TE Vwgh Erkenntnis 1993/7/7 91/04/0338

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Veröffentlicht am 07.07.1993
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

GewO 1973 §74 Abs1;
GewO 1973 §74 Abs2 idF 1988/399;
GewO 1973 §74 Abs2;
GewO 1973 §74 Abs3 idF 1988/399;
GewO 1973 §75;
GewO 1973 §77 Abs1 idF 1988/399;
GewO 1973 §77 Abs1;
GewO 1973 §79 idF 1988/399;
GewO 1973 §79;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Pallitsch und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Paliege, über die Beschwerde der X Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 17. Oktober 1991, Zl. 301.029/5-III-3/91, betreffend Vorschreibung einer Auflage gemäß § 79 GewO 1973, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien - Magistratisches Bezirksamt für den 10. Bezirk - vom 14. Dezember 1989 wurde der Beschwerdeführerin in Ansehung ihrer rechtskräftig genehmigten Betriebsanlage zur Ausübung des Kleinhandelsgewerbes mit Nahrungs- und Genußmitteln im Standort Wien, I-Straße 113, gemäß § 79 GewO 1973 folgende zusätzliche Auflage vorgeschrieben:

"In der Zeit von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr darf keine Anlieferung von Waren erfolgen."

Einer seitens der Beschwerdeführerin dagegen erhobenen Berufung gab der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 15. Februar 1990 keine Folge.

Über eine auch dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin erkannte der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mit Bescheid vom 17. Oktober 1991 dahin, daß die in Rede stehende Auflage zu lauten habe wie folgt:

"In der Zeit von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr dürfen in der Betriebsanlage keine Lieferungen stattfinden."

Im übrigen wurde der Berufung keine Folge gegeben.

Zur Begründung wurde ausgeführt, der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten habe zur Klärung des Sachverhaltes am 17. Juni und am 18. Juni 1991 eine mündliche Augenscheinsverhandlung durchgeführt. Im Zuge der Verhandlung hätten der gewerbetechnische und der amtsärztliche Sachverständige gemeinsam nachstehenden Befund erstattet:

"Im Rahmen des Augenscheines am 17.6.1991 wurden zwischen 22.12 Uhr und 23.40 Uhr in der Wohnung des Ehepaares R, B-Gasse 7/15, Schallpegelmessungen durchgeführt. Dabei wurde das Meßgerät (Brüel & Kjaer Typ 2230) im Raum ca. 0,5 m vor dem geöffneten Schlafzimmerfenster, ca. 1,2 m über dem Boden aufgestellt (auf Grund der vorhandenen Möbelaufstellung war die Aufstellung des Meßgerätes - wie sonst üblich - 1,5 m vor geöffnetem Fenster nicht möglich). Das in Rede stehende Schlafzimmerfenster führte auf die I-Straße. Das Meßgerät wurde mit dem akustischen Kalibrator (Brüel & Kjaer, Typ 4230) kontrolliert. Alle im folgenden angegebenen Meßwerte sind A-bewertete SchalldRpegel.

Die direkt über dem Anlieferungsbereich der Fa. X gelegene Wohnung war zum Zeitpunkt des Augenscheines nicht zugängig, daher wurde der oben beschriebene Meßpunkt, dessen Horizontalentfernung zum Anlieferungsbereich ca. 10 m betrug ausgewählt. Um vergleichbare Meßwerte zu erhalten, wurde daher auch der von der Fa. X beigestellte Lkw um die gleiche Entfernung versetzt angehalten bzw. aufgestellt, sodaß der Haltepunkt des Lkw in zweiter Spur vor dem Fenster des Raumes, in dem sich der Meßpunkt befunden hat, zu liegen kam.

Während der Messungen herrschte bedecktes aber warmes Wetter. Hin und wieder traten Windböen auf. Die Meßwerte, die durch Windeinflüsse gestört wurden, wurden ausgeschieden und scheinen daher nicht in den folgenden Meßwerttabellen auf. Während des Augenscheines kam es öfters zu Vorbeifahrten von PKW, welche Spitzenwerte (je nach Fahrstil) zwischen 58 und 68 dB hervorriefen. Zwischen diesen Verkehrslärmereignissen traten auch öfters Verkehrspausen auf. Während dieser waren lediglich Verkehrsgeräusche von den entfernter liegenden Straßen und vereinzelt auch Geräusche eines Autobusses hörbar. Diese letztgenannten Geräusche konnten auf Grund der Wettersituation allerdings nicht den Meßwerten zugeordnet werden.

