TE Vwgh Erkenntnis 1993/6/15 93/14/0011

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Veröffentlicht am 15.06.1993
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
21/03 GesmbH-Recht;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 lita;
BAO §115 Abs1;
BAO §245 Abs3;
BAO §303 Abs1 litb;
BAO §308 Abs1;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
GmbHG §18;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder sowie die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Karger, Dr. Baumann und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der FLD für OÖ vom 21.7.1992, 356/3-10/Zö-1992, betreffend ua Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Wiederaufnahme des Verfahrens und Zurückweisung einer Berufung in Ansehung eines Haftungsbescheides bzw der USt-Bescheide für die Jahre 1984 bis 1988, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen von 3.035 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war vom 22. Oktober 1984 bis 31. Mai 1990 alleiniger Geschäftsführer der H Holzhandels GmbH (in der Folge: GmbH). Mit Bescheid vom 7. Februar 1991 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 9 in Verbindung mit § 80 BAO zur Haftung für Abgabenschulden der GmbH von 7,657.049 S herangezogen. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 11. Februar 1991 durch Hinterlegung zugestellt.

Anläßlich einer Vorsprache beim Finanzamt am 11. März 1991 erkundigte sich der Beschwerdeführer, ob sein Vater - wie dieser ihm versichert habe - Berufung gegen den Haftungsbescheid vom 7. Februar 1991 erhoben habe. Wie aus einem Aktenvermerk hervorgeht, teilte ein Organwalter des Finanzamtes dem Beschwerdeführer mit, er sei Adressat dieses Haftungsbescheides und müsse daher selbst (schriftlich) Berufung erheben. Da die Berufungsfrist am Tag der Vorsprache ende, sei es ratsam, vorerst eine "Kurzfassung" der Berufung einzubringen. Die Begründung könne nachgereicht werden.

Der Beschwerdeführer befolgte diesen Rat jedoch nicht, sondern stellte mit Schreiben vom 4. April 1991 Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie Wiederaufnahme des Verfahrens und erhob unter einem Berufung gegen den Haftungsbescheid sowie gegen die, die GmbH betreffenden Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1984 bis 1988. Als Begründung führte der Beschwerdeführer zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus, der Haftungsbescheid und die Kopien der Umsatzsteuerbescheide seien ihm am 11. Februar 1991 durch Hinterlegung beim Postamt zugestellt worden. Am 12. Februar habe ihm sein Vater auf Befragen telefonisch mitgeteilt, ihn (den Beschwerdeführer) gingen diese Bescheide nichts an. Er solle ihm (dem Vater) die Bescheide schicken und er werde das für ihn erledigen. Er habe seinem Vater geglaubt, weil dieser anläßlich des Ausscheidens des Beschwerdeführers aus der GmbH (Notariatsakt vom 2. Mai 1990) erklärt habe, ihn hinsichtlich aller Verpflichtungen aus dem Gesellschaftsverhältnis schad- und klaglos zu halten. Anläßlich eines Besuches bei seinem Vater am 4. März 1991 habe ihm dieser sogar ausdrücklich erklärt, er habe die Sache bereits in Ordnung gebracht. Erst anläßlich eines neuerlichen Besuches bei seinem Vater habe er sich auf Drängen seiner Mutter am 11. März 1991 beim Finanzamt in dieser Angelegenheit erkundigt und dabei erfahren, sein Vater habe noch nichts unternommen. Bei dieser Vorsprache sei ihm nicht bewußt gewesen, daß es sich um den letzten Tag der Berufungsfrist handle. Überdies sei er nicht auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht worden, einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsfrist zu stellen. Erst bei einer Beratung durch seinen Rechtsanwalt am 12. März 1991 habe er erfahren, daß die Vereinbarung mit seinem Vater nur im Innenverhältnis gelte und er die Berufungsfrist bereits um einen Tag versäumt habe. Daraufhin habe er von seinem Vater die Originalunterlagen zurückverlangt, welche er am 13. März 1991 erhalten habe. Die Versäumung der Berufungsfrist habe somit auf mehreren für ihn unvorhersehbaren bzw unabwendbaren Ereignissen beruht. Entscheidend sei für ihn auch gewesen, daß er seinen Vater mit Vollmacht vom 16. Jänner 1985 im Sinn der handelsrechtlichen Vorschriften zum Handlungsbevollmächtigten der GmbH bestellt habe. Sollte ihm dennoch ein Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist angelastet werden, so handle es sich wohl nur um einen minderen Grad des Versehens. Zum Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens führte der Beschwerdeführer aus, durch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die gleichzeitig eingebrachte Berufung seien Tatsachen und Beweismittel neu hervorgekommen, die geltend zu machen er im abgeschlossenen Verfahren keine Möglichkeit gehabt habe. Hinsichtlich des Haftungsbescheides wandte der Beschwerdeführer ein, er sei zwar Geschäftsführer der GmbH gewesen, habe aber, da sein Vater Handlungsbevollmächtigter gewesen sei, keinerlei Tätigkeiten für die GmbH ausgeübt und auch keine Kontrollrechte wahrgenommen. Sein Vater habe ihm auch immer wieder versichert, er habe mit der GmbH "nichts zu tun". Mangels schuldhafter Verletzung ihm auferlegter Pflichten könne er daher nicht zur Haftung herangezogen werden. Vielmehr hafte sein Vater aus der diesem eingeräumten Stellung als Handlungsbevollmächtigter für die Abgaben der GmbH. Selbst bei Annahme einer ihn treffenden schuldhaften Pflichtverletzung könne er nicht zur Haftung herangezogen werden, weil bei der finanziellen Situation der GmbH die Abgaben nicht einbringlich gewesen wären. Bezüglich der Umsatzsteuerbescheide gab der Beschwerdeführer bekannt, er habe keine Kenntnis, wie es zu derartigen Nachforderungen gekommen sei. Er werde daher nach Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Akteneinsicht nehmen und seine Berufung ergänzen. Auf jeden Fall sei das bisherige Verfahren mangelhaft, weil er weder vernommen noch in das Verfahren miteinbezogen worden sei.

