TE Vwgh Erkenntnis 1992/10/20 92/11/0143

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Veröffentlicht am 20.10.1992
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Index

24/01 Strafgesetzbuch;
82/02 Gesundheitsrecht allgemein;

Norm

ChemG 1987 §29 Abs3;
ChemG 1987 §29 Abs4;
SGG §16;
StGB §180;
StGB §181;
StGB §182;
StGB §183;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des E in G, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 14. April 1992, Zl. 12-72 J 2/3-1991, betreffend Erteilung einer Giftbezugslizenz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.300,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 14. April 1992 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 14. Jänner 1991 auf Erteilung einer Giftbezugslizenz für im einzeln angeführte Gifte gemäß § 29 Abs. 3 und 4 des Chemikaliengesetzes-ChemG, BGBl. Nr. 326/1987, abgewiesen. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde begründete ihre abweisliche Entscheidung mit dem Mangel der erforderlichen Verläßlichkeit des Beschwerdeführers. Laut Stellungnahme des Kanalbauamtes der Stadt Graz vom 12. März 1990 würden die "hochgiftigen, mit Schwermetallen belasteten" Abwässer des vom Beschwerdeführer geleiteten Betriebes bereits jahrelang ohne Vorreinigung in den öffentlichen Kanal eingeleitet. Wie eine Kontrolle am 18. März 1991 ergeben habe, sei bisher trotz vorliegender wasserrechtlicher Bewilligung hiefür die Errichtung einer betrieblichen Abwasserreinigungsanlage unterblieben. Laut Mitteilung des Arbeitsinspektorates vom 30. April 1990 entspreche die Lagerung der Chemikalien, ausgenommen Säuren und Laugen, nicht dem Stand der Technik. Außerdem seien die Aufzeichnungen über den Giftverkehr beanstandet worden, da der Beschwerdeführer über die Lagermenge und den Tages- und Monatsverbrauch von Giften keine genauen Angaben habe machen können. Aus diesen Stellungnahmen ergibt sich nach Meinung der belangten Behörde eine nicht tolerierbare Belastung der Umwelt durch den unter der Geschäftsführung des Beschwerdeführers stehenden Betrieb, was die Annahme rechtfertige, der Beschwerdeführer werde die Gifte zumindest fahrlässig verwenden und mit ihnen nicht sorgfältig und sachgerecht umgehen.

Der Beschwerdeführer rügt, daß ihm zu diesen erstmals von der belangten Behörde herangezogenen Stellungnahmen kein Parteiengehör gewährt worden sei. Andernfalls hätte er vorgebracht, daß die Stellungnahmen unrichtig seien, und hiefür Beweise anbieten können. Es sei nicht konkretisiert worden, inwiefern die Lagerung der Chemikalien nicht dem Stand der Technik entspreche. Für den gegenständlichen Betrieb sei eine gewerberechtliche Betriebsstättenbewilligung erteilt worden, die sich auch mit der Lagerung der Chemikalien befasse. Sämtliche Auflagen seien erfüllt worden. Die letzte Überprüfung habe allerdings erst nach dem 30. April 1990 stattgefunden.

Gemäß § 29 Abs. 3 ChemG darf eine Giftbezugsbewilligung (Giftbezugsschein oder Giftbezugslizenz) unter anderem nur dann erteilt werden, wenn der Antragsteller die Verläßlichkeit besitzt. Als verläßlich ist nach Abs. 4 ein Antragsteller anzusehen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß er die Gifte nicht mißbräuchlich oder fahrlässig verwenden und mit ihnen sorgfältig und sachgerecht umgehen wird. Nicht als verläßlich gilt jedenfalls eine Person, die wegen einer strafbaren Handlung oder Unterlassung gemäß §§ 180 bis 183 des Strafgesetzbuches oder gemäß § 16 des Suchtgiftgesetzes 1951 rechtskräftig verurteilt worden ist.

Aus diesen Bestimmungen ergibt sich zunächst, daß die Verneinung der Verläßlichkeit einer Person nicht auf Vermutungen, sondern nur auf erwiesene Tatsachen gestützt werden kann. Diese müssen den Schluß zulassen, der Betreffende werde bei der Verwendung von Giften (§ 2 Abs. 10 ChemG) und beim sonstigen Umgang mit ihnen nicht das im ersten Satz des § 29 Abs. 4 ChemG umschriebene verantwortungsbewußte Verhalten an den Tag legen. Als solche Tatsachen kommen insbesondere auch Verstöße gegen die hiebei zu beachtenden rechtlichen Verpflichtungen in Betracht. Es liegt auf der Hand, daß ein derartiges Verhalten geeignet sein kann, begründete Zweifel an der Verläßlichkeit im Sinne des § 29 Abs. 4 erster Satz ChemG zu erwecken, und zwar unabhängig davon, ob eine rechtskräftige Verurteilung erfolgt ist oder nicht.

