TE Vwgh Erkenntnis 1993/3/16 92/08/0171

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Veröffentlicht am 16.03.1993
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Index

L92059 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Wien;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);

Norm

ABGB §1346;
ABGB §914;
SHG Wr 1973 §10 Abs3;
SHG Wr 1973 §8 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 23. Juni 1992, Zl. MA 12-11975 88 A, betreffend Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Wiener Sozialhilfegesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Hinsichtlich der Vorgeschichte wird auf das Erkenntnis vom 14. Mai 1990, Zl. 90/19/0032 (früher: 89/11/0242) verwiesen. Daraus ist für den Beschwerdefall noch von Bedeutung, daß der Magistrat der Stadt Wien (Magistratsabteilung 12, Sozialreferat für den 21. Bezirk) mit Bescheid vom 21. April 1989 "auf Grund des § 57 AVG 1950" den Antrag des Beschwerdeführers vom 21. April 1989 "auf Zuerkennung einer Geldaushilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes und Krankenhilfe" abgewiesen hat. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Mandatsbescheid Vorstellung. Daraufhin wurde der Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid derselben Behörde vom 2. Juni 1989 neuerlich abgewiesen. Der vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 14. August 1989 keine Folge gegeben. Die genannten Bescheide wurden - zusammengefaßt und im wesentlichen - damit begründet, daß sich laut Erklärung vom 3. Dezember 1984 H verpflichtet habe, als Bürge und Zahler für den Lebensunterhalt des Beschwerdeführers und seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen im Notfall aufzukommen und eine geeignete Unterkunft beizustellen. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, daß der Genannte seinen Beitritt als Bürge und Zahler am 31. Dezember 1985 schriftlich widerrufen habe, hieß es im Bescheid der belangten Behörde, daß ein solcher Widerruf sich zwar in den Verwaltungsakten befinde, es jedoch im Wesen einer Bürgschaftserklärung liege, daß sie nicht einseitig widerrufen werden könne.

Der Berufungsbescheid der belangten Behörde vom 14. August 1989 wurde mit dem eingangs erwähnten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Mai 1990, Zl. 90/19/0032, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Nach Wiedergabe des Inhaltes der "Verpflichtungserklärung" vom 3. Dezember 1984 führte der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis aus, daß die Inanspruchnahme des Bürgen und Zahlers für die Rückforderung von Fürsorgeleistungen voraussetze, daß Fürsorgeleistungen erbracht worden seien. Selbst das aufrechte Bestehen einer Bürgschaft könne - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - keinesfalls einen Anspruch des Beschwerdeführers auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes gemäß § 8 Abs. 1 WSHG ausschließen. Anders, wenn der Erklärung entnommen werden könnte, daß sich der Genannte auch dem Beschwerdeführer gegenüber zur Bestreitung des Lebensunterhaltes verpflichtet habe, in welchem Fall dem Beschwerdeführer ein vertraglicher Anspruch auf Leistung des Lebensunterhaltes gegenüber dem Genannten zustehen könnte. Ein solcher Anspruch stünde der Annahme von Hilfsbedürftigkeit dann entgegen, wenn die nach Lage des Falles erforderliche rechtzeitige Durchsetzung dieses Anspruches mit Hilfe der Gerichte und Verwaltungsbehörden möglich und auch zumutbar wäre (Hinweis auf das Erkenntnis vom 14. Juni 1988, Zl. 87/11/0244, und die darin zitierte Vorjudikatur). Die Beurteilung der Frage, ob ein solcher Unterhaltsanspruch tatsächlich im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bestanden habe, könne jedoch nicht bloß aufgrund der dem Wortlaut nach nicht eindeutigen Verpflichtungserklärung vorgenommen werden, sondern erfordere Feststellungen über den gesamten Inhalt der übereinstimmenden Willenserklärungen der Beteiligten. Daß H im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom 14. August 1989 tatsächlich Leistungen zur Bestreitung des Lebensbedarfes an den Beschwerdeführer erbracht habe, sei von der belangten Behörde nicht festgestellt worden und gehe auch aus der Aktenlage nicht hervor. Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt habe, sei ihr Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben gewesen.

Mit Bescheid vom 23. Juni 1992 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers neuerlich ab und traf dazu nachstehende Feststellungen:

"IM ERMITTLUNGSVERFAHREN ZUR ERLASSUNG EINES ERSATZBESCHEIDES

wurde festgestellt, daß (die Ehefrau des Beschwerdeführers) im Zeitraum vom 29.10.1990 bis 28.3.1991 einen Kurs nach dem Arbeitsmarktförderungsgesetz besucht hat und dafür AMFG-Beihilfe in Höhe von tgl. S 217,80 + Teilnahmekosten tgl. S 54,90 bis 31.12.1990 und S 230,-- + Teilnahmekosten tgl. S 57,-- ab 1.1.1991 zuzüglich Reisekosten von tgl. S 13.70 bezog.

Auch der (Beschwerdeführer) selbst besuchte im Zeitraum vom 21.3.1991 bis 21.7.1991 einen Umschulungskurs des Arbeitsamtes und bezog dafür eine AMFG-Beihilfe von tgl. S 188,20 bis 28.3.1991 und von tgl. S 250,90 ab 29.3.1991 sowie tgl. S 57,-- Teilnahmekosten.

Ab 1.1.1989 bis 30.6.1989 wurde weiters eine Wohnbeihilfe in Höhe von mtl. S 2.764,-- und ab 1.12.1990 bis 31.7.1991 in der Höhe von S 2.868,-- gewährt.

Aus einer Bestätigung der Wiener Gebietskrankenkasse ist weiters ersichtlich, daß der (Beschwerdeführer) im Zeitraum vom 22.7.1991 bis 12.8.1991 Krankengeld in Höhe von insgesamt S 5.519,80 bezog. Die erhaltene Familienbeihilfe betrug für die Monate April bis Juni 1991 S 7.800,--.

FÜR DEN ZEITRAUM VOM 1.7.1989 BIS 1.12.1990 KONNTEN KEINERLEI Einkommensnachweise erbracht werden und gab der Vertreter des (Beschwerdeführers) an, daß die Familie insgesamt VON GEBORGTEM GELD LEBE, das zum Großteil VON DER SCHWESTER DES (BESCHWERDEFÜHRERS) ... stamme.

Diese gab in ihrer ZEUGENAUSSAGE VOM 27.9.1991 AN, daß sie ihren Bruder und seine Familie mit LEBENSMITTELN, BEKLEIDUNG UND MÖBELN jedoch nur in GANZ GERINGEM UMFANG MIT BARGELD unterstützt habe. Sie habe nur wenig Kontakt mit ihrem Bruder, jedoch mache er ihr Besorgungen und sei ihr beim Einkauf behilflich; auch stelle sie ihm gelegentlich, wenn sie das Fahrzeug nicht brauche, ihr Auto zur Verfügung. Ihr Mann - der ein Hotel mit ca. 50 Betten betreibe - sei aus grundsätzlichen Überlegungen nicht bereit Familienmitglieder zu beschäftigen.

WEITERS WURDE FESTGESTELLT, daß die MONATLICHE BELASTUNG für die WOHNUNG der Familie (des Beschwerdeführers) S 6.356,70 beträgt und derzeit lediglich 2 Mieten offen seien; ein GRÖSSERER MIETRÜCKSTAND ist 1990 ABGEDECKT WORDEN."

(Unterstreichungen im Original)

Aufgrund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens sei davon auszugehen (so heißt es im angefochtenen Bescheid weiter), daß der Lebensbedarf des Beschwerdeführers und der mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen (dies sind: Ehefrau und zwei Kleinkinder) tatsächlich durch Leistungen der Schwester des Beschwerdeführers und deren Ehegatten H abgedeckt worden sei und werde, da das Familieneinkommen ohne derartige Unterhaltsleistungen keinesfalls die Bezahlung von größeren Mietrückständen auf einmal ermöglicht hätte. Die Angabe, daß Geldsummen jeweils nur als Darlehen gegeben würden, sei in der Zeugenaussage der Schwester des Beschwerdeführers "in keiner Weise bestätigt" und daher davon auszugehen gewesen, daß diese Geldsummen Unterstützungsleistungen seien. Es sei von der Zeugin nur angegeben worden, daß sie die Familie hauptsächlich durch Sachleistungen unterstützt habe, die Leistung von wenn auch geringeren Geldsummen sei ebenfalls angegeben worden. § 8 Abs. 1 WSHG stelle nicht nur auf den Erhalt des Lebensbedarfes in Geld ab, sondern sehe auch die Deckung des Lebensbedarfes durch Sachleistungen vor. Da der Beschwerdeführer die für seinen Lebensbedarf erforderlichen Mittel tatsächlich von einem Dritten erhalten habe, habe eine weitere Überprüfung, ob dem Beschwerdeführer aufgrund der Bürgschaftserklärung eine rechtzeitige Durchsetzung eines daraus resultierenden Unterhaltsanspruches gegen H mit Hilfe der Gerichte und Verwaltungsbehörden möglich oder auch zumutbar gewesen sei, unterbleiben können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 8 Abs. 1 des Gesetzes über die Regelung der Sozialhilfe - WSHG vom 19. Dezember 1972, Wiener LGBl. Nr. 11/1973 in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 17/1986, hat Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen dieses Abschnittes, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält. Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle wird der Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes jedoch nicht berührt (1.) durch Unterhaltsleistungen von Angehörigen, die gemäß § 29 Abs. 2 leg. cit. nicht zum Ersatz der Sozialhilfekosten herangezogen werden dürfen (dies sind bestimmte nahe Verwandte) sowie

(2.) durch Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege.

In der im Beschwerdefall strittigen Verpflichtungserklärung vom 3. Dezember 1984 (auf die Wiedergabe von deren Wortlaut im Erkenntnis vom 14. Mai 1990, Zl. 90/19/0032, wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen) verpflichtete sich der Beschwerdeführer für sich und seine ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Familienangehörigen zum Ersatz erbrachter Fürsorgeleistungen. Dieser Erklärung trat H "als Bürge und Zahler" bei und verpflichtete sich, "in erster Linie für den Lebensunterhalt des (der) oben Genannten im Notfall aufzukommen und eine geeignete Unterkunft beizustellen, sodaß kein zusätzlicher Wohnraum geltend gemacht werden kann". Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 14. Mai 1990, Zl. 90/19/0032, der belangten Behörde gemäß § 63 Abs. 1 VwGG seine Rechtsauffassung in zweifacher Weise überbunden: Zum einen hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß diese Bürgschaftserklärung die Erbringung von Fürsorgeleistungen voraussetzt und daher Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes nicht ausschließt, es sei denn (und dies ist der zweite Rechtssatz des genannten Erkenntnisses), daß sich der Genannte auch dem Beschwerdeführer gegenüber zur Bestreitung des Lebensunterhaltes verpflichtet haben sollte, in welchem Fall dem Beschwerdeführer ein vertraglicher Anspruch auf Leistung des Lebensunterhaltes gegenüber dem Genannten zustünde. Die belangte Behörde hätte daher festzustellen gehabt, ob ein solcher Anspruch im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des (damals) angefochtenen Bescheides bestanden habe, wobei Feststellungen über den gesamten Inhalt der übereinstimmenden Willenserklärungen der Beteiligten zu treffen gewesen wären.

Die belangte Behörde hält derartige Feststellungen offensichtlich deshalb für entbehrlich, weil sie die - oben wiedergegebenen - Feststellungen über tatsächlich erbrachte Leistungen an den Beschwerdeführer und seine Familie habe treffen können.

Die belangte Behörde hat damit die vom Verwaltungsgerichtshof im Vorerkenntnis vertretene Rechtsauffassung mißverstanden: Im Erkenntnis vom 14. Mai 1990, Zl. 90/19/0032, wurde nicht (primär) auf die tatsächliche Erbringung von Unterhaltsleistungen abgestellt, sondern es für rechtlich bedeutsam gehalten, ob ein VERTRAGLICHER ANSPRUCH des Beschwerdeführers auf Leistung des Lebensunterhaltes gegenüber dem wiederholt genannten "Bürgen und Zahler" besteht. Die tatsächliche Erbringung von Unterhaltsleistungen kann zwar - entsprechende Regelmäßigkeit und Ausmaß vorausgesetzt - ein Indiz für das Bestehen einer korrespondierenden vertraglichen Verpflichtung (auch für die Zukunft) sein; die Ermittlung aller in diesem Zusammenhang bedeutsamen Umstände, vor allem der erklärten Absicht der Parteien, vermag sie jedoch nicht entbehrlich zu machen. Eine davon zu trennende Frage ist, ob tatsächlich erbrachte Unterhaltsleistungen (wenn auch freiwilliger Natur) auf einen dem Grunde nach bestehenden Anspruch auf Lebensunterhalt nach dem WSHG anzurechnen sind. Eine Verwertung eines solchen Einkommens (durch Anrechnung) wäre im Sinne des § 10 Abs. 3 WSHG nur dann nicht zulässig, wenn dadurch die Notlage verschärft oder von einer vorübergehenden zu einer dauernden würde.

Für den Fall, daß ein vertraglicher Unterhaltsanspruch des Beschwerdeführers nicht bestanden haben sollte, wird sich die belangte Behörde aber auch - anders als im angefochtenen Bescheid - in schlüssiger Weise mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen haben, daß die von den Eheleuten H gewährten Geldsummen (zumindest zum Teil) darlehensweise erbracht wurden. Aus dem Umstand, daß die Schwester des Beschwerdeführers in ihrer Zeugenaussage vom 27. September 1991 dazu keine Erwähnung machte, kann die Schlußfolgerung der belangten Behörde, es habe sich um (wohl gemeint: nicht rückzahlbare) Unterstützungsleistungen gehandelt, noch nicht abgeleitet werden, da aus der Niederschrift über diese Einvernahme nicht einmal hervorgeht, daß die Zeugin diesbezüglich ausdrücklich befragt worden wäre.

Dadurch, daß die belangte Behörde (abweichend von der sie bindenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 14. Mai 1990, Zl. 90/19/0032) die rechtsirrige Meinung vertreten hat, schon die tatsächliche Gewährung von Unterhaltsleistungen würde den Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes gemäß § 8 Abs. 1 WSHG ausschließen, hat sie auch den angefochtenen (Ersatz-)Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet; dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf das Kostenbegehren des Beschwerdeführers sowie auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992080171.X00

Im RIS seit

13.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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