TE Vwgh Erkenntnis 1993/1/20 92/01/0894

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Veröffentlicht am 20.01.1993
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Kremla als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde der F in V, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in V, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Juni 1992, Zl. 4.303.428/3-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Dem durch eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides belegten Beschwerdevorbringen zufolge hat die Beschwerdeführerin, eine somalische Staatsangehörige, den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 8. April 1991, mit dem festgestellt worden war, bei ihr lägen die Voraussetzungen für ihre Anerkennung als Flüchtling nicht vor, mit Berufung bekämpft. Mit Bescheid vom 12. Juni 1992 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich ihrem gesamten Vorbringen nach in ihren Rechten auf Asylgewährung und auf ein mängelfreies Verfahren verletzt. Insbesondere habe es die belangte Behörde unterlassen, einen Bericht über die allgemeine Lage im Heimatland der Beschwerdeführerin einzuholen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach den unbestritten gebliebenen Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid hat die Beschwerdeführerin ihren Asylantrag bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 20. März 1991 damit begründet, daß ihr Vater Mitglied der in Opposition zur im Zeitpunkt ihrer Flucht herrschenden kommunistischen Partei stehenden demokratischen Partei SNM gewesen sei. Die Mutter der Beschwerdeführerin, die von der SNM finanziell unterstützt worden sei, sei 1984 verhaftet worden, weil das Militär den Aufenthalt und die Aktivitäten des Vaters der Beschwerdeführerin habe in Erfahrung bringen wollen. Von ihrer Mutter habe die Beschwerdeführerin nichts mehr gehört. Sie selbst sei verhört, im Dezember 1984 ebenfalls inhaftiert und bis September 1985 im politischen Gefängnis in H festgehalten worden. Während der Haft habe man die Beschwerdeführerin täglichen Folterungen und Mißhandlungen ausgesetzt, um "etwas politisches über ihren Vater" aus ihr herauszupressen. Nachdem die Beschwerdeführerin schließlich erlogene Aktivitäten ihres Vaters erzählt habe, sei sie nicht mehr gefoltert aber erst nach weiteren drei Monaten freigelassen worden. Die SNM, die den Stamm der Isaaq - diesem gehöre die Beschwerdeführerin an - vertrete, habe 1988 Anschläge und Angriffe gegen Regierungstruppen verübt, in deren Folge es zu schweren, noch andauernden Kämpfen und zur Zerstörung der Stadt H gekommen sei. Von 1988 bis 1989 hätten mehrere tausend Angehörige dieses Stammes den Tod gefunden. Die Beschwerdeführerin sei gemeinsam mit ihren Geschwistern nach Äthiopien und im Juni 1988 zu Fuß nach Somalia geflohen. Bis Dezember 1988 habe sie sich in Addis Abeba aufgehalten und sei dann nach Erlangung eines Visums wegen der in Äthiopien herrschenden Hungersnot in den Yemen ausgereist. Nach Ablauf des nur dreimal verlängerten Visums sei die Beschwerdeführerin nach einem Aufenthalt in Budapest illegal nach Österreich eingereist.

In der gegen die Abweisung ihres Asylantrages erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin ergänzend insbesondere aus, daß sie vom Dezember 1984 bis September 1985 mit ihrer Mutter gemeinsam im selben Gefängnis inhaftiert gewesen sei, jedoch nach ihrer Entlassung nichts mehr über das weitere Schicksal ihrer Mutter erfahren habe. Der Vater der Beschwerdeführerin sei 1988 während Angriffen der SNM gegen Regierungstruppen ums Leben gekommen. Im darauffolgenden, noch immer andauernden Bürgerkrieg seien somalische Städte zerstört, mehrere tausend Menschen getötet worden und seien Hunderttausende - so auch die Beschwerdeführerin und ihre Geschwister - nach Äthiopien geflüchtet.

Dieses Vorbringen hat die belangte Behörde im Hinblick auf die zwischen den im erstinstanzlichen Verfahren gemachten Angaben und den Ausführungen in der Berufung bestehenden Widersprüche (Verhaftung und Verschwinden der Mutter - gemeinsame Inhaftierung mit der Mutter; politische Aktivitäten des Vaters von Äthiopien aus - Tod des Vaters bei Kämpfen) als nicht glaubwürdig erachtet. Die Beschwerdeführerin habe keine konkreten Unterlagen zur Glaubhaftmachung ihrer Inhaftierung vorlegen können. Auch sei zu berücksichtigen, daß die Beschwerdeführerin einen Reisepaß ihres Heimatlandes besessen habe, der ihr nicht ausgestellt worden wäre, hätte man sie als politisch unzuverlässige Person eingestuft. Auf Grund des allerdings als nicht verfahrensentscheidend erachteten Umstandes des Sturzes der kommunistischen Regierung im Jänner 1991 verbunden mit der Proklamierung einer "Republik Somaliland" im nördlichen Teil Somalias und der Ankündigung einer Mehrparteiendemokratie, der Einführung der freien Marktwirtschaft und der Gewährung aller bürgerlichen Freiheiten durch die Führer der SNM erscheine die Verfolgung von Angehörigen dieser Partei "extrem unwahrscheinlich". Die durch die noch andauernden blutigen Auseinandersetzungen im Heimatland der Beschwerdeführerin bedingten Beeinträchtigungen hätten alle Bewohner hinzunehmen, sodaß diese nicht als Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention gewertet werden könnten.

