TE Vwgh Erkenntnis 1992/9/16 92/01/0119

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Veröffentlicht am 16.09.1992
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des S in F, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Dezember 1991, Zl. 4.311.234/1-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Dezember 1991 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer - ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Nationalität, der am 22. August 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist - nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag vom 30. August 1990, soweit dies für die Erledigung der Beschwerde von Bedeutung ist, wie folgt begründet:

Die türkischen Behörden hätten im kurdischen Gebiet (in dem sich auch sein Heimatort, wo er sich bis zu seiner Ausreise aufgehalten habe, befinde) zur Bekämpfung des kurdischen Widerstandes ein System der Zwangsrekrutierung zu polizeilichen und militärischen Aufgaben eingeführt. Angehörige der einheimischen kurdischen Bevölkerung in den Dörfern würden aufgefordert, sich als sogenannte "Dorfmilizen" gegen Angehörige ihrer eigenen Bevölkerungsgruppe zu betätigen. Die Mißachtung derartiger Aufforderungen würde von den türkischen Behörden zum Anlaß genommen, Personen der Zusammenarbeit mit dem kurdischen Widerstand zu bezichtigen und verstärkten Maßnahmen zu unterziehen, wie dies von ihm noch (im Punkt 3.) dargestellt werde (und wobei es sich um Behauptungen allgemeiner Natur über die Lage der Kurden in der Türkei und der Verfolgungen, denen sie dort ausgesetzt seien, handelt). Der Beschwerdeführer sei im April 1990 von den Türken aufgefordert worden, als "Dorfmiliz" tätig zu sein. Er sei dem auch nachgekommen, da ihm ansonsten von den türkischen Behörden jegliche Möglichkeit entzogen worden wäre, eine Beschäftigung zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zu erlangen. Er sei in der Folge von Angehörigen des kurdischen Widerstandes aufgefordert worden, seine Tätigkeit als "Dorfmiliz" aufzugeben, ansonsten er getötet werde. Auf Grund dieser gegen Leib und Leben gerichteten massiven Drohungen habe er sich geweigert, weiter als "Dorfmiliz" zu arbeiten. Da er sohin "gewissermaßen zwischen 2 Stühlen stand" und ihm mangels Möglichkeit, durch redlichen Erwerb seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, der weitere Verbleib in seinem Heimatstaat unerträglich - da seine physische Existenz bedrohend - geworden sei, sei er nach Österreich geflüchtet. Er sei daher nicht in der Lage, in die Türkei zurückzukehren.

Anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung bei der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien am 29. November 1990 bezeichnete der Beschwerdeführer den ihm gemachten Vorhalt, es sei (auf Grund verschiedener Informationen) amtsbekannt, daß Zwangsrekrutierungen, wie sie der Beschwerdeführer behaupte, nicht stattfänden, als unrichtig. Hinsichtlich seiner Zwangsrekrutierung im April 1990 gab er an, daß damals eine Gendarmerieeinheit von 12 Mann in seinem Heimatdorf erschienen sei und ihn und andere aufgefordert habe, als "Dorfschützer" zu fungieren, wobei man ihnen gesagt habe, daß der, der sich nicht melde, eingesperrt würde. Der Beschwerdeführer sei auch, nachdem er mit anderen auf eine Gendarmeriestation gebracht worden sei und erklärt habe, "den Auftrag nicht annehmen" zu können, da er seine Landwirtschaft zu betreuen hätte, zwei Tage lang eingesperrt gewesen. Danach sei er "soweit" gewesen, "auf den Vorschlag" einzugehen. Er habe dann ein Gewehr bekommen und sei mit anderen Zwangsrekrutierten in die Berge geschickt worden, um zu patrouillieren, "da die Gendarmen dort nicht gern wegen der Partisanen hingehen".

Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, daß sich die belangte Behörde mit seinem Vorbringen nicht hinreichend auseinandergesetzt hat. Es ist zwar ihre Feststellung, der Beschwerdeführer sei bereits in den Jahren 1984 bis 1988 als "Dorfschützer" tätig gewesen, nicht - wie der Beschwerdeführer geltend macht - aktenwidrig, weil sie sich auf die eigenen Angaben des Beschwerdeführers (bezüglich seines Berufes im Punkt 12. der Niederschrift vom 29. November 1990) stützt, weshalb die belangte Behörde von dieser Tatsache ausgehen durfte. Es kann aber dahingestellt bleiben, ob die daraus gezogene Schlußfolgerung der belangten Behörde, es sei nicht glaubwürdig, daß der Beschwerdeführer nach seiner langjährigen Tätigkeit als "Dorfmilizionär" (in welcher Zeit er nach seinem Vorbringen weder irgendwelcher Verfolgungshandlungen durch die türkischen Behörden noch Drohungen durch die kurdischen Widerstandskämpfer ausgesetzt gewesen sei) nach seiner Rückkehr aus Österreich (wo er sich vom August 1989 bis 1. April 1990 illegal aufgehalten habe) im April 1990 den Repressionen der türkischen Behörden ausgesetzt gewesen sei, um seine Tätigkeit als "Dorfschützer" wieder aufzunehmen, ohne weitere Begründung schlüssig ist. Es ist nämlich nicht entscheidend, ob dem Beschwerdeführer gegenüber in diesem Zusammenhang tatsächlich Zwang ausgeübt wurde. Einerseits wären selbst in diesem Fall - entgegen der vom Beschwerdeführer in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 5. Februar 1991 vertretenen Auffassung, in der im übrigen kein weiteres Tatsachenvorbringen erstattet wurde - darin schon deshalb keine gegen ihn gerichteten relevanten Verfolgungshandlungen gelegen gewesen, weil sie nicht für das Verlassen seines Heimatlandes bestimmend gewesen wären. Denn der Beschwerdeführer hätte sich, folgt man seinen Angaben, erst (und nur aus diesem Grunde) zur Ausreise entschlossen, nachdem er auf Grund von Todesdrohungen kurdischer Widerstandskämpfer nicht mehr bereit war, diese Tätigkeit auszuüben, und auf Grund dieser nachträglichen Weigerung erhebliche Nachteile durch die türkischen Behörden zu befürchten hatte. Andererseits kann zu Recht nicht von vornherein gesagt werden, daß der Beschwerdeführer dann, wenn er "freiwillig" (aus welchem Grunde auch immer) seine Tätigkeit als "Dorfschützer" (wieder) begonnen hätte, auf Grund dieser (später eingetretenen) Situation nicht mit solchen Nachteilen zu rechnen (gehabt) hätte, hätte er doch durch die folgende Beendigung seiner Tätigkeit (anders als durch ihre Wiederaufnahme) Anlaß zu Repressionen gegeben. Ob eine solche (oder ähnliche) Situation für den Beschwerdeführer auch schon nach Beendigung seiner gleichen Tätigkeit im Jahre 1988 vorlag bzw. warum damit allenfalls für ihn keinerlei Nachteile verbunden waren, kann nicht verläßlich beurteilt werden, weil die näheren Umstände, die dazu geführt haben, nicht aktenkundig sind, sodaß daraus auch (noch) keine Schlüsse hinsichtlich der Behauptung des Beschwerdeführers, er habe nunmehr auf Grund seines Verhaltens derartige Nachteile zu gewärtigen, abgeleitet werden könnten.

