TE Vfgh Erkenntnis 1991/3/8 B1286/89

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Veröffentlicht am 08.03.1991
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Anlaßfallwirkung der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §16 Abs2 RAO idF BGBl. 570/1973 mit E v 27.02.91, G135-141/90, G207, 208/90. weitere Anlaßfälle: B1569/89, B50/90, B94/90, B288/90, B349/90, B602/90, B692/90, B978/90, alle vom 08.03.91

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Oberösterreichische Rechtsanwaltskammer ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei die mit S 15.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit Bescheid der Abteilung II des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 5. September 1989 wurde der Beschwerdeführer gemeinsam mit zwei weiteren Rechtsanwälten gemäß §45 Abs1 RAO zum Verteidiger nach §41 Abs2 StPO (Verfahrenshelfer) in einem Strafverfahren bestellt.

Der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Vorstellung wurde mit Bescheid des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 14. September 1989, Z110 P/85, keine Folge gegeben.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums, auf Erwerbsfreiheit und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie des Verbotes zur Heranziehung zu Zwangs- und Pflichtarbeit nach Art4 Abs2 und 3 MRK und eine Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet werden und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Der Beschwerdeführer bringt im wesentlichen vor, daß er erst seit kurzer Zeit als selbständiger Rechtsanwalt tätig sei und seine Bestellung im vorliegenden Strafverfahren, das eine monatelange Verhandlungsdauer erwarten lasse, für ihn existenzgefährdend sei. Schon der Umfang der Akten (22 Bände mit zusammen über 10.000 Seiten) zeige, daß aufgrund der Belastungen, die ihm als Verfahrenshelfer erwachsen, jede andere Betätigung als selbständiger Rechtsanwalt für Monate ausgeschlossen werde. Der angefochtene Bescheid verletze ihn daher in den geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

4.1. Der Beschwerdeführer wurde aufgrund des §45 Abs1 RAO von der belangten Behörde zum Verfahrenshelfer bestellt, was zur Folge hatte, daß er gemäß §16 Abs2 RAO idF BGBl. Nr. 570/1973 verpflichtet war, die Verteidigung nach Maßgabe des Bestellungsbescheides zu übernehmen und mit der gleichen Sorgfalt wie ein freigewählter Rechtsanwalt zu besorgen. Aufgrund des §16 Abs2 leg.cit. hatte weder der Beschwerdeführer die Möglichkeit, die Übernahme der Verfahrenshilfe wegen unzumutbarer Belastung infolge überdurchschnittlicher Verfahrensdauer abzulehnen oder die Verteidigung zu einem späteren Zeitpunkt abzugeben, noch war es der belangten Behörde möglich, von Amts wegen bei der Bestellung diese besonderen Umstände zu berücksichtigen.

4.2. Mit Erkenntnis vom 27. Februar 1991, G135-141/90 ua., sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß §16 Abs2 der Rechtsanwaltsordnung vom 6. Juli 1868, RGBl. Nr. 96 idF BGBl. Nr. 570/1973, verfassungswidrig war.

Wie sich aus Art140 Abs7 B-VG ergibt, wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist darum so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zur Zeit der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte. Gleiches gilt im Falle eines Ausspruches nach Art140 Abs4 B-VG.

Die belangte Behörde hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.

Der Beschwerdeführer wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg. 10404/1985).

Der Bescheid war daher aufzuheben.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B1286.1989

Dokumentnummer

JFT_10089692_89B01286_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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