Die auf der I-Straße im Nahebereich des Meßpunktes durchgeführten LKW-Fahrbewegungen bzw. Be- und Entladesimulationen ergaben folgende Meßwerte:

Betätigen der DRluftbremse .................... 55 bis 73 dB

Schlaggeräusche im Inneren des LKW ............... 60 bis 65 dB

Spannen der Laderaumkette ............................... 50 dB

Fahrt eines Wagerls auf der Ladebordwand des LKW .... bis 72 dB

Schließen der Laderaumtür ........................ 58 bis 60 dB

Quietschen .............................................. 66 dB

Einzelnes Türschlagen ............................... bis 66 dB

Fahrt des Wagerls über das Straßenpflaster ....... 60 bis 67 dB

Heranfahrt des LKW ...................................... 62 dB

Zurufe zwischen Ladezone und LKW ................. 50 bis 75 dB

Leerlaufgeräusche des LKW ........................ 53 bis 55 dB

Während des Leerlaufbetriebes des LKW war am Meßpunkt auch der Geruch von LKW-Abgas deutlich wahrnehmbar.

Der energie-äquivalente Dauerschallpegel und der Grundgeräuschpegel konnten auf Grund der aufgetretenen Windgeräusche nicht gemessen werden. Der Grundgeräuschpegel wurde allerdings bereits im vorinstanzlichen Verfahren von der MA 22 in der Nacht vom 15. 11. 1988 auf 16. 11. 1988 zwischen 01.00 Uhr und 03.00 Uhr mit 31 dBA-bewertet, ermittelt. Der Meßpunkt befand sich dabei in der Wohnung der Fam. H, I-Straße 130/3/19, im straßenseitig gelegenen Kinderzimmer. Die Messung fand dabei bei geöffnetem Fenster statt. Die akustische Situation stellt sich subjektiv als nur durch vom vorbeiflutenden Individualverkehr kurzzeitig unterbrochene relativ ruhige Umgebung dar. Das Zeitverhältnis zwischen Vorbeifahrt des Individualverkehrs und den relativ langen bis 2 min. langen Verkehrspausen ließe gerade den EindR einer eher ruhigen Umgebungssituation entstehen.

Obwohl bei Simulationen dieser Art meistens durch unterschiedliches Ladegut bzw. unterschiedliche Fahr- und Ladeweise gegenüber der Realität ein leicht verzerrtes Bild entstehen kann, ist auch hier im gegenständlichen Fall der Ablauf der ladekausalen Störgeräusche mit denen aus vergleichbaren Situationen gut übereinstimmend. Dies gilt insbesondere für den Ablauf der auftretenden Geräusche, der bei jedem Ladevorgang in annähernd der gleichen Reihenfolge abläuft: Es enstehen Störgeräusche durch das Heranfahren des LKW, durch die Betätigung der DRluftbremsen, anschließend das Öffnen der Ladebordwand, das Verbringen des Ladeguts auf die Ladebordwand, das Absenken unter entsprechenden Quietschgeräuschen, schließlich die Geräusche durch das Schieben der Wagerln zum Lieferanteneingang. Während der Simulation mit nur einem Wagerl benötigte der geschilderte Vorgang zwischen 6 und 7 min. und es ist anzunehmen, daß bei mengenmäßig mehr anfallendem Ladegut diese Zeitspanne vergrößert wird. Auf Grund der langen Verkehrspausen waren die auftretenden Störgeräusche eindeutig identifizierbar und einem Ladevorgang vor den Fenstern der Anrainer zuordenbar. Subjektiv fielen vor allem die informationshaltigen Störgeräusche wie Zurufe und die impulshaltigen Geräusche beim Öffnen der Ladebordwand und das Zuschlagen der Fahrerkabinentür besonders unangenehm auf."

Darauf habe der gewerbetechnische Amtssachverständige folgendes Gutachten abgegeben:

"Gegen die Geräusche, die durch Zu- und Abfahrt von Lkw bzw. Manipulationen beim Be- und Entladen derselben im Freien entstehen, können aus technischer Sicht keine Abhilfemaßnahmen vorgeschlagen werden, die von der Seite der Konsenswerberin allein durchgeführt werden könnten."

