüssen zugrundeliegenden Annahmen des Verfassungsgerichtshofes treffen zu (vgl. neben der im Einleitungsbeschluß zitierten Literatur etwa auch Funk, Marktforschung und Datenschutz, ÖBl 1987, 1 ff). Auch die Bundesregierung stimmte in diesen beiden Punkten der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ausdrücklich zu.

3.a) Aus dem bisher Dargelegten folgt, daß die Erhebung von Wirtschaftsdaten, an denen die Wirtschaftssubjekte ein schutzwürdiges Interesse haben, gemäß §1 Abs2 DSG iVm Art8 Abs2 MRK nur zulässig ist, wenn eine zur Datenerhebung ermächtigende Norm den Informationseingriff gestattet, dieser einem der enumerativ aufgezählten Eingriffsziele dient, auf das Erforderliche beschränkt und einem demokratischen Staat angemessen ist (vgl. Evers, Der Schutz des Privatlebens und das Grundrecht auf Datenschutz in Österreich, EuGRZ 1984, 281ff, hic: 288). Auch in solchen Fällen muß kraft der ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Normierung in §1 Abs2, 2. Satz DSG der vertraulichen Behandlung der erhobenen Daten Vorrang gegeben werden, wodurch "der allgemeine Gedanke einer tendenziell geheimnisschutzfreundlichen Behandlung" geschützter Daten zum Ausdruck kommt (vgl. Rill, Das Grundrecht auf Datenschutz, in: Duschanek (Hg), Datenschutz in der Wirtschaft (1981), 35) und woraus sich insbesondere auch Beschränkungen der Möglichkeit zur Veröffentlichung von rechtmäßig erhobenen geschützten Daten ergeben.

b) In den Einleitungsbeschlüssen ging der Verfassungsgerichtshof davon aus, daß statistische Erhebungen von Wirtschaftsdaten für die Wirtschaftsforschung und damit für eine heutigen Anforderungen entsprechende Wirtschaftspolitik erforderlich sein dürften. Er bezweifelte daher auch nicht, daß die Erhebung von Wirtschaftsdaten an sich als im Sinne des §1 Abs2 DSG iVm Art8 Abs2 MRK für das wirtschaftliche Wohl eines Landes notwendig und daher verfassungsrechtlich zulässig ist. §1 Abs2 DSG scheine jedoch zu verlangen, daß Datenerhebungen jedenfalls in zweifacher Hinsicht verhältnismäßig sein müssen: Einerseits dürfte die Datenerhebung nur in jenem Ausmaß zulässig sein, das im Interesse des wirtschaftlichen Wohles des Landes erforderlich ist; die Tatsache, daß die statistische Erhebung von Wirtschaftsdaten der Wirtschaftsforschung und Wirtschaftspolitik dient und diese im Interesse des wirtschaftlichen Wohles des Landes liegt, scheine nicht zu bewirken, daß statistische Erhebungen von Wirtschaftsdaten jedweder Art verfassungsrechtlich zulässig sind. Andererseits müsse auch dann, wenn Datenerhebungen zulässig sind, Vorsorge für eine möglichst vertrauliche Behandlung dieser Daten getroffen werden.

Der Gerichtshof hatte unter beiden Aspekten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung genommenen Bestimmungen:

4.a) Durch die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des Anhangs zum BStatG schien dem Verfassungsgerichtshof die Datenerhebung in einem so weiten Umfang ermöglicht zu sein, daß nicht mehr davon gesprochen werden könne, daß die Erhebung aller dieser Informationen im Interesse des wirtschaftlichen Wohls des Landes notwendig ist.

b) Dieser vorläufigen Annahme des Verfassungsgerichtshofes trat die Bundesregierung mit folgenden Argumenten entgegen:

"Die Ermittlung und Darstellung der tatsächlichen Lebensverhältnisse der Menschen ist eine wesentliche Voraussetzung für ein rationales und sachliches Handeln des Staates.

