TE Vfgh Erkenntnis 1990/2/27 B228/87

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Veröffentlicht am 27.02.1990
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art8 StVO 1960 §24 Abs1 litd VStG §35 lita VStG §35 litc

Leitsatz

Keine Verletzung des Beschwerdeführers im Recht auf persönliche Freiheit durch seine Festnahme und Anhaltung; vertretbare Annahme des im Kreuzungsbereich verbotenen Parkens; Fortsetzung der strafbaren Handlung; keine Ausweisleistung; Notwendigkeit der Dauer der Anhaltung zur Identitätsfeststellung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß er in Salzburg am 29. Jänner 1987 um 10,55 Uhr von einem Organ der Bundespolizeidirektion Salzburg festgenommen und nach Überstellung in das Wachzimmer Rathaus dort angehalten wurde, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Beschwerdeführer ist schuldig, dem Bund zuhanden der Finanzprokuratur die mit 10.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird im wesentlichen vorgebracht, daß der Beschwerdeführer am 29. Jänner 1987 um ungefähr 9,40 Uhr seinen Pkw in Salzburg am Makartplatz derart abgestellt habe, daß der Abstellort "eventuell im 5 m-Kreuzungsbereich liegen könnte". Als er kurz vor 11,00 Uhr zum Fahrzeug zurückgekehrt sei, habe er an der Windschutzscheibe eine Lenkerbenachrichtigung vorgefunden, in der ihm wegen des Parkens im Kreuzungsbereich die Bezahlung eines Organmandates anheimgestellt wurde. Der Beschwerdeführer habe sich daraufhin zu dem 30-40 m entfernten Polizeifahrzeug begeben, um vom Sicherheitswachebeamten Aufklärung darüber zu erhalten, warum die Beanstandung erfolgt sei.

Nachdem der Beamte nur gesagt habe: "Weil Sie Ihr Fahrzeug im Kreuzungsbereich abgestellt haben.", habe der Beschwerdeführer (im Hinblick darauf, daß die Lage nach den örtlichen Gegebenheiten unklar gewesen sei) den Sicherheitswachebeamten ersucht, die Situation in einer Skizze festzuhalten. Der Beamte habe dieses Ersuchen jedoch abgelehnt und den Beschwerdeführer aufgefordert, sich auszuweisen. Dieser Aufforderung sei er nicht nachgekommen, weil die Bezahlung einer Organmandatsstrafe von ihm keineswegs abgelehnt worden sei und eine Identitätsfeststellung bei einer solchen zu unterbleiben habe. Der Beschwerdeführer sei hierauf festgenommen, zum Wachzimmer Rathaus gebracht und nach einem Aufenthalt von ungefähr 50 Minuten (- während dieser Zeit sei fernmündlich der Zulassungsbesitzer des Fahrzeugs festgestellt worden -) von dort zur Bundespolizeidirektion überstellt worden. Nach Verfassung der Anzeige sei er vom Journalbeamten, dem gegenüber er sich mit dem Führerschein ausgewiesen habe, als Beschuldigter vernommen und sodann freigelassen worden. Die Anhaltung im Wachzimmer sei keineswegs notwendig gewesen, weil er die unverzügliche Vorführung zur Behörde verlangt habe.

Der Beschwerdeführer begehrt die Feststellung, daß er durch die Festnahme sowie durch die Anhaltung im Wachzimmer in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden sei.

2. Die durch die Finanzprokuratur vertretene belangte Bundespolizeidirektion Salzburg legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Die wegen der Festnahme des Beschwerdeführers und seiner Anhaltung im Wachzimmer, mithin gegen in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangene Verwaltungsakte gerichtete Beschwerde ist, da sämtliche Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig; sie ist jedoch nicht gerechtfertigt.

2.a) Wie der Verfassungsgerichtshof im Hinblick auf §4 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit sowie §35 VStG in ständiger Judikatur ausgesprochen hat (zB VfSlg. 8045/1977), setzt die Festnehmung einer Person durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in allen §35 VStG zu unterstellenden Fällen voraus, daß die Person "auf frischer Tat betreten" wird, dh. daß sie eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat begeht und bei der Begehung der Tat betreten wird. Die erste dieser Voraussetzungen ist nicht nur dann gegeben, wenn das einschreitende Organ das Vorliegen einer strafbaren Tat mit voller Verlässlichkeit festzustellen in der Lage ist, sondern schon dann, wenn es vertretbar erscheint, die Tat als strafbar zu beurteilen, wenn also das Organ mit gutem Grund annehmen konnte, daß eine Verwaltungsübertretung begangen wurde. In ständiger Rechtsprechung hat der Gerichtshof auch daran festgehalten (s. dazu ebenfalls das schon zitierte Erk. VfSlg. 8045/1977), daß eine Person dann auf frischer Tat betreten wird, wenn das Sicherheitsorgan die Begehung der Tat unmittelbar wahrnimmt, ohne daß zur Feststellung der Tat Erhebungen notwendig sind und aus den erhobenen Tatsachen Schlüsse gezogen werden müssen; wer bloß im Verdacht steht, eine strafbare Tat begangen zu haben, wird nicht auf frischer Tat betreten.

