TE Vfgh Erkenntnis 1990/3/3 V29/89

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Veröffentlicht am 03.03.1990
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6930 Wasserversorgung

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z10
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art139 Abs5 / Kundmachung
Tir GemeindeabgabenG §30
WasserleitungsO der Gd Reith bei Seefeld vom 18.4.1966 §3, §9

Leitsatz

Aufhebung von Bestimmungen der Wasserleitungsordnung der Gemeinde Reith bei Seefeld mangels gesetzlicher Deckung; Verordnungscharakter dieser Wasserleitungsordnung; Zuständigkeit des Bundesministers zur Kundmachung der Aufhebung

Spruch

§3 Abs2 und §9 der Wasserleitungsordnung der Gemeinde Reith bei Seefeld (beschlossen vom Gemeinderat am 18. April 1966, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 21. April bis 5. Mai 1966) werden als gesetzwidrig aufgehoben.

Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist unter Z 88/07/0116 eine Säumnisbeschwerde anhängig, die wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch den Gemeinderat der Gemeinde Reith bei Seefeld erhoben wurde, der über zwei an ihn im Wege eines Devolutionsantrages herangetragene Anträge des Beschwerdeführers auf Anschluß seines Grundstückes an die Wasserversorgungsanlage der genannten Gemeinde nicht entschieden hat. Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens stellt der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 23. Mai 1989 den auf Art139 Abs1 B-VG gestützten Antrag, die §§9 und 3 Abs2 der Wasserleitungsordnung der Gemeinde Reith bei Seefeld (beschlossen vom Gemeinderat am 18. April 1966; kundgemacht durch öffentlichen Anschlag in der Zeit vom 21. April 1966 bis 5. Mai 1966) als gesetzwidrig aufzuheben. Diese Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:

"§3

Beschränkung des Anschlußrechtes

...

2. Die Gemeinde kann den Anschluß eines Grundstückes an eine bestehende Versorgungsleitung versagen, wenn die Wasserversorgung wegen der Lage des Grundstückes oder aus sonstigen technischen oder betrieblichen Gründen erhebliche Schwierigkeiten bereitet oder besondere Maßnahmen erfordert."

"§9

Anmeldung

1. Die Anlage oder Änderung eines Wasseranschlusses ist vom Eigentümer unter Benutzung des bei der Gemeinde erhältlichen Vordruckes für jedes Grundstück zu beantragen. Diese trifft die Entscheidung, ob und in welcher Weise das Grundstück anzuschließen ist.

2. Der Antrag muß enthalten:

a) Die Beschreibung der auf dem Grundstück geplanten Anlage (Wasserleitungsinstallationen). Der Beschreibung ist eine Grundstücksskizze größeren Maßstabes beizufügen, auf welcher die Lage des öffentlichen Versorgungsstranges, an den angeschlossen werden soll, noch zu ersehen sein muß. Die Skizze muß neben der eigenen Parzelle auch die Parzellennummern der Anrainer angeben.

b) Den Namen des konzessionierten Installateurs, durch den die Einrichtungen (Installationen) innerhalb des Grundstückes ausgeführt werden sollen.

c) Die Beschreibung des gewerblichen oder industriellen Unternehmens, für das auf dem Grundstück Leitungswasser verwendet werden soll und Angabe des voraussichtlichen Wasserverbrauches.

d) Die Verpflichtung des Eigentümers, die Kosten für die Herstellung des Anschlusses, insbesondere auch die Wiederherstellungskosten im öffentlichen Verkehrsraum zu übernehmen."

2. Der Verwaltungsgerichtshof bringt vor, hätte der Gemeinderat der Gemeinde Reith bei Seefeld über die Anträge des Beschwerdeführers bescheidmäßig abgesprochen, hätte er die wiedergegebenen Bestimmungen anzuwenden gehabt, sodaß sie auch für die Entscheidung des aufgrund der Säumnisbeschwerde angerufenen Verwaltungsgerichtshofes präjudiziell seien. Inhaltlich hegt der Verwaltungsgerichtshof gegen die angefochtenen Bestimmungen das Bedenken, daß sie der gesetzlichen Deckung entbehrten. Insbesondere biete §30 des Tiroler Gemeindeabgabengesetzes, LGBl. 43/1935 idF LGBl. 50/1972, 55/1972 und 40/1985, keine hinreichende Grundlage: Die Absätze 1 und 2 eröffneten den Gemeinden (lediglich) die Möglichkeit, für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen und -anlagen, die für Zwecke der öffentlichen Verwaltung betrieben werden, wie etwa für Wasserleitungen, Gebühren bzw. Abgaben auszuschreiben; der Abs3 ermächtige (bloß) die Landesregierung, über Antrag des Gemeinderates für die im Bereich der Wasserversorgungsanlagen gelegenen Objekte und Betriebe den Anschluß- oder Benutzungszwang auszusprechen. Keine dieser Vorschriften stelle eine ausreichende rechtliche Basis für die Erlassung von Verordnungsbestimmungen wie den angefochtenen durch einen Gemeinderat dar.

