TE Vwgh Erkenntnis 1993/6/29 92/08/0053

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Veröffentlicht am 29.06.1993
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
60/03 Kollektives Arbeitsrecht;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs2;
ArbVG §3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde des F in A, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landesarbeitsamtes Niederösterreich in Wien vom 16. Jänner 1992, Zl. IVc 7022/7100 B, betreffend Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 26. April 1989 sprach das Arbeitsamt Gmünd aus, daß der Beschwerdeführer den Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 10 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG), BGBl. Nr. 609 igF, für den Zeitraum vom 17. April 1989 bis 14. Mai 1989 verloren habe und eine Nachsicht nicht erteilt werde.

In der Begründung wurde nach Wiedergabe der angewendeten gesetzlichen Bestimmungen darauf hingewiesen, der Beschwerdeführer habe die zugewiesene zumutbare Beschäftigung bei der Firma N ohne triftigen Grund abgelehnt.

Berücksichtigungswürdige Umstände lägen nicht vor.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung, in der er im wesentlichen vorbrachte, die Firma N, Autobusunternehmen in E, sei nicht bereit gewesen, dem Ersuchen des Beschwerdeführers auf Entlohnung nach dem Kollektivvertrag zu entsprechen, andererseits der Beschwerdeführer nicht bereit sei, bei einer Firma zu arbeiten, die ungesetzliche Berechnungsformen für die Lohnverrechnung anwende, insbesondere da der Beschwerdeführer wenige Jahre vor der Pensionierung stehe und auf die Richtigkeit der Berechnung der Sozialversicherungsabgaben größten Wert lege.

Das Landesarbeitsamt Niederösterreich gab (aufgrund eines Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses) der Berufung mit Bescheid vom 21. Dezember 1989 keine Folge und bestätigte den Bescheid des Arbeitsamtes Gmünd.

