TE Vfgh Erkenntnis 1990/9/27 V95/90, V96/90

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Veröffentlicht am 27.09.1990
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art18 Abs2 B-VG Art139 Abs6 erster Satz MRK Art10 MRK Art10 Abs2 DSt 1872 §2 RAO §10 Abs2 RL-BA 1977 §45

Leitsatz

Keine Gesetz-(bzw Verfassungs-)widrigkeit des Werbeverbots für Rechtsanwälte im ersten Halbsatz des §45 RL-BA 1977; verfassungskonforme Interpretation; Wahrung von Würde und Ansehen des Anwaltsstandes bei Werbemaßnahmen zur Gewährleistung des Ansehens der Rechtsprechung; keine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit; hingegen keine gesetzliche Deckung der Verpflichtung zur Verhinderung von Werbemaßnahmen durch Dritte; keine verfassungskonforme Interpretation möglich

Spruch

1. Der zweite Halbsatz des §45 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977), beschlossen vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag (Vertreterversammlung) am 8. Oktober 1977, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 14. Dezember 1977 und im Anwaltsblatt 1977, S. 476, war gesetzwidrig.

Die Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.

Der Bundesminister für Justiz ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

2. Der erste Halbsatz des §45 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977), beschlossen vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag (Vertreterversammlung) am 8. Oktober 1977, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 14. Dezember 1977 und im Anwaltsblatt 1977, S. 476, war nicht gesetzwidrig.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit dem eine Mehrzahl von Disziplinarverfahren abschließenden Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) vom 11. April 1988 wurde der zu B1660/88 beschwerdeführende Rechtsanwalt, mit dem eine Mehrzahl von Disziplinarverfahren abschließenden Erkenntnis der OBDK vom 18. April 1988 wurde der zu B1661/88 beschwerdeführende Rechtsanwalt jeweils unter anderem schuldig erkannt, durch - näher bezeichnete - Unterlassungen und Handlungen Disziplinarvergehen wegen Verstoßes gegen §45 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter begangen zu haben.

Gegen diese Bescheide wenden sich die Beschwerden in den unter den oben angeführten Geschäftszahlen protokollierten Fällen, in welchen die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung gesetzwidriger Verordnungen und eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet werden und die Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß dieser Beschwerden beschlossen, gemäß Art139 Abs1 B-VG die Verfassungsmäßigkeit des §45 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977), beschlossen vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag am 8. Oktober 1977, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 14. Dezember 1977 und im Anwaltsblatt 1977, S. 476, von Amts wegen zu prüfen.

3. Der Bundesminister für Justiz hat im Verordnungsprüfungsverfahren mitgeteilt, daß er von der Erstattung einer inhaltlichen Äußerung absieht.

Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag hat in einer Äußerung die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmung verteidigt (s. unten unter Pkt. 4.4.)

4. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

4.1. §45 RL-BA 1977 lautet:

"Der Rechtsanwalt darf seine Person nicht reklamehaft herausstellen; er hat dafür zu sorgen, daß auch Dritte eine solche Hervorhebung unterlassen."

4.2. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag teilt in seiner Äußerung die vorläufigen Annahmen im Beschluß des Verfassungsgerichtshofes auf Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens, wonach die RL-BA 1977 eine Verordnung im Sinne des Art139 B-VG darstellen (Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, zB VfSlg. 9470/1982) und wonach der Gerichtshof den die Werbung durch einen Rechtsanwalt oder durch Dritte für ihn regelnden §45 dieser Verordnung bei Prüfung der angefochtenen Bescheide anzuwenden haben wird.

Da auch sonst nichts Gegenteiliges hervorkam, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

4.3. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes gegen §45 RL-BA 1977 gehen dahin, daß diese Vorschrift bei einer auf Art10 MRK Bedacht nehmenden Interpretation des Gesetzes (insbesondere des §2 des Disziplinarstatuts für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (DSt); zu dessen verfassungsrechtlicher Unbedenklichkeit s. VfSlg. 11007/1986 und die dort angeführte Vorjudikatur) gesetzlich nicht gedeckt sein dürfte.

