TE Vfgh Erkenntnis 1991/2/26 B1301/88

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Veröffentlicht am 26.02.1991
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art8
VStG §35
EGVG ArtIX Abs1 Z1
EGVG ArtIX Abs1 Z2
EGVG ArtVIII zweiter Tatbestand

Leitsatz

Verletzung der Beschwerdeführerin im Recht auf persönliche Freiheit durch eine Festnahme und Anhaltung ohne Rechtsgrundlage; keine gerechtfertigte Annahme des Vorliegens der Verwaltungsdelikte der Lärmerregung, der Ordnungsstörung und des ungestümen Benehmens

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist dadurch, daß sie am 25. Mai 1988 um ca. 13.40 Uhr von einem Organ der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen und in der Folge bis 14.20 Uhr angehalten wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden des Beschwerdevertreters die mit S 42.000,- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin begehrt mit ihrer auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof die kostenpflichtige Feststellung, daß sie "durch die am 25.5.1988 durch ein Organ der Bundespolizeidirektion Wien erfolgte Festnahme und darauf folgende Anhaltung von ca. 13.40 bis 14.20 Uhr in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht der Freiheit der Person verletzt" worden sei.

In der Beschwerde wird der Sache nach ausgeführt, daß die Beschwerdeführerin, Besitzerin des Kaffeehauses "W" in 1100 Wien, am 25.5.1988 selbst Fleischwaren für die Küche des Kaffeehauses angeliefert und im Rahmen dieser Ladetätigkeit ihren PKW mit dem polizeilichen Kennzeichen W in unmittelbarer Nähe des Kaffeehauses in der W-gasse Nr. 24 in einer Halteverbotszone, mit Gültigkeit Werktags von 07.00 - 18.00 Uhr, ausgenommen Ladetätigkeit, abgestellt habe.

Um ca. 13.30 Uhr habe Rev.Insp. K das Kaffeehaus "W" betreten und den Besitzer des PKW W aufgefordert, aus der Ladezone wegzufahren, widrigenfalls der PKW abgeschleppt würde. Die Beschwerdeführerin habe sich Rev.Insp. K als Lenkerin des PKW vorgestellt und ihm erklärt, daß sie gerade eine Ladetätigkeit durchführe. Das einschreitende Organ habe darauf erwidert, daß ihn dies "nicht interessiere", weil es sich um eine Ladezone für Lastkraftwagen handle.

Die Beschwerdeführerin habe das einschreitende Organ in der Folge darauf aufmerksam gemacht, daß dabei insofern ein Irrtum vorliege, als diese Ladezone nicht auf Ladetätigkeiten durch Lastkraftfahrzeuge eingeschränkt sei. Die Frage der Beschwerdeführerin nach dem Grund für die angedrohte Abschleppung, weil selbst bei der behaupteten Rechtswidrigkeit keine Behinderung des Verkehrs vorliege und noch einige andere Personenkraftwagen in der Halteverbotszone abgestellt seien, in welcher keine Ladetätigkeit wahrzunehmen wäre, habe das einschreitende Organ damit beantwortet, daß er "abschleppen lassen (könne), wen er will".

Während des gesamten Gespräches sei ihre Schwiegermutter Frau H S anwesend gewesen, größenteils habe auch die Serviererin Frau R K die Amtshandlung mitverfolgt.

Im weiterer Folge habe die Beschwerdeführerin das einschreitende Organ nochmals befragt, weshalb ihr PKW abgeschleppt werden solle, weil sie gerade eine Ladetätigkeit durchführe und die übrigen Personenkraftwagen, obwohl dort eine Ladetätigkeit nicht ersichtlich sei, nicht beanstandet würden. Daraufhin habe das einschreitende Organ gesagt: "Sie sind hiermit festgenommen und ihr Auto lasse ich von der Feuerwehr abschleppen."

