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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Mai 1992, Zl. 4.287.853/4-III/13-91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein bulgarischer Staatsangehöriger, reiste am 28. November 1989 in das österreichische Bundesgebiet ein, stellte am Tag danach einen Asylantrag und brachte bei seiner am 6. Dezember 1989 von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich durchgeführten niederschriftlichen Befragung im wesentlichen folgendes vor:
Er sei bulgarischer Abstammung, gehöre keiner Minderheit an und sei auch religiös nie verfolgt worden. Es sei ihm zwar einmal bei einer seiner Festnahmen ein Kreuz, das er an einer Halskette getragen habe, heruntergerissen worden, sonst habe er aber wegen seiner Religion (bulgarisch-orthodox) nichts zu befürchten gehabt und sei er auch deswegen nicht belästigt worden. Er sei von September 1972 bis 10. Jänner 1973 wegen "antiregimekritischer Musiktexte" als geistig Gesunder in einer Nervenheilanstalt in V angehalten worden und anschließend wegen einer Lungenentzündung bis Mitte 1973 in einer internen Abteilung gewesen. Er habe, um genesen zu können, in den nächsten zwei Jahren keiner Arbeit nachgehen können und seit 1987 keine Arbeit mehr bekommen.
Er weise zwei Vorstrafen auf, und zwar vom Dezember 1982 und vom Mai 1987, jeweils wegen versuchten illegalen Grenzübertritts nach Griechenland. Er habe seine Fluchtversuche wegen der Zustände in Bulgarien, die das Regime verschuldet habe, unternommen. Er sei daher auch nie bei der kommunistischen Partei und auch nie beim "DKMS" gewesen. Er habe schon immer Schwierigkeiten gehabt. Beim zweiten seiner Fluchtversuche sei er nach seiner Festnahme zwei Tage in L festgehalten und danach "nach V" gebracht worden. Dort habe man ihn mißhandelt und verletzt. "Diese Einweisungen" seien reine Schikane gewesen, weil er geistig völlig gesund gewesen sei. Seither leide er an einem "inneren Druck im Kopf"; er sei nämlich wiederholt "auf den Kopf geschlagen" worden.
In den letzten drei Jahren sei er zwar von der Geheimpolizei nicht mehr direkt belästigt worden. Er habe aber immer wieder in das Spital zu Kontrollen müssen. Er sei damit bedroht worden, daß er, wenn er wieder "etwas anstellen würde", wieder in die Klinik müsse. Dies sei ihm bei den Kontrollen gesagt worden. Dadurch habe er sich stark unter Druck gesetzt gefühlt. Da sein Leben somit äußerst schwierig geworden sei, habe er sich entschlossen, wieder zu flüchten. Dazu käme, daß er privat Liedermacher und Texter sei und seine Musik in Bulgarien nicht spielen habe dürfen.
Während seiner erzwungenen Spitalsaufenthalte sei er von den Ärzten derart mißbraucht worden, daß an ihm Medikamente ausprobiert worden seien. Zweimal sei er deswegen kurzzeitig gelähmt gewesen. Es sei ihm klar gewesen, flüchten zu müssen, um nicht wieder eingewiesen zu werden, was passiert wäre, wenn er seine Lieder und Texte veröffentlicht hätte. Er habe daher um eine Touristenerlaubnis in die Tschechoslowakei angesucht und einen Paß erhalten. In Sofia habe er ein Visum für Österreich bekommen.
Mit Erledigung vom 2. September 1990 stellte die Sicherheitsdirektion für das Burgenland fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling i.S. des Asylgesetzes sei.
Dagegen berief der Beschwerdeführer. Diese Berufung wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 26. August 1991, Zl. 4.287.853/3-III/13/91, gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurückgewiesen, weil der erstinstanzlichen Erledigung die Bescheidqualität mangelte.
