TE Vfgh Erkenntnis 1990/6/15 G87/89

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Veröffentlicht am 15.06.1990
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art83 Abs2 B-VG Art135 Abs1 B-VG Art135 Abs2 B-VG Art140 Abs1 / Allg VwGG §14 Abs1 VwGG §14 Abs2

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit der Regelung der Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof durch den Berichterstatter ohne Senatsbeschluß; keine Verletzung des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter; kein Verstoß gegen das Prinzip der festen Geschäftsverteilung

Spruch

Dem Antrag wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. §14 Abs2 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985, BGBl. 10, in der Fassung BGBl. 197 und 564/1985 (VwGG) lautet:

"Anordnungen prozeßleitender Art im Vorverfahren und Verfügungen, die nur zur Vorbereitung der Entscheidung dienen, ferner Entscheidungen und Verfügungen, die sich nur auf die Verfahrenshilfe beziehen (§61), sowie Entscheidungen über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, trifft der Berichter ohne Senatsbeschluß."

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat durch das als Berichter bestellte Mitglied aus Anlaß eines an ihn gerichteten Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, (welcher mit einer beim Verwaltungsgerichtshof unter der Zl. 89/16/0046 protokollierten Beschwerde verbunden ist,) gemäß Art140 Abs1 B-VG den Antrag gestellt, in §14 Abs2 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985, BGBl. 10 (VwGG), die Worte "sowie Entscheidungen über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen," als verfassungswidrig aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof begründet die Präjudizialität der angefochtenen Wortfolge in §14 Abs2 VwGG damit, daß der vom Präsidenten gemäß §14 Abs1 erster Satz VwGG bestellte Berichter "nach der zwingenden Anordnung des Abs2 der zuletzt zitierten Gesetzesstelle ... über einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde ohne Senatsbeschluß zu entscheiden" habe. Die angefochtene Wendung bilde eine "Voraussetzung für die vom Verwaltungsgerichtshof monokratisch zu fällende Entscheidung". Der in diesem Falle von einem den Verwaltungsgerichtshof repräsentierenden Einzelmitglied gestellte Antrag sei daher zulässig.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in seinem Antrag die Rechtsauffassung, daß das zur Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung berufene Mitglied des Verwaltungsgerichtshofes seit 1. August 1984 (vgl. ArtI Z8 und ArtII Abs1 der Novelle, BGBl. 298/1984), "wie auch die bis zu diesem Zeitpunkt die Rechtsprechung ausübenden Senate ... in diesem konkreten Fall eine letztverbindliche richterliche Entscheidung iSd Art87 Abs2 B-VG in einem Rechtsstreit zu treffen ('iudicium')" habe. Diese Tätigkeit falle unter den Begriff Rechtsprechung.

Gemäß Art135 Abs1 B-VG erkenne der Verwaltungsgerichtshof in Senaten, die von der Vollversammlung aus den Mitgliedern des Gerichtshofes zu bilden seien. Damit werde materiell festgelegt, daß der Verwaltungsgerichtshof - anders als z.B. der Oberste Gerichtshof und der Verfassungsgerichtshof - in Senaten zu erkennen (entscheiden) habe. Die Rechtsprechung sei ausschließlich in Senaten zu vollziehen. Art135 Abs1 B-VG schließe weiters eine Regelung aus, "derzufolge sich der Begriff eines Senates - soll er nicht sinnlos sein - mit einem einzelnen Mitglied dieses Gerichtshofes decken könnte."

Da nach der bestehenden Verfassungsrechtslage bei einem Akt des "Erkennens" als Entscheidungsgremium nur ein Senat tätig werden dürfe, könne

"der einfache Bundesgesetzgeber an ein vom Verfassungsgesetzgeber ... mit keinerlei Kompetenzen auf dem Gebiet der Rechtsprechung in Form eines Einzelrichters ausgestattetes Mitglied des Verwaltungsgerichtshofes rechtens nicht die Befugnis zur Fällung einer Entscheidung übertragen, der mitunter größere rechtliche und tatsächliche Tragweite zukommen kann, als dem (späteren) Erkenntnis in der Beschwerdesache selbst."