Diesem Ausspruch der Festnahme sei keine gesetzmäßige Ermahnung zur Abstellung eines Verhaltens, welches eine Festnahme rechtfertigen würde, vorangegangen. Des weiteren sei kein gerechtfertigter Grund für eine Festnahme vorgelegen. Weder sei es zu einer Lärmerregung gekommen noch hätten sich wie von Rev.Insp. K behauptet "50 bis 60 Personen im Verlauf der Amtshandlung eingefunden bzw. aus dem Fenster geblickt"; vielmehr hätten lediglich wenige Passanten die Amtshandlung miterlebt.

Die Beschwerdeführerin sei in der Folge - ohne gegen die ihrer Auffassung nach rechtswidrige Amtshandlung Widerstand zu leisten - auf das Bezirkspolizeikommissariat F verbracht worden. Nach Aufnahme ihrer Personalien sei sie in einer Zelle noch ca. 5 bis 10 Minuten festgehalten worden. Danach sei sie umgehend freigelassen worden.

Nach ihrer Freilassung habe sie feststellen können, daß ihr PKW noch immer in der Ladezone abgestellt gewesen sei. Auch zu diesem Zeitpunkt sei der Verkehr dadurch nicht behindert gewesen, noch sei die vom einschreitenden Organ angedrohte Abschleppung veranlaßt worden.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich dadurch, daß sie am 25.5.1988 um ca. 13.40 Uhr von einem Organ der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen, auf das Bezirkspolizeikommissariat 1100 Wien, verbracht und dort bis 14.20 Uhr festgehalten worden sei, obwohl kein gerechtfertigter Grund zur Festnahme vorgelegen habe und sie sich auch bei der Einlieferung in das Kommissariat durch einen behördlichen Ausweis ausgewiesen habe, in dem durch Art8 des Staatsgrundgesetzes und §4 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit verfassungsmäßig gewährleisteten Recht auf Freiheit der Person verletzt.

2. Die - durch die Finanzprokuratur vertretene - Bundespolizeidirektion Wien als belangte Behörde erstattete unter Vorlage der Verwaltungsakten eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt und den Sachverhalt folgendermaßen darstellt:

Am 25.5.1988 gegen 13.30 Uhr sei Rev.Insp. V K von einem unbekannten Lenker eines Kraftwagenzuges aufgefordert worden, wegen des gegenüber dem Haus Nr. 23 in der W-gasse, 1010 Wien, vorschriftswidrig abgestellten PKW, Marke Mercedes, Type 500 SE, mit dem Kennzeichen W einzuschreiten. Dieser PKW sei in einem ordnungsgemäß kundgemachten Halteverbotsbereich gestanden, der durch eine Zusatztafel dadurch eingeschränkt gewesen sei, daß werktags von 07.00 bis 18.00 Uhr die Durchführung von Ladetätigkeiten erlaubt sei. Die in der Anzeige aufgenommene Aufschrift der Zusatztafel "ausgenommen Ladetätigkeit mit Lastkraftwagen" beruhe auf einem Irrtum von Rev.Insp. K, weil sie richtigerweise nicht auf Ladetätigkeit mit Lastkraftwagen eingeschränkt gewesen sei. Der unbekannte Lenker gab an, daß er keine Person gesehen habe, die eine Ladetätigkeit verrichtet habe. Auch Rev.Insp. K habe niemanden beobachten können, der mit der Durchführung einer Ladetätigkeit beschäftigt gewesen wäre. Rev.Insp. K habe sich in der Zeit von 13.30 Uhr bis ca. 13.45 Uhr in unmittelbarer Nähe des gegenständlichen PKW aufgehalten, ohne eine Person wahrzunehmen, die eine Ladetätigkeit durchgeführt hätte. Aufgrund von Erhebungen nach dem Lenker des Fahrzeuges sei von Passanten erklärt worden, daß es sich dabei um die Inhaberin des in der Nähe befindlichen Kaffeehauses "W" handeln könne. Das einschreitende Organ habe daraufhin dieses Kaffeehaus aufgesucht, um den Lenker aufzufordern, aus dem Halteverbotsbereich wegzufahren.

