TE Vwgh Erkenntnis 1992/9/4 90/19/0465

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Veröffentlicht am 04.09.1992
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

ArbIG 1974 §6 Abs3;
ArbIG 1974 §9 Abs1;
AVG §56;
VStG §31 Abs1;
VStG §32 Abs2;
VStG §45 Abs2;
VStG §9;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 90/19/0466

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerden 1. des F G und 2. des L G, beide in W, beide vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Wien vom 19. Juli 1990, Zlen. MA 63-G 27/89/Str. (Erstbeschwerdeführer) und MA 63-G 28/89/Str. (Zweitbeschwerdeführer), jeweils betreffend Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Jeder Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Die Beschwerdeführer sind vertretungsbefugte Gesellschafter der F G OHG.

Mit den Bescheiden der erstinstanzlichen Behörde vom 7. Juli 1989 wurden die auf Grund von Anzeigen des Arbeitsinspektorates eingeleiteten Strafverfahren gegen die Beschwerdeführer wegen Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes eingestellt. Das Arbeitsinspektorat hatte sich gegen die beabsichtigte Einstellung ausgesprochen.

2. Mit den Bescheiden vom 19. Juli 1990 gab der Landeshauptmann von Wien (die belangte Behörde) den vom Arbeitsinspektorat erhobenen Berufungen gegen die erstinstanzlichen Bescheide vom 7. Juli 1989 Folge, und zwar durch Behebung dieser Bescheide und Verweisung der Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz.

3. Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, in denen die Verletzung des Rechtes auf richtige Anwendung des § 45 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 VStG 1950 sowie des § 6 Abs. 3 und des § 9 Abs. 1 ArbIG 1974 behauptet und die Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend gemacht wird.

Im Hinblick auf den engen persönlichen und sachlichen Zusammenhang wurden die beiden Beschwerdefälle zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

II.

1. Die Beschwerdeführer vertreten - unter Zitierung des hg. Erkenntnisses vom 27. Juni 1980, Zl. 1641/77, (= Slg. Nr. 10 178/A) - die Auffassung, die Einstellung der Strafverfahren hätte mit Aktenvermerk erfolgen müssen, weshalb die Berufungen des Arbeitsinspektorates zurückzuweisen gewesen wären. Da die belangte Behörde darüber meritorisch entschieden habe, habe sie eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr nach dem Gesetz nicht zukomme. Insofern sei die belangte Behörde auch unzuständig.

Diese Auffassung ist verfehlt. Zunächst ist festzuhalten, daß der Verwaltungsgerichtshof in dem von den Beschwerdeführern zitierten Erkenntnis nicht die Ansicht vertreten hat, daß in Fällen wie den vorliegenden die Einstellung mit Aktenvermerk zu erfolgen habe. Er hat vielmehr ausgesprochen, daß ein Aktenvermerk kein Bescheid und die Berufung des Arbeitsinspektorates gegen eine mit einem Aktenvermerk verfügte Einstellung daher unzulässig sei.

Die vorliegenden Beschwerdefälle unterscheiden sich von dem jenem Erkenntnis zugrunde liegenden Sachverhalt insofern wesentlich, als in den Beschwerdefällen die Einstellung der Verwaltungsstrafverfahren durch die erstinstanzliche Behörde mit Bescheid ausgesprochen wurde.

2. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ergibt sich auch aus § 6 Abs. 3 ArbIG 1974 nicht, daß die Einstellung mit Aktenvermerk zu verfügen ist. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:

"(3) Die Verwaltungsstrafbehörde hat über die Anzeige ohne Verzug, längstens jedoch binnen zwei Wochen, das Strafverfahren einzuleiten. Gelangt die Verwaltungsstrafbehörde im Verfahren zu der Ansicht, daß das Strafverfahren einzustellen oder eine niedrigere Strafe zu verhängen ist, als vom Arbeitsinspektorat beantragt wurde, so hat sie, bevor das Strafverfahren eingestellt oder der Bescheid erlassen wird, dem Arbeitsinspektorat, das den Antrag gestellt hat, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Eine schriftliche Ausfertigung des Bescheides ist diesem Arbeitsinspektorat zuzustellen."