Die Statistik ist nun jene Methode, mit welcher die dafür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen werden. Ihre Richtigkeit ist nur dann gewährleistet, wenn die durch sie verwerteten Informationen vollständig sind. Ein wesentliches Merkmal dieser Vollständigkeit der Statistik ist, daß sie auf Angaben des Einzelfalles abstellt, daß also die Erfassung sämtlicher Einzeldaten die unabdingbare Voraussetzung für die Erstellung von Statistiken bildet. Dies ist nicht nur bei Totalerhebungen sondern auch bei Stichprobenerhebungen der Fall. Erst auf Grund der vollständigen Erfassung der betreffenden Einzelfälle kann durch Aggregierung der gewonnenen Einzeldaten eine verläßliche und zutreffende Statistik erstellt werden.

Ein Ersatz der amtlichen Statistik und der Auskunftspflicht von natürlichen und juristischen Personen etwa durch freiwillige Auskünfte würde daher zu wesentlichen Verzerrungen der Entscheidungsgrundlagen führen, das dabei gewonnene Ergebnis mit Fehlern belasten und unter Umständen auch unbrauchbar machen. Die im §8 Bundesstatistikgesetz 1965 enthaltene Auskunftsverpflichtung ist daher für die Erreichung der Ziele der Statistik unerläßlich.

Dies trifft auch auf die - im vorliegenden Zusammenhang relevante - Wirtschaftsstatistik zu.

Die im Rahmen der Wirtschaftsstatistik gewonnenen Daten über tatsächliche Sachverhalte dienen nicht einem abstrakten Interesse der Wirtschaftspolitik oder der Wirtschaftsforschung, sie sind vielmehr erforderlich, um Entscheidungen der Wirtschafts- und Finanzpolitik in Fragen, die wesentliche Interessen der Gesamtbevölkerung berühren, rational und in verfassungskonformer Weise treffen zu können. Entscheidungen bei Unsicherheit über die betroffenen Sachverhalte können nicht nur hohe volkswirtschaftliche Kosten verursachen. Es bestünde auch die Gefahr von unnötig hohem öffentlichen Aufwand, von vermeidbaren Einbußen an Wettbewerbsfähigkeit, einer vermeidbaren konjunkturellen Unterauslastung von Beschäftigten und Produktionskapazitäten, das Risiko erhöhter Inflation und von Leistungsbilanzungleichgewichten. Wirtschaftspolitische Entscheidungen auf der Basis ungenügender statistischer Informationen wären überdies vielfach geeignet, das wirtschafts- und sozialpolitische, aber auch das rechtspolitische Ziel der gleichmäßigen Verteilung von wirtschaftlichen Lasten und Chancen zu verletzen.

Es ist auch zu bedenken, daß Ergebnisse der Statistik nicht nur eine wesentliche Grundlage für staatliches Handeln bilden, sondern auch für rationale wirtschaftliche Entscheidungen von Einzelpersonen Bedeutung haben (z.B. Investitions- und Marktplanung)."

Zu den in Prüfung gezogenen Erhebungstatbeständen des Anhangs zum BStatG führte die Bundesregierung im einzelnen aus:

"a) Zu Abschnitt I Z3 und Abschnitt II Punkt Zu 3 des Anhanges zum Bundesstatistikgesetz 1965:

Erhebungen über 'die Preise der Sachgüter und Dienstleistungen in den einzelnen Stadien des volkswirtschaftlichen Kreislaufes (Produktion, Handel und Verbrauch)' sind zunächst für die Bestimmung des Preisniveaus (z.B. Erstellung der verschiedenen Preisindizes) erforderlich. Nur aufgrund dieser Daten ist es auch möglich, auf mehreren Ebenen die Preisstabilität (Einfuhrpreise, Ausfuhrpreise, Großhandelspreise, Verbraucherpreise), die Einkommensverteilung (Wertsicherung, Valorisierung von Renten-, Pensions- und Lohnansprüchen) und die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Volkswirtschaft (auch im internationalen Wettbewerb) zu beurteilen. Diese Informationen bilden daher eine wesentliche Grundlage vor allem von Maßnahmen der Einkommens-, der Wechselkurs- und der Geldpolitik sowie der Außenhandelspolitik. Sie sind etwa auch für Kollektivvertragsverhandlungen von Bedeutung.

b) Zu Abschnitt I Z4 und Abschnitt II Punkt Zu 4 des Anhanges zum Bundesstatistikgesetz 1965:

