TE Vfgh Erkenntnis 1991/3/1 G189/90

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Veröffentlicht am 01.03.1991
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Index

23 Insolvenzrecht, Exekutionsrecht
23/04 Exekutionsordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
VfGG §62 Abs1
EO §302
ZPO §506 Abs1 Z2

Leitsatz

Aufhebung des §302 EO; keine sachliche Rechtfertigung für Ausnahme eines unter öffentlicher Verwaltung stehenden Fonds von der Verpflichtung zur Drittschuldneräußerung

Spruch

§302 der Exekutionsordnung, RGBl. Nr. 118/1914, idF der Kundmachung des Bundeskanzlers vom 18. Mai 1990, BGBl. Nr. 280/1990, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Das Landesgericht Feldkirch als Rekursgericht stellt gemäß Art140 B-VG den Antrag, §302 der Exekutionsordnung, RGBl. Nr. 118/1914, idF der Kundmachung des Bundeskanzlers vom 18. Mai 1990, BGBl. Nr. 280/1990 (im folgenden: EO), als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3. März 1990, G236/89, wurden die Worte "das Ärar oder" in §302 EO als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, daß die Aufhebung mit Ablauf des 28. Februar 1991 in Kraft tritt.

Eine Ersatzregelung ist nicht erfolgt.

Seit 1. März 1991 hat §302 EO damit folgenden Wortlaut:

"Die Bestimmungen des §301 finden bei Exekutionsführungen auf Forderungen, welche dem Verpflichteten gegen einen unter öffentlicher Verwaltung stehenden Fonds zustehen, keine Anwendung."

3. Das antragstellende Gericht bringt vor, die betreibende Partei des Exekutionsverfahrens habe gegen drei verpflichtete Parteien Drittschuldnerexekutionen beantragt, wobei hinsichtlich der zweitverpflichteten Partei die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter in Salzburg als Drittschuldner angeführt worden sei. Mit dem beim antragstellenden Gericht angefochtenen Beschluß habe das Erstgericht die Exekutionsanträge bewilligt, jedoch den Antrag der betreibenden Partei, auch der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter als Drittschuldner aufzutragen, sich binnen 14 Tagen zu äußern, unter Hinweis auf §302 EO abgewiesen. Gegen diesen abweisenden Teil des Beschlusses habe die betreibende Partei Rekurs erhoben und darin angeregt, die Verfassungsmäßigkeit des §302 EO beim Verfassungsgerichtshof überprüfen zu lassen.

Dieser Antrag sei aus folgenden Gründen gerechtfertigt:

"Nach §302 EO finden die Bestimmungen des §301 bei Exekutionsführungen auf Forderungen, welche dem Verpflichteten gegen das Ärar oder einem unter öffentlicher Verwaltung stehenden Fonds zustehen, keine Anwendung. Danach besteht auch für Sozialversicherungsträger keine Verpflichtung zur Drittschuldneräußerung (SVSlG 4176).

Diese Bestimmung verstößt jedoch gegen den Gleichheitsgrundsatz, weshalb der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 3.3.1990, G236/89-6, die Worte 'das Ärar oder' im §302 der Exekutionsordnung als verfassungswidrig aufgehoben hat. Die Aufhebung tritt jedoch erst mit Ablauf des 28. Februar 1991 in Kraft (Kundmachung des Bundeskanzlers vom 18. Mai 1990 in BGBl Nr. 280/1990)."

Aus diesem Grunde werde gemäß Art140 B-VG beantragt, §302 EO als verfassungswidrig aufzuheben.

4. Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand genommen.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

5.1. Drittschuldner im Anlaßverfahren ist u.a. die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter in Salzburg. Bei einem Sozialversicherungsträger handelt es sich um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (§32 Abs1 ASVG), die unter §302 EO fällt (vgl. SVSlg. 4176 und 4179; Heller-Berger-Stix, Kommentar zur Exekutionsordnung, Band III, S. 2178).

Die Präjudizialität des §302 EO ist daher zu bejahen. Auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen liegen vor:

Gemäß §62 Abs1 zweiter Satz VerfGG hat ein Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im einzelnen darzulegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes führt das Fehlen der Darlegung der Bedenken zur Zurückweisung des Antrages, ohne daß ein Auftrag zur Behebung dieses Mangels zu ergehen hat (VfSlg. 4692/1964, 7593/1975, 8641/1979, 11507/1987).

Das antragstellende Gericht begnügt sich im vorliegenden Antrag mit dem bereits wiedergegebenen Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3. März 1990, G236/89, mit dem die Worte "das Ärar oder" in §302 EO unter Fristsetzung (bis zum Ablauf des 28. Februar 1991) als verfassungswidrig aufgehoben wurden.

Eine bloße Verweisung auf Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes kann dem Erfordernis des §62 Abs1 zweiter Satz nur dann genügen, wenn die seinerzeit in Prüfung gezogene (und aufgehobene) und die nunmehr bekämpfte Rechtsvorschrift in den maßgeblichen Bestimmungen und auch in Ansehung des ihnen zugrunde liegenden Lebenssachverhaltes offenkundig gleich sind und wenn daher die Gründe, die seinerzeit zur Aufhebung der Rechtsvorschrift geführt haben, ohne weiters zur Gänze als Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit (Verfassungsmäßigkeit) der nunmehr bekämpften Rechtsvorschrift übertragen werden können (vgl. VfSlg. 8308/1978 zu dem diesbezüglich gleichlautenden §57 Abs1 zweiter Satz VerfGG 1953).

Diese Voraussetzung trifft im gegenständlichen Fall offenkundig zu. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist daher zulässig.

5.2. Der Antrag ist auch begründet:

Gegen §302 EO in der ab 1. März 1991 maßgeblichen Fassung treffen die gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken zu, die den Verfassungsgerichtshof veranlaßt haben, mit Erkenntnis vom 3. März 1990, G236/89, die damals das Ärar betreffende Ausnahmeregelung von der Verpflichtung zur Drittschuldneräußerung als verfassungswidrig aufzuheben. Es genügt daher, zur Begründung auf dieses Erkenntnis zu verweisen.

6. §302 EO ist daher als gleichheitswidrig aufzuheben.

Zu einer Fristsetzung sah sich der Verfassungsgerichtshof nicht veranlaßt, weil ein Bedürfnis nach einer Ersatzregelung offenkundig nicht besteht, wie sich aus dem Umstand ergibt, daß aufgrund des Erkenntnisses vom 3. März 1990, G236/89, von der Möglichkeit einer Ersatzregelung innerhalb der damals gesetzten Frist kein Gebrauch gemacht wurde.

Der Ausspruch über die Kundmachungspflicht stützt sich auf Art140 Abs5 B-VG.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Exekutionsrecht, Verweisung auf anderen Schriftsatz, VfGH / Formerfordernisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:G189.1990

Dokumentnummer

JFT_10089699_90G00189_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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