In der Folge habe der ärztliche Amtssachverständige nachstehendes Gutachten erstattet:

"Vorausschickend ist festzustellen, daß die gegenständlichen Störgeräusche in einem medizinisch sensiblen Zeitraum auftreten, nämlich während der Nachtstunden. Sie sind deshalb vor allem hinsichtlich einer möglichen Störwirkung auf die Schlafqualitäten (Einschlafen, Durchschlafen, Aufwachen) zu überprüfen.

Als zweiter Umstand ist zu berücksichtigen, daß, wie bereits im Befund angedeutet, ein "Standardablauf" von verschiedenen Geräuschen bei jeder Ladetätigkeit auftritt und erwartbar ist. Diese Störgeräuschpalette, die ca. 6 bis 7 min. dauert, tritt also mehrmals pro Nacht auf.

Das Geräuschspektrum besteht daher aus einer Aufeinanderfolge von Störgeräuschen, die den Grundgeräuschpegel beträchlich übersteigen und im Unterschied zum Individualverkehr sowohl zeitlich wie auch qualitativ wesentliche Unterschiede (wie beschrieben) aufweist. Hinsichtlich der Intensität der beschriebenen Störgeräusche können als Auswirkungen auf den menschlichen Organismus von gesunden, normal empfindenden Säuglingen, Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen vor allem Weckwirkungen erwartet werden. Umsomehr, da auch impulshaltige Störgeräusche, wie das Schließen der Fahrerkabinentür und der Ladebordwand mit Intensitäten bis zu 66 dB in der auftretenden Geräuschpalette enthalten sind. Aus statistischen Untersuchungen ist bekannt, daß ca. ein Drittel der Bevölkerung bei Störgeräuschen, die größer als 40 dB sind, Weckreaktionen zeigen. Dies außerdem umsomehr je entmündeter diese Personengruppe ist wie z.B. in den frühen Morgenstunden. Wie bereits beschrieben, sind bereits im Zeitraum um 23.00 Uhr die Verkehrspausen relativ lang (z.B. 1 bis 1,5 min.) und die Wahrscheinlichkeit, daß während eines 7 min. dauernden Liefervorganges Störgeräusche in der gemessenen Intensität während der verkehrsruhigen Pausen auftreten ist sehr hoch. Dies bedeutet, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Weckwirkung durch die beschriebenen Störgeräusche zu erwarten ist.

Beim Auftreten der informationshaltigen Geräusche wie z.B. Zurufe wäre neben der Intensität (bis 75 dB) auch die Verständlichkeit zu beurteilen, dies spielt aber, im Hinblick auf eine mögliche Weckwirkung nur eine untergeordnete Rolle. Geräusche mit einer derartigen Qualität würden eher Auswirkungen auf die Einschlafphase besitzen.

Auf Grund der anzunehmenden Störung der Schlafqualitäten (Durchschlafen, Aufwachen) durch die beschriebenen Störgeräusche treten als weitere Folge - und dies bestätigt auch die Erfahrung des täglichen Lebens - am nächsten Tag Müdigkeit und Konzentrationsschwäche auf. In weiterer Folge kann es zum Auslösen von vegetativen Regulationsmechanismen kommen, da der menschliche Organismus einerseits versucht, das Entstehen des Schlafdefizits zu kompensieren und andererseits durch die immer wiederkehrenden Störwirkungen (ausgen. Samstag Nacht) eine ebenfalls vegetativ gesteuerte Streßreaktionen zum Zeitpunkt des Geschehens auftritt. Als Folge dieser Streßreaktion und der auf längere Zeit nicht ohne weiters kompensierbaren Ruhedefizite treten über hormonelle Regelungsmechanismen organmanifeste Auswirkungen, wie z.B. Hebung des BlutdRes, Veränderung des Magen-Darm-Drüsensekrets auf. Unter den gegebenen Voraussetzungen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht auszuschließen, daß in weiterer Folge auch organmanifeste Erkrankungen wie z.B. Magengeschwüre entstehen können."