Hiebei sei nicht entscheidend, ob die der Rechtsprechung zuzuzählende Entscheidung selbst in der Form eines "Erkenntnisses" oder - wie dies §30 Abs2 VwGG anordne - in Form eines "Beschlusses" zu ergehen habe.

Ferner verstößt §14 Abs2 VwGG nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes auch gegen das bundesverfassungsgesetzlich normierte Gebot der Wahrung des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG, weil "gesetzlicher Richter" im Sinne dieser Vorschrift "auch die Senate eines Gerichtshofes als Spruchkörper (sind), vor denen zu verhandeln und von denen die einzelne Sache zu entscheiden ist." Dieses Verfassungsgebot schließe es aus, "daß Aufgaben der Rechtsprechung, welche die Bundesverfassung ausschließlich den Senaten des Verwaltungsgerichtshofes vorbehält, durch einfaches Gesetz einem einzelnen Mitglied dieses Gerichtshofes zur Entscheidung als Einzelrichter zugewiesen werden."

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die einfachgesetzliche Betrauung eines einzelnen Mitgliedes des Verwaltungsgerichtshofes mit der Entscheidung über einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung werden vom Verwaltungsgerichtshof schließlich auch aus dem Prinzip der festen Geschäftsverteilung nach Art135 Abs2 B-VG abgeleitet. Wenn das Verfassungsprinzip der festen Geschäftsverteilung verlange, daß der nach dem Anfall einer Rechtssache beim Verwaltungsgerichtshof einsetzende Vorgang der Ermittlung des nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senates unter Weiterleitung der Beschwerdesache an diesen keinen Willensentschluß irgendeines gerichtlichen Organs umfassen dürfe (- und nur unter dieser Voraussetzung könne davon die Rede sein, daß die Rechtssache einem Mitglied des Verwaltungsgerichtshofes zugefallen im Sinne des Art135 Abs3 B-VG sei - ), so liege die Verfassungswidrigkeit des §14 Abs2 VwGG darin, "daß mit der Bestellung eines Mitgliedes des Verwaltungsgerichtshofes zum Berichter (§14 Abs1 VwGG) bei Entscheidungen über Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung automatisch die Bestellung zum im Einzelfall zur Entscheidung berufenen Richter verbunden ist". Diese Regelung biete in sich "die Möglichkeit zu einer bewußten, gezielten Berichter- und damit Richterbestellung".

3. Die Bundesregierung stellt in ihrer Äußerung den Antrag, die vom Verwaltungsgerichtshof angefochtene Wortfolge in §14 Abs2 VwGG nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Sie ist der Meinung, daß Art130 Abs1 B-VG bestimme, worüber die aufgrund des Art135 Abs1 B-VG einzurichtenden Senate zu "erkennen" hätten. Aus dem in Art130 Abs1 B-VG verfassungsgesetzlich festgelegten Aufgabenkreis des Verwaltungsgerichtshofes ergebe sich aber, "daß sich die verfassungsgesetzliche Bestimmung des Art135 Abs1 B-VG auf die die an den Verwaltungsgerichtshof herangetragene Rechtssache endgültig erledigende Entscheidung bezieht." Nach Meinung der Bundesregierung könne dem Verfassungsgesetzgeber nicht unterstellt werden,

"daß er, wenn in Art130 Abs1 B-VG deutlich gesagt wird, worüber der Verwaltungsgerichtshof zu erkennen hat, über diese Aufzählung hinaus noch andere Fälle im Auge hat, in denen der Verwaltungsgerichtshof im Sinne des Art135 Abs1 B-VG in Senaten zu erkennen hat."