Die Begründung des angefochtenen Bescheides erschöpft sich in diesem Zusammenhang nur noch in der Auffassung der belangten Behörde, es sei "ebenso" nicht glaubhaft, daß der Beschwerdeführer "erst ab diesem Zeitpunkt" (gemeint: im Jahre 1990) "Angst vor Drohungen der kurdischen Widerstandskämpfer gehabt" habe, er habe "immerhin vorher bereits 5 Jahre in diesem Beruf gearbeitet und für diesen Zeitraum keinerlei Benachteiligungen behauptet" und die belangte Behörde werde in dieser Ansicht durch den Umstand bestätigt, daß der Beschwerdeführer während seines ersten Aufenthaltes in Österreich keinen Asylantrag gestellt habe. Mit diesen Ausführungen wollte die belangte Behörde offensichtlich zum Ausdruck bringen, daß die Behauptung des Beschwerdeführers, nunmehr aus Angst vor den kurdischen Widerstandskämpfern seine Stellung als "Dorfschützer" aufgegeben zu haben, nicht glaubhaft sei, wobei allerdings daraus nicht klar hervorgeht, ob sie zu dieser Annahme gelangt ist, weil sie meint, der Beschwerdeführer habe während seiner früheren Tätigkeit als "Dorfschützer" (mangels oder trotz deren Gefährlichkeit) keine solche Angst gehabt, ansonsten er schon damals die entsprechenden Konsequenzen daraus gezogen hätte, oder er habe trotz Vorliegens einer solchen Angst damals keine Konsequenzen gezogen. Es wäre Aufgabe der belangten Behörde gewesen, mit dem Beschwerdeführer die Umstände näher zu erörtern, die ihn zu diesem offenbar unterschiedlichen Verhalten (einerseits in den Jahren 1984 bis 1988, andererseits im Jahre 1990) veranlaßt hat. Erst nach Ergänzung des Ermittlungsverfahrens in dieser Richtung kann von der belangten Behörde die notwendige Beweiswürdigung, ob sie die Angaben des Beschwerdeführers über die Ursache der Aufgabe seiner Tätigkeit als "Dorfschützer" im Jahre 1990 (mit den daraus entstehenden Folgewirkungen) für bescheinigt hält oder nicht, vorgenommen werden.

Der Beschwerdeführer hat (schon im Asylantrag) behauptet, daß er der Aufforderung der staatlichen Behörden, als "Dorfschützer" zu arbeiten, nachgekommen sei, da ihm andernfalls jede Möglichkeit entzogen worden wäre, eine Beschäftigung zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zu erlangen, und ihm nach seiner späteren Weigerung mangels Möglichkeit, durch redlichen Erwerb seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, der weitere Verbleib in seinem Heimatstaat unerträglich geworden sei. Die belangte Behörde ist auf dieses Vorbringen nicht eingegangen, obwohl der Beschwerdeführer auf diese Weise konkret eine - wie gesagt, nur in Ansehung seiner Situation nach Beendigung seiner Tätigkeit als "Dorfschützer" maßgebliche - massive Bedrohung seiner Lebensgrundlage geltend gemacht hat, die auf Grund der Intensität einer derartigen Maßnahme nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. beispielsweise das Erkenntnis vom 20. Mai 1992, Zl. 91/01/0202, mit weiteren Judikaturhinweisen) eine relevante Verfolgungshandlung darstellt. Da demnach in den Behauptungen des Beschwerdeführers ein Fluchtgrund im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention gelegen sein könnte, wären Ermittlungen und dementsprechende Feststellungen in dieser Richtung erforderlich gewesen.

Da somit der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen Bedacht zu nehmen gewesen wäre.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das (die Stempelgebühren betreffende) Mehrbegehren war abzuweisen, weil der angefochtene Bescheid lediglich in einer einzigen Ausfertigung beizubringen war und die weitere der Beschwerde zweifach angeschlossene Beilage (Ablichtung eines Auszuges aus "Kurdistan und die Kurden" Band 2) zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich war.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992010119.X00

Im RIS seit

16.09.1992
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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