Auf die Frage des Vertreters der Beschwerdeführerin betreffend die Zuordenbarkeit der Zurufe habe der technische Amtssachverständige ausgeführt, daß die Zurufe von Personen sowohl im Bereich des Lkw als auch im Meßpunkt nahegelegenen Gehsteigbereich erfolgt seien. Diese Feststellung habe durch den Verhandlungsleiter, der die diesbezüglichen Simulationen überwacht habe, bestätigt werden können.

Auf die Frage des Vertreters der Beschwerdeführerin, ob der in zweiter Instanz erhobene Geräuschpegel direkt für die nun erstellten Gutachten übernommen werden könnte, insbesondere da dieser gegenüber dem Augenschein vom 17. Juni 1991 während einer anderen Jahreszeit und einer anderen Tageszeit erhoben worden sei, habe der technische Amtssachverständige ausgeführt:

"Auf Grund der Wettersituation konnte im Rahmen des Augenscheines am 17.6.1991 der Grundgeräuschpegel, wie bereits erwähnt, nicht gemessen werden. Es konnte aber festgestellt werden, daß der Grundgeräuschpegel jedenfalls unter 40 dB betragen haben muß. Da weder aus dem Bezugsakt noch aus den Aussagen des Konsensinhabers hervorgeht, daß die Anlieferungen nur zu einer bestimmten Zeit in der Nacht erfolgen sollen, kann auch durchaus angenommen werden, daß die Anlieferungen zwischen 01.00 Uhr und 03.00 Uhr erfolgen können. Es wäre daher jedenfalls nicht ausreichend, nur den Grundgeräuschpegel heranzuziehen, der vor 24.00 Uhr im Falle einer günstigeren Wettersituation gemessen worden wäre. Es kann durchaus angenommen werden, daß der Grundgeräuschpegel nach 24.00 Uhr noch weiter absinkt und daher ein Wert von 31 dB durchaus realistisch wirkt. Es kann allerdings ohnehin nicht ausgeschlossen werden, daß auch an direkt aufeinanderfolgenden Tagen zur jeweils gleichen Uhrzeit Grundgeräuschpegel gemessen werden, die um bis zu ca. 2 dB differieren."

Der ärztliche Amtssachverständige habe hiezu ergänzt, daß die Differenz der Störgeräuschpegel zum Grundgeräusch derart hoch sei, daß eine Änderung des Grundgeräuschpegels auf Werte bis zu unter 40 dB (wie die durch Wind nicht verwertbare Messung ergeben habe), keine Änderung der beschriebenen Auswirkungen herbeiführen würde.

Auf die Frage des Vertreters der Beschwerdeführerin, ob sich an der medizinischen Beurteilung etwas ändern würde, wenn nur ein Zuliefervorgang pro Nacht erfolgen würde, habe der ärztliche Amtssachverständige ausgeführt wie folgt:

"Aus medizinischer Sicht bewirken gerade die regelmäßig mit hoher Erwartbarkeit aufeinanderfolgenden Störgeräusche während eines Liefervorganges mit bis zu 7 min. die medizinischen Auswirkungen. Ein häufigeres Auftreten dieser Abläufe kann die Auswirkungen nur verstärken. Eine Reduktion der Auswirkungen wäre daher nur durch eine Reduktion der Einzelereignisse oder durch ein Verlegen des Ereigniszeitraumes in einen medizinisch nicht zu kritischen Zeitraum (nahe an 22.00 Uhr oder nahe an 6.00 Uhr) zu erreichen."

Hierauf wurde in rechtlicher Hinsicht unter Bezugnahme auf § 79 Abs. 1 GewO 1973 ausgeführt, das vom Bundesminister durchgeführte ergänzende Ermittlungsverfahren habe ergeben, daß im vorliegenden Fall eine nächtliche Liefertätigkeit in der Dauer von 6 bis 7 Minuten Lärmimmissionen bei den Nachbarn bewirke. Diese wichen von der Umgebungsgeräuschsituation derart ab, daß eine Störung des Schlafes jedenfalls zu erwarten sei. Diese Schlafstörung sei auf Grund des Betriebsablaufes unter Berücksichtigung der Angaben der Beschwerdeführerin in jeder Nacht zu erwarten, sodaß eine Gesundheitsgefährdung der Nachbarn nicht ausgeschlossen werden könne. Da technische Maßnahmen zur Verhinderung dieser gesundheitsgefährdenden Immissionen nicht möglich seien, sei es der Behörde oblegen, den Schutz der Nachbarschaft durch ein Verbot der Liefertätigkeiten in der Nacht zu gewährleisten. Auflagen gemäß § 79 GewO 1973 zur Vermeidung von Gesundheitsgefährdungen seien jedenfalls als verhältnismäßig im Sinne dieser Bestimmung anzusehen. Es sei lediglich die ursprüngliche Auflage im erstinstanzlichen Bescheid zu konkretisieren gewesen, um klarzustellen, daß sich diese an die Beschwerdeführerin richte.