Mit getrennt ausgefertigten Bescheiden vom 12. August 1991 wies das Finanzamt einerseits die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie Wiederaufnahme des Verfahrens ab, anderseits die Berufung gegen den Haftungsbescheid sowie die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1984 bis 1988 als nicht fristgerecht eingebracht zurück. Zur Begründung führte das Finanzamt hinsichtlich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus, anläßlich der Vorsprache des Beschwerdeführers beim Finanzamt sei er auf den Ablauf der Berufungsfrist an diesem Tag aufmerksam gemacht worden. Ein Hinweis auf die Möglichkeit der Fristverlängerung sei nicht erforderlich gewesen, weil dem Beschwerdeführer ohnedies erklärt worden sei, vorerst genüge die Einbringung einer "Kurzfassung" der Berufung. Die mangelnde Rechtskenntnis des Beschwerdeführers bzw sein Rechtsirrtum hinsichtlich der Wirkungen der mit Notariatsakt vom 2. Mai 1990 abgeschlossenen Vereinbarung mit seinem Vater stellten kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinn des § 308 BAO dar. Überdies habe der Beschwerdeführer insofern auffallend sorglos gehandelt, als er sich nach Erhalt des Haftungsbescheides über einen Betrag von 7,657.049 S nicht sofort beim Finanzamt oder an anderer rechtskundiger Stelle darüber informiert habe, was er gegen diesen Bescheid unternehmen könne. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs 1 lit b BAO sei ebenfalls abzuweisen, weil es der Beschwerdeführer aus eigenem Verschulden, nämlich in Verkennung der Rechtslage bzw aus mangelnder Obsorge, versäumt habe, dem Finanzamt die entsprechenden Tatsachen und Beweismittel rechtzeitig zur Kenntnis zu bringen. Hinsichtlich des Haftungsbescheides sowie der Umsatzsteuerbescheide wies das Finanzamt auf die abgelaufene Berufungsfrist hin.