3. Der Gemeinderat der Gemeinde Reith bei Seefeld vertritt in einer Äußerung die Auffassung, die Wasserversorgung werde von der Gemeinde im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung besorgt, sodaß die angefochtene Wasserleitungsordnung für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes nicht präjudiziell sei.

Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft hat im verfassungsgerichtlichen Verfahren keine Äußerung abgegeben.

4. Der Verfassungsgerichtshof holte die Verwaltungsakten betreffend die angefochtene Wasserleitungsordnung der Gemeinde Reith bei Seefeld ein.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Wasserleitungsordnung der Gemeinde Reith bei Seefeld vom 18. April 1966 (deren §3 Abs2 und §9 vom Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden) sieht in §1 vor, daß die Gemeinde Reith eine Wasserversorgungsanlage betreibt. §2 regelt unter der Bezeichnung "Anschluß- und Benutzungsrecht" in Abs1 den Anschluß von Grundstücken, die in benachbarten Gemeinden liegen, und sieht in Abs2 vor, daß die in der Wasserleitungsordnung für die Grundstückseigentümer gegebenen Vorschriften entsprechend für die Benützer sowie für die in ähnlicher Weise zur Nutzung eines Grundstückes Berechtigten gelten.

§3 Abs1 bestimmt, daß die Grundstückseigentümer die Herstellung einer neuen und die Änderung einer bestehenden Straßenleitung (Versorgungsleitung) nicht verlangen können. §3 Abs2 regelt mit dem unter I.1. wiedergegebenen Wortlaut, unter welchen Voraussetzungen die Gemeinde den Anschluß eines Grundstücks an eine bestehende Versorgungsleitung versagen kann.

§4 hat folgenden Wortlaut:

"§4

Anschlußzwang

1. Die Eigentümer sind verpflichtet, ihre Grundstücke, soweit sie bebaut sind oder mit ihrer Bebauung begonnen wurde, an das Versorgungsnetz anzuschließen und mit den zur ordnungsgemäßen Wasserversorgung erforderlichen Einrichtungen zu versehen, wenn die Grundstücke an eine öffentliche Verkehrsfläche (Straße, Weg, Platz) mit einer betriebsfertigen Straßenleitung grenzen oder ihren unmittelbaren Zugang zu einer solchen öffentlichen Verkehrsfläche durch einen Privatweg haben. Die Gemeinde bestimmt, welche Ortsteile als mit einer betriebsfertigen Versorgungsleitung versehen gelten. Als Grundstück im Sinne dieser Satzung ist ohne Rücksicht auf die Grundbuchsbezeichnung jeder zusammenhängende Grundbesitz anzusehen, der eine selbständige wirtschaftliche Einheit bildet, insbesondere dann, wenn ihm eine eigene Hausnummer zugeteilt ist.

2. Die Gemeinde kann auch den Anschluß von unbebauten Grundstücken verlangen, wenn besondere Gründe, insbesonders das Auftreten von Mißständen einer selbständigen grundstückseigenen Wasserversorgung dies erfordert.

3. Befinden sich auf einem Grundstück mehrere Gebäude, so ist grundsätzlich jedes derartige Gebäude an das Versorgungsnetz anzuschließen.

4. Bei fertigen Gebäuden muß der Anschluß innerhalb von 2 Monaten gemäß §9 beantragt werden, nachdem bestimmt worden ist, daß der Ortsteil als mit einer betriebsfertigen Versorgungsleitung versehen zu gelten hat. Bei Neu- und Umbauten muß der Anschluß v o r der Gebrauchsabnahme (Bezugsgenehmigung, Kollaudierung) ausgeführt sein. Der Grundstückseigentümer hat für rechtzeitige Antragstellung zu sorgen.