Diese Bestimmung beantwortet nicht die Frage, ob die Einstellung des Strafverfahrens in Form eines Aktenvermerkes oder in Bescheidform zu erfolgen hat. Die Form der Einstellung ist im § 45 Abs. 2 erster Satz VStG 1950 geregelt. Nach dieser Bestimmung genügt für die Einstellung ein Aktenvermerk mit Begründung, es sei denn, daß einer Partei Berufung gegen die Einstellung zusteht oder die Erlassung eines Bescheides aus anderen Gründen notwendig ist. Im Hinblick auf das in § 9 Abs. 1 ArbIG 1974 normierte Berufungsrecht des Arbeitsinspektorates unter anderem in den Fällen des § 6 Abs. 3 leg. cit. ergibt sich die Notwendigkeit, die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens in diesen Fällen mit Bescheid auszusprechen und eine Ausfertigung dieses Bescheides dem Arbeitsinspektorat zuzustellen (zum Charakter des den Arbeiternehmerschutz berührenden erstinstanzlichen Verwaltungsstrafverfahrens als Mehrparteienverfahren vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 1986, Zl. 86/08/0016).

Die Auslegung des § 6 Abs. 3 ArbIG 1974 durch die Beschwerdeführer würde dazu führen, daß das Arbeitsinspektorat dann, wenn eine niedrigere Strafe verhängt wird, als von ihm beantragt wurde, Berufung ergreifen kann, nicht aber dann, wenn das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt wird. Daß der in einem solchen Ergebnis liegende Wertungswiderspruch nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen sein kann, bedarf keiner weiteren Ausführungen.

Die Beschwerdeführer berufen sich zur Stützung ihrer Auffassung, die Einstellung habe mit Aktenvermerk zu erfolgen, weiters auf das hg. Erkenntnis vom 25. April 1990, Zl. 90/09/0011.

Den Beschwerdeführern ist diesbezüglich entgegenzuhalten, daß das von ihnen zitierte Erkenntnis nicht die Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens, sondern eines Disziplinarverfahrens zum Gegenstand hatte, wobei nach der in diesem Fall maßgeblichen Bestimmung des § 79 Abs. 2 der DO 1966 für die Einstellung des Disziplinarverfahrens nur die Form des Aktenvermerkes vorgesehen ist. Im Hinblick auf den von § 45 Abs. 2 VStG 1950 abweichenden Inhalt dieser Bestimmung kann aus dem zitierten Erkenntnis für den Standpunkt der Beschwerdeführer nichts gewonnen werden.

3. Die Beschwerdeführer meinen, es sei Verjährung eingetreten, weil § 9 VStG 1950 in der Aufforderung zur Rechtfertigung nicht zitiert worden seien.

Die Auffassung der Beschwerdeführer steht mit der herrschenden Rechtsprechung in Widerspruch. Nach dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 16. Jänner 1987, Slg. Nr. 12 375/A, ist es für die Tauglichkeit einer Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG 1950 nicht erforderlich, daß in diesem Stadium des Verfahrens dem Beschuldigten auch vorgeworfen wird, die Tat als zur Vertretung nach außen Berufener im Sinne des § 9 VStG 1950 begangen zu haben. Das Fehlen des Zitates des § 9 VStG 1950 in den Aufforderungen zur Rechtfertigung - in denen den Beschwerdeführern im übrigen vorgeworfen worden war, die Übertretungen als Geschäftsführer der eingangs genannten OHG begangen zu haben - nahm den Aufforderungen sohin nicht ihre Eigenschaft als innerhalb der Verjährungsfrist vorgenommene Verfolgungshandlungen. Nur der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, daß es nach dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 30. Jänner 1990, Zl. 89/18/0008, der Zitierung des § 9 VStG 1950 als verletzte Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 44a lit. b leg. cit. selbst im Spruch des Straferkenntnisses nicht bedarf.

Nach dem Gesagten ist der von den Beschwerdeführern erhobene Verjährungseinwand nicht berechtigt.

4. Aus den dargelegten Gründen waren die Beschwerden gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive Bescheide

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1990190465.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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