In der Berufung gegen diese Bescheide brachte der Beschwerdeführer vor, da er nicht durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter vertreten gewesen sei, hätte er anläßlich seiner Vorsprache beim Finanzamt über die Möglichkeit der Verlängerung der Berufungsfrist belehrt werden müssen. Den Hinweis, die Berufungsfrist ende bereits an diesem Tag, habe er auf Grund der begreiflichen Erregung über das Nichtstun seines Vaters offenbar überhört oder mißverstanden. Dieses Überhören bzw Mißverstehen aber stelle höchstens ein Versehen minderen Grades und damit leichte Fahrlässigkeit dar. Im übrigen halte er sein Vorbringen betreffend das Vorliegen unvorhersehbarer bzw unabwendbarer Ereignisse aufrecht. Es liege daher ein Wiedereinsetzungsgrund vor. Hätte das Finanzamt bereits vor Erlassung des Haftungsbescheides Kenntnis von der Tatsache gehabt, daß sein Vater bereits seit 16. Jänner 1985 Handlungsbevollmächtigter der GmbH gewesen sei, hätte es den Beschwerdeführer nicht zur Haftung für die Abgaben der GmbH herangezogen. Er habe im gesamten Verfahren keine Gelegenheit gehabt, dem Finanzamt diese Tatsache mitzuteilen. Dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wäre daher stattzugeben gewesen. Falls dennoch eine schuldhafte Pflichtverletzung seinerseits vorliege, fehle es jedenfalls an deren Kausalzusammenhang mit der Uneinbringlichkeit der Abgaben. Denn auch bei pflichtgemäßem Verhalten wären infolge der finanziellen Situation der GmbH die Abgaben nicht einbringlich gewesen. Die Zurückweisung der Berufung gegen den Haftungsbescheid und die Umsatzsteuerbescheide sei zu Unrecht erfolgt, weil die Bescheide betreffend Abweisung der Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Wiederaufnahme des Verfahrens im Zeitpunkt der Zurückweisung noch nicht rechtskräftig gewesen seien.

Zwecks Wahrung des Parteiengehörs forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer auf, persönlich vorzusprechen. Der den Beschwerdeführer vertretende Rechtsanwalt erklärte anläßlich seiner persönlichen Vorsprache bei der belangten Behörde, es bestehe keine Veranlassung, von den im bisherigen Verfahren gemachten Äußerungen abzugehen, weswegen von weiteren Ausführungen Abstand genommen werde.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab.

Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führte sie aus, der Beschwerdeführer habe den Haftungsbescheid erhalten und samt den in Kopie beiliegenden Umsatzsteuerbescheiden seinem Vater übermittelt. Es stelle für den Beschwerdeführer weder ein unvorhergesehenes noch ein unabwendbares Ereignis dar, daß diese Unterlagen nicht sofort vom Vater retourniert worden seien bzw daß der Beschwerdeführer diese Unterlagen nicht sogleich zurückverlangt habe. Selbiges gelte auch für den Rechtsirrtum des Beschwerdeführers insofern, als er gemeint habe, die ihm zugestellten Bescheide beträfen ihn überhaupt nicht. Es wäre vielmehr an ihm gelegen, sich rechtzeitig über die Rechtslage zu informieren. Daß der Beschwerdeführer anläßlich der Vorsprache beim Finanzamt nicht auf den Ablauf der Berufungsfrist an diesem Tag aufmerksam gemacht worden sei, widerspreche der Aktenlage. Den Beschwerdeführer treffe überdies ein Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist, das über einen minderen Grad des Versehens hinausgehe, weil er weder sofort nach Erhalt des Haftungsbescheides und der Umsatzsteuerbescheide die ihm zumutbaren Schritte unternommen habe, noch anläßlich der Vorsprache beim Finanzamt am letzten Tag der Berufungsfrist den Ausführungen des Organwalters die gehörige Beachtung geschenkt habe.