5. Besteht für die Wasserversorgung kein ausreichender Druck, so kann die Gemeinde vom Eigentümer die künstliche Drucksteigerung durch Pumpen verlangen, wenn dies zur Vermeidung von Mißständen im Einzelfall dringend erforderlich erscheint."

Zu §4 Abs1 faßte nach der Aktenlage der Gemeinderat am 23. September 1977 folgenden Beschluß:

"Im Sinne des §4 Abs1 der Wasserleitungsordnung vom 18.4.1966 wird festgestellt, daß das gesamte Gemeindegebiet mit Ausnahme des Weilers Mühlberg und des Gebietes der Lift-Bergstationen am Gschwandtkopf als mit einer betriebsfertigen Versorgungsleitung gelten."

§5 der Wasserleitungsordnung regelt die "Befreiung vom Anschlußzwang", §§6 bis 8 regeln einen Benutzungszwang der Wasserleitung und Anschluß und Benützung der Wasserleitung für Feuerlöschzwecke; schließlich regelt der unter Pkt. I.1. wörtlich wiedergegebene §9 das Verfahren der Anmeldung eines Wasseranschlusses. Die übrigen Bestimmungen der Wasserleitungsordnung betreffen im wesentlichen technische Fragen des Anschlusses und der Wasserlieferung, die Beendigung der Wasserlieferung, die Vorschreibung von Gebühren sowie insbesondere "Zwangsmaßnahmen" bei "satzungswidrigen Handlungen der Wasserbezieher" (§20).

2. Mit dem Einwand, die vom Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bestimmungen der Wasserleitungsordnung regelten einen Gegenstand der Privatwirtschaftsverwaltung, wendet sich der Gemeinderat der Sache nach gegen die Zulässigkeit des Antrages des VwGH, weil diesfalls Gegenstand der Anfechtung keine Verordnung im Sinne des Art139 B-VG wäre.

Der Gemeinderat ist mit diesem Einwand nicht im Recht:

Wie die Darstellung des Inhaltes der Wasserleitungsordnung der Gemeinde Reith bei Seefeld zeigt, stellt diese, als "Satzung" bezeichnete, durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde kundgemachte Wasserleitungsordnung nach ihrem Aufbau, ihrer ganzen Systematik und ihrem Inhalt (siehe insbesondere §20) insgesamt eine Verordnung im Sinne des Art139 Abs1 B-VG dar.

Da das Grundstück des Beschwerdeführers im verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Hinblick auf den oben wiedergegebenen Beschluß des Gemeinderates vom 23. September 1977 im Anschlußbereich der Gemeindewasserleitung liegt, wird der Beschwerdeführer vom Geltungsbereich der Verordnung erfaßt, sodaß nichts dagegen spricht, daß die Wasserleitungsordnung für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes präjudiziell ist.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag des Verwaltungsgerichtshofes zulässig.

3. Der Verfassungsgerichtshof teilt die Ansicht des antragstellenden Verwaltungsgerichtshofes, daß weder §30 des Tiroler Gemeindeabgabengesetzes, LGBl. 43/1935 in der Fassung LGBl. 50/1972, 55/1972 und 40/1985, noch eine andere gesetzliche Vorschrift eine Deckung für die bekämpften Verordnungsbestimmungen beinhalten. Auch der Gemeinderat der Gemeinde Reith bei Seefeld hat in diese Richtung nichts vorgebracht.

4. Es war daher antragsgemäß zu entscheiden und auf Aufhebung der angefochtenen Verordnungsbestimmungen zu erkennen.

Die Zuständigkeit des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft zur Kundmachung der Aufhebung der Verordnung ist deshalb gegeben, weil diese Verordnung vom Gemeinderat der Gemeinde Reith bei Seefeld im Vollziehungsbereich des Bundes (Art10 Abs1 Z 10 B-VG) erlassen worden ist (vgl. hiezu die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, zB VfSlg. 7586/1975, S. 502, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Aufhebung, Kundmachung, Verordnungsbegriff, Privatwirtschaftsverwaltung, Wasserrecht, Wasserversorgungsanlage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:V29.1989

Dokumentnummer

JFT_10099697_89V00029_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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