Im Kaffeehaus "W" habe sich die Beschwerdeführerin als die Lenkerin des fraglichen PKW vorgestellt und Rev.Insp. K gefragt, "was er von ihr wolle". Die von ihr dabei gewählte Lautstärke habe unzweifelhaft erkennen lassen, daß sie wegen des Einschreitens des Straßenaufsichtsorgans sehr erzürnt gewesen sei. Ihr weiteres Verhalten habe sowohl den anwesenden Gästen als auch Passanten auf dem Gehsteig vor dem Lokal Anlaß gegeben, ihre Aufmerksamkeit der Amtshandlung zuzuwenden. Rev.Insp. K habe der Beschwerdeführerin die Weisung erteilt, mit dem Fahrzeug wegzufahren, weil durch das vorschriftswidrige Abstellen die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs behindert werde. Dieser Aufforderung habe die Angewiesene entgegnet, daß sie den Standort ihres Fahrzeuges solange nicht zu verändern gedenke, bis ihr erklärt würde, weshalb die Abstellung ihres Fahrzeuges jemanden behindere. Rev.Insp. K habe ihr daraufhin erklärt, daß insbesondere der Lenker eines Kraftwagenzuges eine Verkehrsbehinderung verursacht habe, weil er am Zufahren zur "Ladezone" gehindert gewesen sei. Diese Äußerung habe Rev.Insp. K mit der Ankündigung der Veranlassung der Abschleppung des Fahrzeuges verbunden, wenn die Lenkerin weiterhin nicht bereit sei, den Standort des PKW zu verändern. Diese Ankündigung habe bei der Beschwerdeführerin bewirkt, daß sie ihr ablehnendes und agressives Verhalten gegenüber Rev.Insp. K noch gesteigert habe. Sie habe insbesondere geschrien, noch immer nicht verstanden zu haben, warum sie mit ihrem PKW wegfahren solle. Weiters habe sie lautstark darauf hingewiesen, daß er nicht nur die Entfernung ihres PKW, sondern auch die der anderen in der "Ladezone" abgestellten Fahrzeuge zu veranlassen habe.

Während des Gespräches hätten die Beschwerdeführerin und Rev.Insp. K das Lokal verlassen und sich zum vorschriftswidrig abgestellten PKW begeben. Auf dem Weg dorthin habe sich die Auseinandersetzung fortgesetzt und die Beschwerdeführerin auf ihren Standpunkt beharrt, daß sie nicht einsehe, warum sie ihren PKW aus der "Ladezone" entfernen solle. Die Beschwerdeführerin hätte keine Bereitwilligkeit gezeigt, durch Entfernen ihres Fahrzeuges den vorschriftswidrigen Zustand zu beenden und dadurch die "Ladezone" freizumachen. "Ihre im schreienden Tonfall vorgebrachten Argumente" habe sie "durch die entsprechende Gestik ihrer Arme" unterstützt. Zahlreiche Passanten seien daher stehen geblieben und hätten den Verlauf der Amtshandlung beobachtet. Trotz Aufforderung durch die Passanten, ihr Auto aus dem Halteverbotsbereich zu entfernen, hätte die Beschwerdeführerin auf ihrer Weigerung beharrt und diese damit begründet, daß auch der Lenker des anderen PKW angezeigt werden möge bzw. die Entfernung dessen Fahrzeuges veranlaßt werden solle. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin sei allerdings kein weiteres Fahrzeug in der "Ladezone" abgestellt gewesen. Obwohl die Beschwerdeführerin auf diesem Umstand aufmerksam gemacht worden sei, habe sie ihr agressives Verhalten gegenüber dem einschreitenden Organ nicht eingestellt. Rev.Insp. K habe daraufhin die Beschwerdeführerin aufgefordert, ihr ihm gegenüber agressives, ungestümes und jeder sachlichen Grundlage entbehrendes Verhalten einzustellen. Da sie dieser Aufforderung nicht nachkam, habe ihr das einschreitende Organ die Festnahme angedroht, falls sie sich nicht beruhige. Die Beschwerdeführerin kam dieser Aufforderung nicht nach und habe Passanten aufgefordert, gegen das Straßenaufsichtsorgan Stellung zu nehmen. Die Beschwerdeführerin sei daher in weiterer Folge von Rev.Insp. K gemäß §35 litc VStG 1950 festgenommen und in das Bezirkspolizeikommissariat F überstellt worden. Da sich die Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt bereits beruhigt gehabt habe und nicht zu befürchten gewesen sei, daß sie ihr Verhalten fortsetzen würde, sei ihre Entlassung veranlaßt worden. Die Anhaltung habe von 13.45 bis 14.20 Uhr angedauert.

