TE Vwgh Erkenntnis 1993/10/28 93/18/0276

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Veröffentlicht am 28.10.1993
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §39a Abs1;
AVG §71 Abs1 lita;
AVG §71 Abs1 Z1;
B-VG Art8;
FrPolG 1954 §14b Abs1 Z4;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z2;
FrPolG 1954 §3 Abs3 idF 1987/575;
MRK Art5;
MRK Art6 Abs3 lite;
VStG §49;
VStG §7;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des E in F, vertreten durch Dr. X, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 21. September 1992, Zl. FrB-4250/92, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 3 Abs. 1 und 2 Z. 2 in Verbindung mit § 4 Fremdenpolizeigesetz ein bis zum 31. Dezember 1997 befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet von Österreich erlassen. Nach der Begründung sei der Beschwerdeführer am 16. Februar 1991 gemeinsam mit seinem (am 30. Juli 1978 geborenen) Sohn A in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Der Sohn des Beschwerdeführers sei bei der Einreise nicht im Besitz eines gültigen österreichischen Sichtvermerkes gewesen. Mit Schreiben vom 5. März 1991 habe die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch den Beschwerdeführer aufgefordert, für die "Außerlandesschaffung" seines Sohnes bis spätestens 1. April 1991 zu sorgen, widrigenfalls er mit polizeilichen Maßnahmen rechnen müsse. Mit Eingabe vom 6. März 1991 habe der Beschwerdeführer für seinen Sohn einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt. Mit Bescheid vom 15. Oktober 1991 sei die Erteilung des Sichtvermerkes gemäß § 25 Paßgesetz 1969 rechtskräftig versagt worden. Der Beschwerdeführer habe es hierauf unterlassen, für die Ausreise seines minderjährigen Sohnes zu sorgen. Er sei wegen "Beihilfe zum illegalen Aufenthalt" (§ 7 VStG in Verbindung mit § 14b Abs. 1 Z. 4 Fremdenpolizeigesetz) insgesamt fünfmal rechtskräftig bestraft worden. Aufgrund der mehrmaligen Übertretungen des Fremdenpolizeigesetzes stelle der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar. An persönlichen und familiären Verhältnissen sei zu berücksichtigen gewesen, daß der Beschwerdeführer seit 1974 im österreichischen Bundesgebiet aufhältig sei. Am 26. Juli 1989 sei ihm die unbefristete Aufenthaltsberechtigung erteilt worden. Er lebe mit einer Freundin im gemeinsamen Haushalt. Es sei davon auszugehen, daß er im Bundesgebiet integriert sei. Weiters sei zu berücksichtigen, daß sich ein Sohn des Beschwerdeführers, allerdings illegal, im Bundesgebiet aufhalte. Seine (des Beschwerdeführers) Gattin und drei weitere Kinder befänden sich jedoch nach wie vor in der Türkei. Eine qualifizierte Berufstätigkeit sei vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht worden, sodaß davon ausgegangen werden könne, daß er diese Tätigkeit auch in einem anderen Land ausüben könne. Somit sei in erster Linie der lange Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sowie die damit verbundene Integration zu berücksichtigen gewesen. Andererseits habe der Beschwerdeführer wiederholt gegen das Fremdenpolizeigesetz verstoßen. Mehrere rechtskräftige Bestrafungen hätten ihn nicht dazu bewegen können, einen gesetzmäßigen Zustand herzustellen. Auch entsprechende Aufforderungen seitens der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch, die "Außerlandesschaffung" seines Sohnes zu veranlassen, seien unberücksichtigt geblieben. Der Sohn des Beschwerdeführers halte sich nunmehr seit ca. eineinhalb Jahren unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. In Anbetracht der beharrlichen Mißachtung der entsprechenden Aufforderungen und Bestrafungen wögen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer, als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte. Mit Beschluß vom 17. März 1993, B 1672/92, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie mit dem weiteren Beschluß vom 28. Mai 1993 gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft der Beschwerdeführer den angefochtenen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt - u.a. - vor, daß die von der belangten Behörde angeführten Bestrafungen wegen Übertretungen des Fremdenpolizeigesetzes in Form von - "offenkundig verfehlten" - Strafverfügungen ergangen seien, gegen die "Einspruch und Antrag auf aufsichtsbehördliche Aufhebung" eingebracht worden seien, über die noch nicht entschieden worden sei. Soweit er damit die Annahme der Rechtskraft der Strafverfügungen bekämpfen will, ist darauf zu verweisen, daß die Rechtzeitigkeit der mit Schriftsatz vom 27. Oktober 1992 erhobenen Einsprüche gegen die Strafverfügungen vom Beschwerdeführer darauf gestützt worden war, daß er keine Rechtsmittelbelehrung "in seiner Sprache" bekommen habe. "Nach der Straßburger und der Karlsruher Rechtprechung" gebühre einem Beschuldigten eine Rechtsmittelbelehrung in seiner Sprache, andernfalls eine Rechtsmitteleinbringung nach erfolgter Rechtsbelehrung noch rechtzeitig sei. Die Einsprüche seien daher als rechtzeitig eingebracht zu behandeln. Dieser Rechtsauffassung kann nicht beigetreten werden, zumal der Vorbehalt Österreichs zu Art. 5 MRK auch die Anwendung des Art. 6 MRK ausschließt und die Zustellung einer in deutscher Sprache abgefaßten Strafverfügung an einen dieser Sprache nicht mächtigen Beschuldigten nicht einmal einen Wiedereinsetzungsgrund darstellt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Juni 1990, Zl. 90/19/0165, und die dort angeführte Vorjudikatur). Das Vorbringen in der Beschwerde vermag daher keine Bedenken gegen die nach der Aktenlage begründete Annahme der Rechtskraft der Strafverfügungen zu erwecken.

Zufolge der sich aus der Rechtskraft der Strafverfügungen ergebenden Bindungswirkung ist davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer insgesamt fünfmal wegen Übertretungen des Fremdenpolizeigesetzes rechtskräftig bestraft wurde. Damit ist der Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 2 (zweiter Fall) Fremdenpolizeigesetz erfüllt und die in § 3 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt (vgl. neben vielen anderen das hg. Erkenntnis vom 8. Oktober 1992, Zl. 92/18/0387).

Was die im Grunde des § 3 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz vorgenommene Interessenabwägung anlangt, so vermag der Verwaltungsgerichtshof die im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebrachte Auffassung der belangten Behörde nicht zu teilen. Aufgrund des langjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich und dem damit verbundenen - hohen - Ausmaß der Integration fallen die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers besonders schwer ins Gewicht; daß die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes demgegenüber nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen UNVERHÄLTNISMÄßIG chwerer wögen, ist nicht zu erkennen, zumal dem illegalen Aufenthalt des Sohnes des Beschwerdeführers in Österreich, der zu den Bestrafungen des Beschwerdeführers Anlaß gegeben hatte, in rechtlicher Hinsicht mit dem gegen den Beschwerdeführer erlassenen Aufenthaltsverbot nicht abgeholfen werden kann.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993180276.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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