Der zweite Satz des § 29 Abs. 4 ChemG knüpft an eine rechtskräftige Verurteilung wegen der dort angeführten strafbaren Handlungen die unwiderlegliche Rechtsvermutung des Mangels der Verläßlichkeit der betreffenden Person. In diesem Fall erübrigt sich für die Behörde eine nähere Begründung für das Fehlen dieser Erteilungsvoraussetzung. (Die erwähnte Rechtsfolge endet allerdings gemäß § 27 Abs. 2 StGB, da das Chemikaliengesetz keine davon abweichende Regelung enthält, nach Ablauf der dort vorgesehenen Frist von fünf Jahren. Die belangte Behörde hat daher, anders als die Erstbehörde, die Annahme des Mangels der Verläßlichkeit des Beschwerdeführers zu Recht nicht mehr auf die Tatsache seiner Verurteilung nach § 181 StGB im Jahre 1982, deren Vollzugsdatum in der Strafregisterauskunft mit 29. März 1983 angegeben wird, gestützt.) Sofern der Mangel der Verläßlichkeit nicht schon kraft Gesetzes als gegeben gilt, hat die Behörde die Verneinung der Verläßlichkeit einer Person nachvollziehbar zu begründen.

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde ihre Annahme des Mangels der Verläßlichkeit des Beschwerdeführers in erster Linie mit der "nicht tolerierbaren Beeinträchtigung der Umwelt" durch den unter seiner Leitung stehenden Betrieb begründet und hiezu ausgeführt, daß bereits jahrelang schwermetallhaltige, nicht entsprechend geklärte Abwässer in den öffentlichen Kanal eingeleitet würden. Die getroffenen Feststellungen reichen allerdings nicht aus, um den von der belangten Behörde gezogenen Schluß nachvollziehbar zu begründen. Dazu hätte es jedenfalls zusätzlicher Ausführungen darüber bedurft, ob und inwiefern dieses Verhalten rechtswidrig ist. Daß die Einleitung der ungereinigten Abwässer des vom Beschwerdeführer geleiteten Betriebes in den öffentlichen Kanal etwa tatbestandsmäßig im Sinne der §§ 180 bis 183 StGB wäre, hat die belangte Behörde nicht angenommen. Die Nichterrichtung der wasserrechtlich bewilligten betrieblichen Abwasserreinigungsanlage allein läßt allenfalls auf das Fehlen eines (vom Gesetz nicht verlangten) besonderen Ausmaßes an Umweltgesinnung schließen, nicht aber schon auf mangelnde Verläßlichkeit im Sinne des § 29 Abs. 4 ChemG. Ein derartiger Schluß wäre erst berechtigt, wenn mit dem Unterbleiben dieser Maßnahme eine konkrete Gefährdung der Umwelt unmittelbar verbunden wäre. Davon kann aber nicht ohne weiteres ausgegangen werden, wenn, so wie im vorliegenden Fall, Abwässer in eine öffentliche Kanalisationsanlage eingeleitet werden.

Was die weitere Argumentation der belangten Behörde (betreffend Lagerung der Gifte im Betrieb und Aufzeichnungen über den Giftverkehr) anlangt, liegt es auf der Hand, daß eine schwerwiegende Verletzung der Vorschriften über die Lagerung von und den Verkehr mit Giften einschließlich der darüber zu führenden Aufzeichnungen für sich allein schon die Annahme des Mangels der Verläßlichkeit einer Person rechtfertigen kann. Ob aber im vorliegenden Fall ein schwerwiegender Verstoß gegen die einschlägigen Rechtspflichten, der einen derartigen Schluß zuläßt, vorgelegen ist, kann mangels Ausführungen darüber, durch welches konkrete Verhalten der Beschwerdeführer gegen welche Vorschriften verstoßen hat, nicht beurteilt werden. Insbesondere ist nicht erkennbar, was unter "dem Stand der Technik nicht entsprechender Lagerung" gemeint ist und gegen welche Vorschriften damit konkret verstoßen wurde. Letzteres gilt auch hinsichtlich der angeführten Beanstandung der Aufzeichnungen über den Giftverkehr durch das Arbeitsinspektorat. Die dafür gegebene Begründung, daß "über die Lagermenge der Gifte und den Tages- bzw. Monatsverbrauch keine genauen Angaben gemacht werden konnten", läßt nicht erkennen, welche Aufzeichnungen gefehlt haben und welche Vorschriften hiedurch verletzt worden sind. Damit fehlt die Grundlage für die Beurteilung der Erheblichkeit dieses Verstoßes.

Da der maßgebende Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben ist und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen worden sind, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, ist der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992110143.X00

Im RIS seit

20.10.1992
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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