TE Vwgh Erkenntnis 1992/7/9 92/18/0207

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.07.1992
beobachten
merken

Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
90/01 Straßenverkehrsordnung;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z2;
FrPolG 1954 §3 Abs3 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs3 Z1;
FrPolG 1954 §3 Abs3 Z2;
FrPolG 1954 §4;
KFG 1967 §64 Abs1;
KFG 1967 §73;
MRK Art8 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs2;
StVO 1960 §5 Abs4 lita;
StVO 1960 §99 Abs1 lita;
StVO 1960 §99 Abs1 litb;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des H in L, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 8. August 1991, Zl. FrB-4250/91, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (der belangten Behörde) vom 8. August 1991 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, ein auf § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 und 2 iVm § 4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954 idF BGBl. Nr. 575/1987, (FrPolG) gestütztes, bis 2. April 1996 befristetes Aufenthaltsverbot für das "Gebiet der Republik Österreich" erlassen.

In der Begründung ihres Bescheides ging die belangte Behörde sachverhaltsmäßig davon aus, daß der Beschwerdeführer wegen zahlreicher Verwaltungsübertretungen rechtskräftig bestraft worden sei, und zwar:

§  367 Z. 2 i.V.m. § 9/2 Gew.O            19.10.1990    2.000

§§ 102 Abs. 1 + 14 Abs. 6 KFG 1967        24.10.1989      100

§  102 Abs. 5 lit. a KFG 1967             24.10.1989      100

§§ 5 Abs. 2 + 99/1 lit. b StVO            24.10.1989   14.000

§  64 Abs. 1 KFG 1967                     18.01.1990    3.000

§§ 5 Abs. 1 + 99/1 lit. a StVO            28.02.1989   12.000

§  102 Abs. 5 lit. a KFG 1967             28.02.1989      100

§  102 Abs. 5 lit. b KFG 1967             28.02.1989      100

§§ 5/4 lit. a + 99/1 lit. b StVO          25.06.1987   10.000

§§ 7 Abs. 1 + 99/3 lit. a StVO            09.04.1987    1.000

§§ 4/1 lit. a + 99/2 lit. a StVO          09.04.1987    1.000

§§ 4 Abs. 5 + 99/3 lit. b StVO            09.04.1987    2.000

§§ 52 lit. a Z. 10a + 99/3 lit. a StVO    30.01.1987      300

Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG                  20.08.1986    1.000

Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG                  20.08.1986      500.

Darüber hinaus weise der Beschwerdeführer drei rechtskräftige gerichtliche Verurteilungen wegen § 83 Abs. 1 StGB auf (zwei aus dem Jahr 1985, eine aus dem Jahr 1990).

Unter Zugrundelegung dieser verwaltungsrechtlichen Bestrafungen und gerichtlichen Verurteilungen sei die Annahme gerechtfertigt, daß ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährde.

Im Rahmen der Interessenabwägung (§ 3 Abs. 3 FrPolG) stellte die belangte Behörde fest, daß sich der Beschwerdeführer seit ca. 20 Jahren in Österreich aufhalte und geschäftsführender Gesellschafter einer Gesellschaft m.b.H. sei, die einen Gastbetrieb führe. Ab dem Jahr 1987 seien drei Töchter des Beschwerdeführers nach Vorarlberg übersiedelt; zwei von ihnen seien im Gastgewerbe tätig und somit selbsterhaltungsfähig, die dritte sei verheiratet und habe zwei Kinder. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sowie zwei weitere Kinder befänden sich nach wie vor in der Türkei. Zweifelsohne seien die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Fremden, insbesondere aufgrund seines langjährigen Aufenthaltes in Österreich und der damit verbundenen Integration, erheblich. Dennoch wögen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltesverbotes unverhältnismäßig schwerer. Zum einen lägen mehrere gravierende Verwaltungsübertretungen vor, wobei insbesondere das Lenken eines Kraftfahrzeuges in alkoholisiertem Zustand einen schweren Bruch der österreichischen Rechtsordnung darstelle. Hinzu komme, daß der Beschwerdeführer trotz Entziehung der Lenkerberechtigung ein Kraftfahrzeug gelenkt habe, und er nach deren Wiedererteilung abermals wegen eines Alkoholdeliktes bestraft worden sei. Schließlich seien auch die Übertretungen nach § 4 StVO keineswegs als geringfügig anzusehen, da den Geschädigten die Verfolgung ihrer zivilrechtlichen Ersatzansprüche wesentlich erschwert werde. Zum anderen sei der Beschwerdeführer dreimal wegen § 83 Abs. 1 StGB rechtskräftig verurteilt worden, was erkennen lasse, daß er nicht davor zurückschrecke, tätlich gegen andere Personen vorzugehen. Zu beachten sei darüber hinaus, daß dem Beschwerdeführer in den Jahren 1987 und 1989 jeweils die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes angedroht worden sei; aufgrund der damals geltend gemachten "persönlichen Einwendungen" sei von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes abgesehen worden. Obwohl er jeweils darauf hingewiesen worden sei, daß er im Fall weiterer Gesetzesübertretungen mit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes zu rechnen habe, sei er wieder mehrmals straffällig geworden.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluß vom 24. Februar 1992, B 1169/91). Laut der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgenommenen Beschwerdeergänzung erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem "Recht auf einen Sichtvermerk" (es "liegt kein Versagungsgrund vor") sowie in seinem "Recht auf Aufenthalt in Österreich" verletzt. Er macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und begehrt deshalb die Aufhebung des bekämpften Bescheides.