Nach Meinung der Bundesregierung sei es "ein die gesamte Rechtsordnung durchziehender Grundsatz", daß bei Kollegialbehörden die Vorbereitung der Entscheidung in der Sache einem Mitglied dieser Kollegialbehörde übertragen ist. Auch bei der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sei ein einzelnes Mitglied eines Kollegialorganes lediglich befugt, "Maßnahmen zu setzen, durch die die dem Kollegialorgan vorbehaltene Endentscheidung nicht vorweggenommen wird". Es treffe daher nicht zu, daß - wie im Antrag des Verwaltungsgerichtshofes ausgeführt werde - mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eine "letztverbindliche richterliche Entscheidung" getroffen werde. Dies gelte insbesondere seit jeher auch für den gerichtlichen Senatsprozeß. Aus den §§37 und 42 des Gerichtsorganisationsgesetzes, RGBl. 217/1896, zeige sich bereits,

"daß der Gesetzgeber, wenn er gerichtliche Senate für die Entscheidung einsetzte, immer von der Vorstellung ausging, daß zwar keineswegs alle Entscheidungen, die in einem Verfahren anfallen, aber jedenfalls die Endentscheidung vom Senat zu treffen ist."

Insgesamt sei daher dem einfachen Gesetzgeber durch Art135 Abs1 B-VG nicht verwehrt, vorläufige verfahrensrechtliche Entscheidungen, die die Endentscheidung des Verwaltungsgerichtshofes nicht vorwegnähmen, nicht dem Senat, sondern einem Mitglied des Senates zur alleinigen Entscheidung vorzubehalten. Aus dem gleichen Grunde sei auch das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt.

Mit der behaupteten Verfassungswidrigkeit im Hinblick auf das Prinzip der festen Geschäftsverteilung nach Art135 Abs2 B-VG werde argumentativ übersehen,

"daß sich verfassungsrechtlich das Prinzip der festen Geschäftsverteilung nur auf die Zuordnung von Rechtsfällen an Senate bezieht, nicht aber auf die Zuordnung von richterlichen Aufgaben auf einzelne Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes im Rahmen ihrer Tätigkeit als Mitglieder eines solchen Senates."

Aus Art135 Abs3 B-VG, wonach einem Mitglied des Verwaltungsgerichtshofes eine zugefallene Sache nur im Falle einer Behinderung abgenommen werden dürfe, zeige sich nicht nur, "daß der einmal bestellte Berichter grundsätzlich seine Stellung als solcher zu behalten hat", sondern auch, "daß der Verfassungsgesetzgeber sehr wohl damit gerechnet hat, daß einzelne Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes richterliche Aufgaben zu übernehmen haben, die ihnen allein, als Einzelrichter, zustehen."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Antrag ist zulässig.

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 3992/1961 ausgesprochen und in VfSlg. 7376/1974 wiederholt hat, sind zur Antragstellung nach Art140 B-VG jene Organe des Verwaltungsgerichtshofes legitimiert, "die bei der Entscheidung über eine Rechtssache ein Gesetz, gegen welches sie aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit Bedenken hegen, anzuwenden haben". Da gemäß §14 Abs2 VwGG über den Antrag, einer Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, der gemäß §14 Abs1 VwGG vom Präsidenten bestellte Berichter ohne Senatsbeschluß (- und daher nur dieser - ) zu entscheiden hat, ist auch der Berichter das zur Antragstellung nach Art140 B-VG legitimierte Organ des Verwaltungsgerichtshofes.

Der Verfassungsgerichtshof hegt auch keinen Zweifel, daß der Verwaltungsgerichtshof - durch den gemäß §14 Abs1 VwGG bestellten Berichter als Organ - bei der Entscheidung über den von ihm unter der Zl. AW 89/16/0010 protokollierten Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung die Wortfolge "sowie Entscheidungen über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen" in §14 Abs2 VwGG anzuwenden hat.

2. Art135 Abs1 B-VG lautet:

"Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in Senaten, die von der Vollversammlung aus den Mitgliedern des Gerichtshofes zu bilden sind."