Der Verfassungsgerichtshof hat seine Bedenken wie folgt formuliert:

"Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß auch die Werbung vom Schutzumfang des Art10 MRK umfaßt ist (siehe VfSlg. 10948/1986). Der Verfassungsgerichtshof zieht nicht in Zweifel, daß Beschränkungen der Werbetätigkeit eines Rechtsanwaltes zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer oder zur Gewährleistung des Ansehens der Rechtsprechung im Sinne des in Art10 Abs2 MRK enthaltenen Gesetzesvorbehaltes unentbehrlich sein können. Der Gerichtshof steht demgemäß auch auf dem Standpunkt, daß gesetzliche Bestimmungen, wonach ein Rechtsanwalt in seinem Benehmen die Ehre und Würde des Standes zu wahren hat und eine Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes der Disziplinarbehandlung unterliegt, durch den Gesetzesvorbehalt des Art10 Abs2 MRK gedeckt sind (vgl. die mit dem Erkenntnis VfSlg. 7494/1975 begonnene Rechtsprechung), sofern sie nicht eine über das Notwendige hinausgehende Beschränkung normieren. Es ist daher unter dem Aspekt des Art10 MRK sicherlich zulässig, eine marktschreierische oder sonst die Würde des Rechtsanwaltsstandes beeinträchtigende Art der Werbung unter disziplinäre Sanktion zu stellen.

a) Die in Prüfung gezogene Bestimmung (vor allem deren erster Satzteil) enthält zwar kein allgemeines Werbeverbot (vgl. Berka-Stolzlechner, 'Öffentlichkeitskontakte von Anwälten, Meinungsfreiheit und Werbeverbot', Wien 1988, S. 22 sowie Gebauer, 'Zur Werbung im Standesrecht der österreichischen Rechtsanwälte', Anwaltsblatt 1987, S. 419 ff. und 503 ff., hier S. 512), erfaßt aber anscheinend ganz allgemein jedes werbewirksame Auftreten ('reklamehaft herausstellen') des Rechtsanwaltes für seine Person, also etwa auch eine - mit der Hervorhebung der Person eines Rechtsanwaltes verbundene - an sich sachliche Information über die Tätigkeit eines Rechtsanwaltes, seine speziellen Wissensgebiete und Kenntnisse, seine spezifischen Erfahrungen oder dergleichen (vgl. Berka-Stolzlechner, aaO, S. 36 f., 43 f. sowie Gebauer, aaO,

S. 423).

Eine derart weitgehende Einschränkung der Werbung eines Rechtsanwaltes dürfte aber - selbst wenn man mit Berka-Stolzlechner (aaO, S. 79) annimmt, daß werberechtliche Regelungen im Hinblick auf Art10 MRK nur von geringerer Eingriffsintensität sind - weder im Interesse der Gewährleistung des Ansehens der Rechtsprechung noch zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer notwendig sein; sie scheint daher durch Art10 Abs2 MRK nicht gerechtfertigt zu sein (vgl. auch Mayer, 'Die Bezeichnung von Anwaltssozietäten, das Werbeverbot für Rechtsanwälte und die Grundrechte', ÖJZ 1988, S. 297).

Der Verfassungsgerichtshof hegt daher das Bedenken, daß die in Prüfung genommene Verordnungsbestimmung ihre gesetzliche Ermächtigung, versteht man diese im Lichte des Art10 MRK verfassungskonform, überschreitet und daher mit Gesetzwidrigkeit behaftet ist. Dieses Bedenken trifft sowohl den ersten als (des Zusammenhanges mit diesem wegen) auch den zweiten Halbsatz des §45 RL-BA 1977.

Zur Vermeidung von Mißverständnissen hält der Verfassungsgerichtshof dabei den Hinweis für angebracht, daß der Gerichtshof verpflichtet ist, eine - präjudizielle - Norm losgelöst von der Gestaltung des Anlaßfalles einer Überprüfung zu unterziehen, wenn er Bedenken gegen ihre Rechtmäßigkeit hat.

b) Gegen die Rechtmäßigkeit des zweiten Halbsatzes der in Prüfung genommenen Bestimmung bestehen aber noch weitere Bedenken, die dann zum Tragen kommen dürften, wenn die - unter a) explizierten - primären Bedenken nicht zutreffen sollten: Es scheint nämlich mit dem an den Rechtsanwalt gerichteten Gebot, 'dafür zu sorgen, daß auch Dritte eine solche Hervorhebung unterlassen', nicht nur ein - für sich nicht bedenkliches - Umgehungsverbot für die im ersten Satz normierte Rechtspflicht statuiert zu werden; vielmehr dürften dem Rechtsanwalt damit Verhaltenspflichten auferlegt werden, die im Hinblick auf Art10 MRK unverhältnismäßig zu sein scheinen (vgl. Berka-Stolzlechner, aaO, S. 36, 43 f. sowie Gebauer, aaO, S. 425).

