TE Vfgh Erkenntnis 1990/6/21 V176/90, V177/90

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Veröffentlicht am 21.06.1990
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Index

L1 Gemeinderecht
L1000 Gemeindeordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2 B-VG Art117 Abs4 Sbg GdO 1976 §20 Abs4 Sbg LandesstraßenG 1972 §37 Abs1 Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde Untertauern vom 4.5.1988, Z248/-1988. "betr.: Bildung einer öffentl. Interessenten- straße der Waldherrstraße in Untertauern" .kundgemacht an der Amts- tafel vom 10.5.1988 bis 24.5.1988.

Leitsatz

Aufhebung der Verordnung einer Gemeindevertretung mangels ordnungsgemäßer Aufnahme der Beschlußfassung über diese Verordnung in die Tagesordnung der Gemeinderatssitzung

Spruch

Die Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde Untertauern vom 4. Mai 1988, Z248/-1988, "betr.: Bildung einer öffentl. Interessentenstraße der Waldherrstraße in Untertauern" (kundgemacht an der Amtstafel vom 10. Mai 1988 bis 24. Mai 1988), wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. November 1990 in Kraft.

Die Salzburger Landesregierung ist zur Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu B375/89 und B376/89 zwei Beschwerden gegen einen im aufsichtsbehördlichen Verfahren bestätigten Bescheid anhängig, mit dem nach Durchführung einer konstituierenden Genossenschaftsversammlung am 31. Mai 1988 die Interessentenweggenossenschaft "Waldherrweg" gebildet, die Mitglieder dieser Interessentenweggenossenschaft (darunter die Beschwerdeführer) festgestellt und die am 31. Mai 1988 von der Genossenschaftsversammlung beschlossene Satzung einschließlich Kostenaufteilungsschlüssel straßenbehördlich genehmigt wurde.

2. Aus Anlaß dieser Beschwerden hat der Verfassungsgerichtshof beschlossen, die Verordnung der Gemeindevertretung der Gemeinde Untertauern vom 4. Mai 1988, Z248/-1988, von Amts wegen gemäß Art139 Abs1 B-VG auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

Der Verfassungsgerichtshof ging im Einleitungsbeschluß vom 13. März 1990, B375/89 und B376/89, von der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Verordnung aus und äußerte im wesentlichen das Bedenken, daß die Tagesordnung der Gemeindevertretungssitzung vom 4. Mai 1988 einen eigenen Tagesordnungspunkt zur Behandlung der gegenständlichen Verordnung nicht vorsah, sodaß gemäß §20 der Salzburger Gemeindeordnung 1976, LGBl. für das Land Salzburg Nr. 56/1976 idF LGBl. Nr. 78/1985, eine - gesetzeskonforme - Beschlußfassung über die Verordnung nicht möglich war, und führte dazu aus:

"Der Verfassungsgerichtshof ist vorläufig der Ansicht, daß §20 der Salzburger Gemeindeordnung 1976 idF LGBl. für das Land Salzburg Nr. 78/1985 die Anordnung enthält, daß die Gemeindevertretung bei einer Sitzung nur über einen Gegenstand, der bereits ausdrücklich in der Tagesordnung bekanntgegeben wurde, einen Beschluß fassen darf. Diese Auffassung glaubt der Verfassungsgerichtshof einstweilen vertreten zu müssen, weil die Intention der Bestimmungen über die Einberufung darin zu liegen scheint, daß die Mitglieder der Gemeindevertretung so rechtzeitig über die Themen, über die bei der Sitzung ein Beschluß gefaßt werden soll, informiert sind, daß sie sich hierauf vorbereiten können. Dafür sprechen nicht nur die Fristen, die bei der Einberufung einzuhalten sind, sondern auch das ausdrückliche Gebot des Abs4, daß mit der Einberufung die Gegenstände der Tagesordnung bekanntzugeben sind.

Der Verfassungsgerichtshof ist vorläufig weiters der Ansicht, daß die in der Novelle, LGBl. für das Land Salzburg Nr. 67/1988, getroffene Anordnung daran nichts ändert, daß vielmehr durch die Novelle lediglich angeordnet wird, daß die Tagesordnung an ihrem Ende auch einen Punkt 'Sonstiges' oder 'Allfälliges' vorzusehen hat."

3.1. Die Salzburger Landesregierung verwies aufgrund der Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes, eine schriftliche Äußerung zu erstatten, auf die Ausführungen der Gegenschrift in den Beschwerdeverfahren und auf die Begründung ihres Bescheides vom 1. Februar 1989, Z1/04-29.949/5-1989. Dort heißt es zur Frage des ordnungsgemäßen Zustandekommens der Verordnung:

"... Die Vorschriften der Salzburger Gemeindeordnung über die Einberufung einer Gemeindevertretungssitzung dienen dem Schutz der Mitglieder der Gemeindevertretung selbst. Dabei unterlaufende Formmängel werden durch den Beschluß der Gemeindevertretung jedenfalls saniert. Da Gemeindevertreter H im Interessentenwegverfahren Partei ist, hätte er sich möglicherweise vor der Abstimmung aus dem Sitzungssaal entfernen müssen. Aber auch gegen seine Stimme ist der Beschluß ordnungsgemäß zustande gekommen."

3.2. Die Gemeindevertretung der Gemeinde Untertauern hat folgende Äußerung abgegeben:

"Die Gemeindevertretung von Untertauern hat eine mögliche Verordnung 'die Waldherrstraße in Untertauern' als öffentliche Interessentenstraße auszuweisen, bereits vor der öffentlichen Sitzung am 04. Mai 1988 eingehend erörtert. So wurde die Gemeindevertretung in öffentlichen Sitzungen am 11.09.1986 und am 19.10.1987 bereits über die Sachlage und über eine mögliche Übernahme der Waldherrstraße informiert.