Daraufhin stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien, in deren Zuständigkeitsbereich der Beschwerdeführer inzwischen verzogen war, mit Bescheid vom 2. September 1991 fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling i.S. des Asylgesetzes sei. Auch dagegen berief der Beschwerdeführer, wobei er ausführte, sein Vorbringen sei sehr wohl geeignet, seine Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Konvention zu begründen. Er verwies dabei auf sein Vorbringen beim "Erstinterview" und den Inhalt seiner zurückgewiesenen Berufung.
Im Berufungsverfahren legte der Beschwerdeführer Kopien beglaubigter Übersetzungen der Urteile des Kreis/Bezirks-Gerichtes von Varna vom 10. Mai 1989, Nr. 262 und des Kreisgerichtes Varna, Strafkollegium, vom 14. September 1989, Nr. 127 (Berufungsurteil), vor.
Der Spruch des Ersturteiles lautet:
"Der Angeklagte R, geboren 1949 in der Stadt D, Einwohner und wohnhaft in V, bulgarischer Staatsbürger, mit technischer Mittelschulausbildung, berufstätig, ohne Parteizugehörigkeit, nicht vorbestraft, Personenkennzahl n1, wird für SCHULDIG ERKANNT weil er im März 1988 in der Stadt Varna, nach entsprechender Warnung, weiterhin systematisch gegen die ihn ergriffene gesetzlich festgesetzte Kontroll-Maßnahme lt. § 39, al. I. Punkt 3, des Volksmilizgesetzes verstoßen hat, weshalb er auf Grund § 272, al. II. des Strafkodex, zu DREI JAHREN FREIHEITSENTZUG bei anfänglichem "allgemeinem Regime" gemäß § 46, B des Strafvollzugsgesetzes VERURTEILT WIRD.
Gegen das Urteil kann vor dem Kreisgericht V in einer Frist von 14 Tagen ab heute Einspruch erhoben werden."
Dem Einspruch wurde mit dem Urteil des Berufungsgerichtes nicht stattgegeben.
Die belangte Behörde wies die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes. Sie verwertete dabei, abgesehen von dem erstinstanzlichen Vorbringen des Beschwerdeführers, auch Teile aus der mit Bescheid vom 26. August 1991 zurückgewiesenen Berufung des Beschwerdeführers, wonach er im Jahre 1972 bei einem vom "XY" veranstalteten Musikfestival Lieder mit regimekritischen Texten vorgetragen habe und aus diesem Grund zwangspsychiatriert worden sei. Nachdem man ihn bei illegalen Fluchtversuchen aus Bulgarien "erwischt" habe, sei er in den Jahren 1982 und 1986 abermals in das psychiatrische Krankenhaus eingeliefert worden. Im Mai 1987 sei er trotz ablehnender Gerichtsbeschlüsse wieder für sechs Monate in die Anstalt eingeliefert worden. Als Beweisstück habe er eine Kopie des Vorschlages des Bezirksanwaltes in seinem Untersuchungsverfahren vorgelegt. Ein dritter Fluchtversuch im Winter 1988 sei auf Grund der Wetterlage gescheitert. Nach seinen Verurteilungen sei es ihm nicht mehr möglich gewesen, Arbeit zu finden, und sei er endgültig als Regimegegner abgestempelt worden.
Rechtlich vertrat die belangte Behörde die Auffassung, es wäre dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen, glaubhaft darzutun, daß er sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung, die sich auf Umstände beziehen müsse, die im zeitlichen Naheverhältnis zur Ausreise aus dem Heimatland lägen, außerhalb seines Heimatlandes befinde. Die vom Beschwerdeführer geschilderten Ereignisse datierten aus den Jahren 1972 bis 1986 und seien daher für eine Entscheidung nicht relevant. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung müsse nämlich bis zur Ausreise andauern. Das Recht auf Arbeit, ohne daß durch eine Verweigerung dessen die Lebensgrundlage entzogen werde, sei kein geschütztes Rechtsgut im Sinne der Konvention über die Rechtstellung der Flüchtlinge. Das gelte umsomehr dann, wenn der Verlust des Arbeitsplatzes vom Heimatstaat nicht adäquat verursacht und daher diesem nicht zurechenbar sei.