Zur Anordnung derartiger Pflichten scheint aber §2 des Disziplinarstatuts - verfassungskonform angewendet - nicht zu ermächtigen, weshalb der zweite Halbsatz des §45 RL-BA 1977 auch aus diesem Grund gesetzwidrig sein dürfte."

4.4. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag vertritt die Auffassung, §45 RL-BA 1977 sei gesetzmäßig. Er begründet dies im wesentlichen wie folgt:

"Das 'Werbeverbot' stützt sich auf die gefestigten Gewohnheiten des Rechtsanwaltsstandes und spiegelt sich zunächst in einem 'ständigen Begleitwissen' der Standesgenossen wieder; diese Gewohnheiten kommen in einer nunmehr Jahrzehnte währenden Standespraxis (Richtlinien, Aufträge, Disziplinarentscheidungen) sowie in der einschlägigen Fachliteratur zum Ausdruck. Wenn auch Berka-Stolzlechner zu Recht darauf verweisen, daß das Werbeverbot im Grunde im Anwaltsstand fest verankert erscheint, nehmen die gefestigten Gewohnheiten des Anwaltsstandes durchaus auf gesellschaftliche Entwicklungen insbesondere in den Formen medialer Berichterstattung Rücksicht. So hat z.B. die OBDK in der Entscheidung vom 23.10.1989 (Bkd 25/89, Anw. 2/90, Seite 92) ausgesprochen, daß in der Veröffentlichung eines Fachartikels mit Lichtbild des Rechtsanwaltes in einem Magazin allein keine reklamehafte Herausstellung der Person des Rechtsanwaltes zu erblicken ist. In anderem Zusammenhang hat die OBDK ausgesprochen, daß 'sie sich bei wertender Betrachtung nicht zuletzt von der Erwägung leiten ließ, daß es die heutige in allen Lebensbereichen aufgeschlossene, vorurteilsfreie und ungebundene Denkungsweise nahelegt, die im Hinblick auf die tatbestandsmäßige Unbestimmtheit des §2 DSt notwendig präjudiziell ausgerichtete Disziplinargerichtsbarkeit von einer nicht mehr zeitgemäßen Überempfindlichkeit zu entlasten' (Entscheidung vom 20. November 1989, Bkd 41/89).

2.5. Die in Prüfung gezogene Richtlinie bietet somit eine taugliche rechtliche Grundlage, durch Interpretation aufgrund gesellschaftlicher Anschauungen und der gefestigten Gewohnheiten des Anwaltsstandes zu einer zulässigen, MRK-konformen Werbungsbeschränkung zu gelangen. Die Änderungen in den Gewohnheiten des Anwaltsstandes erfolgen aufgrund direktdemokratischer Legitimation, da im Rahmen der beruflichen Selbstverwaltung die Mitglieder der Ausschüsse (zuständig für Weisungen) und der Disziplinarräte und die dem Rechtsanwaltsstand angehörenden Mitglieder der OBDK von den Standesgenossen direkt gewählt werden und damit Auffassungen der Mehrheit widerspiegeln und repräsentieren.

2.6. Berka-Stolzlechner verweisen auf die Möglichkeit der Vertreterversammlung des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages durch die Erlassung entsprechender Richtlinienvorschriften (§37 Zif. 1 RAO) eine ihrer Ansicht nach der allgemeinen Standesauffassung widersprechende Spruchpraxis der OBDK zu 'korrigieren'. Um allfällige Unklarheiten in der Interpretation der in Prüfung gezogenen Richtlinie zu beseitigen und den Standesgenossen eine bessere 'Erkennbarkeit' der gefestigten Gewohnheiten des Anwaltsstandes zu gewährleisten, hat die Vertreterversammlung des ÖRAK in ihrer Tagung vom 2.3.1990 eine Neufassung des ArtVIII der Richtlinien beschlossen, deren Kundmachung bereits veranlaßt ist und auf diesem Wege dem Gerichtshof zur Kenntnis gebracht wird. Auch nach der neuen Fassung der 'Werberichtlinien' bleibt das reklamehafte Herausstellen verpönt; hingegen wird die sachliche Information zur Vermeidung von Fehlinterpretationen in den von den neuen Richtlinien gezogenen Grenzen zugelassen.

Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag hält somit ein reklamehaftes Herausstellen weiterhin für unzulässig, hat jedoch eine ihm nach gewandelter Standesauffassung notwendige Abgrenzung zu fachlich-informativen Aussagen, die werbewirksamen Charakter haben können, geschaffen.

3. Die Bedenken des Gerichtshofes gegen die Rechtmäßigkeit des zweiten Halbsatzes der in Prüfung gezogenen Bestimmung liegen darin, daß das an den Rechtsanwalt gerichtete Gebot 'dafür zu sorgen, daß auch Dritte eine solche Hervorhebung unterlassen', nicht nur ein - für sich nicht bedenkliches - Umgehungsverbot für die im ersten Satz normierte Rechtspflicht statuiert, sondern auch dem Rechtsanwalt damit eine unverhältnismäßige Verhaltenspflicht auferlegt. Diesen Bedenken tritt der Österreichische Rechtsanwaltskammertag entgegen und führt aus, daß - wie dies in der Richtlinie §47 (neu) nunmehr expressis verbis formuliert wird - der Rechtsanwalt - in zumutbarer Weise dafür zu sorgen hat, daß standeswidrige Werbung für ihn durch Dritte, insbesondere durch Medien, unterbleibt. Zutreffend verweist Faseth ('Die Werbung im Spiegel des Disziplinarrechtes', Anw. 1/1987, Seite 10ff.) darauf, daß sich die personale Rechtspflicht zur Hinderung (Erfolgsabwendung) bei Rechtsanwälten aus der positiv rechtlichen Anordnung des ArtVIII der Richtlinien ergibt. In der Regel geht es bei den auf Sachverhalte standeswidriger Werbung in Medien gerichteten Disziplinarverfahren nicht um in den Medien verbreitete informative Angaben über den Rechtsanwalt, sondern um Besonderheiten seiner privaten Sphäre wie einen besonderen Aufwand in seiner Lebenführung. Dies sichert dem auf solche Weise dargestellten Rechtsanwalt in bestimmten Teilen der Öffentlichkeit das Image eines 'Staranwaltes', wobei wie beim 'Modearzt' überdurchschnittliche Honorare, die den aufwendigen Lebensstil des auf solche Weise in Erscheinung tretenden Rechtsanwaltes decken, in Kauf genommen werden. Für den Rechtsanwaltsstand in seiner Gesamtheit wird auf diese Weise ein untypisches Bild vermittelt, da der Durchschnittsleser annehmen muß, daß er zwangsläufig mit seinem Honorar den aufwendigen Lebensstil der Rechtsanwälte finanziert. Insoferne besteht ein berechtigtes Interesse des Berufsstandes, 'Schleichwerbung' durch reklamehaftes Herausstellen von Informationen, die mit der beruflichen Leistung des Rechtsanwaltes in keinem Zusammenhang stehen, einzudämmen."

4.4.1. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Prüfungsbeschluß davon aus, daß auch die Werbung eines Rechtsanwaltes vom Schutz des Art10 MRK erfaßt sei, sodaß werbebeschränkende Maßnahmen nur unter den Voraussetzungen des zweiten Absatzes dieser Bestimmung zulässig sind. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag trat dieser im Prüfungsbeschluß geäußerten Annahme des Verfassungsgerichtshofes nicht entgegen. Er meinte jedoch - auf das Wesentlichste zusammengefaßt -, daß die in Prüfung gezogene Verordnungsbestimmung den gefestigten Gewohnheiten des Rechtsanwaltsstandes entspräche und "eine an der standesrechtlichen Grundsatzbestimmung des §10 Abs2 RAO ('Ehre und Würde des Standes') orientierte Werbebeschränkung" sei.