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. September 1991, Zl. 90/08/0038, wurde dieser Bescheid (als Anlaßfall des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 28. Juni 1991, Zl. G 295/90 und Folgezahlen, womit § 56 Abs. 3 ASVG 1977, BGBl. Nr. 609 idF der Novelle BGBl. Nr. 61/1983, betreffend die Zuständigkeit des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses für Entscheidungen über Berufungen gegen Bescheide der Arbeitsämter, als verfassungswidrig aufgehoben worden war) wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Mit dem nunmehr vom Landesarbeitsamt Niederösterreich erlassenen (Ersatz)Bescheid vom 16. Jänner 1992 wurde der Berufung des Beschwerdeführers neuerlich keine Folge gegeben. Nach Zitierung der in Anwendung gebrachten gesetzlichen Bestimmungen und Schilderung des der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegten, insoweit unstrittigen Sachverhaltes führte die belangte Behörde begründend aus, aufgrund der niederschriftlichen Stellungnahme des Beschwerdeführers seien in einem ergänzenden Ermittlungsverfahren sowohl von der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse als auch vom Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft Handel, Transport und Verkehr, Auskünfte eingeholt worden, inwieweit die gebotene Nettoentlohnung von S 12.136,-- monatlich dem anzuwendenden Kollektivvertrag für das Autobusgewerbe entsprochen hätte. Auf Basis der Erhebungsergebnisse sei die belangte Behörde zu der Auffassung gelangt, der Beschwerdeführer habe tatsächlich die Annahme der in Rede stehenden Beschäftigung grundlos verweigert. Den theoretischen Ausführungen des Beschwerdeführers (insbesondere in der zu hg. Zl. 90/08/0038 erhobenen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde) könne zwar "sofort unwidersprochen zugestimmt werden", doch entferne sich das Vorbringen von jeder Realität, insbesondere wo verlangt werde, die belangte Behörde hätte den Dienstgeber mit - im übrigen wörtlich wiedergegebenen - Detailfragen über die Entlohnung nach dem Kollektivvertrag konfrontieren müssen. Eine Beantwortung all dieser Fragen, die sich in ihrer Gesamtheit auf in der Zukunft liegende Ereignisse und Umstände den vermittelten Arbeitsplatz betreffend bezogen hätten, sei wohl keinem Dienstgeber möglich. Die belangte Behörde habe sich daher mit der Stellungnahme der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse begnügen müssen, obwohl sich diese nicht tatsächlich auf das dem Beschwerdeführer versprochene Entgelt bezogen habe, doch könne dem Dienstgeber nicht grundlos unterstellt werden, er bezahle alle seine bisherigen Dienstnehmer vorschriftsmäßig und nur bei Neueinstellungen bzw. speziell beim Beschwerdeführer hätte eine Ausnahme gemacht werden sollen. In die gleiche unterstellende Richtung laufe jene Argumentation, daß die Gebietskrankenkasse nur die Anmeldung der beschäftigten Dienstnehmer einfach mit den Lohnsätzen der Lohnordnung des Kollektivvertrages vergleiche und sich um die Ausbezahlung der Diäten, da für diese keine Abgaben zu leisten wären, während einer Überprüfung überhaupt nicht kümmere bzw. bestenfalls dann, wenn durch Bezahlung erhöhter beitragsfreier Diäten die Gebietskrankenkasse in ihren Beiträgen eine Schmälerung zu erwarten hätte. Die Behauptung des Beschwerdeführers, eine Überprüfung von Diätenzahlungen erfordere eine detaillierte Nachprüfung jeder einzelnen Fahrt eines Dienstnehmers im Laufe einer Lohnperiode und wäre ohne Mitwirkung des Dienstnehmers nicht oder kaum zu bewerkstelligen, weshalb praktisch ausgeschlossen werden könne, daß die Gebietskrankenkasse eine solche Überprüfung vorgenommen habe, stelle sich als reine Schutzbehauptung dar. Auch das in der Beschwerde angeführte Rechenbeispiel entbehre jeder realistischen Anhaltspunkte. Es sei deshalb davon auszugehen, daß die vom Dienstgeber angebotene Entlohnung "zumutbar" im Sinne des ASVG gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend macht.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, und legte die Verwaltungsakten vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 1 AlVG verliert der Arbeitslose, der sich weigert, eine ihm vom Arbeitsamt zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden vier Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Gemäß § 9 Abs. 2 leg. cit. ist eine Beschäftigung zumutbar, die den körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen angemessen ist, seine Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist und dem Arbeitslosen eine künftige Verwendung in seinem Beruf nicht wesentlich erschwert.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist als angemessene Entlohnung im Sinne des § 9 Abs. 2 AlVG das nach dem (im konkreten Fall anzuwendenden) Kollektivvertrag gebührende Entgelt anzusehen (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 13. September 1985, Zl. 83/08/0210, vom 23. Mai 1989, Zl. 88/08/0161, vom 19. September 1989, Zl. 88/08/0162, vom 12. Mai 1992, Zl. 92/08/0051, sowie vom 20. Oktober 1992, Zl. 92/08/0042, mit weiteren Judikaturhinweisen). Das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmales ist im Hinblick auf die gebotene Entlohnung für die konkret zugewiesene Beschäftigung zu prüfen (vgl. auch das bereits zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Mai 1989, Zl. 88/08/0161). Das bedeutet, daß das Anbot einer unterkollektivvertraglichen Entlohnung die konkret zugewiesene Beschäftigung als unzumutbar erscheinen läßt: denn obwohl dem Arbeitslosen im Falle des Abschlusses eines Arbeitsvertrages entsprechend diesem Anbot im Hinblick auf § 3 ArbVG ein Anspruch auf das nach dem Kollektivvertrag gebührende Mindestentgelt zustünde, kann es ihm doch nicht zugemutet werden, zunächst einen insoweit teilnichtigen Arbeitsvertrag abzuschließen und dann, letzlich auf gerichtlichem Weg, die ihm nach dem Kollektivvertrag gebührende Entlohnung zu erwirken. Wird dem Arbeitslosen - so wie im Beschwerdefall - ein monatliches Nettopauschale angeboten, so liegt ein Anbot unterkollektivvertraglicher Entlohnung vor, wenn das angebotene monatliche Pauschale unter der kollektivvertraglich vorgesehenen Entlohnung liegt. Eben dies wurde aber vom Beschwerdeführer behauptet. Auch die belangte Behörde hat - in Erkennung der Entscheidungsrelevanz dieser Behauptung - ergänzende Ermittlungen in dieser Richtung gepflogen, jedoch die sich gerade aus der Auskunft des Österreichischen Gewerkschaftsbundes vom 2. November 1989 ergebenden Zweifel, wonach der Kollektivvertrag für das Autobusgewerbe eine detaillierte Lohnabrechnung vorsehe und grundsätzlich Stundenlohn im Kollektivvertrag verankert sei, wohingegen eine "Nettopauschalentlohnung" überhaupt keinen Aufschluß darüber geben könne, ob die Kollektivvertragmindestnormen überhaupt eingehalten würden, vielmehr aus einer derartigen Vereinbarung eher anzunehmen sei, daß die Mindestnormen des Kollektivvertrages UNTERschritten würden, offengelassen. Es kann der belangten Behörde jedenfalls darin nicht gefolgt werden, wenn sie den vom Beschwerdeführer angestrebten Vergleich des ihm angebotenen Nettomonatspauschales mit einer dem Kollektivvertrag entsprechenden Mindestentlohnung als "Schutzbehauptungen" abtut. Es wäre Sache der belangten Behörde gewesen, zweifelsfrei zu klären, welcher Umfang und welche Art von Arbeitsleistungen mit dieser "Pauschale" abgegolten sein sollten und welches Entgelt der Kollektivvertrag hiefür vorsieht. Da sie dies aber unterlassen hat, belastete sie ihren Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie bei deren Einhaltung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff vwGG iVm der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992080053.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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