Der belangten Behörde kann weder darin beigepflichtet werden, daß der Besitz eines Reisepasses als gegen das Vorliegen von Verfolgung sprechendes Indiz anzusehen sei (vgl. für viele andere z.B. das hg. Erkenntnis vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0453), noch kann ihr gefolgt werden, wenn sie die Ausrufung eines neuen Staates in einem Teilbereich des Heimatlandes der Beschwerdeführerin als Umstand erachtet, der eine Verfolgung der Beschwerdeführerin als unwahrscheinlich erscheinen ließe. Gerade der letztere Umstand könnte Anlaß bieten, im nicht durch den neuen Staat erfaßten Bereich des ehemaligen Staatsgebietes gegen Anhänger der neuen Machthaber mit besonderer Härte vorzugehen.

Der belangten Behörde ist aber insoweit zu folgen, wenn sie die aus dem Andauern des Bürgerkrieges im Heimatland der Beschwerdeführerin resultierenden Benachteiligungen, denen dort sämtliche Bewohner ausgesetzt sind, nicht als konkrete, individuell gegen die Beschwerdeführerin gerichtete Verfolgungshandlungen eingestuft hat. Die Beschwerdeführerin hat im Zuge des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens, dessen Ergebnis gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 der Entscheidung der belangten Behörde zugrunde zu legen ist, mit Ausnahme ihrer mit Mißhandlungen verbundenen Inhaftierung in den Jahren 1984 und 1985, keine über diese von der Gesamtheit der Bewohner ihres Heimatlandes zu erduldenden Beieinträchtigungen hinausgehenden, individuell gegen ihre Person gerichteten behördlichen Aktivitäten vorgebracht. Damit ist es ihr aber - wie die belangte Behörde im Ergebnis richtig erkannt hat - nicht gelungen, Fluchtgründe im Sinne der Flüchtlingskonvention darzutun. Bei dieser Sachlage kann eine Erörterung, ob die von der belangten Behörde in den Vordergrund ihrer Überlegungen gestellten Widersprüche im Vorbringen der Beschwerdeführerin tatsächlich der Glaubwürdigkeit ihres Vorbringens entgegenstanden bzw. ob in dieser Hinsicht gemäß § 16 abs. 1 Asylgesetz 1991 eine ergänzende Einvernahme erforderlich gewesen wäre, unterbleiben, weil bei der gebotenen Zugrundelegung der Angaben der Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Verfahren diesem Vorbringen Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention nicht entnehmbar ist.

Daß aber das Ermittlungsverfahren erster Instanz offenkundig mangelhaft und somit gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 zu wiederholen bzw. zu ergänzen wäre, kann weder dem Beschwerdevorbringen noch dem im angefochtenen Bescheid unwidersprochen widergegebenen Verfahrensverlauf entnommen werden. Vielmehr steht die in der Beschwerde geäußerte Auffassung, die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, Nachforschungen über die allgemeinen Verhältnisse im Heimatland der Beschwerdeführerin anzustellen, im Gegensatz zur hg. Rechtssprechung, derzufolge aus allgemein herrschenden politischen Verhältnissen das Vorliegen wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht abgeleitet werden kann (vgl. für viele andere z.B. das hg. Erkenntnis vom 5. November 1992, Zl. 92/01/0791), sodaß das Fehlen solcher Ermittlungen nicht als relevanter Verfahrensmangel gewertet werden kann.

Soweit die Beschwerdeführerin erstmals in der Beschwerde geltend macht, es bestehe im Fall ihrer Rückkehr in ihr Heimatland deshalb für sie höchste Lebensgefahr, weil das diktatorische Regime bestrebt sein müsse, sie als Zeugin des (an ihren Eltern begangenen) Verbrechens zu beseitigen, ist ihr - abgesehen davon, daß sie mit diesem Vorbringen dem gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herrschenden Neuerungsverbot unterliegt - zu entgegnen, daß diese Ausführungen auf durch keinerlei im Verwaltungsverfahren vorgebrachte Umstände bescheinigten Vermutungen beruhen und daß der gesamten Darstellung der Beschwerdeführerin kein Anhaltspunkt dafür entnommen werden kann, der darauf hindeutet, sie könne als Zeugin für den Tod ihres Vaters oder für Umstände, auf denen das Verschwinden ihrer Mutter beruht, angesehen werden.

Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, daß die behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992010894.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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