TE Vwgh Erkenntnis 1992/10/14 92/01/0345

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Veröffentlicht am 14.10.1992
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Index

19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
MRK Art13;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des V in F, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Jänner 1992, Zl. 4.316.767/2-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein vietnamesischer Staatsangehöriger, reiste am 20. Mai 1991 in das Bundesgebiet ein und stellte am 22. Mai 1991 einen Asylantrag. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 28. Mai 1991 führte er im wesentlichen aus, er sei in seiner Heimat nicht verfolgt worden. Auf Grund eines zwischenstaatlichen Vertrages zwischen Vietnam und der Tschechoslowakei habe er über seinen Antrag im April 1988 eine Arbeitsbewilligung für die Tschechoslowakei erhalten und einen bis Juli 1991 befristeten Arbeitsvertrag mit einer "Möbelfabrik" abgeschlossen. Am 15. April 1991 sei der Vertrag vorzeitig aufgekündigt worden. Er wolle nicht nach Vietnam zurückkehren, weil dort noch immer das kommunistische Regime an der Macht sei und es dort keine Freiheit und keine Gerechtigkeit gebe. Er sei gegen seinen Willen der kommunistischen Jugendpartei in Vietnam beigetreten. In der Tschechoslowakei habe er an Veranstaltungen der Kommunisten nicht teilgenommen. Er habe vielmehr mit einer regimefeindlichen Studentenbewegung sympathisiert und diese Organisation finanziell unterstützt, ohne Mitglied gewesen zu sein. Er könne auch nicht in der Tschechoslowakei verbleiben, weil dort die politische und wirtschaftliche Lage noch sehr instabil sei. Es gebe dort eine rassische Diskriminierung der Vietnamesen durch jugendliche tschechische Banden. Zum Fluchtweg befragt gab der Beschwerdeführer unter anderem an, sein Reisepaß sei ihm im April 1991 von der vietnamesischen Botschaft in Prag abgenommen worden, um seinen Rückflug nach Vietnam vorzubereiten.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich stellte daraufhin mit Bescheid vom 19. Juni 1991 fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer aus, die ganze Welt wisse, daß in Vietnam noch immer ein totalitäres Regime herrsche. Es gebe keine Menschenrechte und keine demokratischen Freiheiten. Deshalb sei er zunächst in die Tschechoslowakei geflüchtet. Er könne aber auch dort nicht in Ruhe und Frieden leben, weil die Tschechen und Slowaken die Vietnamesen terrorisierten, beraubten, angriffen und ihre Wohnungen zerstörten. Viele Vietnamesen seien bereits durch diesen Terror gestorben. Deshalb habe er ein zweites Mal flüchten müssen.

Mit ihrem Bescheid vom 28. Jänner 1992 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid ab und stellte fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Nach Darlegung des Verfahrensganges und der Rechtslage vertrat die belangte Behörde im wesentlichen die Auffassung, dem Vorbringen des Beschwerdeführers ließen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß er Handlungen gesetzt hätte, die geeignet gewesen wären, das Mißfallen der vietnamesischen Behörden hervorzurufen. Die Behauptung rassischer Diskriminierung in der Tschechoslowakei sei nicht zielführend, weil für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nur Handlungen ausschlaggebend sein könnten, die dem Heimatstaat zurechenbar wären.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, die belangte Behörde übersehe in rechtlicher Hinsicht, daß es sich bei den von ihm behaupteten Vorgängen, nämlich der vorzeitigen Kündigung seines Arbeitsvertrages und insbesondere der Abnahme seines Reisepasses, bereits um "Verfolgungsmaßnahmen in Form von Vorbereitungshandlungen des Heimatstaates zur Habhaftwerdung eines nach dem in der Rechtsordnung Vietnams und dem Geist des dortigen Regimes als politischen Verdächtigen und Abtrünnigen" handle. In seinem Fall sei es entgegen der Auffassung der belangten Behörde nicht bei einer asylrechtlich nicht relevanten Ablehnung des Regimes des Heimatstaates geblieben; vielmehr seien gegen ihn bereits konkrete Maßnahmen zur erzwungenen Rückkehr in den Heimatstaat eingeleitet worden. Dabei handle es sich - wie allgemein bekannt sei - um den ersten Schritt zu einer drohenden Internierung in einem Umerziehungslager nach der Beförderung in den Heimatstaat.

Damit verkennt der Beschwerdeführer, daß seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren kein Anhaltspunkt für eine ihm von seiten seines Heimatstaates drohende Verfolgung aus in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu entnehmen war. Dies trifft auch auf jene oben wiedergegebenen Behauptungen über Sachverhalte zu, die der Beschwerdeführer nunmehr als Verfolgungsmaßnahmen seines Heimatstaates qualifiziert. Seine Behauptung über die vorzeitige Auflösung seines Arbeitsvertrages läßt nicht erkennen, daß dies (aus Konventionsgründen) von staatlichen Stellen seines Heimatlandes veranlaßt worden wäre; schon deshalb kann diese Maßnahme - selbst ungeachtet der Frage, ob sie als solche einen Eingriff in Rechtsgüter des Beschwerdeführers darstellte, der als "Verfolgung" im Sinne der Konvention angesehen werden könnte - als Fluchtgrund nicht in Betracht kommen.