Die Erhebung der dort genannten Daten ist für die Erstellung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erforderlich. Der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung kommen insbesondere folgende Aufgaben zu (vgl. HENRICHSMEYER/GANS/EVERS, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 8. Auflage, 326 ff): Die Analyse der gesamtwirtschaftlichen Situation in Bezug auf die konjunkturelle Lage, das wirtschaftliche Wachstum, den sektoralen Strukturwandel, die Einkommensverteilung, die Außenhandels- und Zahlungsbilanzsituation sowie die Erstellung von Grundlagen für wirtschaftliche Prognosen und die Schaffung der Voraussetzungen für eine Erfolgskontrolle wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Hiefür sind Erhebungen nach den international anerkannten wissenschaftlichen Methoden bei der Güterentstehung, Güterverwendung, Einkommensentstehung und Einkommensverwendung erforderlich. Es kann nach Auffassung der Bundesregierung kein Zweifel daran bestehen, daß die Erstellung einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung aus Gründen des wirtschaftlichen Wohles eines Landes erforderlich ist.

Erhebungen über 'Personalaufwand, gesetzliche und freiwillige Sozialleistungen sowie sonstige Kostenfaktoren je Betrieb (Kostenstruktur)' sind in erster Linie erforderlich, um die Beschäftigungslage, den Zustand der sozialen Sicherheit und die Anforderungen an das Bildungssystem darzustellen. Auf diese in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung dargestellten Daten stützen sich beschäftigungspolitische, sozial- und bildungspolitische Maßnahmen. Aktuelle Anlaßfälle für die Benützung dieser Daten sind etwa die Reform der Finanzierung der Pensionsversicherung, Überlegungen über die Schaffung einer Wertschöpfungsabgabe, die Steuerreform im Bezug auf die Lohnsteuer, die Frage der Arbeitszeitverkürzung und der Teilzeitbeschäftigung, die Planung der Bildungskapazitäten sowie Fragen der Frauenbeschäftigung und des Karenzurlaubes. Die dabei erhobenen Fakten dienen als Grundlage für Maßnahmen sowohl der Beschäftigungs- als auch der Bildungspolitik (im Hinblick auf die Beschäftigungsstruktur) sowie der Außenwirtschafts- und Währungspolitik.

Erhebungen über 'Wert und Gliederung der Investitionen nach Art der Investitionsgüter' sind für die Darstellung des Beschäftigungs- und Wettbewerbseffekts von Investitionen von Bedeutung. Die hiebei gewonnenen Daten sind eine wesentliche Voraussetzung für die Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik sowie für die Vergabe von Förderungen. Auf Grund der großen Bedeutung der Investitionen für die gesamte Konjunkturentwicklung stellen sie auch einen wesentlichen Bestandteil für die Erstellung von wirtschaftlichen Prognosen dar. Aus ähnlichen Gründen sind auch die Erhebungen über den 'Lagerbestand an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, an Halbfabrikaten und Fertigfabrikaten' erforderlich. Diese Angaben sind einerseits zur Darstellung der konjunkturellen Situation und des Auslastungsgrades der Unternehmungen in den einzelnen Sparten erforderlich. Sie bilden eine Voraussetzung für rechtzeitige konjukturpolitische Reaktionen. Andererseits sind diese Angaben zur Beurteilung der Krisenvorsorge (wirtschaftliche Landesverteidigung, Vorsorge für Versorgungskrisen) erforderlich. Sie fließen daher in die Planung von Bewirtschaftungsmaßnahmen ein.

Erhebungen über 'Verbindlichkeiten, kurzfristige Forderungen und Finanzanlagen' bilden die Grundlage für die Darstellung des finanziellen Status der österreichischen Unternehmen, von deren Liquidität und Bonität, Eigenkapitalanteil etc. Sie sind Voraussetzung für Maßnahmen auf dem Gebiet des Steuerrechts und der Subventionspolitik sowie der zins- und fiskalpolitischen Steuerung auf dem Gebiet der Währungspolitik und des Kreditwesens.