Zur rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhaltes führt die belangte Behörde aus, daß Rev.Insp. K in der Dauer von 13.30 Uhr bis 13.45 Uhr keinerlei Ladetätigkeit wahrgenommen habe und er daher berechtigterweise davon ausgehen konnte, daß der Vorschrift des §62 Abs3 StVO 1960 nicht entsprochen war. Das einschreitende Organ habe daher gemäß §97 Abs4 StVO 1960 berechtigterweise die Anordnung erteilt, den PKW aus dem Halteverbotsbereich zu entfernen. Die Beschwerdeführerin habe diese Weisung nicht befolgt und lautstark gegen das Einschreiten des Sicherheitswachebeamten polemisiert. Durch dieses Verhalten seien Passanten auf die Amtshandlung aufmerksam geworden und hätten die Beschwerdeführerin aufgefordert, der Weisung des Sicherheitswachebeamten nachzukommen. Trotz erfolgter Abmahnung habe die Beschwerdeführerin ihr aggressives Verhalten, das darüber hinaus durch lautstark geäußerte unsachliche Bemerkungen gekennzeichnet war, fortgesetzt und auch dann nicht eingestellt, als die Festnahme angedroht worden sei. Dadurch habe der Beamte mit gutem Grund annehmen können, daß "eine Übertretung der ArtVIII bzw. IX Abs1 Z1 EGVG 1950 vorgelegen" habe, und auch der Haftgrund des §35 litc VStG 1950 sei aufgrund der Fortsetzung dieses Verhaltens trotz erfolgter Abmahnung und Androhung der Festnahme rechtmäßigerweise angenommen worden. Da die Beschwerdeführerin lediglich 35 Minuten angehalten worden sei, wäre auch die Bestimmung des §36 Abs1 erster Satz VStG 1950 nicht verletzt worden, weshalb die Beschwerde abzuweisen sei.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zum Sachverhalt erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen Rev.Insp. V K, R K, H S sowie der Beschwerdeführerin E Z als Partei im Rechtshilfeweg sowie durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt Pst 7941/88 der Bundespolizeidirektion Wien.

2. Aufgrund des Parteienvorbringens und des durchgeführten Beweisverfahrens nimmt der Verfassungsgerichtshof folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt als erwiesen an:

Die Beschwerdeführerin E Z hatte am 25.5.1988 ihren PKW mit dem polizeilichen Kennzeichen W in der W-gasse Nr. 24 in einer Halteverbotszone mit Gültigkeit "Werktags von 07.00 Uhr bis 18.00 Uhr, ausgenommen Ladetätigkeit", abgestellt. Um ca. 13.40 Uhr dieses Tages forderte Rev.Insp. V K die Beschwerdeführerin auf, ihren PKW aus dem Halteverbotsbereich zu entfernen. Die Beschwerdeführerin teilte dem einschreitenden Organ daraufhin mit, daß sie gerade eine Ladetätigkeit durchgeführt und deshalb ihren PKW rechtmäßigerweise in dem insoweit eingeschränkten Halteverbotsbereich abgestellt hat. Rev.Insp. K wies die Beschwerdeführerin (fälschlicherweise) darauf hin, daß es sich bei der verordneten Ausnahme vom Halteverbotsbereich lediglich um Ladetätigkeiten mit Lastkraftwagen handle. Zutreffend stellte die Beschwerdeführerin dies in Abrede. Rev.Insp. K nahm dies jedoch nicht zur Kenntnis und beharrte darauf, daß die Beschwerdeführerin ihren PKW aus dem Halteverbotsbereich zu entfernen habe. Die Beschwerdeführerin kam dieser Aufforderung nicht nach und bestand auf einer Erklärung für das von ihr verlangte Verhalten. Diese Diskussion lenkte die Aufmerksamkeit einiger vorbeigehender Passanten auf sich. Nach Androhung der Festnahme für den Fall, daß die Beschwerdeführerin ihr Verhalten ihm gegenüber nicht einstelle, sprach Rev.Insp. V K die Festnahme gegenüber der Beschwerdeführerin aus, da sie - seiner Auffassung nach - trotz Abmahnung in der Fortsetzung einer strafbaren Handlung verharrt hatte. Unklar blieb, wegen welcher Verwaltungsübertretungen Rev.Insp. K die Beschwerdeführerin festnahm. Während unter der Rubrik "Betrifft" in der Anzeige vom 25.5.1988 (Zl. Pst 7941/88) unter Pkt. 4. der Beschwerdeführerin offenbar auch - neben Verwaltungsübertretungen gem. ArtIX Abs1 Z1 und VIII, 2. Begehungsfall EGVG - "ungestümes Benehmen" als Verwaltungsübertretung zur Last gelegt wird, führt Rev.Insp. K in der Anzeige selbst lediglich aus, daß das Verhalten der Angezeigten bei den in der Zwischenzeit zahlreich angesammelten Passanten beträchtliches Aufsehen und Ärgernis erregt und zu einer Störung der Ordnung an einem öffentlichen Ort geführt habe. Überdies sei durch das Schreien - jenes habe bei weitem den am Tatort vorherrschenden Verkehrslärm übertönt - ungebührlicherweise störender Lärm erregt, bzw. der öffentliche Anstand verletzt worden. Ob die Festnahme daher auch auf den Verwaltungsstraftatbestand des "ungestümen Benehmens" iSd ArtIX Abs1 Z2 EGVG gestützt wurde, läßt sich weder der Anzeige des einschreitenden Organs noch der - zu dieser Frage nicht Stellung nehmenden - Gegenschrift der belangten Behörde entnehmen, geschweige denn, daß dies der Beschwerdeführerin anläßlich ihrer Festnahme hinreichend deutlich gemacht wurde. Nach der um 13.45 Uhr erfolgten Festnahme und Überstellung in das Bezirkspolizeikommissariat F wurde die Beschwerdeführerin bis 14.20 Uhr in Haft behalten und unmittelbar danach entlassen.

3. Die Parteienbehauptungen sowie die Zeugenaussagen divergieren in mehrfacher Hinsicht.

Die Beschwerdeführerin behauptet, daß ihr Verhalten gegenüber dem einschreitenden Organ keinesfalls aggressiv gewesen sei. Insbesondere habe sie weder geschrien noch heftig gestikuliert. Diese Aussage wird sowohl von der Schwiegermutter der Beschwerdeführerin Frau H S als auch von der Serviererin R K bestätigt. Wenn die belangte Behörde demgegenüber in unterschiedlichen Formulierungen die Auffassung vertritt, daß die Beschwerdeführerin ein aggressives Verhalten an den Tag gelegt, nämlich geschrien und wild mit den Armen gestikuliert hätte, und dazu die Aussage Rev.Insp. K ins Treffen führt, konnte der Gerichtshof dieser Behauptung schon deswegen keinen Glauben schenken, weil die Aussagen des Sicherheitswachebeamten im Gegensatz zu denen der Beschwerdeführerin und der beiden anderen Zeuginnen in sich unstimmig und daher wenig überzeugend erschienen.