Zum Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe sich nach seinen Angaben in der Zeit, in der er Geschäftsführer der GmbH gewesen sei, nicht um deren Belange gekümmert. Wenn ihm daher die nunmehr vorgebrachten Umstände erst im Zug des gegenständlichen Verfahrens bekannt geworden seien, könnten diese nun nicht im Weg der Wiederaufnahme Berücksichtigung finden. Einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs 1 lit b BAO sei nämlich nur dann stattzugeben, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkämen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht hätten werden können. Es erübrige sich daher, auf die Frage einzugehen, ob die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens zu im Spruch anders lautenden Bescheiden hinsichtlich der Haftung und der Umsatzsteuer für die Jahre 1984 bis 1988 geführt hätte.

Die Zurückweisung der Berufung gegen den Haftungsbescheid und die Umsatzsteuerbescheide sei zu Recht erfolgt, weil die Berufungsfrist unbestrittenermaßen bereits am 11. März 1991 abgelaufen, die Berufung jedoch erst am 4. April 1991 verfaßt worden sei.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der zunächst an ihn erhobenen Beschwerde mit Beschluß vom 1. Dezember 1992, B 1551/92-3, ab und trat sie gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof ab.

In der im Sinn des § 34 Abs 2 VwGG ergänzten Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinen Rechten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Sinn des § 308 BAO, auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 Abs 1 lit b BAO und auf Entscheidung in der Sache gemäß § 279 in Verbindung mit §§ 92 ff BAO bzw auf Nichtzurückweisung seiner Berufung entgegen § 273 Abs 1 und § 278 BAO verletzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Gemäß § 308 Abs 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Beschwerdeführer meint, das für ihn unabwendbare Ereignis liege darin, daß er fälschlich angenommen habe, der anläßlich seines Ausscheidens aus der GmbH am 2. Mai 1990 errichtete Notariatsakt befreie ihn auch im Außenverhältnis von all seinen Verpflichtungen als (ehemaliger) alleiniger Geschäftsführer. Rechtsunkenntnis oder Rechtsirrtum stellen aber nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar (vgl das hg Erkenntnis vom 14. Jänner 1991, 90/15/0045, mwA). Das gilt ebenso für das mit der Rechtsunkenntnis des Beschwerdeführers zusammenhängende Übergeben der Unterlagen an seinen Vater sowie die nicht rechtzeitige Rückerlangung derselben, zumal vom Beschwerdeführer gesetzte Handlungen für ihn nicht unabwendbar sind.

Inwieweit der fehlende Hinweis auf die Möglichkeit einer Fristerstreckung den Beschwerdeführer an der Erhebung der Berufung am letzten Tag der Frist gehindert hat, ist unerfindlich.

Daß der Beschwerdeführer niemals ein Verschulden seinerseits im Zusammenhang mit dem Eintritt der seiner Ansicht nach unvorhergesehenen bzw unabwendbaren Ereignisse eingeräumt hat, widerspricht der Aktenlage. In der Berufung hat er vielmehr ausdrücklich zugestanden, an der Versäumung der Berufungsfrist treffe ihn "eine leichte Fahrlässigkeit bzw minderer Grad des Verschuldens".

Entgegen diesen Ausführungen des Beschwerdeführers ist jedoch der belangten Behörde zuzustimmen, wenn sie meint, den Beschwerdeführer träfe mehr als nur ein minderer Grad des Versehens. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Es darf also nicht auffallend sorglos gehandelt werden. Auffallend sorglos wird dann gehandelt, wenn die für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und nach persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen wird (vgl das hg Erkenntnis vom 12. Juli 1990, 90/16/0059, 0060, mwA). Der Beschwerdeführer hat die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten (lt Aktenlage ist der Beschwerdeführer im Jahr 1960 geboren und Student) zumutbare Sorgfalt insofern außer acht gelassen, als er sich angesichts der Höhe der Haftungssumme weder sofort nach Erhalt des Haftungsbescheides bei einer rechtskundigen Stelle informiert noch dem Hinweis des Organwalters des Finanzamtes anläßlich der Vorsprache am 11. März 1991 die nötige Beachtung geschenkt hat.

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen somit nicht vor.

2. Wiederaufnahme des Verfahrens

Gemäß § 303 Abs 1 lit b BAO ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren OHNE VERSCHULDEN der Partei nicht geltend gemacht werden konnten.