Ohne diese Daten ließe sich auf rationale Weise eine Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung für Österreich nicht erstellen. Die Aufgliederung in verschiedene Input-Faktoren ist eine wesentliche Voraussetzung für die Erstellung der im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu erstellenden Input-Output Analyse.

c) Zu Z9 des Abschnitts I und Punkt Zu 9 des Abschnitts II des Anhanges zum Bundesstatistikgesetz 1965:

Aufgrund dieser Bestimmungen sind Erhebungen über den Stand, die Entwicklung und die Grundlagen der industriellen und gewerblichen Gütererzeugung zulässig. Hiezu ist im einzelnen zu bemerken:

Erhebungen über 'Art, Menge und Wert (Brutto- und Nettowert) des Verbrauches an Roh- und Hilfsstoffen und Halbfabrikaten sowie an Brennstoffen, Verbrauch an Energie; Bestand an Maschinen oder sonstigen Betriebseinrichtungen' sind zur Beurteilung der sektoralen und regionalen Strukturveränderungen und vor allem auch als Basis für Überlegungen über das Steuersystem notwendig.

Anläßlich der Steuerreform 1988 wäre ohne diese Daten das nach der Reform zu erwartende Steueraufkommen nicht mit hinlänglicher Sicherheit zu schätzen gewesen, da die wichtigste Besteuerungsgrundlage (nicht nur in Österreich) entweder der Umsatz bzw. der Bruttoproduktionswert, oder die Wertschöpfung bzw. deren Komponenten Gewinn, Kapitalertrag und Arbeitseinkommen sind. Fundierte Überlegungen zur Effizienz und zu Reformen im Bereich der Förderungsinstrumente (z.B. Regionalförderung, Förderung strukturschwacher Branchen und Regionen), Überlegungen über die Konsequenzen der außenwirtschaftlichen Veränderung, sowie von Maßnahmen auf dem Gebiet des Zollwesens sind ohne Kenntnis dieser Leistungsdaten der österreichischen Wirtschaft nicht denkbar.

Die Erhebungen über den 'Wert des Lagerbestandes an Fertigerzeugnissen; Auftragsbestände und Auftragseingänge; Ausnützung der Kapazität der Betriebe' sind insbesondere für die Beurteilung der Konjunktursituation der Betriebe und damit für rechtzeitige konjunkturpolitische Maßnahmen erforderlich.

Diese Erhebungen insgesamt gewinnen nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Verhandlungen Österreichs mit den Europäischen Gemeinschaften Bedeutung.

d) Bei einer Verringerung der in den in Prüfung gezogenen Bestimmungen normierten Auskunftspflicht könnten nahezu keine Daten mehr über die regionale Industriestruktur veröffentlicht werden. Schon derzeit weisen die Matrizen der regionalen Industriestruktur zahlreiche Leerstellen ('blancs') auf. Eine derartige Änderung der Bestimmungen über die Auskunftspflicht würde dazu führen, daß noch mehr Positionen der Matrix nicht mit Daten ausgefüllt werden könnten. Da aber jede leere Matrix-Postition jeweils eine weitere Leerstelle in der entsprechenden Kolonne oder Zeile erfordert, ergäbe sich eine progressive Vergrößerung der 'weißen Flecken' der regionalen Industrie-Matrizen. Diese verlören wesentlich an Aussagekraft oder könnten überhaupt nicht mehr erstellt werden, so daß eine der wichtigsten Datenbasen der Regionalpolitik entfiele."

Weiters wies die Bundesregierung darauf hin, daß in Staaten mit vergleichbarem wirtschaftlichen und verfassungsrechtlichen Standard wirtschaftsstatistische Erhebungen in weitgehend gleichem Umfang vorgenommen würden und führte dazu aus:

"Die amtliche österreichische Bundesstatistik im allgemeinen und im besonderen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des Bundesstatistikgesetzes 1965 weisen einen Erhebungsumfang und Erhebungsmerkmale auf, die ohne signifikante Unterschiede auch von den Behörden der Bundesrepublik Deutschland, der übrigen EG-Länder sowie auch Schwedens, Norwegens und Finnlands in grundsätzlich derselben Weise (Vollerhebungen bei allen natürlichen und juristischen Personen, Antwortverpflichtung, amtliche Geheimhaltung) erhoben werden. Das statistische Amt der europäischen Gemeinschaften veröffentlicht die Ergebnisse der Industriestatistik aller Mitgliedsländer monatlich und jährlich. In den Mitgliedsländern der EG besteht eine Verpflichtung der nationalen statistischen Behörden zur Weitergabe der Ergebnisse an das statistische Amt der Europäischen Gemeinschaften.