Die Gemeindevertretung verfügte deshalb bereits lange vor der Einladung über ausreichende Informationen.

Der Bürgermeister wurde von der Gemeindevertretung zusätzlich gebeten, eine Rechtsauskunft über die Rechtmäßigkeit der Vorgangsweise der Gemeindevertretung beim Amt der Sbg. Landesregierung einzuholen. Das Inkrafttreten der Verordnung wurde erst nach Einholung der Rechtsauskunft veranlaßt.

Obwohl die Verordnung unter dem Tagesordnungspunkt Allfälliges beschlossen wurde, glaubt die Gemeindevertretung, nicht gesetzwidrig gehandelt zu haben, da die Information der Gemeindevertretung schon zu einem früheren Zeitpunkt ausreichend gegeben war und es bis zur Novellierung der Gemeindeordnung am 17.5.1988 durchaus üblich war, dringende Beschlüsse der Gemeindevertretung auch unter dem Tagesordnungspunkt Allfälliges zu fassen."

4. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

4.1. Die Annahme der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Verordnung trifft offenkundig zu; die Prüfung ist zulässig.

4.2. Es ist auch nichts hervorgekommen, was geeignet wäre, das unter Punkt 2. wiedergegebene Bedenken des Verfassungsgerichtshofes zu zerstreuen.

Der Verfassungsgerichtshof hat im Einleitungsbeschluß das Bedenken geäußert, daß die in Prüfung gezogene Verordnung §20 der Salzburger Gemeindeordnung 1976, LGBl. für das Land Salzburg Nr. 56/1976, widerspricht. Der für die Einberufung der Gemeindevertretung hier maßgebliche Abs4 des §20 der Salzburger Gemeindeordnung 1976 lautet wie folgt:

"(4) Zugleich mit der Einberufung sind die Gegenstände der Tagesordnung bekanntzugeben. Diese wird vom Bürgermeister festgesetzt, wobei er vorher die Mitglieder der Gemeindevorstehung und je einen namhaft gemachten Vertreter der in der Gemeindevorstehung nicht vertretenen Fraktionen der Gemeindevertretung anhören soll."

Die Gemeindevertretung der Gemeinde Untertauern bestätigt in ihrer Stellungnahme die Annahme des Verfassungsgerichtshofes, daß die Beschlußfassung unter dem Tagesordnungspunkt "Allfälliges" ohne vorausgehende Aufnahme des Themas in die Tagesordnung erfolgte. Die Tatsache, daß sich die Gemeindevertretung in vorangegangenen Sitzungen mit "einer möglichen Übernahme der Waldherrstraße" beschäftigt hat und daß es vor der Gemeindeordnungs-Novelle 1988 angeblich üblich war, dringende Beschlüsse auch unter dem Tagesordnungspunkt "Allfälliges" zu fassen, vermag das vom Verfassungsgerichtshof geäußerte Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung nicht zu entkräften. Auch wenn es tatsächlich üblich gewesen sein sollte, Beschlüsse unter dem Tagesordnungspunkt "Allfälliges" zu fassen, vermag dieser Umstand nichts daran zu ändern, daß ein solches Vorgehen die Verordnungserlassung mit Gesetzwidrigkeit belastet; dies insbesondere auch im Hinblick auf das Öffentlichkeitsgebot des Art117 Abs4 B-VG, aus welchem sich ergibt, daß dem Geschehen im Gemeinderat eine unmittelbar über die Mitglieder des Gemeinderates hinausgehende, potentiell alle Gemeindebürger betreffende Bedeutung zukommt.

Dazu kommt, daß es in den Erläuternden Bemerkungen zur Gemeindeordnungs-Novelle 1988 (Nr. 166 der Blg. zum stenographischen Protokoll des Salzburger Landtages (4. Session der 9. Gesetzgebungsperiode)) hinsichtlich der Ergänzung des §20 Abs4 heißt:

"Jede Tagesordnung hat einen Punkt 'Sonstiges' oder 'Allfälliges' zu enthalten. Gleichzeitig wird der allgemeine Rechtsgrundsatz für die Beschlußfassung in Kollegialbehörden niedergeschrieben, daß über Gegenstände, die unter diesem Tagesordnungspunkt erörtert werden, keine Beschlüsse in dieser Sitzung gefaßt werden können. Zu diesem Zweck müssen sie zum Gegenstand eines Tagesordnungspunktes einer späteren Sitzung gemacht werden."

In den Erläuterungen wird damit die Ansicht vertreten, daß §20 Abs4 idF der Novelle 1988 nur zum Ausdruck bringt, was als allgemeiner Rechtsgrundsatz schon vorher rechtens war.

Die Annahme im Einleitungsbeschluß, die Intention der Bestimmungen über die Einberufung liege darin, daß die Mitglieder der Gemeindevertretung so rechtzeitig über die Themen, über die bei der Sitzung ein Beschluß gefaßt werden soll, informiert sind, daß sie sich hierauf vorbereiten können, trifft somit zu. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner Auffassung, daß die in Prüfung gezogene Verordnung nicht ordnungsgemäß erlassen wurde und daher mit Gesetzwidrigkeit behaftet ist.

Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Verordnung gründet sich auf Art139 Abs5 dritter Satz B-VG.

Die Verpflichtung zur Kundmachung des Ausspruches durch die Salzburger Landesregierung im Landesgesetzblatt stützt sich auf Art139 Abs5 erster Satz B-VG.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung erfolgen.

Schlagworte

Gemeinderecht, Gemeinderat, Verordnungserlassung, Gemeindeverordnung, Öffentlichkeitsprinzip

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:V176.1990

Dokumentnummer

JFT_10099379_90V00176_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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