Auch die Abnahme des Reisepasses kann für sich alleine - ebenso wie die Verweigerung der Ausstellung eines Reisedokumentes (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. September 1990, Zl. 89/01/0431) - nicht als Verfolgung im Sinne der Konvention qualifiziert werden. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren konnte aber auch kein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, daß es sich dabei um die Vorbereitung von als Verfolgung zu qualifizierenden Maßnahmen, insbesondere die nunmehr behauptete Internierung in einem Umerziehungslager, handelte. Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Befragung die Abnahme des Reisepasses weder als Fluchtgrund geltend gemacht (sondern lediglich im Rahmen der Befragung über den Fluchtweg erwähnt) noch auch nur angedeutet, daß er im Falle der Rückkehr in seinen Heimatstaat individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung befürchten müsse; vielmehr hat er seine Weigerung, in seinen Heimatstaat zurückzukehren, mit der dort bestehenden allgemeinen politischen Situation und seiner Sympathie und finanziellen Unterstützung für eine regimefeindliche Organisation begründet.

In seiner Berufung hat der Beschwerdeführer die von der Beschwerde nunmehr in den Vordergrund gestellte Abnahme des Reisepasses nicht einmal erwähnt.

Damit hat der Beschwerdeführer seiner Verpflichtung, konkrete, ihn selbst betreffende Umstände zu bescheinigen, aus denen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus in der Konvention genannten Gründen abgeleitet werden kann (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Mai 1992, Zl. 91/01/0204), nicht entsprochen, zumal in bezug auf die behauptete Unterstützung einer regimefeindlichen Organisation keinerlei Anhaltspunkt dafür vorliegt, daß dies staatlichen Stellen seines Heimatlandes bekannt geworden wäre.

Auf Grund welcher Erkenntnisquellen bei der belangten Behörde "amtsbekannt" sein müsse, daß dem Beschwerdeführer die Internierung in einem Umerziehungslager drohe, kann der Beschwerde nicht entnommen werden; dafür, daß es sich dabei um der Behörde offenkundige Tatsachen handle, liegt dem Verwaltungsgerichtshof kein Anhaltspunkt vor.

Es kann daher auf sich beruhen, ob ein als offenkundig anzusehender asylrelevanter Sachverhalt nicht nur im Sinne des § 45 Abs. 1 AVG keines Beweises bedürfte, sondern auch - wie dies dem Beschwerdeführer offenbar vorschwebt - vom Asylwerber gar nicht (als Fluchtgrund) vorgebracht werden müßte.

Ebenso kann unerörtert bleiben, ob der Beschwerdevorwurf zutrifft, es sei auf Grund der jedermann zugänglichen Erfahrung bekannt, daß schon der "Nichtbesuch" von Veranstaltungen der "Parteien eines totalitären Regimes" eine Mißachtung desselben bedeute und daher zweifellos das Mißfallen der vietnamesischen Behörden hervorgerufen habe, weil auch unter Zugrundelegung dieser Behauptung nicht davon ausgegangen werden könnte, der Beschwerdeführer habe die Gefahr einer individuell gegen ihn gerichteten Verfolgung bescheinigt; auch der soeben erwähnten Beschwerdebehauptung ist nämlich nicht zu entnehmen, daß das behauptete "Mißfallen" der Behörden die Gefahr von Maßnahmen nach sich ziehen würde, die als Verfolgung qualifiziert werden könnten.

Der Beschwerdeführer macht weiters geltend, er habe spätestens mit der Asylantragstellung in Österreich die Republikfluchttatbestände der Art. 85 und 89 des vietnamesischen Strafgesetzbuches verwirklicht; es liege daher ein Nachfluchtgrund vor. Diese Darlegungen müssen schon am Neuerungsverbot (§ 41 VwGG) scheitern; auch diesen nunmehr behaupteten Sachverhalt betreffend kann die Auffassung des Beschwerdeführers, es handle sich um eine "notorische Situation", nicht geteilt werden. Nur der Vollständigkeit halber ist daher darauf zu verweisen, daß der Verwaltungsgerichtshof erst vor kurzem ausgesprochen hat, daß die Befürchtung, wegen der Übertretung den Aufenthalt vietnamesischer Staatsbürger im Ausland regelnder Vorschriften bestraft zu werden, keinen Fluchtgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstellt (vgl. das Erkenntnis vom 20. Mai 1992, Zlen. 92/01/0463, 0464).

Dem Beschwerdevorwurf, die belangte Behörde hätte nicht ohne Beweisverfahren und Einräumung des Parteiengehörs davon ausgehen dürfen, daß der Beschwerdeführer vor den behaupteten Übergriffen rassistischer Gruppen in der Tschechoslowakei Schutz in seinem Heimatland hätte finden können, ist zu erwidern, daß es - im Rahmen seiner Verpflichtung, alles Zweckdienliche für die Erlangung der angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. März 1992, Zl. 91/01/0212) - Sache des Beschwerdeführers gewesen wäre, eine entsprechende Behauptung aufzustellen (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Februar 1991,

Zlen. 90/01/0229, 0230). Den über einen Hinweis auf die im Heimatland des Beschwerdeführers herrschenden allgemeinen politischen Verhältnisse nicht hinausgehenden Darlegungen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren war jedoch nicht einmal eine Andeutung in der Richtung zu entnehmen, daß er in seinem Heimatstaat keinen solchen Schutz hätte finden können.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992010345.X00

Im RIS seit

14.10.1992
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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