Die Industriestatistiken in den westeuropäischen Staaten weisen daher ebenso Daten über Personalaufwand (Löhne, Gehälter, Sozialleistungen), Arbeitskräfte, Arbeitsstunden, Wert und Gliederung der Investitionen, Lagerbestände, Brutto- und Nettoproduktionswerte, Umsätze und die Kostenstruktur auf. Der Erhebungsumfang ist auch dort für die Monatsmeldungen im allgemeinen deutlich reduziert, für die Jahreserhebungen (wie in Österreich) umfassender. Staaten mit vergleichbaren wirtschaftlichen und verfassungsrechtlichen Standards (insbesondere auch die Mitgliedsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention) weisen also weitestgehend den gleichen Umfang der Wirtschafts- und speziell der Industriestatistik auf.

Im vorliegenden Zusammenhang ist auch von Bedeutung, daß Österreich auf Grund einer Reihe von internationalen Verträgen (OECD, UNO, UNESCO, FAO) verpflichtet ist, periodische statistische Meldungen zu erstatten. Die Einhaltung dieser völkerrechtlichen Verpflichtungen durch Österreich ist nur dann möglich, wenn die hiefür erforderlichen Erhebungen durchgeführt werden können. Auch ist zu beachten, daß das statistische Programm der Europäischen Gemeinschaften ein System von weitreichenden unmittelbaren Meldeverpflichtungen auf Grund des Gemeinschaftsrechts enthält."

Schließlich verwies die Bundesregierung darauf, daß §2 Abs2 BStatG den nach dem Gegenstand der Erhebung zuständigen Bundesminister ermächtige, bezüglich der im Anhang genannten Erhebungsgegenstände und Erhebungsmerkmale statistische Erhebungen anzuordnen. Die Auskunftspflicht bestehe damit nicht ex lege in bezug auf alle Daten, die im Anhang genannt sind, sondern nur in bezug auf jene, deren Bekanntgabe in einer solchen Verordnung verlangt sei. Im Lichte des Grundrechts auf Datenschutz sei diese Verordnungsermächtigung so auszulegen, daß die Erhebung bestimmter Daten (innerhalb des im Anhang gesetzten "Höchstrahmens") nur dann angeordnet werden dürfe, wenn eine auf deren Grundlage erstellte Statistik in dem von der Bundesregierung dargelegten Sinne erforderlich sei.

Abschließend meint die Bundesregierung:

"Es erscheint somit die Auffassung vertretbar, daß die in §8 Abs1 Bundesstatistikgesetz 1965 normierte Auskunftspflicht in dem sich aus §2 Abs2 Bundesstatistikgesetz in Verbindung mit dem Anhang zu diesem Gesetz ergebenden Umfang für das wirtschaftliche Wohl des Landes erforderlich ist. Andere Methoden als eine gesetzlich statuierte Auskunftspflicht - wie etwa statistische Erhebungen aufgrund bloß freiwilliger Angaben - würden den Charakter der Vollständigkeit und Richtigkeit des statistischen Ergebnisses erheblich beeinträchtigen und den Wert der Statistik grundsätzlich in Frage stellen."

c) Die von der Bundesregierung im einzelnen dargelegten, in extenso wiedergegebenen Ausführungen sind überzeugend. Sie erweisen, daß die in Prüfung stehenden Teile des Anhangs zum BStatG den Verordnungsgeber hinsichtlich der Erhebungsgegenstände und der Erhebungsmerkmale zur Anordnung von statistischen Erhebungen ermächtigen, die nicht nur im Interesse des wirtschaftlichen Wohles des Landes liegen, sondern auch als in einer demokratischen Gesellschaft für das wirtschaftliche Wohl des Landes notwendig anzusehen sind. Dies zeigen auch die eine grundsätzliche Gleichartigkeit der Wirtschaftsstatistik im internationalen Vergleich darlegenden Ausführungen der Bundesregierung und ihre Hinweise auf die Erforderlichkeit wirtschaftsstatistischer Erhebungen auf Grund internationaler Verträge.

