TE Vwgh Erkenntnis 1993/9/21 92/08/0206

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Veröffentlicht am 21.09.1993
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ABGB §1175;
ASVG §35 Abs1;
ASVG §357 Abs1;
ASVG §410 Abs1 Z1;
ASVG §410 Abs1;
ASVG §58 Abs2;
AVG §38;
AVG §56;
AVG §8;
AVG §9;
B-VG Art131 Abs1 Z1;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde 1. der A,

2. des Dr. G, 3. des Dr. Z und 4. der S, alle vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 21. Juli 1992, Zl. 121.318/3-7/92, betreffend Versicherungspflicht nach dem ASVG und dem AlVG (mP: 1. H in O, 2. Tiroler GKK,

3. Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 4. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt 65), zu Recht erkannt:

Spruch

1. Der angefochtene Bescheid wird über Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Erstbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

2. Die Beschwerde der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 18. Juli 1988 stellte die mitbeteiligte Tiroler Gebietskrankenkasse gemäß den §§ 409 und 410 Abs. 1 Z. 2 sowie den §§ 4 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG fest, "daß (die erstmitbeteiligte) H vom 1. März 1985 bis 31. Dezember 1987 beim Dienstgeber A (Erstbeschwerdeführerin) sozialversicherungs- und arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war".

Dem dagegen von der Erstbeschwerdeführerin erhobenen Einspruch gab der Landeshauptmann von Tirol mit Bescheid vom 15. Oktober 1991 keine Folge und bestätigte den bekämpften Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse.

Der von der Erstbeschwerdeführerin gegen den Einspruchsbescheid erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge und bestätigte den bekämpften Einspruchsbescheid.

Gegen diesen Bescheid erhob die Erstbeschwerdeführerin Beschwerde, nach der sie sich in ihrem Recht verletzt erachtet, daß die erstmitbeteiligte "Werkvertragsnehmerin nicht ASVG - bzw. AlVG - versicherungspflichtig ..., sondern im Rahmen des Werkvertrages ... als freie Werkunternehmerin tätig" gewesen sei. In Ausführung dieses Beschwerdepunktes macht sie unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, daß die Erstmitbeteiligte im relevanten Zeitraum in keinem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit zu ihr gestanden und daher nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei.

Mit Mängelbehebungsauftrag vom 30. Oktober 1992 wurde die Erstbeschwerdeführerin - zwecks Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, VwSlg. Nr. 12325/A) - zur Ergänzung des Sachverhaltes dahin aufgefordert, ob der Erstbeschwerdeführerin als Gesellschaft bürgerlichen Rechtes in der relevanten Zeit vom 1. März 1985 bis 31. Dezember 1987 überhaupt Rechtspersönlichkeit zugekommen sei; bejahendenfalls sei dies durch geeignete Nachweise zu belegen.

In ihrem Ergänzungsschriftsatz vom 9. Dezember 1992 berief sich die Erstbeschwerdeführerin zum Beweis für ihre Rechtspersönlichkeit im relevanten Zeitraum auf näher genannte Steuerbescheide und ein Schreiben der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 19. November 1992. Sollte allerdings - entgegen der Meinung der belangten Behörde - der Erstbeschwerdeführerin als Gesellschaft bürgerlichen Rechtes keine Rechtspersönlichkeit zukommen, so werde die gesamte Beschwerde in eventu auch namens der Gesellschafter der Erstbeschwerdeführerin im relevanten Zeitraum (der zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien) erhoben, die sich der Beschwerde "ausdrücklich in eventu" anschlössen.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm aber ebenso wie die mitbeteiligten Parteien (mit Ausnahme der mitbeteiligten Gebietskrankenkase) von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse beantragte in ihrer (nur zur Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin erstatteten) Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG sind in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung auf Grund dieses Bundesgesetzes die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§ 5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet. Nach § 4 Abs. 2 leg. cit. ist Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.

