TE Vwgh Erkenntnis 1993/2/22 91/10/0084

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Veröffentlicht am 22.02.1993
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Index

80/02 Forstrecht;

Norm

ForstG 1975 §13 Abs8;
ForstG 1975 §37 Abs1;
ForstG 1975 §37 Abs3;
ForstG 1975 §37 Abs4;
ForstG 1975 §39 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des F in Z, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in Z, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 10. November 1989, Zl. IIIa2-1305/5, betreffend Übertretung des Forstgesetzes 1975, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.170,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 10. November 1989 wurden drei Straferkenntnisse der Bezirkshauptmannschaft vom 3. August 1989, mit denen der Beschwerdeführer jeweils wegen einer Übertretung des § 174 Abs. 1 lit. a Z. 15 des Forstgesetzes 1975 (in der Folge: ForstG) zu zwei, drei und vier Wochen Primärarrest verurteilt worden war, "ersatzlos behoben", das weitere Straferkenntnis der BH vom 3. August 1989, mit dem der Beschwerdeführer wegen Übertretung der zitierten Bestimmung des ForstG zu drei Wochen Primärarrest verurteilt worden war, abgeändert und der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe 1. am 31. Mai 1989 gegen 15.00 Uhr mit 10 Stück Weidevieh auf Gp 701/1 der KG R,

2. am 15. Juni 1989 gegen 10.30 Uhr mit 22 Kühen, 14 Kalbinnen und 18 Kälbern auf den Gpn. 701/1, 701/5, 701/10 und 704 der KG R, 3. am 19. Juni 1989 zwischen 14.30 Uhr und 15.30 Uhr mit 61 Stück Kühen, Kalbinnen und Kälbern auf den Gpn. 701/1 und 701/5 der KG R und 4. am 30. Juni 1989 zwischen 10.30 Uhr und 11.15 Uhr mit 18 Stück Vieh (Kühe, Kalbinnen und Kälber) auf den Gpn. 701/1, 701/5, 701/10 und 704 der KG R auf den Schonungsflächen im Bereich der "X-Alpe"

entgegen den Bestimmungen des § 37 Abs. 3 ForstG die Waldweide ausgeübt. Er habe hiedurch EINE Verwaltungsübertretung nach § 174 Abs. 1 lit. a Z. 15 ForstG begangen. Es wurde eine Primärfreiheitsstrafe in der Dauer von vier Wochen verhängt. In der Begründung führte die Behörde aus, es sei durch die unbestritten gebliebene Ausübung der Waldweide "eine erkennbare Gefährdung der weiteren Entwicklung der aufgeforsteten Pflanzen zu erblicken". Insofern aber "in der Frage der ungeklärten Weiderechte auf der Alpe "X" dem behaupteten bestehenden Alpzwang sowie der geltend gemachten ungenügenden Pflege der Aufforstungsflächen ein Ausnahmetatbestand zum Verbot des § 37 Abs. 3 Forstgesetz 1975 nicht zu erblicken" sei, sei sohin der Tatbestand des § 174 Abs. 1 lit. a Z. 15 ForstG in objektiver Hinsicht gegeben. Im Hinblick auf die mehrfachen einschlägigen Vorstrafen des Beschwerdeführers treffe diesen jedenfalls der Vorwurf des Vorsatzes. Unter Würdigung der zahlreichen zur Anzeige gebrachten Übertretungen des Weideverbotes sowie der Rechtfertigungsgründe des Beschwerdeführers in diesem sowie in früheren anhängig gewesenen Verfahren ergebe sich, daß die ihm vorgeworfenen Tathandlungen von dem Gesamtvorsatz, die Weide während der Bewirtschaftungszeit der Alpe "X" in deren gesamten Bereich auszuüben, getragen werden. Insofern diese Weidetätigkeit aber im örtlichen, zeitlichen und sachlichen Zusammenhang der Alpbewirtschaftung stehe, erscheine eine gesonderte Bestrafung der einzelnen Tathandlungen nicht zulässig. Vielmehr seien diese Übertretungen, deren jede für sich den Tatbestand desselben Deliktes erfülle, rechtlich als ein einziges Delikt zu behandeln (sogenanntes fortgesetztes Delikt).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluß vom 4. März 1991, B 1588/89, ablehnte und sie antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

