TE Vwgh Erkenntnis 1992/10/8 92/18/0037

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Veröffentlicht am 08.10.1992
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Index

60/02 Arbeitnehmerschutz;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;

Norm

ArbIG 1974 §3;
ArbIG 1974 §5 Abs1;
ArbIG 1974 §5 Abs2;
AZG §26 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. Jänner 1992, Zl. MA 63-L 7/19/Str., betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Arbeitszeitgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Das magistratische Bezirksamt für den 13. und 14. Bezirk erließ unter dem Datum 27. Dezember 1990 gegenüber dem Beschwerdeführer ein Straferkenntnis, dessen Spruch wie folgt lautet:

"Sie haben als Arbeitgeber am 14. Dezember 1989 um 20.30 Uhr in Ihrem Betrieb in W, H-Straße 115, zwei Organen der Arbeitsinspektion auf deren Verlangen nicht Einsicht in die Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden der Arbeitnehmer gegeben.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

§ 26 Abs. 2 des Arbeitszeitgesetzes, BGBl. Nr. 461/1969, in der geltenden Fassung.

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:

Geldstrafe von Schilling 6.000,--

falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von

6 Tagen gemäß § 28 Abs. 1 des obzit. Gesetzes.

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:

600,-- Schilling als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, d.s. 10 % der Strafe.

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten) beträgt daher 6.600,-- Schilling. Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen."

2. Aufgrund der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers bestätigte der Landeshauptmann von Wien (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 9. Jänner 1992 gemäß § 66 Abs. 4 AVG das Straferkenntnis in der Schuldfrage und im Ausspruch über die Verpflichtung zum Ersatz der Kosten des Strafvollzuges, setzte jedoch die Strafe in Anwendung des § 51 Abs. 4 VStG auf S 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe drei Tage) und gemäß § 64 VStG den erstinstanzlichen Kostenbeitrag auf

S 200,-- herab.

Begründend führte die belangte Behörde unter Bezugnahme auf § 26 Abs. 2 des Arbeitszeitgesetzes (AZG) und § 5 Abs. 2 des Arbeitsinspektionsgesetzes - ArbIG 1974 im wesentlichen folgendes aus: Aus den zitierten Bestimmungen sei zu erkennen, daß die Arbeitsinspektoren berechtigt seien, alle im Zusammenhang mit dem Arbeitnehmerschutz stehenden Unterlagen vom Arbeitgeber u.a. im Zuge der Besichtigung des Betriebes zu verlangen. Das am 14. Dezember 1989 um 20.30 Uhr an den Beschwerdeführer gerichtete Verlangen auf Einsichtgewährung in die Arbeitsaufzeichnungen sei daher weder schikanös noch unbillig, sondern der Gesetzeslage entsprechend gewesen. Zum Einwand des Beschwerdeführers, sein Büro sei bereits geschlossen gewesen und er könne die Unterlagen nicht immer mit sich herumtragen, sei zu sagen, daß der Arbeitgeber in solchen Fällen mangels diesbezüglicher Ausnahmen zu einer dem Arbeitszeitgesetz entsprechenden Organisierung der Möglichkeit der Einsichtgewährung in die Arbeitsaufzeichnungen auch außerhalb der üblichen Bürozeit verpflichtet sei. Da der Beschwerdeführer nicht vorgebracht habe, vorgesorgt zu haben, daß die Arbeitsinspektoren auch außerhalb der Zeit, in der das Büro, in dem die Arbeitsaufzeichnungen geführt würden, besetzt sei, in diese Aufzeichnungen Einsicht nehmen könnten, habe er auch nicht glaubhaft gemacht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift (§ 26 Abs. 2 AZG) kein Verschulden treffe.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der begehrt wird, die bekämpfte Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.

4. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde vertritt - dahin läßt sich ihr Vorbringen zusammenfassen - die Ansicht, der angefochtene Bescheid beruhe auf einer unzulässigen extensiven Interpretation des § 26 Abs. 2 AZG iVm § 5 Abs. 2 ArbIG 1974. Diesen Vorschriften lasse sich nicht entnehmen, daß die Arbeitsinspektion "rund um die Uhr" Einsicht in die Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden und deren Entlohnung zu ermöglichen sei. § 3 Abs. 3 bis 6 und § 5 Abs. 1 ArbIG 1974 ließen den Schluß zu, daß die Tätigkeit der Organe des Arbeitsinspektorates während der Betriebszeiten vorgesehen sei. 20.30 Uhr - wie im Beschwerdefal - sei aber keine Betriebs- oder Bürozeit.