Freilich ermächtigen die in Prüfung stehenden Bestimmungen nicht zur Anordnung von Erhebungen jedweder Art; der die Erhebung konkret anordnende Bundesminister hat bei Ausführung der gesetzlichen Ermächtigung auch zu beachten, daß nur solche Erhebungen vorgeschrieben werden dürfen, die im Sinne des Gesagten für das wirtschaftliche Wohl des Landes notwendig sind. Eine gesetzeskonforme Anordnung statistischer Erhebungen durch den zuständigen Bundesminister verletzt den durch das Grundrecht auf Datenschutz gesetzten Rahmen aber nicht. Es ist der Bundesregierung beizupflichten, wenn sie meint, daß allenfalls über diesen Rahmen hinausgehende Erhebungsanordnungen rechtswidrig wären, diese Rechtswidrigkeit aber nicht der Umschreibung im Anhang zum BStatG, sondern allenfalls einer Überschreitung der gesetzlichen Ermächtigung durch das die Erhebung anordnende Verwaltungsorgan anzulasten wäre.

Das Bedenken des Verfassungsgerichtshofs, daß die in Prüfung genommenen Bestimmungen des Anhangs zum BStatG zu im Hinblick auf das Grundrecht auf Datenschutz zu weitgehenden Erhebungen ermächtigt, trifft somit nicht zu, so daß diese Bestimmungen nicht als verfassungswidrig aufzuheben waren.

5.a) Der Verfassungsgerichtshof hatte weiters das Bedenken, daß die gesetzlichen Vorschriften über die vertrauliche Behandlung von statistisch erhobenen Daten, zu deren Auskunft die Normunterworfenen verpflichtet sind, nicht ausreichend sein dürften, um dem Gebot des §1 Abs2 DSG zu entsprechen, wodurch die die Auskunftspflicht anordnende Bestimmung des §8 BStatG verfassungswidrig sein dürfte. Im Einleitungsbeschluß wurde dazu folgendes ausgeführt:

"Zum anderen dürften die Vorschriften des BStatG nicht genügen, um eine ausreichend vertrauliche Behandlung der erhobenen Daten zu sichern. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die in §2 Abs4 BStatG verankerte Veröffentlichungspflicht hinzuweisen; wie es auch die Anlaßfälle zeigen, dürfte infolge dieser Bestimmung etwa in all jenen Fällen die ausreichende Vertraulichkeit nicht gesichert sein, in denen die erhobenen Wirtschaftsdaten jener Branchen zu veröffentlichen sind, in denen nur wenige Unternehmen tätig sind, da dann Rückschlüsse auf individuelle Betriebsdaten nicht ausgeschlossen erscheinen. Das Gesetz scheint die Veröffentlichungspflicht nicht einmal auf das dem §7 der IndustriestatistikV entsprechende Ausmaß (das unter dem Gesichtspunkt einer ausreichend vertraulichen Behandlung erhobener Daten ebenfalls nicht unbedenklich wäre) zu reduzieren. ... Gemäß §7 der IndustriestatistikV dürfen bei der Veröffentlichung der Ergebnisse der Erhebungen der Industriestatistik zur Wahrung des Betriebsgeheimnisses Produktions- und sonstige Erfolgsdaten nur dann gesondert ausgewiesen werden, wenn diese mehr als drei Unternehmen betreffen, es sei denn, die beteiligten Unternehmen stimmen der Veröffentlichung ausdrücklich zu."

b) Die Bundesregierung wies in ihrer Äußerung zunächst auf die Bestimmungen des §10 BStatG hin, dessen Abs1 zufolge die bei einer statistischen Erhebung in Erfüllung der Auskunftspflicht gemachten Angaben nur für statistische Zwecke verwendet werden dürfen und dessen Abs2 - unter Strafsanktion und überdies disziplinarrechtlich sanktioniert - die bei einer statistischen Erhebung oder bei deren Auswertung mitwirkenden Organe verpflichtet, die Angaben der befragten Personen geheimzuhalten. Insbesondere bestehe angesichts der Geheimhaltungspflicht im BStatG auch nach Art20 Abs3 und 4 B-VG keine Auskunftspflicht für gem. §8 Abs1 BStatG erhobene Daten. Weiters wies die Bundesregierung auf die nach §10 DSG bestehende Verpflichtung zu entsprechenden Datensicherheitsmaßnahmen hin.

