TE Vwgh Erkenntnis 1993/9/9 93/01/0235

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Veröffentlicht am 09.09.1993
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
AsylG 1991 §1 Z1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Händschke und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des I, zuletzt in M, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in M, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. November 1992, Zl. 4.324.089/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120.-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG erlassenen Bescheid vom 11. November 1992 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers, eines pakistanischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 26. Februar 1992, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, ab.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 21. Oktober 1991 ausgeführt, er sei seit 1982 Mitglied der "Pak. Peoples Partei" (PPP), die im Oktober 1990 infolge Wahlbetrugs die Wahlen verloren habe. Im September 1990 sei das Haus und Lebensmittelgeschäft (offenbar der Familie des Beschwerdeführers) "von der gegnerischen Partei Moslem Liga" angezündet worden, wodurch der Beschwerdeführer arbeitslos geworden sei. Ende April 1991 sei der Beschwerdeführer von der Moslem Liga für zehn Tage entführt und unter Todesdrohung aufgefordert worden, sich schriftlich von seiner Partei loszusagen. Der Beschwerdeführer habe jedoch die Unterschrift verweigert. Nach seiner Freilassung habe er versucht, diese Vorgänge bei der Polizei zur Anzeige zu bringen; die Anzeige sei aber nicht entgegengenommen worden. Da die gegnerische Partei schon öfter Leute entführt und umgebracht habe, habe der Beschwerdeführer aus Angst davor im Juni 1991 sein Heimatland verlassen.

In seiner gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung hat der Beschwerdeführer diese Angaben bekräftigt und ergänzend angeführt, er habe sich als Aktivist für die PPP betätigt und sich offen zu seinen politischen Ansichten und zu seiner demokratischen Einstellung bekannt. Durch seine Aktivitäten sei die "Islamisch-Fundamentalistische Polizei (IJI)" auf ihn aufmerksam geworden, die ihn mehrmals in Haft genommen habe. Während der jeweiligen Haft und so auch zuletzt während einer Inhaftierung in der Zeit vom 27. April bis 6. Mai 1991 sei er schwer mißhandelt und gefoltert worden. Eine Beschwerde bei der Regierungspolizei habe keinen Erfolg gehabt. Die Aussicht auf weitere Inhaftierungen und Folterungen und der Umstand, daß der Bruder des Beschwerdeführers seit 1989 verschwunden sei, hätten den Beschwerdeführer veranlaßt, sein Heimatland zu verlassen.

Die belangte Behörde hat die Abweisung des Asylantrages zunächst damit begründet, daß dem über die Angaben während der niederschriftlichen Einvernahme vom 21. Oktober 1991 hinausgehenden Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers volle Glaubwürdigkeit nicht zugesprochen werden könne, weil er während der angeführten Einvernahme keinerlei Ausführungen über Inhaftierungen durch die Polizei und damit verbundene Mißhandlungen und Folterungen gemacht habe. Allenfalls tatsächlich erfolgte Mißhandlungen durch Mitglieder der Regierungspartei könnten nicht als asylbegründende mittelbare staatliche Verfolgung gewertet werden, weil derartige Übergriffe selbständige Handlungen von Einzelpersonen darstellten, welche - auch wenn sie von Organen der Polizei oder von Angehörigen der Regierungspartei gesetzt worden sein sollten - nicht als politisch, religiös oder ethnisch motivierte, vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlungen anzusehen seien. Die Aktivitäten des Beschwerdeführers für die PPP und die Furcht, wegen der Mitgliedschaft bei dieser Partei getötet zu werden, könnten einen Asylanspruch nicht begründen, weil Pakistan seit Herbst 1988 wieder ein demokratischer Staat mit einer regulären Verfassung sei. Die Angaben des Beschwerdeführers, daß die Polizei seine Anzeigen nicht entgegengenommen habe, seien unglaubwürdig, weil die staatlichen Stellen Pakistans "rein formell aufgrund der Gesetze" alle Bürger gleich behandelten. Dieses innenpolitische Geschehen habe sich vor der Ausreise des Beschwerdeführers ereignet und sei dem Beschwerdeführer daher nicht zur Stellungnahme vorzuhalten gewesen. Konkrete individuelle Verfolgung durch die Behörden seines Heimatlandes habe der Beschwerdeführer nie behauptet. Andernfalls wäre dem Beschwerdeführer, der auch im Besitz eines gültigen Reisepasses gewesen sei, eine Ausreise auf dem Luftweg kaum möglich gewesen.

Der Beschwerdeführer hat bereits bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vorgebracht, die Polizei habe eine von ihm beabsichtigte Anzeige wegen Inhaftierung durch die Moslem Liga nicht entgegengenommen. Damit hat er zum Ausdruck gebracht, daß die staatlichen Behörden nicht gewillt waren, ihm gegen Übergriffe dieser Gruppierung Schutz zu bieten. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits zu wiederholten Malen ausgeführt, daß gegen Asylwerber gesetzte Maßnahmen auch dann als Verfolgung angesehen werden können, wenn sie nicht von staatlichen Stellen ausgehen, die Behörden aber entweder nicht in der Lage oder nicht willens sind, gegen solche Übergriffe Schutz zu bieten (vgl. die bei Steiner, Österreichisches Asylrecht, 1990, S 30, angeführte Judikatur). Damit kann aber der unter Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers vertretenen Auffassung der belangten Behörde, die Übergriffe seien vom Heimatstaat des Beschwerdeführers nicht geduldet worden, nicht gefolgt werden.

Die belangte Behörde hat der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Inhaftierung durch die Moslem Liga lediglich entgegengehalten, daß er keine Inhaftierung durch die Polizei geltend gemacht habe. Damit hat die belangte Behörde aber eine Auseinandersetzung mit der Frage unterlassen, inwieweit die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Furcht, er werde wieder seitens der Moslem Liga inhaftiert werden, als begründet anzusehen ist. Auch wäre von der belangten Behörde zu prüfen gewesen, ob es im Hinblick auf das einen deutlichen Hinweis auf Verfolgung enthaltende Vorbringen des Beschwerdeführers erforderlich gewesen wäre, - bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 - gemäß § 16 Asylgesetz 1991 ergänzende Ermittlungen durchführen zu lassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0883).

Nicht gefolgt werden kann der belangten Behörde auch darin, daß sie die Rechtsansicht vertritt, der von ihr ohne Angabe von Erkenntnisquellen ihrer Entscheidung zugrunde gelegte Umstand, daß Pakistan seit Herbst 1988 wieder ein demokratischer Staat sei und daß die staatlichen Stellen rein formell auf Grund der Gesetze alle Bürger gleich behandelten, habe dem Beschwerdeführer nicht vorgehalten werden müssen, weil ihm das innenpolitische Geschehen in seinem Heimatland, das sich vor seiner Ausreise ereignet habe, bekannt habe sein müssen. Vielmehr muß gemäß § 45 Abs. 3 AVG jeder Partei insbesondere Gelegenheit geboten werden, sich über die als offenkundig behandelten Tatsachen und über das Ergebnis amtlicher Erhebungen zu äußern. Diesem Gebot ist die belangte Behörde aber - wie sie selbst ausführt - nicht nachgekommen.

Da der Sachverhalt sohin in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und somit auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993010235.X00

Im RIS seit

21.12.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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