Zur Stellungnahme der Beschwerdeführerin werde festgehalten:

Die Bekanntgabe, wonach Anlieferungen in der Zeit zwischen 22.00 Uhr und 06.00 Uhr früh nur mehr seitens der Firma NÖM durchgeführt würden, könne an der Entscheidung nichts ändern, zumal der ärztliche Amtssachverständige seine Schlußfolgerungen auf Grund der Sachverhaltsfeststellungen auch für jenen Fall aufrechterhalten habe, wonach pro Nacht lediglich ein Zuliefervorgang stattfinde. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach Störlärmmessungen seitens der MA 22 andere Werte als jene des gewerbetechnischen Amtssachverständigen des Bundesministeriums ergeben hätten, werde entgegengehalten, daß die im Schreiben der MA 22 vom 19. Jänner 1989 zitierten Meßwerte keiner bestimmten Betriebsanlage eindeutig zugeordnet werden könnten. Aus dem Meßbericht sei nicht ersichtlich, ob während dieser Messung Geräusche, verursacht durch die Belieferung der Betriebsanlage der Beschwerdeführerin oder durch die Belieferung eines anderen in der Nähe gelegenen Marktes erhoben worden seien. Aus den zitierten Messungen gehe also nicht eindeutig hervor, welche Schallimmissionen bei den Nachbarn, hervorgerufen durch die nächtliche Belieferung der gegenständlichen Betriebsanlage, tatsächlich aufträten. Aus diesem Grund habe sich auch die Behörde gehalten gesehen, ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchzuführen. Die Einholung einer weiteren Stellungnahme des gewerbetechnischen Amtssachverständigen in diesem Zusammenhang erübrige sich daher. Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach bei Anliefervorgängen durch Fremdfirmen lediglich eine Person beteiligt sei, sei festzuhalten, daß die Beschwerdeführerin auf die Anzahl der beteiligten Personen keine Einflußmöglichkeiten habe. Bei derartigen Liefertätigkeiten könne nicht ausgeschlossen werden, daß Zurufe auch im Bereich des Gehsteiges in unmittelbarer Nähe des Lieferanteneinganges erfolgten. Es seien im übrigen nur jene Zurufe bei den Sachverhaltsfeststellungen berücksichtigt worden, die im Rahmen der diesbezüglichen Simulationen erfolgten. Weiters handle es sich bei den Zurufen nur um einen kleinen Ausschnitt des überaus vielfältigen Lärmspektrums bei den Liefertätigkeiten. Der ärztliche Amtssachverständige habe eine gesundheitsgefährdende Wechselwirkung auch eher durch die anderen betriebsspezifischen Geräusche als durch die simulierten Zurufe angenommen. Zutreffend seien die Ausführungen der Beschwerdeführerin, das Zuschlagen der Fahrertür des Liefer-LKWs sei teilweise auch durch den Verhandlungsleiter erfolgt. Dies sei erforderlich gewesen, um "ein unnatürlich leises Türschließen" im Rahmen der Simulationen zu verhindern und jene Geräuschstärke zu erreichen, wie sie nach den Erfahrungen des täglichen Lebens bei einem derartigen Liefervorgang zu erwarten seien. Da der Verhandlungsleiter selbst Halter eines Kraftfahrzeuges sei, habe er auch eine entsprechende Beurteilung vornehmen können. "Übermäßig lautes Türzuschlagen" sei jedenfalls nicht erfolgt. Weiters werde bemerkt, die Verlegung der simulierten Liefertätigkeit um 10 m sei im Befund der Sachverständigen berücksichtigt und begründet worden. Eine Verzerrung oder Änderung der Meßwerte sei dadurch nicht gegeben gewesen. Da auch unmittelbar vor dem Lieferanteneingang Straßenpflaster vorhanden sei, habe sich auch in dieser Hinsicht keine Änderung ergeben. Aus dem Befund gehe weiters eindeutig hervor, daß das erhobene Quietschen jedenfalls dem simulierten Zuliefervorgang zuzuordnen sei. Die Umgebungsgeräuschsituation sei im Befund schlüssig