So behauptete Rev.Insp. K sowohl in seiner Anzeige als auch bei seiner Rechtshilfevernehmung, daß die Beschwerdeführerin vorbeikommende Passanten aufgebracht und aufgefordert habe, gegen das polizeiliche Einschreiten Stellung zu nehmen. Dies habe dazu geführt, daß sich im Verlauf der Amtshandlung 50 bis 60 Personen einfanden bzw. aus dem Fenster blickten. Diese Aussage wird sowohl von der Beschwerdeführerin als auch von den beiden Zeuginnen in Abrede gestellt. Die Aussage von Rev.Insp. K wirkt jedoch in sich unstimmig, wenn er einerseits angibt, daß sich durch das Verhalten ca. 60 Personen eingefunden hätten (vgl. Seite 5 der Rechtshilfevernehmung vom 14.2.1989), an anderer Stelle (vgl. Seite 2 der Rechtshilfevernehmung vom 14.2.1989) aber davon spricht, daß es sich bei den 50 bis 60 Personen um "Passanten, die in einem Nahebezug gestanden" haben, handelte, die "zum Teil" stehenblieben und die Amtshandlung wahrnahmen. Dieser Widerspruch in den Aussagen von Rev.Insp. K läßt in Zusammenhalt mit den Aussagen der Beschwerdeführerin sowie der dazu befragten Zeuginnen den Schluß zu, daß die Amtshandlung keinesfalls die vom einschreitenden Organ behauptete öffentliche Aufmerksamkeit erregt hatte.

Eine weitere widersprüchliche Aussage von Rev.Insp. K besteht darin, daß er bei seiner Rechtshilfevernehmung am 9.2.1989 (Protokoll Seite 7) zur Frage der Ausweisleistung angibt, daß sich die Beschwerdeführerin möglicherweise ausgewiesen habe, ohne daß er das jedoch mit Sicherheit sagen könne. Laut Seite 9 des Protokolls derselben Rechtshilfevernehmung sagt er aus: "Nach meiner Erinnerung hat die Frau auf meine Aufforderung keinen Ausweis vorgezeigt, sondern erst im Wachzimmer. Unrichtig ist, daß sie mir den Führerschein gezeigt hat."

III. Der Verfassungsgerichtshof beurteilt den festgestellten Sachverhalt rechtlich wie folgt:

1. Die Festnahme der Beschwerdeführerin einschließlich ihrer Überstellung in das Bezirkspolizeikommissariat F und ihrer Anhaltung bildet einen Verwaltungsakt, der in Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gesetzt wurde und der - da ein administrativer Instanzenzug nicht vorgesehen ist - nach Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG in der Fassung vor der Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988, BGBl. Nr. 685/1988, vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpft werden konnte. Da das gegenständliche Verfahren am 1. Jänner 1991 bereits anhängig war, ist es gemäß ArtIX Abs2 der genannten Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988 nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen.

Die Beschwerde ist sohin zulässig.

2. Die Beschwerde ist auch begründet.

a) Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. Nr. 87/1862, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. Nr. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt wurde und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz galt, sowie gemäß Art8 Abs4 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988, auf das vorliegende Verfahren anzuwenden ist, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen.

§35 VStG 1950 (nunmehr wiederverlautbart mit BGBl. Nr. 52/1991) ist ein solches Gesetz (VfSlg. 7252/1974), doch setzt die Festnehmung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in allen in dieser Gesetzesvorschrift angeführten Fällen (lita bis c) ua. zwingend voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird: Sie muß sich also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat zu schulden kommen lassen und bei Begehung dieses Delikts betreten werden, wobei die erste dieser beiden Voraussetzungen schon dann vorliegt, wenn das Organ die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund annehmen durfte (s. VfSlg. 4143/1962, 7309/1974, 10112/1984, 11593/1988).

b) Demgemäß war zunächst zu prüfen, ob das hier einschreitende Sicherheitsorgan mit gutem Grund - und damit vertretbar - zur Auffassung gelangen konnte, daß die Beschwerdeführerin die Übertretungen nach ArtIX Abs1 Z1 EGVG 1950 idF der Novelle BGBl. Nr. 232/1977 (nunmehr wiederverlautbart mit BGBl. Nr. 50/1991) und nach ArtVIII, 2. Begehungsfall EGVG 1950 idF der Novelle BGBl. Nr. 232/1977 begangen habe.

