TE Vfgh Erkenntnis 2006/12/12 G4/06 ua

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Veröffentlicht am 12.12.2006
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Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
ASVG §49, §544
EStG 1988 §26 Z4

Leitsatz

Zurückweisung des Hauptantrags auf Aufhebung der verwiesenen Norm im Einkommensteuergesetz betreffend die Erweiterung der Steuerfreiheit von Reisekostenersätzen durch mögliche Ausdehnung des Begriffs der Dienstreise in lohngestaltenden Vorschriften wegen Anfechtung der Stammfassung an Stelle der - aufgrund dynamischer Verweisung - anzuwendenden vom Verfassungsgerichtshof bereits aufgehobenen novellierten Fassung; Abweisung der Eventualanträge auf Aufhebung der verweisenden Norm im ASVG betreffend den Begriff des Entgelts als Bemessungsgrundlage zur Berechnung von Beiträgen; Sitz der Bedenken im Einkommensteuergesetz

Spruch

Der zu G4/06 protokollierte Antrag wird zurückgewiesen.

Die zu G183/06 gestellten Anträge werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich anhängig, mit dem der Berufung eines Dienstgebers gegen die Nichtanerkennung von Lohnbestandteilen als gemäß §49 ASVG beitragsfreie Lohnbestandteile keine Folge gegeben wurde. Aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens stellte der Verwaltungsgerichtshof gemäß Art140 B-VG zunächst mit Beschluss vom 21. Dezember 2005 den zu G4/06 beim Verfassungsgerichtshof protokollierten Antrag, "den vierten Satz des §26 Z. 4 EStG 1988, BGBl. 400, als verfassungswidrig aufzuheben".

Die Bestimmung des §26 Z4 EStG 1988 wurde mit BGBl. 400 in der Stammfassung erlassen. Mit BGBl. 818/1993 erhielt die Z4 infolge der Novellierung der ersten beiden Sätze eine neue Fassung; der Wortlaut des vierten Satzes erfuhr dadurch keine Veränderung.

Mit Erkenntnis vom 22. Juni 2006, G147/05 ua., hat der Verfassungsgerichtshof infolge eines von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens (G147/05) sowie eines (zu G11/06 protokollierten) Antrags des Verwaltungsgerichtshofes den vierten Satz des §26 Z4 EStG 1988 in der Fassung BGBl. 818/1993 als verfassungswidrig aufgehoben. Für das Inkrafttreten der Aufhebung hat der Gerichtshof gemäß Art140 Abs5 B-VG eine Frist bis zum Ablauf des 31. Dezember 2007 gesetzt. Die Aufhebung wurde im Bundesgesetzblatt I 151/2006 am 21. September 2006 kundgemacht.

Eine Verbindung dieser Verfahren mit jenem über den zu G4/06 protokollierten Antrag sowie eine gemeinsame Entscheidung ist im Hinblick darauf unterblieben, dass zu G4/06 nicht dieselbe Fassung des §26 Z4 EStG 1988 angefochten wurde wie in den übrigen Verfahren. Darüber hinaus stellte sich zu G4/06 auch die Frage der Präjudizialität und des Sitzes der behaupteten Verfassungswidrigkeit anders dar (vgl. Pkt. I.5.2. des Erkenntnisses).

Mit einem ergänzenden, zu G183/06 protokollierten Beschluss hat der Verwaltungsgerichtshof unter Aufrechterhaltung seines zu G4/06 protokollierten, den vierten Satz des §26 Z4 EStG 1988, BGBl. 400, betreffenden Antrags die Anträge gestellt,

erstens,

"in §49 Abs3 Z. 1 ASVG in der Fassung des Abschnittes VIII, Artikel I, Z. 1 des Abgabenänderungsgesetzes 1989, BGBl. Nr. 660/1989, die Wortfolge ', soweit sie nach §26 des Einkommensteuergesetzes 1988, BGBl. Nr. 400, nicht der Einkommensteuer(Lohnsteuer)pflicht unterliegen'",

sowie (in eventu) zweitens,

"§49 Abs3 Z. 1 ASVG in der genannten Fassung zur Gänze"

aufzuheben.

