TE Vfgh Erkenntnis 1990/11/26 B260/90

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Veröffentlicht am 26.11.1990
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art139 Abs6 erster Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
RL-BA 1977 §45

Leitsatz

Keine Beschränkung der Feststellung der teilweisen Gesetzwidrigkeit des Werbeverbots für Rechtsanwälte auf den Anlaßfall aufgrund des diesbezüglichen Ausspruchs im Normenprüfungsverfahren; Rechtsverletzung aufgrund der Anwendung einer rechtswidrigen Norm daher auch im vorliegenden Fall

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer für Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 15.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter vom 16. Oktober 1989 wurde der Beschwerdeführer der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes in Form eines Verstoßes gegen §45 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977) schuldig erkannt und zu einer Disziplinarstrafe verurteilt.

Der Schuldspruch erfolgte, weil - mit Einverständnis des Beschwerdeführers - in einer bestimmten Zeitschrift ein Foto des Beschwerdeführers veröffentlicht und den Lesern der Zeitschrift als Service eine erste anwaltliche Auskunft durch den Beschwerdeführer unter Bekanntgabe der Kanzleianschrift und der Telefonnummer des Beschwerdeführers angeboten wurde. Die belangte Behörde stützte sich hiebei ausdrücklich auf den zweiten Halbsatz des §45 RL-BA 1977, wonach der Rechtsanwalt dafür zu sorgen hat, daß auch dritte Personen eine reklamehafte Hervorhebung des Rechtsanwaltes unterlassen.

2. Gegen diesen Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter richtet sich die vorliegende Verfassungsgerichtshofsbeschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die Bescheidaufhebung begehrt wird.

II. Mit Erkenntnis vom 27.9.1990, V95,96/90, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß der zweite Halbsatz des §45 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977), beschlossen vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag am 8. Oktober 1977, kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 14. Dezember 1977 und im Anwaltsblatt 1977, S. 476 gesetzwidrig war und diese Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.

III. 1. Der letztgenannte Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes bewirkt, daß so vorzugehen ist, als ob die als gesetzwidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundeliegenden Tatbestands nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte. Es braucht daher nicht untersucht zu werden, ob der vorliegende Fall einem Anlaßfall gleichzuhalten ist (vgl. hiezu VfSlg. 10736/1985).

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides den als gesetzwidrig erkannten zweiten Halbsatz des §45 RL-BA 1977 an. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß dadurch die Rechtssphäre des Beschwerdeführers nachteilig beeinflußt wurde. Er wurde somit wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt.

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG abgesehen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG (zur Frage des Kostenersatzes durch die zuständige Rechtsanwaltskammer vgl. VfSlg. 11364/1987). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.

Schlagworte

VfGH / Feststellung Wirkung, VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B260.1990

Dokumentnummer

JFT_10098874_90B00260_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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