In seiner im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erstatteten Beschwerdeergänzung bringt der Beschwerdeführer vor, der Tatbestand des § 174 Abs. 1 lit. a Z. 15 ForstG setze voraus, daß es sich bei jenen Flächen, auf denen die Waldweide ausgeübt werde, um Schonungsflächen im Sinne des ForstG handle. Sobald eine Aufforstungsfläche als gesichert im Sinne des § 13 Abs. 8 ForstG gelte, könne von einer Schonungsfläche nicht mehr gesprochen werden. Es liege ein Gutachten eines Zivilingenieurs für Forst- und Holzwirtschaft und allgemein gerichtlich beeideten Sachverständigen vom 16. März 1989 vor, in dem eindeutig festgestellt werde, daß alle Kriterien des § 13 Abs. 8 ForstG bereits im Sommer 1987 vorgelegen seien. In völliger Übereinstimmung mit diesen Ausführungen des Sachverständigen habe die Bezirkshauptmannschaft

- Bezirksforstinspektion - in dem Schreiben vom 16. Dezember 1987 festgestellt, daß die Aufforstung auch im Bereich der verfahrensgegenständlichen Grundparzellen flächenhaft sehr gut angekommen sei und als gesichert bezeichnet werden könne. Aus all dem ergebe sich, daß bereits im Sommer 1987 von einer Schonfläche keine Rede mehr gewesen sein könne; umsoweniger habe es sich im Juni 1989, als der Beschwerdeführer sein Vieh auf diese Flächen getrieben habe, um Schonflächen gehandelt.

Nach dem Tiroler Almschutzgesetz, LGBl. Nr. 49/1987, sei der Beschwerdeführer verpflichtet, die in Rede stehenden Grundstücke zu bewirtschaften. Der Beschwerdeführer habe im Verwaltungsverfahren mehrmals darauf hingewiesen, daß auf Grund der Servituten-Regulierungsurkunde vom 5. November 1880 nach wie vor ein Weiderecht auf Grundstück Nr. 701 für ihn bestehe.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Mit Beschluß vom 30. September 1992 hat der Verwaltungsgerichtshof die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gemäß § 41 Abs. 1 VwGG zu der weder im Verwaltungsstrafverfahren noch in der Beschwerde erörterten Frage gehört, ob die Berufung des Beschwerdeführers gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis einen begründeten Berufungsantrag enthalten habe und ob nicht die belangte Behörde statt mit einer Entscheidung in der Sache mit einer Zurückweisung vorzugehen gehabt hätte.

Der Beschwerdeführer hat zu dieser Frage in seinem Schriftsatz vom 7. Dezember 1992 nicht Stellung genommen. Die belangte Behörde vertrat die Auffassung, es liege ein begründeter Berufungsantrag vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Berufung des Beschwerdeführers gegen die erstinstanzlichen Straferkenntnisse hat folgenden Wortlaut:

"Innerhalb offener Frist bringe ich gegen das o.a. Straferkenntnis Berufung ein und ersuche zwecks Einholung einer Stellungnahme eines Forstsachverständigen hiezu um die Einräumung einer Frist von etwa vier Wochen d.i. bis etwa Ende September (wegen Urlaubszeit). Bei Bekanntwerden dieser Stellungnahme werde ich unverzüglich die Berufungsanträge ergänzen.

Das gegenständliche Straferkenntnis wird auf jeden Fall im vollen Umfange angefochten. Es ist zu Unrecht erlassen worden.

Was die Bestätigung des VerwGH. anlangt, wie die Behörde behauptet, muß auch berücksichtigt werden, daß die vorgekommenen neuen Tatsachen wegen "Neuerung" nicht berücksichtigt wurden u. daher auch nicht behandelt werden konnten.