    Im Erkenntnis VfSlg. 10948/1986 hatte der

Verfassungsgerichtshof dargetan, daß auch die kommerzielle Werbung

in den Schutzbereich des Art10 MRK falle. Diese Ansicht wurde

auch wiederholt vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

vertreten (Fall Barthold, EuGRZ 1985, 173; Fall Markt Intern, Revue

Universelle des Droits de l' Homme 1989, 240). Demnach kann der

Gesetzgeber (bei Vorliegen einer entsprechenden

Verordnungsermächtigung auch der Verordnungsgeber)

Werbebeschränkungen für Rechtsanwälte vorsehen, "wie sie in einer

demokratischen Gesellschaft im Interesse ... des Schutzes des guten

Rufes und der Rechte anderer und um ... das Ansehen und die

Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten unentbehrlich sind" (zur Korrektur der Übersetzung vgl. VfSlg. 6288/1970).

Auch Werbebeschränkungen, die sich auf gefestigte Standesauffassungen berufen, müssen Art10 Abs2 MRK entsprechen, sodaß im konkreten Fall dahingestellt bleiben kann, ob es angesichts der Novellierung des §45 RL-BA 1977 (Beschluß der Vertreterversammlung vom 2. März 1990, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 24. März 1990), die auch vom Rechtsanwaltskammertag als eine Anpassung an gesellschaftliche Entwicklungen verstanden wird, solche gefestigte Standesauffassungen überhaupt (noch) gibt.

Daß Werbebeschränkungen, die für den Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, wie etwa Werbebeschränkungen nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ergeben, auch für Rechtsanwälte zulässig sind, steht im gegenständlichen Fall außer Diskussion. Die in Prüfung gezogene Verordnungsbestimmung beschränkt sich aber nicht bloß auf solche Fälle.

Der Verfassungsgerichtshof hatte daher zu untersuchen, ob die Gewährleistung des Ansehens der Rechtsprechung Werbebeschränkungen für Rechtsanwälte rechtfertigen könnte, zumal nur ein Teil der Tätigkeit der Rechtsanwälte in der Vertretung vor Gerichten besteht. Da aber das Bild des Rechtsanwaltes nach wie vor wesentlich durch seine forensische Tätigkeit geprägt ist, kann der Verordnungsgeber nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes Werbebeschränkungen zur Gewährleistung des Ansehens der Rechtsprechung für die Rechtsanwaltschaft insgesamt festlegen, weil es dem Ansehen der Rechtsprechung abträglich wäre, wenn durch Werbemaßnahmen einzelner ihrer Mitglieder, mögen auch die einzelnen Mitglieder nicht forensisch tätig sein, der Stand insgesamt unseriös erscheint, wie etwa bei marktschreierischen Werbemaßnahmen oder überhaupt bei einer Werbung, die nicht in der sachlichen Information über die Tätigkeit eines Anwalts, sein spezielles Wissensgebiet und seine Kenntnisse, seine speziellen Erfahrungen oder dergleichen liegt (vgl. Berka-Stolzlechner, Öffentlichkeitskontakte von Anwälten, Meinungsfreiheit und Werbeverbot, Wien 1988, S. 36 f., 43 f., sowie Gebauer, Zur Werbung im Standesrecht der österreichischen Rechtsanwälte, Anwaltsblatt 1987, S. 423).

§10 Abs2 RAO, der inhaltlich die in Prüfung gezogene Verordnungsbestimmung determiniert, ist demnach verfassungskonform nur der Inhalt zu unterstellen, daß Rechtsanwälte auch bei Werbemaßnahmen die Ehre und Würde des Standes so weit zu wahren haben, daß das Ansehen der Rechtsprechung gewährleistet ist. Eine solche, auf Art10 Abs2 MRK Bedacht nehmende verfassungskonforme Interpretation des Gesetzes hat auch der Verordnungsgeber zu beachten. Im Verfahren ist nichts hervorgekommen, was gegen diese Prämissen, die der Verfassungsgerichtshof schon im Prüfungsbeschluß geäußert hat, sprechen könnte.

Entgegen der vorläufigen Annahme im Prüfungsbeschluß ist der Verfassungsgerichtshof jedoch der Meinung, daß eine gesetzeskonforme (und indirekt auch verfassungskonforme) Auslegung des ersten Halbsatzes des §45 RL-BA 1977 möglich ist:

Der erste Halbsatz verbietet nämlich nicht reklamhafte Maßnahmen, also Werbemaßnahmen des Rechtsanwaltes schlechthin, sondern das Herausstellen der Person des Rechtsanwaltes bei seinem Auftreten in der Öffentlichkeit. Von der Werbebeschränkung ist also ein Verhalten des Anwaltes betroffen, bei dem die Person des Anwaltes als solche in den Vordergrund gestellt wird und die Person nicht lediglich im Zusammenhang mit der Sachinformation über die berufliche Tätigkeit des Anwaltes erwähnt wird. Bei dieser vom Wortlaut (noch) gedeckten Auslegung des ersten Halbsatzes des §45 RL-BA 1977 widerspricht er nicht dem Gesetz. Der Verordnungsgeber kann zu Recht davon ausgehen, daß ein Rechtsanwalt, der bei seinem Auftreten in der Öffentlichkeit seine Person in den Vordergrund stellt und nicht seine Qualifikation und sein Leistungsangebot, unseriös wirkt und damit auch das Ansehen der Rechtsprechung gefährdet.

Es war daher auszusprechen, daß der erste Halbsatz des §45 RL-BA 1977 nicht verfassungswidrig war.

4.4.2. Der zweite Halbsatz des §45 RL-BA 1977 verpflichtet den Rechtsanwalt, "dafür zu sorgen", daß auch Dritte eine "solche Hervorhebung" unterlassen. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag meint in seiner Äußerung, daß dieser zweite Halbsatz die sogenannte "Schleichwerbung" verhindern soll, indem er den Rechtsanwalt verpflichte, in zumutbarer Weise dafür zu sorgen, daß standeswidrige Werbung für ihn durch Dritte, insbesondere durch Medien, unterbleibe.

Würde sich der zweite Halbsatz der angefochtenen Verordnungsbestimmung darauf beschränken, Umgehungshandlungen zu verhindern, so wäre er unbedenklich. Der zweite Halbsatz geht jedoch über ein solches Umgehungsverbot hinaus, indem dem Rechtsanwalt Verhaltenspflichten auferlegt werden. Er verlangt nämlich ein aktives Eingreifen des Anwaltes gegenüber Dritten, die Berichte über seine Person bringen (vgl. hiezu auch die bei Berka-Stolzlechner, a.a.O., S. 36 und 43 wiedergegebene Judikatur der OBDK). Das Gebot der aktiven Verhinderung der Werbung mit der Person des Rechtsanwaltes ist durch §2 DSt nicht gedeckt. Nach dieser Bestimmung unterliegt der Disziplinarbehandlung ein Rechtsanwalt, der durch sein Benehmen die Ehre oder das Ansehen des Standes beeinträchtigt. Für das Benehmen anderer hat der Rechtsanwalt nach dieser Bestimmung nicht einzustehen, soferne er nicht dieses Benehmen anderer selbst veranlaßt oder fördert. Eine gesetzeskonforme (verfassungskonforme) Auslegung dieser Bestimmung erscheint dem Verfassungsgerichtshof nicht möglich. Die aktive, die standeswidrige Werbung fördernde Tätigkeit ist schon im ersten Halbsatz der genannten Verordnungsbestimmung erfaßt. Dem zweiten Halbsatz kommt somit (zumindest auch) die Bedeutung eines Gebotes zu, Werbemaßnahmen durch Dritte, an denen der Rechtsanwalt selbst nicht aktiv mitgewirkt hat, zu verhindern. Damit hält sich der zweite Halbsatz der in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmung aber nicht mehr im Rahmen des §2 DSt.

5. Im Hinblick auf die mit Beschluß vom 16. März 1990 vorgenommene Änderung des §45 RL-BA 1977 war auszusprechen, daß der zweite Halbsatz des §45 RL-BA 1977 gesetzwidrig war. Der Verfassungsgerichtshof findet keinen Grund, die Wirkung dieses Ausspruches auf den Anlaßfall zu beschränken. Daher schließt der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs6 B-VG die Anwendung der gesetzwidrigen Bestimmung auch auf andere Tatbestände aus.

Die Verpflichtung zur Kundmachung dieses Ausspruches durch den Bundesminister für Justiz im Bundesgesetzblatt stützt sich auf Art139 Abs5 zweiter Satz B-VG.

Hingegen war auszusprechen, daß der erste Halbsatz des §45 RL-BA 1977 in der Fassung vor dem Beschluß vom 16. März 1990 nicht gesetzwidrig war.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Berufsrecht Rechtsanwälte, Werbeverbot (Rechtsanwälte), Meinungsäußerungsfreiheit, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:V95.1990

Dokumentnummer

JFT_10099073_90V00095_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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