dargelegt worden. Die Feststellung, wonach das Zeitverhältnis zwischen Vorbeifahrt des Individualverkehrs und den relativ langen, bis zu 2 Minuten langen Verkehrspausen gerade den EindR einer eher ruhigen Umgebungssituation entstehen habe lassen, sei auf Grund der nächtlichen Erhebungen erfolgt und sei nachvollziehbar. Eine genaue Zählung des KFZ-Verkehrs sei nicht erforderlich gewesen, zumal im Befund mit ausreichender Deutlichkeit klargelegt worden sei, daß des öfteren Verkehrspausen aufgetreten seien, die auch bis zu 2 Min. dauern haben können. Die in der Stellungnahme zitierte Verkehrszählung widerspreche diesen Feststellungen jedenfalls nicht, zumal selbst bei einer Frequenz von 100 Fahrzeugen pro Stunde mangels gleichmäßiger Verteilung Verkehrspausen bis zu 2 Minuten auftreten könnten. Im übrigen sei entgegen der Stellungnahme festzuhalten, daß die im Befund angegebene Dauer der Verkehrspausen bis zu 2 Minuten keineswegs geschätzt worden seien. Diese Aussage hätte sich auf Grund der unmittelbaren Wahrnehmungen im Zuge des Augenscheins ergeben. Die medizinische Beurteilung der Lärmimmissionen habe sich auf eine Ladetätigkeit in der Dauer von 6 bis 7 Minuten bezogen. Dies gehe aus der Niederschrift eindeutig hervor. Zutreffend sei das Vorbringen, wonach bestimmte betriebsspezifische Geräusche der Ladetätigkeiten durch Spitzenwerte bei Vorbeifahrten von PKW übertroffen werden könnten. Dabei sei aber wiederum auf das Auftreten längerer Verkehrspausen und insbesondere auf die unterschiedliche Charakteristik der diesbezüglichen betriebsspezifischen Geräusche gegenüber den Umgebungsgeräuschen hinzuweisen. Wie bereits ausgeführt, habe der medizinische Amtssachverständige seine Beurteilung auch für den Fall aufrecht gehalten, daß lediglich ein Zuliefervorgang pro Nacht erfolge. Eine mögliche Reduktion der gesundheitsgefährdenden Auswirkungen habe er lediglich im Falle der Reduktion der im Rahmen eines Zuliefervorganges auftretenden Einzelereignisse angenommen. Eine derartige Reduzierung sei jedoch auf Grund der Charakteristik und des typischen Ablaufes eines derartigen Zuliefervorganges eben nicht möglich und könne vor allem auch nicht durch eine Auflage erzwungen werden. Hinsichtlich des Grundgeräuschpegels werde im Befund auf das Meßergebnis der MA 22 verwiesen, das von der Beschwerdeführerin nicht angezweifelt werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ihrem gesamten Vorbringen zufolge erachtet sich die Beschwerdeführerin in dem Recht auf Unterbleiben der in Rede stehenden Auflagenvorschreibung gemäß § 79 GewO 1973 verletzt. Sie bringt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften unter anderem vor, der angefochtene Bescheid verbiete in Abänderung des Spruches der Unterinstanz Liefertätigkeiten IN DER BETRIEBSANLAGE in der Zeit von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr. Es hätten während des gesamten Verfahrens keine Lärmmessungen über Tätigkeiten innerhalb der Betriebsanlage stattgefunden. Alle Lärmmessungen bezögen sich auf Anlieferungen und Lärmmessungen auf der Straße, somit außerhalb der Betriebsanlage. Ohne Messungen und Verfahrensergebnisse über Lärmbelästigungen innerhalb der Betriebsanlage lasse sich aber der Bescheidspruch nicht stützen. Weiters bringt die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang vor, die belangte Behörde begründe nicht, warum sie der Meinung sei, daß in der Betriebsanlage keine Liefertätigkeiten stattfinden dürften. Aus dem gesamten Akt ergebe sich kein Hinweis über Beschwerden von Liefervorgängen INNERHALB der Betriebsanlage.