Durch die Anrufung der Obersten Gerichte wird dies dann sicherlich einer Klärung zugeführt werden.

Ich beantrage nochmals, die Berufungsergänzung bis ca. 25. Sept. 1989 abgeben zu können."

Der Hinweis des Beschwerdeführers in seiner Berufung auf "unberücksichtigte Neuerungen" in einem Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bezieht sich darauf, daß die Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz in der Begründung ausgeführt hatte, im Hinblick auf die bereits bisher durchgeführten Verwaltungsstrafverfahren, die auch teilweise vom Verwaltungsgerichtshof bestätigt worden seien, müsse davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführer vorsätzlich handle. Der entsprechende Passus in der Berufung des Beschwerdeführers kann als Hinweis darauf verstanden werden, daß sich seiner Meinung nach die Rechtswidrigkeit der bekämpften erstinstanzlichen Bescheide aus Tatsachen ergibt, die bereits in einem Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend gemacht wurden und der Behörde bekannt seien, dort aber wegen des nach § 41 VwGG geltenden Neuerungsverbotes nicht berücksichtigt wurden. Somit enthält die Berufung ein Element, das gerade noch als begründeter Berufungsantrag gedeutet werden kann. Die belangte Behörde hat daher zur Recht meritorisch über die Berufung des Beschwerdeführers entschieden.

§ 37 ForstG lautet auszugsweise:

"(1) Durch die Waldweide darf die Erhaltung des Waldes und seiner Wirkungen (§ 6 Abs. 2) nicht gefährdet werden.

(2) Der Viehtrieb ist unter Rücksichtnahme auf die nötige Waldschonung, erforderlichenfalls auch auf zumutbaren Umwegen, durchzuführen.

(3) In zur Verjüngung bestimmten Waldteilen, in denen das Weidevieh die bereits bestehende oder erst heranzuziehende Verjüngung schädigen könnte (Schonungsflächen), darf die Waldweide nicht ausgeübt werden. Die Weidetiere sind von den Schonungsflächen fernzuhalten. Auf Antrag des Waldeigentümers oder des Weideberechtigten hat die Behörde unter Bedachtnahme auf die nach § 12 festgelegten Grundsätze den Umfang, die Dauer und die Kennzeichnung der Schonungsflächen durch Bescheid festzulegen.

(4) Die für Weiderechte in Einforstungswäldern geltenden Bestimmungen der Regulierungsurkunden werden durch die Regelungen der Abs. 1 und 3 nicht berührt."