Gemäß § 35 Abs. 1 erster Satz leg. cit. gilt als Dienstgeber im Sinne dieses Bundesgesetzes derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb (die Verwaltung, die Hauswirtschaft, die Tätigkeit) geführt wird, in dem der Dienstnehmer (Lehrling) in einem Beschäftigungs(Lehr)verhältnis steht, auch wenn der Dienstgeber den Dienstnehmer durch Mittelspersonen in Dienst genommen hat oder ihn ganz oder teilweise auf Leistungen Dritter an Stelle des Entgeltes verweist.

Nach § 1 Abs. 1 lit. a AlVG sind für den Fall der Arbeitslosigkeit Dienstnehmer, die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigt sind, versichert (arbeitslosenversichert), soweit sie in der Krankenversicherung auf Grund gesetzlicher Vorschriften pflichtversichert oder selbstversichert (§ 19 a ASVG) und nicht nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen versicherungsfrei sind. Die Arbeitslosenversicherungspflicht nach dieser Bestimmung knüpft an ein "Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt" im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG an und endet mit ihm (vgl. Erkenntnis vom 29. November 1984, VwSlg. Nr. 11600/A).

Unter einem "Beschäftigungsverhältnis" im Sinne des § 35 Abs. 1 erster Satz ASVG ist, wie sich aus § 4 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit § 35 Abs. 1 erster Satz ASVG ergibt - sieht man zunächst von den Fällen der Indienstnahme durch eine Mittelsperson ab -, das dienstliche "Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit" des "Dienstnehmers" im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG zu dem "Dienstgeber" im Sinne des § 35 Abs. 1 erster Satz ASVG zu verstehen. Der Dienstgeber ist die "andere Seite" des abhängigen Beschäftigungsverhältnisses, ohne das die Pflichtversicherung nicht ausgelöst wird. Ob jemand in einem "Beschäftigungsverhältnis" im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG steht, ist daher immer in bezug auf eine bestimmte andere Person (bestimmte andere Personen), nämlich - wiederum zunächst vom Fall der Indienstnahme durch Mittelspersonen abgesehen - den Dienstgeber (die Dienstgeber), zu prüfen (vgl. u.a. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, VwSlg. Nr. 12325/A).

Gemäß § 58 Abs. 2 ASVG ist der Dienstgeber (im Sinne des § 35 ASVG) auch Beitragsschuldner.

Gemäß § 410 Abs. 1 erster Satz ASVG ist der Versicherungsträger zur Erlassung eines Feststellungsbescheides über die sich aus diesem Gesetz ergebenden Rechte und Pflichten des Versicherten oder des Dienstgebers berechtigt (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 24. März 1992, Zl. 91/08/0155, mwH, gem. Z. 7 ist er über deren Verlangen dazu verpflichtet: vgl. das Erkenntnis vom 17. September 1991, Zl. 90/08/0070).

Aus dem vorzitierten Regelungszusammenhang ergibt sich zunächst, daß der Versicherungsträger nicht über die Dienstgebereigenschaft im Sinne des § 35 Abs. 1 ASVG an sich einen Feststellungsbescheid erlassen darf, weil damit weder Rechte und Pflichten im Sinne der Formulierung des § 410 Abs. 1 erster Satz ASVG noch das Bestehen oder Nichtbestehen einer Pflichtversicherung im Sinne des § 410 Abs. 1 Z. 1 ASVG, noch die Verpflichtung zur Beitragsentrichtung festgestellt wird; die Dienstgebereigenschaft ist vielmehr wesentliches Sachverhaltselement (nicht Vorfrage im Sinne des § 38 AVG) sowohl für die Feststellung der Versicherungspflicht als auch für die Verpflichtung zur Entrichtung von Beiträgen, während die Feststellung der Versicherungspflicht zu jener über die Beitragspflicht im Verhältnis der Vorfrage im Sinne des § 38 AVG steht (vgl. unter anderem das Erkenntnis vom 22. Juni 1993, Zl. 92/08/0256, unter Hinweis auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 13. November 1978, Slg. Nr. 9689/A, und das Erkenntnis vom 5. März 1991, Zl. 89/08/0332).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund impliziert die zunächst durch den Einspruchs- und sodann den angefochtenen Bescheid bestätigte Feststellung im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides (alle drei Bescheide wurden unter anderem der Erstbeschwerdeführerin und der Erstmitbeteiligten zugestellt), daß die Erstmitbeteiligte vom 1. März 1985 bis 31. Dezember 1987 bei der Erstbeschwerdeführerin als Dienstgeberin sozialversicherungs- und arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei, jene, daß die Erstbeschwerdeführerin selbst (und nicht etwa die Gesellschafter dieser Gesellschaft bürgerlichen Rechtes, nämlich die zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien), im relevanten Zeitraum Dienstgeberin der Erstmitbeteiligten nach § 35 Abs. 1 erster Satz ASVG gewesen sei.