Schon mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin im Eregebnis im Recht:

Nach § 74 Abs. 2 GewO 1973 dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde (§ 333, 334, 335) errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind, die in den Z. 1 bis 5 angeführten Gefährdungen, Belästigungen, Beeinträchtigungen oder sonstigen nachteiligen Einwirkungen hervorzurufen.

Gemäß § 79 Abs. 1 GewO 1973, in der Fassung vor der Gewerberechtsnovelle 1992, BGBl. Nr. 29/1993, hat die Behörde (§§ 333, 334, 335), wenn sich nach Genehmigung der Anlage ergibt, daß die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid und im Betriebsbewilligungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind, die nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen oder sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zur Erreichung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen (§ 77 Abs. 1) vorzuschreiben. Die Behörde hat solche Auflagen nicht vorzuschreiben, wenn sie unverhältnismäßig sind, vor allem, wenn der mit der Erfüllung der Auflagen verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit den Auflagen angestrebten Erfolg steht. Dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und die technischen Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen.

Eine "Auflage" im Sinne des § 79 wie im Sinne des § 77 Abs. 1 GewO 1973 kann jede bestimmte, der Vermeidung von Immissionen dienende und zur Erfüllung dieses Zweckes geeignete und behördlich erzwingbare Maßnahme des Inhabers der Betriebsanlage zum Gegenstand haben (vgl. hiezu u.a. das hg. Erkenntnis vom 2. Juli 1992, Zl. 92/04/0056, und die dort zitierte weitere hg. Rechtsprechung).

Nach der im Spruch neu gefaßten Auflage dürfen zu bestimmten Zeiten "IN DER BETRIEBSANLAGE keine Lieferungen stattfinden". Dabei hat es die belangte Behörde jedoch unterlassen, festzustellen, ob und gegebenenfalls welcher Lärm im Zusammenhang mit den Liefervorgängen "IN DER BETRIEBSANLAGE" entstanden ist bzw. weshalb sie annimmt, daß der im Zuge des Ermittlungsverfahrens simulierte und gemessene Lärm "IN DER BETRIEBSANLAGE" entstanden sei.

Daran vermag auch nichts zu ändern, wenn die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift ausführt, daß Immissionen, hervorgerufen im "Ladebereich" eines Verkaufsmarktes, jedenfalls der Betriebsanlage zuzurechnen seien, selbst wenn sich dieser auf einer öffentlichen Verkehrsfläche befinde. Dadurch, daß das wesentlich zum Betriebsgeschehen in einer Betriebsanlage gehörende Zufahren zu dieser und das betreffende Wegfahren von dieser - nicht jedoch das bloße Vorbeifahren auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr - dem einer Betriebsanlage zugehörigen Geschehen ZUZURECHNEN ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Oktober 1979, Slg. N.F. Nr. 9943/A) - in der Neufassung des § 74 Abs. 3 durch die Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. Nr. 399, allerdings mit der Einschränkung, daß zu DIESEN Vorgängen nicht mehr jene zählen, die von Personen herrühren, die die Anlage der Art des Betriebes gemäß in Anspruch nehmen (die Einschränkung "in der Betriebsanlage" bezieht sich nur auf diese Personen und nicht auf den Inhaber der Anlage und seine Erfüllungsgehilfen) - wird die Grenze zwischen Betriebsanlage und ihrer Umwelt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 6. Februar 1990, Zl. 89/04/0089, 0090) nicht verändert. In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof im obzitierten Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Oktober 1979 auch ausgesprochen, daß die Eignung einer "örtlich gebundenen Einrichtung" die Nachbarn zu belästigen, in Vorgängen, die sich zwar AUßERHALB, aber im engeren örtlichen Bereich einer Betriebsanlage abspielen, liegen kann. Diese Rechtslage gilt auch unbeschadet dessen, daß eine Auflage im Sinne der §§ 77 Abs. 1 und 79 GewO 1973 nur als ein an den Inhaber einer Betriebsanlage gerichteter normativer Ausspruch - mit entsprechender Sanktionsmöglichkeit - ergehen darf (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. März 1989, Zl. 88/04/0238).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1991040338.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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