Zu der vom Verfassungsgerichtshof aufgeworfenen Frage führte die Bundesregierung aus:

"Gemäß §2 Abs4 Bundesstatistikgesetz 1965 sind die Ergebnisse der statistischen Erhebungen zu veröffentlichen. Bereits der Zusammenhang der in §2 Abs4 Bundesstatistikgesetz 1965 enthaltenen Veröffentlichungspflicht mit dem in §10 Bundesstatistikgesetz 1965 normierten Statistikgeheimnis ergibt, daß eine Veröffentlichung unzulässig ist, wenn dadurch das im §10 enthaltene Geheimhaltungsgebot verletzt würde. Dies wäre aber dann der Fall, wenn aus dem veröffentlichten Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit auf personenbezogene Daten rückgeschlossen werden könnte. Eine solche Auslegung des §2 Abs4 Bundesstatistikgesetz ist auch angesicht des §1 DSG geboten. Auch diese Verfassungsbestimmung verbietet die Ermöglichung von Rückschlüssen auf bestimmte personenbezogene Daten. Es hat sich daher in der statistischen Praxis jene grundrechtskonforme Interpretation des §10 des Bundesstatistikgesetzes 1965 durchgesetzt und bewährt, wonach in einer statistischen Klasse mehr als drei Elemente enthalten sein müssen. Nur Ergebnisse aus einer größeren Klasse unterliegen der in §2 Abs4 Bundesstatistikgesetz 1965 festgelegten Veröffentlichungspflicht. Damit ist auch im Sinne des §3 Z1 des Datenschutzgesetzes sichergestellt, daß statistische Ergebnisse nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine bestimmte Person rückgeführt werden können. Im übrigen betrifft die Veröffentlichungspflicht stets nur anonymisierte und aggregrierte Daten. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß die Anonymisierung personenbezogener Daten durch das Statistische Zentralamt durch Entfernen des Kopfes der Erhebungsbögen mit der vollständigen Anschrift und dem Namen des Einsenders sofort nach dem Einlangen erfolgt.

Es ist auszuschließen, daß allein auf der Grundlage einer veröffentlichten Statistik auf die Wirtschaftsdaten eines bestimmten Unternehmers geschlossen werden kann. Hiefür wären vielmehr Informationen aus anderen Quellen Voraussetzung, die der Interessent aus der anonymisierten Statistik aber nicht beziehen kann. Die veröffentlichte Statistik kann also dafür keinen entscheidenden Informationszuwachs bieten.

Die Vorschriften des Bundesstatistikgesetzes 1965 sowie des Datenschutzgesetzes bieten also durchaus eine gesetzliche Handhabe, um verfassungsrechtlich verpönte Eingriffe in das in §1 DSG geschützte Recht auf Schutz personenbezogener Daten zu sichern. Sie gewährleisten eine vertrauliche Behandlung und schließen aus, daß aus einer veröffentlichten Statistik Rückschlüsse auf personenbezogene Daten möglich sind."

c) Es trifft zu, daß eine umfassende Veröffentlichungspflicht des Ergebnisses statistischer Erhebungen mit der im Range von Bundesverfassungsrecht stehenden Bestimmung des §1 DSG unvereinbar ist, da aus solchen Veröffentlichungen in bestimmten, keineswegs nur in Einzelfällen auftretenden Konstellationen Rückschlüsse auf Daten möglich sind, die unter dem verfassungsrechtlichen Schutz des §1 DSG stehen. Auch die Bundesregierung gesteht implizit zu, daß die Veröffentlichungspflicht des §2 Abs4 BStatG für sich genommen zum Grundrecht auf Datenschutz in Widerspruch geraten würde, könnte sie nicht verfassungskonform reduziert werden.

Die genannte Bestimmung lautet:

"Die Ergebnisse der Erhebungen sind zu veröffentlichen. Die Bundesregierung kann Ausnahmen von der Veröffentlichung verfügen, sofern dies aus Gründen der Staatssicherheit notwendig ist."

Der Hinweis auf die Möglichkeit der Einschränkung der Veröffentlichungspflicht aus Gründen der Staatssicherheit legt es zunächst schon nahe, anzunehmen, daß eine Einschränkung des Veröffentlichungsgebotes aus anderen Gründen unzulässig ist. Die Bundesregierung meint aber nun, daß sich eine Möglichkeit zu einer reduzierenden Interpretation aus der Geheimhaltungspflicht des §10 (gemeint offensichtlich dessen Abs2) BStatG ergebe. Dem kann der Verfassungsgerichtshof aber nicht folgen. §10 Abs2 BStatG verpflichtet die Erhebungsorgane und die an der Auswertung mitwirkenden Organe, die Angaben der befragten Personen geheimzuhalten. Einer solchen Geheimhaltungspflicht für die an der Bundesstatistik mitwirkenden Organe kann aber keine das Veröffentlichungsgebot des §2 Abs4 BStatG einschränkende Interpretation entnommen werden.

Aber auch der zweite Argumentationsversuch der Bundesregierung ist nicht zielführend: Sie meint, §1 DSG selbst gebe einen Anhaltspunkt für eine verfassungskonforme Einschränkung des Veröffentlichungsgebots. Demgemäß sei die Veröffentlichtungspflicht so zu reduzieren, daß in einer statistischen Klasse mehr als drei Elemente enthalten sein müßten, damit sie veröffentlicht werden dürfe. Dem entspreche auch die derzeitige Praxis des Österreichischen Statistischen Zentralamtes.

Diese derzeit gehandhabte Praxis, die auch der Anordnung des §7 der Industriestatistikverordnung entspricht, findet jedoch keine Grundlage im Wortlaut des §2 Abs4 BStatG. Es kann in diesem Verfahren unerörtert bleiben, ob nicht auch bei aggregierten Daten einer Klasse dieser Größenordnung mit Hilfe von statistikexternen Informationen Rückschlüsse auf die Daten eines bestimmten Wirtschaftsunternehmens möglich sind, sodaß etwa Insider bei Branchen mit nur wenigen Unternehmern durch Verknüpfung mit ihnen bekannten Wirtschaftsdaten Rückschlüsse auf Daten anderer Unternehmungen ziehen können. Es muß nämlich durch den Gesetzgeber selbst (und nicht etwa nur im Wege einer Verordnung) sichergestellt werden, daß auf Grund der Veröffentlichung keine derartigen Rückschlüsse auf (schutzwürdige und durch das Grundrecht auf Datenschutz auch geschützte) Daten gezogen werden können.

Eine verfassungskonforme Interpretation der Veröffentlichungspflicht erweist sich somit als nicht möglich. Nun führt aber diese umfassende Veröffentlichungspflicht im Zusammenhalt mit der die Auskunftspflicht anordnenden Bestimmung des §8 Abs1 BStatG und mit den die Erhebungsgegenstände und die Erhebungsmerkmale umschreibenden Bestimmungen des Anhangs zum BStatG dazu, daß die aufgrund der Auskunftspflicht gewonnenen Daten nicht in einer den oben dargelegten (vgl. Pkt. IV.3.a) Anforderungen des §1 Abs2 DSG entsprechenden Weise geschützt werden. Damit verletzt (auch) die hier präjudizielle, die Auskunftspflicht anordnende Bestimmung des §8 Abs1 BStatG das Grundrecht auf Datenschutz, weshalb die (in dieser Bestimmung in den Anlaßfällen ausschließlich anzuwendenden) Worte "Natürliche und" als verfassungswidrig aufzuheben sind.

d) Für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstelle wurde gemäß Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG eine Frist von einem Jahr bestimmt, um eine entsprechende Vorbereitung einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Neuregelung zu ermöglichen. Dabei wird der Gesetzgeber auch eine der aufgehobenen Auskunftspflicht entsprechende Bestimmung erlassen können, wenn er gleichzeitig bei der Regelung der Veröffentlichungspflicht den Anforderungen des §1 DSG Genüge tut.

e) Der Ausspruch, daß frührere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.

Schlagworte

Statistik, Datenschutz, Auskunftspflicht, Begriffsumschreibungen, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:G245.1989

Dokumentnummer

JFT_10108870_89G00245_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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