Obwohl einer solchen Gesellschaft nach dem Zivilrecht, das insofern zufolge der nach § 357 Abs. 1 ASVG im Verfahren über die Versicherungspflicht anwendbaren Bestimmung des § 9 AVG mangels einer Sonderregelung im ASVG auch für diesen Rechtsbereich gilt, - ungeachtet der behaupteten andersartigen Behandlung im Steuerrecht und in einem Schreiben der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse - keine Rechtspersönlichkeit zukommt und sie daher nicht als Zuordnungssubjekt der Rechte und Pflichten des sozialversicherungsrechtlichen Dienstgebers qualifiziert werden kann (vgl. auch dazu u.a. das schon zitierte Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, VwSlg. Nr. 12325/A), ist dennoch wegen der genannten im Bescheidspruch implizierten Feststellung der Dienstgebereigenschaft der Erstbeschwerdeführerin als Teilaspekt der Versicherungspflicht der Erstmitbeteiligten (vgl. das schon zitierte Erkenntnis vom 22. Juni 1993, Zl. 92/08/0256) mit rechtlichen Konsequenzen unter anderem im Beitragsrecht (§ 58 Abs. 2 ASVG) ihre Rechtsverletzungsmöglichkeit und daher Beschwerdeberechtigung im Sinne des Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG zu bejahen. Zufolge der normativen Wirkung eines (rechtskräftigen) bescheidmäßigen Abspruchs ist nämlich auch ein nicht rechtsfähiges Gebilde, dem in einem solchen Bescheid ungeachtet seiner mangelnden Rechtsfähigkeit Rechte und Pflichten zugeordnet werden, insoweit gleich einer sonstigen Verfahrenspartei zur Geltendmachung seiner (ihm zugeordneten) Rechte berechtigt. Da aber diese Feststellung nach den obigen Ausführungen rechtsirrig ist, war der angefochtene Bescheid, unabhängig davon, ob die Erstmitbeteiligte zu den Gesellschaftern der Erstbeschwerdeführerin im relevanten Zeitraum in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG stand, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Ihr Kostenmehrbegehren war indes wegen der bestehenden sachlichen Abgabenfreiheit (§ 110 ASVG) abzuweisen.

2. Hingegen war die von den zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien "in eventu", nämlich für den (nach Punkt 1 aber zutreffenden Fall), daß der Erstbeschwerdeführerin als Gesellschaft bürgerlichen Rechtes keine Rechtspersönlichkeit zukommen sollte, erhobene Beschwerde schon deshalb mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Fünfersenat zurückzuweisen, weil sie durch den angefochtenen Bescheid, mit dem nicht ihre Dienstgebereigenschaft, sondern nur jene der Erstbeschwerdeführerin festgestellt wurde, in keinem Recht verletzt sein können.

Eine Kostenentscheidung entfällt, da sich sowohl der Vorlagebericht der belangten Behörde als auch die Gegenschrift der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse nur auf die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin beziehen.

Schlagworte

Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992080206.X00

Im RIS seit

25.01.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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