Der ergänzende Antrag (G183/06) erfolgte aus Anlass desselben Beschwerdeverfahrens, das schon zum Antrag G4/06 geführt hatte. Der Verfassungsgerichtshof geht daher davon aus, dass der ursprüngliche Antrag des Verwaltungsgerichtshofes (G4/06) als Primärantrag zu verstehen ist und die zu G183/06 ergänzend gestellten Anträge als Eventualanträge für den Fall gestellt wurden, dass diesem ersten Antrag nicht stattgegeben wird.

2. Zur Frage, welche Fassung des §26 Z4 EStG 1988 in dem seinem Antrag zugrunde liegenden Verfahren präjudiziell ist, führt der Verwaltungsgerichtshof in seinem ergänzenden Antrag Folgendes aus:

"Mit Beschluss vom 21. Dezember 2005 stellte der Verwaltungsgerichtshof an den Verfassungsgerichtshof [zu G4/06] den Antrag, gemäß Art140 B-VG den vierten Satz des §26 Z. 4 EStG 1988, BGBl. 400, als verfassungswidrig aufzuheben.

Mit Erkenntnis vom 22. Juni 2006, [G147/05 ua.], hat der Verfassungsgerichtshof 'in §26 Z4 EStG 1988, BGBl. Nr. 400 idF BGBl. Nr. 818/1993' die auch vom Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Gesetzesstelle als verfassungswidrig aufgehoben [...].

[M]it der Erlassung des zitierten Erkenntnisses [steht] fest, dass der Verfassungsgerichtshof diesem Antrag [gemeint: G4/06] aus formellen Gründen nicht mehr Folge geben wird, da der Verwaltungsgerichtshof die Norm in eben derselben Fassung (nämlich der erwähnten Stammfassung des EStG 1988) angefochten hat, in der sie der Verfassungsgerichtshof 'in §26 Z. 4 EStG 1988, BGBl. Nr. 400 idF BGBl. Nr. 818/1993' aufgehoben hat, da die vom Verfassungsgerichtshof im Spruch seines Erkenntnisses zur Umschreibung der Fassung des §26 Z. 4 EStG herangezogene Novelle BGBl. Nr. 818/1993 andere Teile der Z. 4, nicht aber den angefochtenen vierten Satz betroffen hat. Da der Verfassungsgerichtshof eine Gesetzesbestimmung aber nur einmal aufheben kann (vgl. zB VfSlg. 16.106/2001) und er andererseits auch die Anlassfallwirkung seines Erkenntnisses mit Blick auf die Anfechtung des Verwaltungsgerichtshofes auf das vorliegende Beschwerdeverfahren nicht erstreckt hat (was den Antrag gegenstandslos gemacht hätte), dürfte der Antrag des Verwaltungsgerichthofes nunmehr unzulässig geworden sein."

Ferner führt er aus:

"3.2. Die zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens strittige Frage der Beitragspflicht für Reisegebühren ist vom Verwaltungsgerichtshof anhand des §49 Abs3 Z. 1 ASVG in der oben wiedergegebenen Fassung (d.h. vor der Änderung dieser Bestimmung durch das SVÄG 2006, BGBl. I Nr. 130/2006) zu beurteilen, wobei er infolge der in dieser Bestimmung enthaltenen Verweisung auf §26 EStG 1988 auch dessen Z. 4 anzuwenden hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat auf Grund des letzten Satzes der erwähnten Z. 4 des §26 EStG 1988 im anhängigen Beschwerdeverfahren zu untersuchen, ob und in welchem Umfang auf die Beschäftigungsverhältnisse, für welche eine Beitragsnachverrechnung vorgenommen wurde, der Kollektivvertrag für das Eisen- und Metall verarbeitende Gewerbe anzuwenden ist, der - wie nicht strittig ist - einen Dienstreisebegriff enthält, dessen Anwendung für die beschwerdeführende Partei zu einer geringeren Beitragsnachbelastung führen würde. Die angefochtene Bestimmung, welche die Verweisung auf §26 EStG anordnet, ist daher für das verwaltungsgerichtliche Verfahren präjudiziell."