Nach ArtIX Abs1 Z1 EGVG 1950 verantwortet eine Verwaltungsübertretung, wer "durch ein Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet ist, die Ordnung an öffentlichen Orten stört".

Das Tatbild dieses Verwaltungsstraftatbestandes ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes durch zwei Elemente gekennzeichnet: Zum ersten muß das Verhalten des Täters geeignet sein, bei einem normal empfindenden Menschen Ärgernis zu erregen; zum zweiten muß durch dieses Verhalten die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört, also ein Zustand hergestellt worden sein, welcher der Ordnung widerspricht, wie sie an einem solchen Ort jedenfalls zu fordern ist.

Nach ArtVIII, 2. Begehungsfall EGVG 1950 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer ungebührlicherweise störenden Lärm erregt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes wird (störender) Lärm im Sinne dieses Tatbildes dann "ungebührlicherweise" erregt, wenn das inkriminierte Verhalten jene Rücksichtnahme vermissen läßt, welche die Umwelt regelmäßig verlangen kann.

Angesichts des vom Verfassungsgerichtshof (oben II.2.) festgestellten Sachverhalts ist die Auffassung, daß die Beschwerdeführerin nach der sich damals dem Sicherheitsorgan darbietenden Situation ersichtlich die Grenze zum Strafbaren überschritt, unhaltbar und unvertretbar. Mag auch eine größere Anzahl von Passanten einer teilweise heftigeren Diskussion zwischen der Beschwerdeführerin und dem Sicherheitswachebeamten wegen des im Halteverbotsbereich (ausgenommen Ladetätigkeit) abgestellten Kfz der Beschwerdeführerin gewahr geworden sein, so wurde dadurch weder die an Ort und Stelle zu fordernde Ordnung gestört (Übertretung nach ArtIX Abs1 Z1 EGVG 1950) noch von der Beschwerdeführerin durch ihre Einlassung in die Diskussion ein Lärm erregt, mit dem sie jene Rücksichtnahme vermissen ließ, welche die Umwelt regelmäßig verlangen kann (Verwaltungsübertretung nach ArtVIII, 2. Begehungsfall EGVG 1950). Selbst für den Fall, daß das einschreitende Organ die Festnahme auch auf eine Verwaltungsübertretung gem. ArtIX Abs1 Z2 EGVG gestützt haben sollte, ist doch - im Hinblick auf sämtliche im vorliegenden Fall in Frage kommenden Verwaltungsübertretungen - das hier relevante, sich im wesentlichen in der Verfechtung ihres Rechtsstandpunktes erschöpfende Verhalten in Würdigung des damaligen Geschehens insgesamt noch als vertretbare und - ungeachtet eines möglichen Wortüberschwangs - hinzunehmende Reaktion auf die Haltung des einschreitenden Sicherheitswachebeamten zu beurteilen, die keineswegs unter Strafsanktion steht (vgl. dazu VfSlg. 2906/1955, 9229/1981, 10112/1984, 11593/1988).

So gesehen konnte das Sicherheitswacheorgan nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes nicht mit gutem Grund annehmen, daß der Beschwerdeführerin auch bloß eine der herangezogenen Verwaltungsübertretungen zur Last gefallen sei.

War aber die Beurteilung des Verhaltens der Beschwerdeführerin als Verwaltungsübertretung unvertretbar, konnten auch Festnehmungsgründe gemäß §35 VStG 1950 nicht in Betracht kommen. Die Festnehmung und anschließende Anhaltung der Beschwerdeführerin waren infolgedessen gesetzwidrig.

Die Beschwerdeführerin wurde somit durch ihre Festnehmung und darauf folgende Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt.

3. Die Kostenentscheidung fußt auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist USt in der Höhe von S 7.000,-

enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Polizeirecht, Lärmerregung, Ordnungsstörung, Benehmen ungestümes, Festnehmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B1301.1988

Dokumentnummer

JFT_10089774_88B01301_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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