2.1. Der von der belangten Behörde spruchmäßig allein als verletzte Verwaltungsvorschrift herangezogene § 26 Abs. 2 AZG lautet:

"Die Arbeitgeber haben der Arbeitsinspektion und deren Organen die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und auf Verlangen Einsicht in die Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden und deren Entlohnung zu geben."

2.2. Auch wenn diese Bestimmung die darin normierte Verpflichtung des Arbeitgebers in zeitlicher Hinsicht nicht ausdrücklich einschränkt, führt eine am Zweck dieser Vorschrift orientierte Auslegung zu dem Ergebnis, daß die Pflicht zur Einsichtgewährung (ebenso wie jene der Auskunfterteilung) grundsätzlich - d.h. von Ausnahmen abgesehen - auf die Zeit beschränkt ist, zu welcher der Betrieb offengehalten wird.

§ 26 Abs. 2 AZG dient der Sicherung der Wahrnehmung der der Arbeitsinspektion überantworteten Aufgaben zum Schutz der Arbeitnehmer in einem bestimmten (eingegrenzten) Bereich, nämlich der Arbeitszeit. Insofern stellt diese Vorschrift eine Spezialbestimmung dar zu § 5 Abs. 1 und 2 ArbIG 1974 und den dort vorgesehenen allgemeinen Auskunfterteilung- und Vorlageverpflichtungen.

Der Verwaltungsgerichtshof ist der Ansicht, daß der Wahrnehmung des gesetzlichen Schutzes der Arbeitnehmer bei ihrer beruflichen Tätigkeit durch die Arbeitsinspektion nach dem ArbIG 1974, wie sich - worauf die Beschwerde zutreffend hinweist - aus den das "Betreten und Besichtigen von Betrieben" (§ 3) und die "Vernehmung von Personen" (§ 5 Abs. 1) regelnden Bestimmungen unschwer ableiten läßt, der Grundgedanke immanent ist, daß dieser Aufgabe während der Zeit des Offenhaltens der Betriebe nachzukommen ist, folglich auch korrespondierende Verpflichtungen der Arbeitgeber, die ein Tun derselben erfordern, auf diese Zeit eingegrenzt sind. Dieser Grundsatz erfährt dort eine Ausnahme, wo es die Wahrnehmung ihres Gesetzesauftrages notwendig - i.S. von unaufschiebbar - macht, daß die Arbeitsinspektion außerhalb der Offenhalte-Zeiten einschreiten. Diesfalls trifft eine dieser Aufgabenwahrnehmung entsprechende gesetzlich vorgesehene Verpflichtung des Arbeitgebers diesen gleichfalls außerhalb der besagten Zeiten. Wann derartige Ausnahmen zum Tragen kommen, kann aufgrund der Vielfalt der Aufgabenstellungen der Arbeitsinspektion und der Vielzahl möglicher Fallkonstellationen nicht generell gesagt werden. Dies obliegt vielmehr auf der Grundlage der Sachverhaltsdarstellung in der Anzeige des Arbeitsinspektorates der Beurteilung der Verwaltungsbehörde unter der nachprüfenden Kontrolle der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes. Im Hinblick darauf, daß es sich bei den in § 26 Abs. 2 AZG normierten Arbeitgeber-Verpflichtungen, wie erwähnt, um eine lex specialis zu § 5 Abs. 1 und 2 ArbIG 1974 handelt, gelten die vorstehenden Erwägungen auch für diese besonderen Verpflichtungen.

2.3. Die unter II.2.2. dargestellte Rechtslage hat die belangte Behörde bei ihrer den Schuldspruch des Straferkenntnisses bestätigenden angefochtenen Entscheidung verkannt. Als Folge dessen hat sie es verabsäumt zu untersuchen, ob die am 14. Dezember 1989 um 20.30 Uhr, also außerhalb der Offenhaltezeit des Betriebes (der Verkaufsstelle in W, H-Straße 115), von Organen der Arbeitsinspektion vom Beschwerdeführer begehrte Vorlage der Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden seiner Arbeitnehmerinnen zwecks Einsichtnahme zur Wahrnehmung der der Arbeitsinspektion gesetzlich übertragenen Aufgaben tatsächlich notwendig (im oben bezeichneten Sinn) war oder ob es zur Aufgabenerfüllung nicht, dem Angebot des Beschwerdeführers entsprechend, ausgereicht hätte, wenn die Arbeitsinspektoren etwa am nächsten Tag (es war dies ein Freitag) innerhalb der Offenhaltezeit des Betriebes Einsicht in die betreffenden - unbestrittenerweise vorhandenen - Arbeitszeitaufzeichnungen genommen hätten.

3. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung lediglich eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides (Stempelgebühren S 60,--) vorzulegen war.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992180037.X00

Im RIS seit

23.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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