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie mitteilte, dass sie von einer meritorischen Stellungnahme im Hinblick auf das Erkenntnis vom 22. Juni 2006, G147/05 ua., Abstand nehme. In Bezug auf den zweiten Eventualantrag des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung der gesamten Ziffer 1 des §49 Abs3 ASVG in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 1989, BGBl. 660/1989, weist sie darauf hin, dass §49 Abs3 Z1 ASVG durch das Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2006 - SVÄG 2006, BGBl. I 130/2006, geändert worden und diese Änderung rückwirkend mit 1. Jänner 2005 in Kraft getreten sei. Nach Ansicht der Bundesregierung hätte sich der Verfassungsgerichtshof daher im Fall der Stattgabe des Antrags im Umfang der gesamten Ziffer 1 auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit zu beschränken. Ein Eingehen auf den zweiten Eventualantrag erübrige sich jedoch, weil die Aufhebung der im ersten Eventualantrag angefochtenen Wortfolge in der Ziffer 1 des §49 Abs3 leg.cit. ausreichend sei, um die Verfassungswidrigkeit zu beseitigen. Für den Fall der Stattgabe des Antrags beantragt die Bundesregierung die Festsetzung einer Frist von 18 Monaten für das Außerkrafttreten.

4. Die angefochtenen Rechtsnormen haben, soweit hier maßgeblich, folgenden Wortlaut:

§49 ASVG (der im ersten Eventualantrag zu G183/06 angefochtene Teil ist durch Kursivdruck hervorgehoben, der im zweiten Eventualantrag angefochtene Teil darüber hinaus durch Fettdruck):

"Entgelt

§49. (1) Unter Entgelt sind die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer (Lehrling) aus dem Dienst(Lehr)verhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienst(Lehr)verhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält.

(2) ...

(3) Als Entgelt im Sinne des Abs1 und 2 gelten nicht:

1. Vergütungen des Dienstgebers an den Dienstnehmer (Lehrling), durch welche die durch dienstliche Verrichtungen für den Dienstgeber veranlaßten Aufwendungen des Dienstnehmers abgegolten werden (Auslagenersatz); hiezu gehören insbesondere Beträge, die den Dienstnehmern (Lehrlingen) als Fahrtkostenvergütungen einschließlich der Vergütungen für Wochenend(Familien)heimfahrten, Tages- und Nächtigungsgelder gezahlt werden, soweit sie nach §26 des Einkommensteuergesetzes 1988, BGBl. Nr. 400, nicht der Einkommensteuer(Lohnsteuer)pflicht unterliegen. Unter Tages- und Nächtigungsgelder fallen auch Vergütungen für den bei Arbeiten außerhalb des Betriebes oder mangels zumutbarer täglicher Rückkehrmöglichkeit an den ständigen Wohnort (Familienwohnsitz) verbundenen Mehraufwand, wie Bauzulagen, Trennungsgelder, Übernachtungsgelder, Zehrgelder, Entfernungszulagen, Aufwandsentschädigungen, Stör- und Außerhauszulagen uä.;"

§26 Z4 EStG 1988, BGBl. 400 (der angefochtene Teil ist hervorgehoben):

"Leistungen des Arbeitgebers, die nicht unter die Einkünfte aus

nichtselbständiger Arbeit fallen

§26. Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören nicht:

1. ...

2. ...

3. ...

4. Beträge, die aus Anlaß einer Dienstreise als Reisevergütungen (Fahrtkostenvergütungen, Kilometergelder) und als Tagesgelder und Nächtigungsgelder gezahlt werden. Eine Dienstreise liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer

-

über Auftrag des Arbeitgebers seinen Dienstort (Büro, Betriebsstätte, Werksgelände, Lager usw.) zur Durchführung von Dienstverrichtungen verläßt oder

-

so weit weg von seinem ständigen Wohnort (Familienwohnsitz) arbeitet, daß ihm eine tägliche Rückkehr an seinen ständigen Wohnort (Familienwohnsitz) nicht zugemutet werden kann.