Ob der Gesetzgeber die Erledigung des Antrags, einer Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, von Verfassungs wegen dem Berichter allein (also ohne Senatsbeschluß) überlassen darf, hängt davon ab, ob derartige Entscheidungen der erkennenden Tätigkeit des Verwaltungsgerichtshofes, die Art135 Abs1 B-VG den Senaten vorbehält, zuzurechnen sind oder nicht.

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes zählen die nach §14 Abs2 VwGG zu treffenden "Entscheidungen über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen", nicht zu dieser erkennenden Tätigkeit. Wenngleich bei der Entscheidung über die aufschiebende Wirkung nicht darauf abzustellen ist, welcher Ausgang des Verfahrens erwartet werden kann, ist die Gewährung der aufschiebenden Wirkung nicht isoliert zu betrachten. Sie ist kein selbständiges "erkennen" im Sinne des Art135 Abs1 B-VG, sie ist nicht Selbstzweck, sondern steht im Zusammenhang mit dem zukünftigen - unter Umständen aufhebenden - Erkenntnis des Senates. Die Gewährung der aufschiebenden Wirkung ist ein der Entscheidung in der Sache dienender akzessorischer Akt, weil damit eine Sicherung des mit der Endentscheidung angestrebten Zwecks bewirkt wird, um zu vermeiden, daß einer Beschwerde der mögliche Erfolg genommen wird und ein allfällig aufhebendes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht effizient wird. Mit anderen Worten:

Die aufschiebende Wirkung stellt eine nur während des Verfahrens wirkende Maßnahme dar; sie ist nur denkbar im Zusammenhang mit einer zu erwartenden Endentscheidung (und verliert durch diese auch ihre Wirksamkeit), sie soll den Beschwerdeführer vor jenen Nachteilen bewahren helfen, welche während der bis zur Endentscheidung eintretenden Schwebephase für ihn auftreten können.

Die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung stellt also eine akzessorische, begleitende Aufgabe im Rahmen des Verfahrens dar, welche nicht der erkennenden Tätigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zuzuordnen ist, die Art135 Abs1 B-VG den Senaten vorbehält.

Da die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung eine Tätigkeit im Rahmen der Rechtsprechung darstellt, welche zwar im Zusammenhang mit der vom Senat zu treffenden Entscheidung steht, aber nicht zu den erkennenden Aufgaben zu zählen ist, welche die Bundesverfassung ausschließlich den Senaten des Verwaltungsgerichtshofes vorbehält, liegt auch der vom Verwaltungsgerichtshof behauptete Verstoß gegen Art83 Abs2 B-VG nicht vor.

Ähnliches gilt für die im Antrag des Verwaltungsgerichtshofes aus dem Prinzip der festen Geschäftsverteilung nach Art135 Abs2 B-VG abgeleiteten Bedenken: Die nach dieser Verfassungsbestimmung vorzunehmende Aufteilung der Geschäfte auf die Senate bezieht sich nur auf die Senate als solche, nicht aber, worauf die Bundesregierung zu Recht hinweist, auf die Zuordnung von richterlichen Aufgaben an einzelne Richter eines nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senates. Aus dem vom Verwaltungsgerichtshof herangezogenen Prinzip der festen Geschäftsverteilung läßt sich kein verfassungsrechtliches Verbot ableiten, die Erledigung einer bestimmten, der Entscheidung in der Sache vorangehenden richterlichen Aufgabe einem solchen einzelnen Richter (nur das ist der vom Verwaltungsgerichtshof bekämpfte Inhalt des §14 Abs2 VwGG) zu überlassen.

3. Die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes treffen somit insgesamt nicht zu. Dem Antrag ist daher nicht Folge zu geben.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Verwaltungsgerichtshof, Gericht Organisation, Geschäftsverteilung, Berichterstatter VwGH, Wirkung aufschiebende VwGH

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:G87.1989

Dokumentnummer

JFT_10099385_89G00087_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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