Die belangte Behörde vertritt in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Auffassung, wenn durch eine Beweidung eine erkennbare Gefährdung der weiteren Entwicklung der Aufforstung einträte, gehe das Weideverbot des § 37 Abs. 3 ForstG den in Regulierungsurkunden verbrieften Rechten vor.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 37 Abs. 4 ForstG genießen die Bestimmungen in Regulierungsurkunden Vorrang vor dem Weideverbot des § 37 Abs. 3 leg. cit. Dieser Vorrang besteht unabhängig davon, ob durch die Waldweide Schaden angerichtet werden kann oder nicht. Die belangte Behörde hat es, ausgehend von ihrer gegenteiligen Auffassung, unterlassen, sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend Weiderechte auseinanderzusetzen und festzustellen, ob solche Rechte bestehen und welchen Inhalt sie haben. Sie hat damit ihren Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Schutzobjekt des § 37 Abs. 3 ForstG sind - im Gegensatz zu § 37 Abs. 1 leg. cit. - zur Verjüngung bestimmte Waldteile bzw. Verjüngungen. § 37 Abs. 3 ForstG enthält keine Definition der Verjüngung und läßt insbesondere auch nicht erkennen, wie lange eine wiederbewaldete Fläche als Verjüngung anzusehen ist. Ein Anhaltspunkt dafür ist aber aus § 13 Abs. 8 leg. cit. zu gewinnen. Danach gilt eine Verjüngung als gesichert, wenn sie durch mindestens drei Wachstumsperioden angewachsen ist, eine nach forstwirtschaftlichen Erfordernissen ausreichende Pflanzenzahl aufweist und keine erkennbare Gefährdung der weiteren Entwicklung vorliegt. Hat eine durch Aufforstung oder Naturverjüngung wiederbewaldete Fläche den Zustand des Gesichertseins erreicht, so kann davon ausgegangen werden, daß die Verjüngung beendet ist. Unter diesem Aspekt kommt dem Vorbringen des Beschwerdeführers, ein von ihm beigezogener Sachverständiger habe in Übereinstimmung mit dem oben zitierten Schreiben der Bezirksforstinspektion bereits im Jahr 1987 festgestellt, daß die Verjüngung auf den in Rede stehenden Parzellen gesichert sei, Bedeutung zu. Träfe dies zu, dann wäre ab diesem Zeitpunkt kein absolutes Weideverbot nach § 37 Abs. 1 ForstG mehr vorgelegen. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß bei einer später erfolgten Beweidung Schäden an den Kulturen entstanden. Sie sind nach § 37 Abs. 1 ForstG zu beurteilen. Die Waldweide kann Schäden auch an solchen Forstkulturen verursachen, die längst über das Stadium der Verjüngung hinaus sind. Dies schließt es aus, § 37 Abs. 3 ForstG so auszulegen, daß eine Verjüngung so lange vorliegt, als durch das Weidevieh Schäden an der Forstkultur hervorgerufen werden können. Waren daher - wie der Beschwerdeführer behauptet - im Jahre 1987 die Voraussetzungen des § 13 Abs. 8 leg. cit. gegeben, lag insbesondere auch keine erkennbare Gefährdung der weiteren Entwicklung - sei es bei Ausübung der Waldweide, sei es aus sonstigen Gründen - vor, so verloren die Waldflächen nach diesem Zeitpunkt den Status einer Verjüngung iSd § 37 Abs. 3 ForstG. Im Jahre 1989 durch eine Beweidung aufgetretene Schäden wären nach § 39 Abs. 1 leg. cit. zu beurteilen. Die belangte Behörde hat sich in der Begründung ihres Bescheides mit dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ausreichend auseinandergesetzt. Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufungsergänzung auf ein Gutachten aus dem Frühjahr 1989 verwiesen, welches der Behörde bereits aus anderen Verfahren bekannt sei, und gleichzeitig eine weitere Äußerung des Gutachters vorgelegt. Die belangte Behörde hat dazu lediglich ausgeführt, die Äußerungen dieses Gutachters seien kein taugliches Beweismittel, weil die dem Gutachten zugrundeliegende Begehung der Aufforstungsflächen am 14. März 1989 erfolgt sei und selbst bei geringer Schneelage die flächenhafte Gefährdung durch Vertritt und die damit verbundenen Schäden im Bereich des Stammansatzes sowie der Wurzeln nicht begutachtet hätten werden können. Diese Aussage reicht schon deshalb nicht aus, um die Schlüssigkeit des Gutachtens zu beurteilen, weil aus dem Akt nicht hervorgeht, in welcher Weise der Gutachter seine Äußerungen begründet hat. Im Akt befindet sich zwar ein Gutachten des vom Beschwerdeführer beigezogenen Dr. N; dieses bezieht sich aber erkennbar auf einen anderen Gegenstand als das vom Beschwerdeführer in seiner Berufungsergänzung bzw. in der dieser beiliegenden ergänzenden Äußerung des Sachverständigen erwähnte Gutachten und trägt auch nicht das Datum 16. März 1989. Vor allem aber ist die belangte Behörde auch mit keinem Wort auf die Behauptung des Beschwerdeführers eingegangen, bereits in einem Schreiben der Bezirksforstinspektion vom 16. Dezember 1987 sei die Aufforstung als gesichert bezeichnet worden.

Aus den angeführten Gründen erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1991100084.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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