Bei Arbeitnehmern, die ihre Dienstreise vom Wohnort aus antreten, tritt an die Stelle des Dienstortes der Wohnort (Wohnung, gewöhnlicher Aufenthalt, Familienwohnsitz). Enthält eine lohngestaltende Vorschrift im Sinne des §68 Abs5 Z1 bis 6 eine besondere Regelung des Begriffes Dienstreise, ist diese Regelung anzuwenden. ..."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat den zu G4/06 gestellten (Primär)Antrag und die zu G183/06 gestellten (Eventual)Anträge in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.

1. Zur Zulässigkeit des als Primärantrag zu wertenden Antrags G4/06, mit dem ein Teil des §26 Z4 EStG 1988 in der Stammfassung angefochten wurde:

Der Verfassungsgerichtshof hat - wie bereits erwähnt - mit dem Erkenntnis vom 22. Juni 2006, G147/05, den vierten Satz der Z4 des §26 EStG 1988 nicht in der Stammfassung (BGBl. 400/1988), sondern in der Fassung BGBl. 818/1993 aufgehoben, und zwar ungeachtet dessen, dass dieser Satz selbst durch die genannte Novelle keine Veränderung erfahren hat. Dem liegt die der Judikatur des Gerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 16.590/2002, bei Punkt II.3.) entsprechende Auffassung zugrunde, dass durch eine Novellierung von Teilen der Z4 diese Vorschrift wegen des inneren Zusammenhanges insgesamt als neu erlassen anzusehen ist. Davon hat der Verfassungsgerichtshof auch bei Beurteilung der Zulässigkeit des Primärantrags des Verwaltungsgerichtshofes (G4/06) auszugehen.

Dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein Verfahren zugrunde, bei dem es um die Beitragspflicht in den Jahren 1999 und 2000 geht. In diesen Jahren galt nach der dem Erkenntnis vom 22. Juni 2006, G147/05, zugrunde liegenden Auffassung des Verfassungsgerichtshofes §26 Z4 EStG 1988 in der durch die Novelle BGBl. 818/1993 geschaffenen Fassung. Im Hinblick auf §544 ASVG (demzufolge Verweise in diesem Bundesgesetz auf die Bestimmungen anderer Bundesgesetze im Zweifel als dynamische Verweisungen zu betrachten sind) ist überdies davon auszugehen, dass auch §49 Abs3 Z1 ASVG auf §26 Z4 EStG 1988 in der jeweils geltenden Fassung verweist, so dass sich der Verweis in den hier maßgeblichen Zeiträumen (1999 und 2000) ebenfalls auf die Fassung BGBl. 818/1993 bezieht.

Auf dem Boden dieser Rechtsauffassung hätte der Verwaltungsgerichtshof, da das bei ihm anhängige Verfahren die Jahre 1999 und 2000 betrifft, den vierten Satz des §26 Z4 EStG 1988 in der Fassung BGBl. 818/1993 anfechten müssen.

Der Hauptantrag war daher zurückzuweisen.

2. Zu den Eventualanträgen:

2.1. Im Verfahren ist nicht hervorgekommen, dass die angefochtenen Teile des §49 ASVG vom Verwaltungsgerichtshof im Anlassverfahren nicht anzuwenden wären, die Anträge sind auch sonst zulässig.

2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 8155/1977, 8461/1978, 12.410/1990, 12.465/1990) ist der Umfang der vom Verfassungsgerichtshof zu prüfenden und im Falle ihrer Rechtswidrigkeit aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, hat der Verfassungsgerichtshof in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt. Die Grenzen der Aufhebung einer in Prüfung stehenden Gesetzesbestimmung müssen so gezogen werden, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in einem untrennbaren Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Da im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ein Bescheid angefochten ist, der dem beschwerdeführenden Dienstgeber die Anerkennung des Abzugs bestimmter Lohnbestandteile (Entfernungszulagen, Tages- und Nächtigungsgelder) von der Bemessungsgrundlage für die Beiträge zur Sozialversicherung versagt hat, ist unter anderem die Bestimmung des §49 Abs3 Z1 ASVG präjudiziell. Darin wird allgemein normiert, dass Vergütungen des Dienstgebers für Aufwendungen des Dienstnehmers nicht zum beitragspflichtigen Entgelt gehören; präzisierend dazu stellt die Bestimmung Lohnbestandteile beitragsfrei, "soweit sie nach §26 des Einkommensteuergesetzes 1988, BGBl. Nr. 400, nicht der Einkommensteuer(Lohnsteuer)pflicht unterliegen".