b) Aufgrund des übereinstimmenden Parteienvorbringens steht im Einklang mit dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes fest, daß sich der Beschwerdeführer, nachdem er die Lenkerbenachrichtigung vorgefunden hatte, an den in der Nähe befindlichen Sicherheitswachebeamten wendete und Aufklärung über den Grund der Beanstandung verlangte sowie weiters die Aufnahme bestimmter Beweise begehrte. Wie aus dem Beschwerdevorbringen sowie den eigenen Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner späteren Vernehmung als Beschuldigter hervorgeht, vermittelte er dem Polizeibeamten in eindeutiger Weise den Eindruck, daß das Fahrzeug von ihm selbst geparkt worden war; er widersprach nämlich nicht der personsbezogenen Erklärung des Beamten, daß die Beanstandung erfolgt sei, weil der Beschwerdeführer den Pkw abgestellt habe, und verlangte überdies Aufschluß, weshalb er als einziger beanstandet worden sei. Da der Beschwerdeführer - wie sich aus seinen Angaben sowohl in der Beschwerde als auch anläßlich der Beschuldigtenvernehmung ergibt - auch keine dahin zielende Erklärung abgab, die Organstrafverfügung trotz seiner Zweifel an einem verbotswidrigen Parken bezahlen zu wollen, ging der Sicherheitswachebeamte in Anbetracht der eben geschilderten Umstände zu Recht von der Annahme aus, daß der Beschwerdeführer die Bezahlung des Organmandates ablehne. Zusammenfassend dargestellt bestand damals aus der Sicht des vom Beschwerdeführer angesprochenen Beamten die Lage, daß der Beschwerdeführer der Verwaltungsübertretung des im Kreuzungsbereich verbotenen Parkens nach §24 Abs1 litd StVO (in einer - wie die im Verwaltungsakt erliegende Skizze und Lichtbilder zeigen - vertretbaren Weise) verdächtig war, die Bestrafung mittels Organstrafverfügung nicht hinnahm und - sich im Nahebereich des Fahrzeuges aufhaltend - die als Dauerdelikt zu beurteilende strafbare Handlung (s. VfSlg. 7309/1974 und 8045/1977) fortsetzte. Da der Beschwerdeführer somit auf frischer Tat bei der Begehung einer Verwaltungsübertretung betreten wurde, waren die oben erörterten allgemeinen Voraussetzungen des §35 VStG für eine Festnahme zwecks Vorführung vor die Behörde gegeben. Da weiters aufgrund des übereinstimmenden Vorbringens beider Prozeßparteien feststeht, daß der (dem Sicherheitswachebeamten persönlich nicht bekannte) Beschwerdeführer sich entgegen der an ihn gerichteten Aufforderung nicht auswies (nämlich weder seinen Führerschein noch ein anderes Ausweispapier vorzeigte), war der Festnehmungsgrund des §35 lita VStG gegeben.

c) Wenn der Beschwerdeführer weiters geltend macht, daß er - dem §36 VStG zuwider - trotz seines Verlangens nicht unverzüglich der Bundespolizeidirektion vorgeführt, sondern zuerst in das Wachzimmer verbracht und dort etwa 50 Minuten angehalten worden sei, so liegt hierin kein Verstoß gegen das in der bezogenen Gesetzesvorschrift festgelegte Gebot, den Festgenommenen unverzüglich der nächsten sachlich zuständigen Behörde zu übergeben. Die während dieses verhältnismäßig kurzen Zeitraums im Wachzimmer vorgenommenen Amtshandlungen, nämlich die fernmündliche Erhebung des Zulassungsbesitzers des Pkws bei der Bezirkshauptmannschaft Zell am See sowie die Einholung einer Weisung des Journalbeamten der Bundespolizeidirektion unter Schilderung der Sachlage, rechtfertigen die diesen Tätigkeiten dienende Anhaltung in der erwähnten Dauer (vgl. zB VfSlg. 11097/1986).

d) Es war somit spruchgemäß zu entscheiden, daß der Beschwerdeführer weder durch die Festnahme noch durch die Anhaltung im Wachzimmer im - hier ausschließlich in Betracht kommenden - verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde, daß die Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm nicht stattfand sowie daß die Beschwerde abzuweisen ist. Bei diesem Ergebnis war es entbehrlich, auf weitere von den Parteien aufgeworfene Fragen einzugehen wie etwa die - umstrittenen - Behauptungen, daß vom Beschwerdeführer (auch) das Vorweisen des Führerscheines verlangt sowie daß er sodann aufgefordert worden sei, mit seinem Fahrzeug wegzufahren.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG.

Schlagworte

Verwaltungsstrafrecht, Festnehmung, Ausweisleistung, Identitätsfeststellung, Straßenpolizei, Halte(Park-)Verbot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B228.1987

Dokumentnummer

JFT_10099773_87B00228_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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