II

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Vorschriften des § 3 Abs. 1, Abs. 2 Z. 1 und 2 sowie Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz lauten:

§ 3 (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958, genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder

1. von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

einer solchen Verurteilung ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht dann gleichzuhalten, wenn sie den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht;

2. im Inland mehr als einmal wegen schwerwiegender Verwaltungsübertretungen oder mehrmals wegen Übertretungen des Fremdenpolizeigesetzes, des Paßgesetzes, des Grenzkontrollgesetzes oder des Meldegesetzes rechtskräftig bestraft worden ist.

(3) Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen, als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;

2.

die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen;

3.

die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen.

              2.              Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers stellt die Mißachtung der Vorschriften des § 5 Abs. 1 StVO 1960 (Lenken eines Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand), des § 5 Abs. 2 leg. cit. (Weigerung, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen) und des § 5 Abs. 4 lit. a leg. cit. (Weigerung, sich einem Arzt zwecks Feststellung des Grades der Alkoholeinwirkung vorführen zu lassen) jeweils eine schwerwiegende Verwaltungsübertretung i.S. des § 3 Abs. 2 Z. 2 FrPolG dar. Die belangte Behörde hat daher im Hinblick auf das Vorliegen von je einer rechtskräftigen Bestrafung wegen Übertretung des § 5 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960, des § 5 Abs. 2 iVm § 99 Abs. 1 lit. b leg. cit. und des § 5 Abs. 4 lit. a iVm § 99 Abs. 1 lit. b leg. cit. zu Recht den Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 2 FrPolG als verwirklicht und damit die im § 3 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme als gerechtfertigt angesehen. Dazu kommt, daß auch die rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Lenkens eines Fahrzeuges ohne Lenkerberechtigung (§ 64 Abs. 1 KFG) nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine solche wegen einer schwerwiegenden Verwaltungsübertretung i. S. des § 3 Abs. 2 Z. 2 FrPolG darstellt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. Juni 1992, Zl. 92/18/0243). Bei dieser Sach- und Rechtslage kann es dahingestellt bleiben, ob allenfalls ein Teil der gerichtlichen Verurteilungen wegen § 83 Abs. 1 StGB bereits getilgt ist und insoweit der Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 1 (dritter Fall) FrPolG nicht als erfüllt angesehen werden kann.

              3.              Der Gerichtshof kann auch nicht finden, daß die von der belangten Behörde im Grunde des § 3 Abs. 3 FrPolG vorgenommene Interessenabwägung rechtswidrig wäre. Ausdrücklich zugunsten des Beschwerdeführers wurde sein ca. 20 Jahre währender Aufenthalt in Österreich gewertet. In bezug auf Familienangehörige wurde darauf hingewiesen, daß sich die Ehefrau des Beschwerdeführers mit zwei Kindern weiterhin in der Türkei aufhielten, und daß ab dem Jahr 1987 drei Töchter des Beschwerdeführers - von diesem selbst als "erwachsen" bezeichnet - nach Vorarlberg übersiedelt seien. Während demnach zutreffend ein erhebliches Ausmaß an Integration des Beschwerdeführers in Österreich als gegeben angenommen wurde, hat dies die belangte Behörde in bezug auf die drei in Österreich lebenden Töchter des Beschwerdeführers nicht getan und deshalb auch nachteilige Folgen eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer für jene nicht angenommen. Letzteres begegnet selbst dann keinem rechtlichen Einwand, wenn diese Kinder, da selbsterhaltungsfähig und zum Teil selbst verheiratet und mit eigenen Kindern, im gemeinsamen Haushalt des Beschwerdeführers leben sollten. Diesen somit ingesamt nicht sehr gewichtigen privaten Interessen des Beschwerdeführers an seinem Hierbleiben steht, was die belangte Behörde zu Recht hervorgehoben hat, das große Gewicht öffentlicher Interessen an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegenüber, welch letzteres sich insbesondere in der von alkoholisierten Kraftfahrzeuglenkern ausgehenden Gefahr für die Allgemeinheit manifestiert.

Völlig verfehlt ist das in diesem Zusammenhang von der Beschwerde gebrauchte Argument, daß die Behörde, um Alkoholdelikte des Beschwerdeführers zu verhindern, mit "Führerscheinentzug" hätte vorgehen können (sollen); denn abgesehen davon, daß eine derartige Maßnahme - wie der Fall des Beschwerdeführers ja sehr deutlich zeigt - keine Gewähr für das Unterlassen weiterer Übertretungen der StVO 1960 bietet, steht das Ergreifen bzw. Nichtergreifen dieser kraftfahrrechtlichen Maßnahme gegenüber einem Fremden in keinem rechtlich relevanten Konnex zur Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über diesen, dessen Zulässigkeit sich allein nach den Vorschriften des FrPolG zu richten hat. Die in dieser Hinsicht erhobene Verfahrensrüge geht demzufolge ins Leere.

Schließlich ist die Tatsache, daß dem Beschwerdeführer bereits zweimal (in den Jahren 1987 und 1989) für den Fall weiterer Gesetzesverstöße die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes angedroht worden ist, durchaus geeignet, das ohnehin schon große Gewicht der maßgeblichen öffentlichen, gegen den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich sprechenden Interessen noch weiter zu verstärken.

              4.              Da nach dem Gesagten die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt - was bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

              5.              Im Hinblick auf die Entscheidung in der Hauptsache erübrigt sich ein gesonderter Abspruch über den (zur hg. Zl. AW 92/18/0107 protokollierten) Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

Allgemein Verhältnis zu anderen Normen und Materien

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992180207.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten