TE Vwgh Erkenntnis 1993/4/28 89/13/0247

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Veröffentlicht am 28.04.1993
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §303 Abs1 litb;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Büsser, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der FLD Wien, NÖ und Bgld, vom 29.9.1989, GZ. 6/3-3276/89-05, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für die Jahre 1979 und 1980, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Jänner 1981 fand auf Anordnung des KG Wiener Neustadt im Handelsbetrieb des Beschwerdeführers eine Hausdurchsuchung statt. Dabei wurde das gesamte Beleg- und Rechnungswesen des Unternehmens beschlagnahmt. Eine abgabenbehördliche Prüfung der Jahre 1979 und 1980 erbrachte, daß die Aufzeichnungen des Beschwerdeführers u.a. wegen des Fehlens der Inventur 1979 als nicht ordnungsgemäß anzusehen sind. Dementsprechend nahm die Abgabenbehörde Zuschätzungen vor und verhängte Sicherheitszuschläge. Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde nur zu einem geringen Teil Folge. Gegen diese Entscheidung ist beim Verwaltungsgerichtshof nach Ablehnung durch den Verfassungsgerichtshof eine Beschwerde unter Zl. 89/13/0168 anhängig.

Mit Schreiben vom 3. August 1989 stellte der Beschwerdeführer den Antrag, das mit Berufungsentscheidung vom 18. Jänner 1989, GZ. 6/3-3595/86 abgeschlossene Veranlagungsverfahren der Jahre 1979 und 1980 wiederaufzunehmen. Er habe am 11. Mai 1989 die ihm völlig ungeordnet zurückgestellten Buchhaltungsunterlagen gesichtet und sei dabei unerwartet auf eine Ablichtung des Beschlagnahmeprotokolls gestoßen. In diesem Protokoll seien u. a. folgende Unterlagen als beschlagnahmt festgehalten:

" - eine Klarsichtfolie mit der Aufschrift "Inventur 14.3.1980"

-

ein grüner Umschlag mit der Aufschrift "Inventur 1979, Aufnahme 8.1.1980, Seite 1 bis 58"

-

ein gelber Umschlag mit der Aufschrift "Inventur 1979, Aufnahme 13.3.1980, 20.3.1980 und 21.3.1980"."

Bei dem Beschlagnahmeprotokoll handle es sich um ein neu hervorgekommenes Beweismittel, mit dem die von der belangten Behörde fälschlicherweise gegen seine Beteuerungen getroffene Feststellung, eine Inventur zum 31.12.1979 sei niemals errichtet worden, widerlegt werden könne. Damit bewahrheite sich sein im abgeschlossenen Verfahren erhobener Vorwurf, die Inventur müsse im Zuge der gerichtlichen Verwahrung verloren gegangen sein. Das Beweismittel sei geeignet, einen anderslautenden Bescheid herbeizuführen, da die belangte Behörde aus dem Fehlen der Inventur einerseits ihre Schätzungsbefugnis und andererseits die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers abgeleitet habe.

Die belangte Behörde wies den Antrag ab. Treffe die Darstellung des Beschwerdeführers zu, handle es sich bei dem Beschlagnahmeprotokoll um ein der Behörde schon immer bekanntes "Beweismittel". Zudem wären die beschlagnahmten Unterlagen dem Beschwerdeführer bereits 4 Jahre vor seinem Wiederaufnahmeantrag zurückgestellt worden. Darüber hinaus sei eine Einsichtnahme auch während der Zeit der Beschlagnahme möglich gewesen. Die Behauptung des Beschwerdeführers, eine Inventur erstellt zu haben, sei nicht neu. Bei der Fülle der dem Beschwerdeführer vorzuwerfenden Unkorrektheiten hätte selbst das Vorliegen einer Inventur zu keinem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis führen können. Auch könne aus den Auflistungen im Beschlagnahmeprotokoll nicht zwingend auf einen entsprechenden Inhalt geschlossen werden, zumal der Hinweis "mit Inhalt" fehle.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diesen Bescheid in seinem Recht auf gesetzmäßige Anwendung des § 303 BAO und auf ein mangelfreies Ermittlungsverfahren (§ 115 BAO) verletzt. Er macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Der Beschwerdeführer macht eine Ablichtung des Beschlagnahmeprotokolls, die er bei den zurückgestellten Buchhaltungsunterlagen vorgefunden hat, als neues Beweismittel für die Tatsache der Inventurerstellung geltend.

Beim Beschlagnahmeprotokoll handelt es sich um ein von Organen der Finanzstrafbehörde I. Instanz erstelltes Verzeichnis. Daraus ergibt sich zunächst keineswegs - wie von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid angedeutet - zwingend, daß dieses Beweismittel der belangten, als entscheidenden Behörde im abgeschlossenen Verfahren bereits bekannt war. Darüber hinaus würde eine Wiederaufnahme des Verfahrens auf Antrag einer Partei in diesem Zusammenhang nur dann ausgeschlossen sein, wenn auch der Partei bekannt war, daß die belangte Behörde ein bestimmtes ihr vorliegendes Beweismittel nicht verwertet. Nur in diesem Fall kann vom Abgabepflichtigen erwartet werden, einen darin erblickten Verfahrensmangel im Rahmen einer Bescheidbeschwerde aufzugreifen. Ein derartiger Sachverhalt liegt jedoch nicht vor.

Der Beschwerde kommt aber aus einem anderen Grund keine Berechtigung zu. Der Beschwerdeführer behauptet, das Verzeichnis der beschlagnahmten Gegenstände sei ihm ohne sein Verschulden im abgeschlossenen Verfahren nicht zur Verfügung gestanden. Er habe um die Existenz eines derartigen Protokolls nicht gewußt. Selbst bei Kenntnis dieses Umstandes hätte er sich von einer Einsichtnahme nichts versprochen. Habe er die Abgabenbehörde doch stets darauf hingewiesen, die Inventur 1979 müsse beschlagnahmt und im Zuge der gerichtlichen Verwahrung verloren gegangen sein. Es sei für ihn daher unvorstellbar gewesen, daß die vermißte Inventur in einem Protokoll aufscheinen könne und die belangte Behörde dennoch darauf beharrt, sein diesbezügliches Vorbringen als unglaubwürdig zu bezeichnen. Diese Ausführungen überzeugen nicht vom Fehlen eines Verschuldens iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO.

Gemäß § 197 Abs. 5 FinStrG iVm § 143 Abs. 1 StPO sind die bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmten Gegenstände in ein Verzeichnis zu bringen. Dies ist gegenständlich auch geschehen. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, ihm sei die Einsicht in das Beschlagnahmeprotokoll verweigert worden. Vielmehr ist seinem Vorbringen zu entnehmen, daß er ein derartiges Begehren gar nicht stellte. Hat der Beschwerdeführer von der Möglichkeit einer Protokolleinsicht aus Gesetzesunkenntnis oder aufgrund einer Fehlbeurteilung keinen Gebrauch gemacht, kann nicht davon gesprochen werden, dieses Beweismittel sei ihm unverschuldetermaßen nicht zur Verfügung gestanden. Soweit die Beschwerde sich eingehend mit den Schwierigkeiten befaßt, einzelne Blätter einer Protokollablichtung zwischen den umfangreichen Buchhaltungsunterlagen aufzufinden, geht sie am eigentlichen Schuldvorwurf vorbei. Mögen der schlechte Gesundheitszustand, finanzielle Engpässe und weite Anreisewege den Beschwerdeführer auch daran gehindert haben, die beschlagnahmten Unterlagen zu einem früheren Zeitpunkt lückenlos auf allfällige Beweismittel hin zu durchforschen, können diese Umstände einer Anforderung des Beschlagnahmeprotokolls jedenfalls nicht entgegengestanden sein.

Eine solche Anforderung war jedoch schon deswegen geboten, weil der Beschwerdeführer stets behauptete, die Inventurlisten befänden sich bei den beschlagnahmten Unterlagen. Ob die belangte Behörde schließlich ebenfalls ein Verschulden zu verantworten hat, ist für das Schicksal der vorliegenden Beschwerde nicht von Bedeutung.

Die belangte Behörde hat auch keine wesentlichen Verfahrensvorschriften verletzt. So sind die vom Beschwerdeführer vermißten Feststellungen, wie und wann die vorgefundene Ablichtung zu den beschlagnahmten Unterlagen kam, für die Beurteilung des Wiederaufnahmeantrages nicht relevant. Gleiches gilt für die Art der Lagerung. Weiters bestand für die belangte Behörde kein begründeter Anlaß sich mit der Frage auseinanderzusetzen, warum das Protokoll dem Beschwerdeführer nicht übergeben wurde, behauptete er doch nie, ein derartiges Verlangen jemals gestellt zu haben. Daß eine Auflistung der beschlagnahmten Gegenstände vorhanden sein mußte, konnte der Beschwerdeführer unschwer den bereits angeführten Bestimmungen des Finanzstrafgesetzes und der Strafprozeßordnung entnehmen. Für die belangte Behörde bestand keine Veranlassung zu untersuchen, warum dem Beschwerdeführer die Existenz des Beschlagnahmeprotokolls verborgen blieb. Auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers mußte die belangte Behörde schon deshalb nicht eingehen, weil der Wiederaufnahmeantrag keinerlei Hinweise auf eine die Handlungsfähigkeit einschränkende Verfassung des Beschwerdeführers gab. Zudem kam es, wie bereits erwähnt, nicht auf die Fähigkeit des Beschwerdeführers an, sämtliche beschlagnahmten Unterlagen einer eingehenden Sichtung zu unterziehen.

Da die belangte Behörde somit zu Recht von einem Verschulden der Partei iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO ausgehen konnte, erübrigt sich eine Erörterung der Frage, ob das vom Beschwerdeführer als Wiederaufnahmsgrund geltend gemachte Beweismittel geeignet gewesen wäre, einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeizuführen. Bemerkt sei lediglich, daß eine Schätzungsberechtigung bzw. Schätzungsverpflichtung jedenfalls auch dann bestanden hätte, wenn dem Beschwerdeführer der Beweis gelungen wäre, tatsächlich alle erforderlichen Inventuren erstellt zu haben. Unbestritten fehlen nämlich die Inventurlisten für 1979, somit Grundaufzeichnungen, ohne die eine zuverlässige Steuerbemessung nicht möglich ist. Ob dem Abgabepflichtigen an der Unvollständigkeit der Buchhaltung ein Verschulden zur Last fällt, etwa weil er eine Inventur nicht aufgenommen hat, oder diese später ohne sein Zutun verloren gegangen ist, ändert nichts an der SchätzungsVERPFLICHTUNG der Abgabenbehörden nach § 184 BAO.

Die Beschwerde war daher insgesamt gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden, weil die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VO des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1989130247.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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