2.3. Die geltend gemachten Bedenken richten sich dagegen, dass der Gesetzgeber (im Einkommensteuerrecht) die Definition der Dienstreise und somit im Ergebnis die Festlegung des Umfangs bestimmter steuerfreier Lohnbestandteile bei Vorliegen einer lohngestaltenden Vorschrift in unzulässiger Weise der Regelung durch diese Vorschrift überlässt, womit eine sachlich nicht gerechtfertigte Privilegierung von Bezugsteilen bestimmter Gruppen von Arbeitnehmern eintrete. Dem Antrag liegt die Überlegung zugrunde, dass die als verfassungswidrig bekämpfte Rechtslage auch in dem beim Verwaltungsgerichthof anhängigen Beschwerdeverfahren betreffend Beiträge nach ASVG zum Tragen komme.

2.4. In Fällen der hier vorliegenden Art, in denen sich verfassungsrechtliche Bedenken nicht gegen die Verweisung, sondern gegen die verwiesene Norm richten, muss geprüft werden, ob den Bedenken - sofern sie zutreffen - durch Aufhebung der verweisenden oder der verwiesenen Norm Rechnung zu tragen ist. Im Allgemeinen wird dabei mit Aufhebung der verweisenden Norm vorzugehen sein, weil damit die Bedeutung der verwiesenen Norm in ihrem "eigenen" Rechtsgebiet oder in anderem Sachzusammenhang unangetastet bleibt. Im vorliegenden Fall würde freilich die Aufhebung der Verweisung einen erheblich über die zur Beseitigung der Bedenken erforderliche Bereinigung hinaus gehenden Eingriff in das Rechtsgefüge mit sich bringen, weil dadurch - worauf die mitbeteiligte Oberösterreichische Gebietskrankenkasse zu Recht hinweist - auch alle sonstigen Festlegungen des §26 EStG 1988 in Bezug auf die Definition und den Umfang von Tages- und Nächtigungsgeldern bei der Bemessung der Beitragsgrundlage nach §49 ASVG nicht mehr gelten würden: Es würde etwa die (ohne lohngestaltende Vorschriften Platz greifende) gesetzliche Definition einer Dienstreise nicht mehr heranzuziehen sein (zweiter Satz des §26 Z4 EStG 1988), weiters wären auch die in §26 Z4 lita und b EStG 1988 geregelten Tages- und Kilometersätze nicht mehr maßgeblich. Auch eine Aufhebung der gesamten Ziffer 1 des §49 Abs3 ASVG würde die Rechtslage zwar im Hinblick auf die geltend gemachten Bedenken bereinigen, sie aber insofern auch weitgehend verändern, als dann Aufwandsentschädigungen des Dienstgebers generell beitragspflichtig würden, was einen dem Gesetzgeber kaum noch zusinnbaren Inhalt bedeuten würde.

Ein derart weitgehende Eingriffe vermeidendes Ergebnis wäre - bei gleicher Rechtsbereinigungswirkung - durch die Aufhebung lediglich des vierten Satzes des §26 Z4 EStG 1988 erreichbar (die durch das Erkenntnis vom 22. Juni 2006 in der für die strittigen Beitragszeiträume maßgeblichen Fassung bereits vorgenommen wurde).

Da der Sitz der behaupteten Verfassungswidrigkeit somit nicht im ASVG, sondern im EStG 1988 gelegen wäre, waren die Eventualanträge abzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Antrag, Eventualantrag, Auslegung eines Antrages, Einkommensteuer, Lohnsteuer, Einkunftsarten Arbeit nichtselbständige, Reisekosten, Sozialversicherung, Beiträge, Entgelt, Verweisung dynamische, VfGH / Prüfungsgegenstand, Novellierung, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:G4.2006

Dokumentnummer

JFT_09938788_06G00004_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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