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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde der S in K, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. April 1992, Zl. 4.332.277/2-III/13/92, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. April 1992 wurde festgestellt, daß die Beschwerdeführerin - die sich als Staatsangehörige Bosnien-Herzegowinas bezeichnet und am 2. Dezember 1991 mit ihrer Familie in das Bundesgebiet eingereist ist - nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerdeführerin hat anläßlich ihrer ersten Befragung im Asylverfahren am 6. Dezember 1991 angegeben, daß sie keiner Partei in ihrer Heimat beigetreten sei und auch immer ihre Religion als Moslem frei habe ausüben können. Sie sei geflüchtet, weil sie die Gepflogenheiten der Polizei kenne, die Drohungen in einem Zeitungsartikel der örtlichen Presse, den sie vorlegen könne, ernst nehme und um das eigene Leben und das ihrer Familie fürchte. Ihr Gatte sei aufgefordert worden, als Leiter der Rechtsabteilung einer Waffenfabrik illegale Lieferungen an die (Bundes-)Armee zuzulassen, was er abgelehnt habe und weshalb er mit dem Umbringen bedroht worden sei. In ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 3. Februar 1992 brachte die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf ihren schriftlichen (nicht näher begründeten) Asylantrag vor, daß hiefür politische Gründe maßgebend gewesen seien. Ihr Gatte habe in Jugoslawien "für die Kriminalabteilung" gearbeitet, und seine Aufgabe habe darin bestanden, Morde im Zusammenhang mit der Rekrutierung von Wehrpflichtigen für die Bundesarmee aufzuklären. Im September 1991 seien ihr Gatte und ihr Sohn von einem Offizier mit einer Schußwaffe bedroht worden, wobei einer ihrer Freunde angeschossen worden sei, worüber mehrere Zeitungen längere Zeit hindurch berichtet hätten. Gegen diesen Offizier sei nichts unternommen worden. Die ganze Familie habe aber über Nacht alles verloren, die Wohnung und "das Geld", ihr Gatte auch seine Stellung. Sie könnten nicht in ihre Heimat zurückkehren und hätten Angst, weil der Krieg noch lange nicht zu Ende sei, auch wenn Waffenruhe herrsche.
Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht zum Ausdruck gebracht, welcher der beiden, voneinander in wesentlichen Punkten abweichenden Darstellungen der Beschwerdeführerin sie im Rahmen ihrer Beweiswürdigung folgt. Sie legte das Schwergewicht ihrer Begründung darauf, daß sich "beinahe" das gesamte Vorbringen der Beschwerdeführerin auf Vorfälle und Ereignisse bezogen habe, welche gegen ihren Gatten gerichtet gewesen seien bzw. diesen betroffen hätten und eine gegen die Beschwerdeführerin gerichtete Verfolgung im Sinne der Konvention nicht erkennen ließen. Ihr ist zwar im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. unter anderem das Erkenntnis vom 16. Dezember 1992, Zlen. 92/01/0600-0602, mit weiteren Judikaturhinweisen) darin beizupflichten, daß eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach dem Asylgesetz nur in Betracht kommt, wenn es sich um Nachteile, die der Asylwerber selbst erleidet und nicht um solche, die seine Angehörigen hinzunehmen haben, handelt. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde wurden aber von der Beschwerdeführerin im Asylverfahren (sowohl anläßlich ihrer Erstbefragung als auch in ihrer Berufung) Umstände geltend gemacht, in denen auch sie selbst treffende wesentliche Nachteile gelegen sind, hinsichtlich derer überdies nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, daß sie auf Konventionsgründe zurückzuführen waren. Die belangte Behörde hätte sich daher mit diesen Angaben auseinanderzusetzen gehabt, wobei sie zu einem anderen, für die Beschwerdeführerin günstigeren Bescheid hätte kommen können.
Die Beschwerdeführerin wendet sich nämlich mit Recht auch gegen die zusätzliche Begründung im angefochtenen Bescheid, sie sei über Ungarn, ein Mitglied der Genfer Konvention, in das Bundesgebiet eingereist, es wäre ihr daher möglich gewesen, schon dort Asyl zu beantragen, und es erscheine, da sie dies nicht getan habe, nicht glaubhaft, daß sie "gravierenden Eingriffen in ihren Grundrechten" ausgesetzt gewesen sei, fehlt doch dieser Argumentation im Hinblick darauf, daß die Beschwerdeführerin nach der unbestrittenen Aktenlage ihr Heimatland am 1. Dezember 1991 verlassen hat und bereits am nächsten Tag in Österreich eingereist ist, ohne weitere Feststellungen die erforderliche Schlüssigkeit.
Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde hätte auf Grund der ihr bekannten Ereignisse im Heimatland der Beschwerdeführerin darauf Bedacht nehmen müssen, daß diese "jedenfalls sur place-Flüchtling" sei, einzugehen gewesen wäre.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992010772.X00Im RIS seit
20.11.2000