Ausdrücklich sagte die belangte Behörde noch folgendes: "Im übrigen scheint eine Furcht vor Verfolgung im Hinblick auf die geänderten politischen Verhältnisse in ihrem Heimatland - zumindest aus objektiver Sicht - begründbar."
In der dagegen wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobenen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, in seinem Recht auf Asylgewährung verletzt zu sein.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Dem Beschwerdeführer ist zu entgegnen, daß die einzigen fluchtnahen Fakten, die er geltend machte (die für die Jahre 1972, 1973 und 1982 behaupteten Umstände liegen nämlich, wie die belangte Behörde zu Recht betonte, zu weit zurück, um noch von Relevanz zu sein), und zwar die Verurteilung im Jahre 1987 und die nach seinen Behauptungen daraus folgenden, ständigen, mit Drohungen verbundenen Kontrollen im Spital sowie die Verurteilung aus dem Jahre 1989, selbst dann, wenn man vom eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers (einschließlich dem Inhalt der zurückgewiesenen Berufung und damit auch von einem Spitalsaufenthalt im Jahr 1987) ausgehen wollte, keinerlei ausreichend konkreten Bezug zu einem der von der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe erkennen lassen. Allein aus diesem Grund konnte daher eine Feststellung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers nicht in Frage kommen. Dem (im übrigen wegen des Fehlens des Wortes "nicht" einen offensichtlichen Schreibfehler enthaltenden) Argument des angefochtenen Bescheides hinsichtlich der Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatland des Beschwerdeführers kommt daher keine maßgebliche Bedeutung mehr zu, weshalb ein Eingehen darauf und auf die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen entbehrlich ist.
Die erstmals in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde aufgestellte Behauptung des Beschwerdeführers, er sei durch seine Verurteilung im Jahr 1987 "politisch derart abgestempelt" gewesen, daß ihn kein Arbeitgeber mehr eingestellt habe, wodurch ihm die Lebensgrundlage entzogen worden sei, stellt eine gemäß § 41 Abs. 1 VwGG unzulässige Neuerung dar.
Insoweit der Beschwerdeführer den Umstand als Verfahrensmangel rügt, daß die belangte Behörde auf die erzwungenen Spitalsaufenthalte und die dem Beschwerdeführer nach seinen Behauptungen dort widerfahrenen Umstände nicht eingegangen sei, ist er darauf zu verweisen, daß die Spitalsaufenthalte nach seinen eigenen erstinstanzlichen Angaben in den Jahren 1972 und 1973 stattfanden, sodaß ein weiteres Eingehen darauf schon mit Rücksicht auf die verstrichene Zeit (wie oben schon erwähnt) entbehrlich war, ohne daß die belangte Behörde dadurch ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet hätte. Was die in der zurückgewiesenen Berufung behaupteten, nicht näher konkretisierten Spitalsaufenthalte in den Jahren 1982, 1986 und 1987 betrifft, ist darauf hinzuweisen, daß die ersten beiden jedenfalls schon zu lange zurückliegen, um einen Fluchtgrund darstellen zu können und daß die belangte Behörde hinsichtlich des dritten Aufenthaltes mangels konkreter Behauptung, er stünde mit einem der Konventionsgründe in Zusammenhang, nicht gehalten war, darauf weiter einzugehen. Dasselbe gilt für die im Berufungsverfahren vorgelegten Urteile, weil sich daraus keineswegs die jetzt in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde ebenfalls in Verletzung des Neuerungsverbotes behauptete Bestrafung wegen Teilnahme an einer Demonstration gegen die Regierung ergibt. Der belangten Behörde ist daher kein Vorwurf zu machen, wenn sie sich mit diesen, offensichtlich gar nicht den Beschwerdeführer betreffenden Urkunden nicht weiter auseinandergesetzt hat.
Der angefochtenen Bescheid erweist sich daher insgesamt als frei von den behaupteten Rechtswidrigkeiten, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VO BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992010853.X00Im RIS seit
16.12.1992