Bei den vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Tatsachen handelt es sich entweder um solche, die nicht im Sinn des § 303 Abs 1 lit b BAO neu hervorgekommen sind, sondern dem Beschwerdeführer immer bekannt waren, oder zumindest um solche, die der Beschwerdeführer im abgeschlossenen Verfahren schuldhaft nicht geltend gemacht hat. Ihm ist nämlich sowohl anzulasten, daß er sich als Geschäftsführer nicht um die Belange der GmbH (und damit auch deren Abgabenangelegenheiten) gekümmert hat, als auch, daß er im Verfahren betreffend Haftung und Umsatzsteuer die entsprechenden Tatsachen und Beweismittel nicht (wenn auch erst anläßlich der erhobenen Berufung) vorgebracht hat. Für den Irrtum, der - nach Darstellung des Beschwerdeführers - zu solcher Unbekümmertheit geführt hat, ist der Beschwerdeführer aus den bereits oben zur Wiedereinsetzung dargelegten Gründen verantwortlich.

Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde vor, er sei zum Sachverhalt nie befragt worden. Diese Verletzung von Verfahrensvorschriften sei trotz seiner Ausführungen im Verwaltungsverfahren, er habe sich nicht um die Belange der GmbH gekümmert, relevant, weil es sich hiebei um eine vorweggenommene Beweiswürdigung handle.

Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren immer wieder betont, er habe sich nicht um die Belange der GmbH gekümmert. Dies ergibt sich auch aus dem Zusammenhang mit seinen sonstigen Ausführungen im Verwaltungsverfahren. Die belangte Behörde war daher nicht verhalten, Ermittlungen darüber durchzuführen, ob sich der Beschwerdeführer nicht doch um die Belange der GmbH gekümmert habe. Der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers hat überdies gegenüber der belangten Behörde erklärt, "für ihn bestehe keine Veranlassung, von der im Antrag vom 4. April 1991 und in der Berufung vom 12. September 1991 geschilderten Version abzugehen". Bemerkt wird, daß eine allenfalls vorliegende Verletzung von Verfahrensvorschriften durch die belangte Behörde entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers keinen Wiederaufnahmsgrund darstellt.

Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs 1 lit b BAO liegen somit ebenfalls nicht vor.

3. Zurückweisung der Berufung

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht mehr, anläßlich seiner Vorsprache beim Finanzamt am 11. März 1991 darauf aufmerksam gemacht worden zu sein, daß die Berufungsfrist an diesem Tag ende. Er meint jedoch, er hätte gemäß § 113 BAO auch auf die Möglichkeit der Erstreckung der Berufungsfrist aufmerksam gemacht und ein entsprechender Antrag hätte zweckmäßigerweise sofort zu Protokoll genommen werden müssen. In der Unterlassung dieser Belehrung sieht der Beschwerdeführer eine Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die Berufungsfrist kann gemäß § 245 Abs 3 BAO aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erforderlichenfalls auch wiederholt, verlängert werden. Ein Hinweis des Organwalters auf diese Bestimmung konnte im vorliegenden Fall unterbleiben, weil der Beschwerdeführer nicht einmal behauptet hat, er könne die Berufung nicht fristgerecht - wenn auch am letzten Tag - einbringen, geschweige denn, berücksichtigungswürdige Gründe für eine allfällige Verlängerung der Frist vorgebracht hat.

Unzutreffend ist der Hinweis des Beschwerdeführers auf § 93 Abs 4 BAO. Danach wird die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt, wenn der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung oder keine Angabe über die Rechtsmittelfrist enthält oder ein Rechtsmittel zu Unrecht für unzulässig erklärt. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, eine dieser Voraussetzungen träfe auf den Haftungsbescheid zu. Der Anregung des Beschwerdeführers, die Bestimmung des § 93 Abs 4 BAO analog auch bei einer nach § 113 BAO erfolgten Belehrung heranzuziehen, kann sich der Verwaltungsgerichtshof auf Grund der völlig verschiedenen Zielsetzungen der beiden Vorschriften nicht anschließen.

Die Zurückweisung der Berufung erfolgte daher zu Recht.

Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl Nr 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993140011.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

29.05.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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